Russlandexperten und Sportreporter äußern sich zur Euromaidan-Bewegung in der Ukraine — zur Rolle der ukrainischen...
Section 2. Journalism
Lange Anja,
Nationale Technische Universität der Ukraine „KPI" DAAD-Lektorin an der Gem. Fak. für Maschinenbau
und an der Ling. Fakultät Email: [email protected]
Russlandexperten und Sportreporter äußern sich zur Euromaidan-Bewegung in der Ukraine — zur Rolle der ukrainischen Sprache in der deutschen Medienberichterstattung
Abstrakt: Jahrzehntelang wurde die Ukraine in der deutschen Journalistik vernachlässigt — immer weniger Reporter leben und arbeiten ständig in Kiew. Für die Osteuropaberichterstattung ist Moskau das Zentrum und während der Euromaidan-Bewegung in Kiew äußerten sich viele Reporter unzureichend über die Situation, weil sie die Sprache nicht kannten und meist keine Ahnung von der ukrainischen Geschichte hatten.
Keywords: Journalistik, deutsche Medien, Euromaidan, Ukraine.
Im Zuge der Euromaidan-Revolution konnte ein seltsames Phänomen beobachtet werden: Ukraine-Experten schossen wie Pilze aus dem Boden. Hatte man vorher in Deutschland die Slawistik eher stiefmütterlich behandelt, fehlten nun plötzlich Reporter, die nicht nur fundierte fachliche Kenntnisse über die Ukraine besaßen, sondern vor allem auch Ukrainisch sprachen.
Für Spiegel Online war Steffen Dobbert in der Ukraine, dessen Ausbildung vor allem darin besteht, dass er „ [...] ein Studium zum Diplom Betriebswirt, eine Ausbildung zum Industriekaufmann und an der Akademie für Publizistik zahlreiche Print-, Online- und VideoSeminare abgeschlossen“ [1] hat. Einerseits kann er berichten, was er vor Ort sieht. Er stand auf dem Maidan in Kiew und schreibt über „die ergreifendsten Momente meines Journalistenlebens“ [2] indem er beschreibt, wie die Polizei versucht, die Demonstranten zu vertreiben. Andererseits fragt man sich, wie tief ein Reporter gehen kann und wie viele Hintergründe er recherchieren kann, wenn er die Landessprache nicht spricht. An Steffen Do-bbert soll exemplarisch gezeigt werden, welche Journalisten iin die Ukraine kamen, um über die Revolution zu berichten. Selbst wenn Herr Dobbert Ukrainisch spräche (was bezweifelt werden muss) ist er doch kein Experte für ukrainische Geschichte und Kultur. Ein Reporter, der in Kiew sitzt und englische und russische Agenturmeldungen auswertet und wiedergibt, ist unnötig.
Waren in den 80er und 90er Jahren noch viele Journalisten der DPA (Deutschen Presseagentur) in
der Ukraine dauerhaft stationiert, ist das mittlerweile anders. Heute sind Journalisten für viele Bereiche und Länder verantwortlich und werden vor allem dorthin geschickt, wo sie gerade gebraucht werden.
Andre Eichhofer ist für Spiegel-Online in der Ukraine, aber auch in Belarus, Georgien und Moldawien. Außer ihm, so erzählt er, gäbe es nicht mehr viele Reporter, die dauerhaft in der Ukraine leben. Wie soll man aus einem Land umfassend berichten, wenn man nur zu Krisenzeiten in dieses Land kommt? Wie soll man die Zuschauer oder Leser über die Geschehnisse informieren, wenn man ihre Hintergründe nicht kennt?
So fand man in der deutschen Berichterstattung vor allem viele Russlandexperten, die den Konflikt aus der Sicht Russlands zu erklären versuchen. In den Medien gab es deshalb, besonders ab Februar 2014, immer wieder Berichte wie „Russland und die EU“ oder „Merkel und der Macho“. Es wurde auf die lange Freundschaft zwischen Russland und Deutschland hingewiesen und die Folgen der Krise besonders für die deutsche und russische Freundschaft ausgelotet. Die Ukraine war irgendwann in den Berichten nur noch eine Nebensächlichkeit, als würde der Konflikt zufällig auf dem Territorium der Ukraine stattfinden. Warum die Krimkrise genau zu der Zeit ausbrach, welche tieferliegenden Ursachen sie hatte und welche Rolle Russland spielte, darüber wurde nur unzureichend informiert.
