Научная статья на тему 'Implikationen der kirchenräumlichen Interaktionsarchitektur: das Beispiel Alpha-Gottesdienst'

Implikationen der kirchenräumlichen Interaktionsarchitektur: das Beispiel Alpha-Gottesdienst Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Ключевые слова
Interaktionsarchitektur / Sozialtopografie / Multimodalität / multimodale Interaktionsanalyse / Raum als interaktive Ressource / Raum als Ereignis-Symbolisierung / moderner evangelischer Gottesdienst / „Horizontalisierung“ des Kirchenraums / Demokratisierung des Altarraums / Altarraumgestaltung / Interaktivität des Gottesdienstes / architecture-for-interaction / social topography / multimodality / multimodal interaction analysis / space as a resource for interaction / space as a symbolisation of incidence / modern protestant church service / “horizontalisation” of the church interior / democratisation of the sanctuary / rearrangement of the sanctuary / interactivity of the church service.

Аннотация научной статьи по языкознанию и литературоведению, автор научной работы — Reinhold Schmitt, Anna Petrova

Der Beitrag beginnt mit generellen Überlegungen zur Bedeutung des Raums für die Konstitution sozialer Ereignisse. Wir referieren hier theoretisch-konzeptionelle Entwürfe und empirische Ausarbeitungen, wie sie in den letzten Jahren in der multimodalen Interaktionsanalyse entstanden sind. Als konzeptionelle Grundlagen der multimodal-interaktionistischen Raumanalyse spielen vor allem die Vorstellungen zu „Interaktionsarchitektur“ und „Sozialtopografie“ eine zentrale Rolle. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Interaktionsarchitektur ist der motivierte Zusammenhang zwischen der Architektur eines Raumes und möglichen Formen von Interaktion, die in diesen Räumen stattfinden sollen. Die Architektur eines Raumes wird verstanden als gebaute Antwort auf wiederkehrende Probleme sozialer Interaktion. Das Konzept fokussiert Möglichkeiten der Raumnutzung, die interaktionsvorgängig alleine durch die Architektur ermöglicht bzw. im Sinne von „Benutzbarkeitshinweisen“ angeboten werden (beispielsweise: Begehbarkeit, Sichtbarkeit Hörbarkeit, Verweilbarkeit, Berührbarkeit). Mit Sozialtopografie zielen wir hingegen auf das sozial fundierte Wissen von Raumbenutzern ab. Hier geht es nicht um interaktionsvorgängige Benutzungspotenziale, sondern um die konkrete, situative Nutzung des Raumes. Diese Raumnutzung wird von uns im Sinne sozial erwartbarer und sozial verträglicher Normalformerwartungen interpretiert und verstanden. Wird bei der Raumnutzung von solchen Normalformerwartungen erkennbar abgewichen, wird dies in Kategorien gewollter Markiertheit oder bewusster Abweichung verstanden. Während die Interaktionsarchitektur beispielsweise den Altarraum als grundsätzlich begehbaren Bereich ausweist, ist die Sozialtopografie des Kirchenraumes dafür verantwortlich, dass Gläubige den Altarraum während des Gottesdienstes in der Regel nicht begehen. Nach einer kurzen Ausführung zu gesellschaftlichen Funktionsräumen stellen wir die historische Entwicklung des Alpha-Gottesdienstes dar, wie er seit 2001 in Rimbach/Südhessen gefeiert wird. Visuell wahrnehmbarer Ausdruck dieses modernen Gottesdienstes ist ein besonders hergerichteter Kirchenraum, der im weiteren Verlauf unsere Ausführungen im Mittelpunkt steht. Nach einem Vergleich des traditionellen Kirchenraums und dem Alpha-Kirchenraum in Rimbach, geht es um die detaillierte Rekonstruktion der interaktionsarchitektonischen Spezifik des Kirchenraums im Alpha-Gottesdienst. Dabei werden auch die Modifikationen des Alpha-Raumarrangements erfasst, die in Reaktion auf besondere situative Anforderungen entstehen. Diese Anforderungen führen dazu, dass das interaktionsarchitektonische Kernkonzept in jeweils spezifischer Weise modifiziert wird. Zum Abschluss des Beitrags reflektieren wir die Gestaltung des Raums im Alpha-Gottesdienst als sichtbaren Ausdruck zentraler Aspekte dieses modernen Gottesdienstformats. Dabei werden vor allem die „Horizontalisierung“ der Interaktionsarchitektur, die damit einhergehende Demokratisierung des Kirchenraums, die Sichtbarkeit der Macher des Gottesdienstes und die Transparenz der Vollzugsgrundlagen des Formats sowie die Interaktivität des Gottesdienstes als zentrale Aspekte deutlich.

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THE CHURCH INTERIOR, ITS ARCHITECTURE-FORINTERACTION AND ITS IMPLICATIONS: THE CASE OF “ALPHA CHURCH SERVICE”

The paper starts with general considerations concerning the relevance of space for the constitution of social events. In doing so, we refer to theoretical concepts developed within the field of multimodal interaction analysis in the past few years. For multimodal interaction analysis, two concepts are of central relevance: “architecture-for-interaction“, and “social topography“. The starting point of the notion of “architecture-for-interaction” is the motivated relationship between the architecture of a given space und possible forms of interactions taking place in this space. We interpret the architecture of a given space as ‘built answers’ to recurrent problems of social interaction, aiming to support the interaction. The concept focusses on possibilities of spatial use prior to interaction, offered by the architecture only (such as walk-ability, observe-ability, hear-ability, linger-ability, touch-ability). Social topography in contrast points to the social knowledge of the users of space. Here the focus does not lie on the potential of spatial use prior to interaction. What is relevant for the notion instead is the precise and situated use of space. This use of space is analysed in relation to socially based normative expectations. Both participants and analysts interpret uses of space that obviously ignores or varies these normative expectations as a case of a motivated choice or a wilful alternation. While – for example – architecturefor-interaction ‘offers’ the sanctuary as a possible walk-able territory, it is the social topography that triggers the choice of church attendants not to walk there during church service. After a short remark on functional spaces developed in a given society, we present the history of the so-called Alpha church service, celebrated in Rimbach/South Hesse since 2001. The church interior, specifically arranged for Alpha church services, functions as a visually perceivable expression of this modern church service format. The architectural arrangement of the church interior will be the subject of our further considerations. We start by comparing the traditional church interior with the Alpha interior in Rimbach. We then reconstruct in detail the specific structure of the Alpha interior, focussing primarily on the sanctuary. In doing so, we also pay attention to the modifications which are carried out in reaction to certain situational requests. These requests lead to a modification of the key concepts of the Alpha-specific architecture-for-interaction. We finish our paper by reflecting on the arrangement of the church interior in the Alpha service as a visible expression of key aspects of this modern church service. We point out the following aspects as crucial: the “horizontalisation“ of the architecture-for-interaction, the democratisation of the church interior, the visibility of the ones who perform the church service, the transparency of the format’s enforcement, and the interactivity of the church service.

Текст научной работы на тему «Implikationen der kirchenräumlichen Interaktionsarchitektur: das Beispiel Alpha-Gottesdienst»

IMPLIKATIONEN DER KIRCHENRÄUMLICHEN INTERAKTIONSARCHITEKTUR: DAS BEISPIEL ALPHA-GOTTESDIENST

Reinhold Schmitt

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, Deutschland reinhold.schmitt@ids-mannheim.de

Anna Petrova

Kasaner Föderale Universität, Russland petrova16@mail.ru

Der Beitrag beginnt mit generellen Überlegungen zur Bedeutung des Raums für die Konstitution sozialer Ereignisse. Wir referieren hier theoretisch-konzeptionelle Entwürfe und empirische Ausarbeitungen, wie sie in den leteten Jahren in der multimodalen Interaktionsanalyse entstanden sind. Als konzeptionelle Grundlagen der multimodal-inter-aktionistischen Raumanalyse spielen vor allem die Vorstellungen zu „Interaktionsarchitektur" und „Sozialtopografie" eine zentrale Rolle. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Interaktionsarchitektur ist der motivierte Zusammenhang zwischen der Architektur eines Raumes und möglichen Formen von Interaktion, die in diesen Räumen stattfinden sollen. Die Architektur eines Raumes wird verstanden als gebaute Antwort auf wiederkehrende Probleme sozialer Interaktion. Das Konzept fokussiert Möglichkeiten der Raumnuteung, die interaktionsvorgängig alleine durch die Architektur ermöglicht bzw. im Sinne von „Benutebarkeitshinweisen" angeboten werden (beispielsweise: Begehbarkeit, Sichtbarkeit Hörbarkeit, Verweilbarkeit, Berührbarkeit). Mit Sozialtopografie zielen wir hingegen auf das sozial fundierte Wissen von Raumbenuteern ab. Hier geht es nicht um interaktions-vorgängige Benuteungspotenziale, sondern um die konkrete, situative Nuteung des Raumes. Diese Raumnuteung wird von uns im Sinne sozial erwartbarer und sozial verträglicher Normalformerwartungen interpretiert und verstanden. Wird bei der Raumnuteung von solchen Normalformerwartungen erkennbar abgewichen, wird dies in Kategorien gewollter Markiertheit oder bewusster Abweichung verstanden. Während die Interaktionsarchitektur beispielsweise den Altarraum als grundsätelich begehbaren Bereich ausweist, ist die Sozialtopografie des Kirchenraumes dafür verantwortlich, dass Gläubige den Altarraum während des Gottesdienstes in der Regel nicht begehen. Nach einer kurzen Ausführung zu gesellschaftlichen Funktionsräumen stellen wir die historische Entwicklung des Alpha-Gottesdienstes dar, wie er seit 2001 in Rimbach/Südhessen gefeiert wird. Visuell wahrnehmbarer Ausdruck dieses modernen Gottesdienstes ist ein besonders hergerichteter Kirchenraum, der im weiteren Verlauf unsere Ausführungen im Mittelpunkt steht. Nach einem Vergleich des traditionellen Kirchenraums und dem Alpha-Kirchenraum in Rimbach, geht es um die detaillierte Rekonstruktion der interaktionsarchitektonischen Spezifik des Kirchenraums im Alpha-Gottesdienst. Dabei werden auch die Modifikationen des Alpha-Raumarrangements erfasst, die in Reaktion auf besondere situative Anforderungen entstehen. Diese Anforderungen führen dazu, dass das interaktionsarchitektonische Kernkonzept in jeweils spezifischer Weise modifiziert wird. Zum Abschluss des Beitrags reflektieren wir die Gestaltung des Raums im Alpha-Gottesdienst als sichtbaren Ausdruck zentraler Aspekte dieses modernen Gottesdienstformats. Dabei werden