Passierte etwas in Kiew konnte man oft den Satz hören: „Wir schalten nun live nach Moskau.“ Warum nicht
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nach Kiew? Die Osteuropazentralen vieler Fernsehstationen und Zeitungen sind entweder in Moskau oder in Warschau. Wenn etwas in Kiew passiert, ist eine Meinung aus Moskau sicher wichtig, viel wichtiger wäre es, man hätte einen Reporter aus dem Land selbst, der die Sprache spricht und die Hintergründe kennt.
Gabriele Krone-Schmalz zum Beispiel sagt, man müsse die Ängste Russlands anerkennen [3] und es sei nicht anders aus Moskau zu erwarten gewesen [4]. Sie war jahrelang Moskau-Korrespondentin und hat 2008 die Puschkin-Medaille „in Anerkennung ihres Beitrages zur Festigung der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland“ bekommen [5]. Sie schrieb Bücher über die russische Seele und die Lage in Russland. Sicher kann sie hintergründig und ausreichend über Russlands Intentionen und Motive informieren.
Und was ist mit der Ukraine? Ein vielzitierter und vielgefragter Mann zur Ukraine ist der Politikwissenschaftler Andreas Umland, der an der Kiewer Mo-hyla-Akademie lehrte und seit Jahrzehnten in der Ukraine lebt und arbeitet. Er war schon mehrfach in den deutschen Medien zu sehen und analysierte dort die Lage in der Ukraine. Er beschäftigt sich vor allem mit der Parteiensituation der Ukraine, den politischen Verhältnissen und Beziehungen zu Russland und der EU und versucht darzustellen, warum der Westen die Ukra-
ine retten muss [6]. Umland spricht fließend Ukrainisch und Russisch und verfügt deshalb über viele Quellen, auf die er seine Meinung stützen kann.
Ansonsten gibt es wenige vergleichbare Experten, die ständig vor Ort leben. Gerade im Zuge der jüngsten Geschehnisse, bei der Propaganda auf beiden Seiten im Zuge der Krise im Osten der Ukraine ist es schwierig, beide Seiten zu verfolgen und unabhängig zu berichten (dieses Credo haben sich Journalisten schließlich gesetzt). In dieser Zeit braucht man Journalisten, die keine Sportreporter sind, sondern sich mit Land und Geschichte auskennen und damit auch ausreichend darüber informieren können. Lokale Experten, wie Herrn Umland, hinzuzuziehen ist richtig und sollte so sein, aber es braucht mehr Journalisten, die sowohl Ukrainisch sprechen können als auch sich mit der Geschichte und Kultur des Landes auskennen. Die Slawistik in Deutschland sollte mehr gefördert werden, denn sie ist von massivem Stellenabbau bedroht. Diese Einsparungen rächen sich dann, wenn man Experten am dringendsten braucht, die nicht nur an Universitäten lehren und wissenschaftlich arbeiten, sondern vor Ort helfen und berichten können. Es sei der Slawistik in Deutschland — besonders dem kleinen Forschungsbereich der Ukrainistik — gewünscht, dass sie in Zukunft stärker gefördert wird und damit die Qualität der journalistischen Berichterstattung in Deutschland erheblich verbessert wird.
Referenzen:
1. Elektronische Ressource. - http://www.steffendobbert.de/ueber-steffen-dobbert
2. Elektronische Ressource. - http://www.steffendobbert.de/2014/03/16/euromaidan-protest-und-zivilcourage-in-der-ukraine
3. Elektronische Ressource. - http://www.n-tv.de/politik/Russlands-Aengste-muss-man-anerkennen-article 12713126.html
4. Elektronische Ressource. - http://www.focus.de/politik/ausland/putin-und-der-westen-das-war-ja-nicht-anders-zu-erwarten-von-den-russen_id_3679673.html
5. Elektronische Ressource. - http://www.krone-schmalz.de/pages/ueber-mich.php
6. Elektronische Ressource. - https://www.boell.de/de/2014/08/15/warum-der-westen-die-ukraine-retten-muss
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