vor allem die „Horizontalisierung" der Interaktionsarchitektur, die damit einhergehende Demokratisierung des Kirchenraums, die Sichtbarkeit der Macher des Gottesdienstes und die Transparenz der Vollzugsgrundlagen des Formats sowie die Interaktivität des Gottesdienstes als zentrale Aspekte deutlich.

Keywords: Interaktionsarchitektur, Sozialtopografie, Multimodalität, multimodale Interaktionsanalyse, Raum als interaktive Ressource, Raum als Ereignis-Symbolisierung, moderner evangelischer Gottesdienst, „Horizontalisierung" des Kirchenraums, Demokratisierung des Altarraums, Altarraumgestaltung, Interaktivität des Gottesdienstes.

THE CHURCH INTERIOR, ITS ARCHITECTURE-FOR-INTERACTION AND ITS IMPLICATIONS: THE CASE OF "ALPHA CHURCH SERVICE"

Reinhold Schmitt

Institute of the German Language, Mannheim, Germany reinhold.schmitt@ids-mannheim.de

Anna Petrova

Kazan (Volga Region) Federal University, Russia petrova16@mail.ru

The paper starts with general considerations concerning the relevance of space for the constitution of social events. In doing so, we refer to theoretical concepts developed within the field of multimodal interaction analysis in the past few years. For multimodal interaction analysis, two concepts are of central relevance: "architecture-for-interaction", and "social topography". The starting point of the notion of "architecture-for-interaction" is the motivated relationship between the architecture of a given space und possible forms of interactions taking place in this space. We interpret the architecture of a given space as 'built answers' to recurrent problems of social interaction, aiming to support the interaction. The concept focusses on possibilities of spatial use prior to interaction, offered by the architecture only (such as walk-ability, observe-ability, hear-ability, linger-ability, touch-ability). Social topography in contrast points to the social knowledge of the users of space. Here the focus does not lie on the potential of spatial use prior to interaction. What is relevant for the notion instead is the precise and situated use of space. This use of space is analysed in relation to socially based normative expectations. Both participants and analysts interpret uses of space that obviously ignores or varies these normative expectations as a case of a motivated choice or a wilful alternation. While - for example - architecture-for-interaction 'offers' the sanctuary as a possible walk-able territory, it is the social topography that triggers the choice of church attendants not to walk there during church service. After a short remark on functional spaces developed in a given society, we present the history of the so-called Alpha church service, celebrated in Rimbach/South Hesse since 2001. The church interior, specifically arranged for Alpha church services, functions as a visually perceivable expression of this modern church service format. The architectural arrangement of the church interior will be the subject of our further considerations.

We start by comparing the traditional church interior with the Alpha interior in Rimbach. We then reconstruct in detail the specific structure of the Alpha interior, focussing primarily on the sanctuary. In doing so, we also pay attention to the modifications which are carried out in reaction to certain situational requests. These requests lead to a modification of the key concepts of the Alpha-specific architecture-for-interaction. We finish our paper by reflecting on the arrangement of the church interior in the Alpha service as a visible expression of key aspects of this modern church service. We point out the following aspects as crucial: the "horizontalisation" of the architecture-for-interaction, the democratisation of the church interior, the visibility of the ones who perform the church service, the transparency of the format's enforcement, and the interactivity of the church service.

Keywords: architecture-for-interaction, social topography, multimodality, multimodal interaction analysis, space as a resource for interaction, space as a symbolisation of incidence, modern protestant church service, "horizontalisation" of the church interior, democratisation of the sanctuary, rearrangement of the sanctuary, interactivity of the church service.

ИМПЛИКАЦИИ ИНТЕРАКЦИОННОЙ АРХИТЕКТУРЫ ПРОСТРАНСТВА ЦЕРКВИ ВО ВРЕМЯ «АЛЬФА-БОГОСЛУЖЕНИЯ»

Р. Шмитт

Институт немецкого языка, Мангейм, Германия reinhold.schmitt@ids-mannheim.de

А. А. Петрова

Казанский (Приволжский) федеральный университет, Россия petrova16@mail.ru

Исследование основывается на фундаментальных положениях о значении пространства для производства социального события, основу которых составляют теоретико-концептуальные и эмпирические разработки, развитые в последние годы в мультимодальных исследованиях интеракции. Центральными концептуальными понятиями при мультимодальном анализе пространства в интеракции являются новые представления об «интеракционной архитектуре» и «социальной топографии». В качестве основной идеи выступает тезис о мотивированной взаимосвязи между архитектурой пространства и возможными формами интеракции в пространстве. Особые формы архитектуры являются своеобразным ответом на появляющиеся проблемы в интеракции. Это отражается в концепте об «указаниях на возможность использования пространства», который фокусирует способы его использования, поддерживаемые архитектурой (например, возможность ходить и находиться в определённом месте пространства; видеть, слышать и касаться определённых предметов в пространстве). Понятие социальной топографии предполагает наличие знаний о пространстве у участников интеракции. Речь идёт не о скрытом потенциале пространства для генерирования какой-либо интеракции,

но о конкретном, ситуативно-обусловленном использовании пространства, которое понимается как социально ожидаемое и социально возможное событие, принятое в обществе. Если какое-либо использование пространства отклоняется от ожидаемых социальных норм, то это отклонение интерпретируется в категориях «желаемой маркированности» или «сознательного отклонения». В то время как интерак-ционная архитектура идентифицирует пространство алтаря как принципиально возможное и разрешённое для ходьбы и посещений, социальная топография пространства церкви социально регулирует это и, таким образом, несёт ответственность за то, чтобы верующие, как правило, не посещали пространство алтаря во время богослужения. В процессе изучения Альфа-богослужения приводится историческая справка о начале развития такой формы отправления религиозной службы в 2001 году в г. Римбахе (земля Южный Гессен, Германия). Визуально воспринимаемой особенностью этой современной формы богослужения является особым образом оборудованное пространство церкви, которое и выступает центральным объектом настоящего исследования. После сравнения традиционного пространства церкви и пространства церкви во время Альфа-богослужения в Римбахе осуществляется детальная реконструкция интеракционной и архитектурной специфики пространства церкви в процессе отправления Альфа-богослужения. При этом анализу подвергаются модификации пространства, связанные с особыми ситуативными требованиями. Эти требования приводят к тому, что интеракционно-архитектурный ядерный концепт претерпевает такие специфические модификации, что образ пространства в Альфа-богослужении отображает центральный аспект этого современного религиозного формата церковной службы. При этом становятся очевидными следующие центральные аспекты богослужения: горизонтализация интеракцион-ной архитектуры и, как следствие, демократизация пространства церкви; визуализация отправителей богослужения; транспарентность основ формата службы; интерактивность богослужения.

Ключевые слова: интеракционная архитектура, социальная топография, мульти-модальность, мультимодальный анализ интеракции, пространство как интерактивный ресурс, пространство как символизация происходящего события, современное евангелическое богослужение, горизонтализация пространства церкви, демократизация алтаря церкви, оформление пространства алтаря, интерактивность богослужения.

1. Einleitung und Erkenntnisinteresse

Wir gehen in diesem Beitrag der Frage nach, was die Architektur von Räumen -im Sinne gebauter und innenarchitektonisch eingerichteter Struktur - über die Interaktionsereignisse aussagt, die in diesem Raum stattfinden (sollen). Wir wollen diese Frage in der analytischen Auseinanderseteung mit dem Kirchenraum als einem klassischen gesellschaftlichen Funktionsraum klären.

Zur wissenschaftlichen Kontextualisierung unseres Beitrags werden wir kurz die Bedeutung des Raums im Forschungsfeld der multimodalen Interaktionsanalyse skizzieren (2) und danach die konzeptionellen Grundlagen unseres Ansatees und der empirischen Auseinanderseteung mit dem Kirchen-

raum erläutern (3). Um den strukturellen Zusammenhang von Raum und Interaktion und die Ressourcenqualität des Raums für Interaktion voranalytisch zu verdeutlichen, werden wir uns zudem kurz mit gesellschaftlichen Funktionsräumen befassen (4).

Da wir uns konkret mit den architektonischen Implikationen eines Kirchenraums beschäftigen, der zur Feier eines modernen und weitgehend liturgiefreien Gottesdienstes genutet wird, werden die besonderen Merkmale dieser modernen Gottesdienstform beschrieben, die wir in der lutherisch-protestantischen Gemeinde in Rimbach / Odenwald dokumentiert haben (5).

Im Anschluss erfolgt der Einstieg in die Analyse unseres Falls (6). Wir tragen dabei der Tatsache Rechnung, dass für den Alpha-Gottesdienst der traditionelle Kirchenraum mit seiner gebauten Struktur und seiner fest installierten Innenarchitektur umgestaltet wird. Auf der Grundlage von zwei Standbildern aus dem umfangreichen Rimbacher Gottesdienst Korpus werden wir zunächst den traditionellen Kircheninnenraum mit seiner alphaspezifischen Umgestaltung vergleichen (6.1). Danach werden wir auf der Grundlage weiteren Videostandbildern die interaktionsarchitektonische Grundstruktur (und ihre situative Variation) des Alpha-Gottesdienstes erläutern (6.2). Dabei gehen wir auch auf die Tatsache ein, dass in Reaktion auf besondere Anforderungen der Alpha-Kirchenraum nicht wie gewohnt in seiner etablierten Grundstruktur realisiert werden kann (6.3).

In einem abschließenden Schritt werden wir die Implikationen für die religiöse Sozialform explizieren, die mit der Alpha-Architektur verbunden sind. Diese werden als symbolischer Ausdruck des Gottesdienstformats im Medium der Architektur expliziert. Wir werden dabei auch nach der übergeordneten Orientierung fragen, die dieser architektonischen Grundstruktur inhärent ist (7).

2. Raum als Ressource der Interaktionskonstitution

Die Beschäftigung mit Raum als konstitutiver Aspekt menschlicher Interaktion ist in der Sprachwissenschaft primär in der multimodalen Interaktionsanalyse verankert. In der Raumsoziologie, Architektursoziologie und Raumsemiotik sind in den leteten Jahren im Zuge des spatial turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften eine Reihe theoretischer Neuansätee bezogen auf die Bedeutung des Raums formuliert worden [vgl. z. B. die Beiträge in Fischer, Delite 2009]. Der Aufschwung des Raumes in der Interaktionslinguistik erfolgt darauf bezogen zum einen etwas verzögert, zum anderen ist er nicht theoretisch, sondern primär empirisch motiviert und hängt mit Veränderungen im aufnahmetechnischen Bereich zusammen. Durch die systematische Substitution von Tonaufnahmen durch Videoaufzeichnungen wurde die Sichtweise auf Interaktion und ihre Analyse im gewissen Sinne von einer „Wucht des Visuellen" erfasst und verändert. Diese Veränderung reagierte primär auf die nunmehr sichtbare Komplexität von Interaktion. Bestandteil dieser Komplexität ist nicht nur der multimodale menschliche Ausdruck (das kontinuierliche Zusammenspiel von Verbalität, Blick Mimik, Gestikulation, Körperpositur etc.), sondern auch die massive empirische Evidenz dafür, dass Interaktion immer in spezifischen Räumen stattfindet.

Der Raum wurde lange entweder nicht als für die Analyse von Interaktion relevant erachtet und folglich gänzlich ignoriert. Oder er wurde als eine externe

Größe und der Interaktion äußerlich formuliert - und dann ebenfalls analytisch nicht weiter berücksichtigt. Es gab zwar außerhalb der Sprachwissenschaft frühe konzeptionelle Versuche [beispielsweise Kendon 1990], räumliche Aspekte in Form personeller Konstellationen - sogenannte formations - bei der Betrachtung von Interaktion einzubeziehen. Hierbei wurden die Implikationen untersucht, die mit unterschiedlichen Positionen der Beteiligten zueinander für die Interaktion verbunden waren. Der konkrete architektonische Raum, in dem diese personalen Konstellationen hergestellt wurden, stellte jedoch selbst keinen Aspekt der Analyse dar.

Im Kontext der multimodalen Interaktionsanalyse vollzog sich die theoretische, methodisch-methodologische und analysepraktische Auseinanderseteung mit Raum als zentraler Konstitutionsaspekt von Interaktion in mehreren Etap-pen.1 Zunächst wurde im Rahmen von Analysen, die sich selbst nicht explizit mit der Bedeutung des Raums beschäftigten, deutlich, dass Interaktionsbeteiligte räumliche Aspekte systematisch zur Lösung koordinativer Anforderungen ein-seteen [Schmitt 2007]. Dann wurde diese koordinative Relevanz des Raumes im Rahmen von Situationseröffnungen systematisch weiterverfolgt und theoretisch konsolidiert [Mondada, Schmitt 2010]. Die Erkenntnis, dass in der Eröffnungsphase sozialer Situationen Interaktionsbeteiligte räumliche Aspekte systematisch als Ressource nuteen, führte dann erstmalig zur gegenstandskonstituierenden Bedeutung von Raum als interaktive Ressource [Hausendorf, Mondada, Schmitt 2012]. Wenn man nun Raum ernsthaft - und nicht nur metaphorisch - als interaktive Ressource versteht, dann ist damit zwingend impliziert, dass Raum eine interaktionsvorgängige Relevanz eigen ist. Denn nur dann kann auf den Raum als Ressource zurückgegriffen werden, und dieser muss nicht erst im Verlaufe der Interaktion durch die Beteiligten hergestellt werden. Diese Erkenntnis führte dann zur expliziten Beschäftigung mit der interaktionsvorgängigen Ressourcenqualität des Raums für Interaktion [Hausendorf, Schmitt, Kesselheim 2016].

3. Konzeptionelle Grundlagen (der Raumanalyse)

Die multimodale Interaktionsanalyse hat nicht nur gänzlich neue Gegenstände [Schmitt 2012 a; Schmitt 2012 b] und forschungsleitende Fragen entwickelt [Schmitt, Petrova 2018 a; Schmitt 2017], sondern es wurden auch neue interaktionstheoretische Überlegungen angestellt und neue Analysemethoden ausprobiert [Schmitt 2016; Hausendorf, Schmitt 2016 a], neue Verfahren der Datenkonstitution [Schmitt, Fiehler, Öndüc 2018] expliziert und neue Verfahren der empirischen Gegenstandsrepräsentation [Schmitt, Petrova 2018 b] entwickelt. Darüber hinaus - und das ist hier der relevante Punkt - wurden konzeptuelle Rahmenüberlegungen angestellt und dabei ein Geflecht aufeinander bezogener Konzepte für die Theoretisierung und Analyse der Ressourcenqualität des Raums entwickelt: Interaktionsarchitektur, Sozialtopografie, Interaktionsraum und sozial-räumliche Positionierung.

Wir werden bei unserer analytischen Auseinanderseteung mit den Implikationen des Kirchenraums für seine Nuteung bei Gottesdienstfeiern primär mit zwei

1 Zur genaueren Darstellung dieser Entwicklung siehe Schmitt, Hausendorf 2016.

dieser raumbezogenen und raumbasierten Konzepten arbeiten: mit Interaktionsarchitektur und Sozialtopografie [Hausendorf, Schmitt 2013; Hausendorf, Schmitt 2016 b]. Diese beiden Konzepte wollen wir nachfolgend in ihrer Grundstruktur und in ihrem konzepttheoretischen Zusammenhang darstellen.

3.1. Interaktionsarchitektur

Das Konzept der Interaktionsarchitektur reflektiert die in unterschiedlichen Analysen von Räumen gemachte Erfahrung, dass es einen motivierten Zusammenhang gibt zwischen der Architektur eines Raumes und möglichen Formen von Interaktion, die in diesen Räumen stattfinden sollen (können).

Architektur bezeichnet im Rahmen unserer konzeptionellen Vorstellung zum einen den gebauten Raum im Sinne seiner Größe und der materialspezifischen Wand-, Boden, und Deckenstruktur. Weiterhin inkludiert ist im Konzept der Aspekt der stabilen innenräumlichen Gestaltung beispielsweise mit Möbeln etc. Darüber hinaus gehört dazu auch der Aspekt der Ausstattung beispielsweise mit mobiler Technik, Dekoration und Teppichen etc. Zentraler Bestandteil des Konzeptes ist die Vorstellung, Architektur - vor allem von gesellschaftlichen Funktionsräumen (siehe unten) - als gebaute Antworten auf wiederkehrende Probleme sozialer Interaktion zu verstehen. Die Architektur eines Raumes lässt sich aus einer solchen Perspektive als ein komplexes Ensemble von Benutebarkeitshinwei-sen verstehen [Hausendorf 2012, 139 ff; Hausendorf, Kesselheim 2016, 56 ff]. Mit dieser Vorstellung von Hinweisen, die die Architektur eines Raumes zu seiner intendierten Nuteung gibt, sind zwei wichtige Implikationen verbunden.

Zum einen fokussiert das Konzept basale Formen der Raumnuteung, die sich unmittelbar erschließen und sich als interaktionsarchitektonische Basisvorstellungen formulieren lassen. Hier geht es um Möglichkeiten für Wahrnehmung und Bewegung im Raum, die objektiv - das heißt hier vor allem: nicht interpretationsabhängig und kulturell oder sozial vermittelt - existieren: Solche Basiskonzepte sind beispielsweise Sichtbarkeit, Hörbarkeit, Begehbarkeit, Betretbarkeit und Berührbarkeit. Solche Basisnuteungen beziehen sich in spezifischer Weise auf die menschliche Sensorik und Motorik. Diese Basisnuteungs-Möglichkeiten können interaktionsvorgängig bzw. unabhängig von faktischer Raumnuteung und Interaktion, alleine auf der Grundlage der architektonischen Erscheinungsformen des Raums erkannt und analysiert werden.

Zum anderen fokussiert das Konzept keine x-beliebigen oder idiosynkra-tischen Formen der Raumnuteung, die theoretisch auch durch die Spezifik der Interaktionsarchitektur ermöglicht wird. Vielmehr geht es um hochgradig erwartbare Angebote für Interaktion. Diese lassen sich an den Erscheinungsformen der Architektur selbst ablesen. Um dies zu erkennen und für die Analyse von Interaktion produktiv machen zu können, muss man sich jedoch darauf einlassen, diese Erscheinungsformen als materialisierte und sedimentierte Lösungen für die mit einer bestimmten sozialen Praxis verbundenen wiederkehrenden interaktiven Problemstellungen zu rekonstruieren.

Das Konzept „Interaktionsarchitektur" mit seinen Nuteungshinweisen und Implikationen für Interaktion ist von Vorstellungen zu unterscheiden, die in das Konzept „Interaktionsraum" einfließen, das sich im Bereich der multimo-

dalen Konversationsanalyse etabliert hat2. Während die Interaktionsarchitektur die interaktionsunabhängige und interaktionsvorgängige Ressourcenqualität von Räumen fokussiert, zielt das Konzept „Interaktionsraum" auf die von den Beteiligten für ihre und in ihrer Interaktion realisierte Nuteung der Ressource Raum als gemeinsame Herstellung ab. Der Interaktionsraum entsteht und existiert also nur in der Interaktion selbst, ist somit situativer Natur. Ist die Interaktion beendet, löst sich auch der zuvor hergestellte Interaktionsraum auf. Demgegenüber bleibt die Ressourcenqualität des Raumes, in dem die Interaktion stattgefunden hat, dauerhaft erhalten und kann für nachfolgende Interaktionen wieder genutet werden.

3.2. Sozialtopografie

Mit dem Konzept der Sozialtopographie reagieren wir darauf, dass sich Benutebarkeitshinweise nicht nur auf basale Implikationen für Wahrnehmung und Bewegung erstrecken, sondern auch auf vorausseteungsreichere Implikationen für Handlungen innerhalb bestimmter sozialer Praktiken. Es geht also -anders als bei den objektiven Implikationen der Interaktionsarchitektur (nur da, wo es freie Flächen gibt, macht es Sinn, Überlegungen zu deren Begehbarkeit anzustellen) - nunmehr darum, sozial und kulturell erwartbare Formen der Raumnuteung zu erfassen. Sozialtopografisch stellt sich beispielsweise die Frage, welche Implikationen - relativ zu sozial geprägten Normalformerwartungen [im Sinne von Cicourel 1975] - damit verbunden sind, dass ich eine freie Fläche, wie den Altarraum, der interaktionsarchitektonisch als objektiv begehbar ausgewiesen ist, im laufenden Gottesdienst als Besucher tatsächlich begehe.

Interaktionsarchitektonische Erscheinungsformen sind also nicht nur per se sozial implikativ, sondern analytisch genau in dieser Eigenschaft von Interesse: Sie sind Ausdruck gesellschaftlich wie kulturell vermittelter und geprägter Erwartungen und Unterstellungen. Wir erwarten und unterstellen, dass der Raum in vertrauter Weise, das heißt im Sinne von sozial vermitteltem handlungspraktischem Wissen genutet wird. Eine konkrete Raumnuteung entsteht also immer im Spannungsverhältnis der objektiven interaktionsarchitektonischen Gegebenheiten und der sozial und kulturell vermittelten Kompetenz, die Topo-grafie des Raumes in erwartbarer Weise zu „lesen". Damit ist nichts darüber gesagt, wie bewusst sich Anwesende bei ihrer Raumnuteung verhalten. Der Normalfall ist aber wohl eher die fraglose und habituelle Nuteung. Die Raumnutzung ereignet sich also in der Regel auf der Grundlage eines unproblematischen allgemeinen Wissens über sozial adäquates Verhalten. Explizit thematisch -und damit auch der Reflexivität der Raumnuteer zugänglich - wird eine Nutzung meistens erst dann, wenn sie erkennbar den Erwartungen widerspricht. Wir verstehen die sichtbare Raumnuteung von Anwesenden (ihre Präsentform, der Ort ihrer Positionierung, die Art ihrer Positur, der damit verbundene Wahrnehmungsraum, die Nähe oder Distanz zu anderen Anwesenden etc.) als situative

2 Zu konzeptionellen Vorstellungen zum Interaktionsraum siehe beispielsweise die Überblicksdarstellungen bei Mondada 2007; Mondada 2013; Stefani, Gazin, Ticca 2012; Schmitt 2013 (Kap. 4, 5 und 6); Schmitt, Deppermann 2007; Hausendorf, Mondada, Schmitt 2012.

Manifestation ihres sozialtopographischen Wissens und als Ausdruck ihrer sozialtopographischen Orientierung. Dieses sozialtopografische Wissen ist Teil des gesellschaftlichen Wissenshaushaltes [Luckmann 1986, 206].

Interaktionsarchitektur und Sozialtopografie fokussieren also signifikant unterschiedliche Aspekte der Raumanalyse. Beide Konzepte sind jedoch eng aufeinander bezogen. Sozialtopografie verweist dabei auf die Kompetenz, die sich an dem relevanten Unterschied zwischen einer prinzipiellen Begehbarkeit im interaktionsarchitektonischen Sinne und der funktionsraumspezifischen, sozial verträglichen oder bewusst abweichenden Begehung im Kontext sozialer Handlungszusammenhänge orientiert. Interaktionsarchitektonisch kann ich sehen, dass der Altarraum (genau wie etwa der Mittelgang der Kirche) objektiv begehbar ist. Sozialtopografisch kann ich wissen, dass ich als Gottesdienstbesucher den Altarraum während des Gottesdienstes nur dann betreten sollte, wenn ich - beispielsweise im Kontext einer Abendmahlfeier - explizit dazu aufgefordert werde. In anderen Situationen ist die Begehung des Altarraums nicht adäquat, unangemessen, überraschend - und zieht eventuell Konsequenzen nach sich.

Dem sozialtopografischen Wissen ist grundsätelich eine reflexive Qualität eigen, die für die Analyse von Bedeutung ist. Die Analyse der Interaktionsarchitektur ist nämlich darauf angewiesen, dass der Analytiker und die Analytikerin mit der fraglichen sozialen Praxis hinreichend vertraut sind, auf die die Sozialtopographie eines Raumes verweist. Ist dies nicht der Fall, können die vertrautheitsabhängigen Benutebarkeitshinweise, die in einer bestimmten Nuteung realisiert werden, analytisch nicht angemessen erfasst werden.3 Wir selbst haben dieses notwendige sozialtopografische Wissen über den Kirchenraum nicht nur im Laufe unserer Sozialisation erworben. Darüber hinaus haben wir über die langjährigen Videoaufnahmen der verschiedenen Gottesdienste in Rimbach unser sozialtopografisches Wissen kontinuierlich verfeinert. Wir führen also die nachfolgenden interaktionsarchitektonischen Analysen auf der Grundlage dieses sensibilisierten sozialtopografischen Wissens durch.

4. Gesellschaftliche Funktionsräume

Nach unseren Vorstellungen ist der Raum, in dem ein Interaktionsereignis stattfindet, selbst Bestandteil dieses Ereignisses. Dieser Zusammenhang wird dann besonders deutlich, wenn man Interaktion in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen betrachtet. Viele Institutionen haben nämlich spezielle Funktionsräume entworfen, gebaut und eingerichtet, um die für ihre Funktionserfüllung wichtigen Interaktionen abzusichern und zu unterstüteen. Ein Gerichtssaal, ein Vorlesungssaal, ein Klassenzimmer, ein Besprechungsraum in einem Unternehmen und eine Kirche weisen nicht zufällig eine bestimmte Grundfläche, ein spezifisches Verhältnis von Länge, Breite und Höhe, eine je eigene mobiliare Ausstattung und innenarchitektonische Gestalt, eine besondere Raumaufteilung, einen gewissen Wechsel von begehbaren und nicht begehbaren Flächen sowie eine spezifische Ausstattung mit Fenstern zur Raumaußenseite auf.

3 Siehe hierzu das Prinzip der methodischen Adäquatheit von Garfinkel, Wieder 1992.

Der Gerichtssaal ist in spezifischer Weise gebaut und ausgestattet, um darin beispielsweise Gerichtsprozesse in angemessener Weise durchführen zu können. Ein Vortragssaal ist mit seinen aufsteigenden Sitereihen die gebaute Lösung dafür, dass viele Anwesende den Ausführungen einer einzelnen Person ohne visuelle und akustische Beeinträchtigung folgen können. Klassenzimmer in Schulen unterstüteen die Umseteung des gesellschaftlichen Bildungsauftrags in den unterschiedlichsten Formen der Wissensvermittlung. Besprechungszimmer in Unternehmen ermöglichen den Austausch in kleineren und größeren Gruppen unter Einsate gängiger Kommunikationstechnologie. Und Kirchenräume sind in erster Linie dazu da, die angemessene Feier von Gottesdiensten zu ermöglichen.

Unser Wissen über solche gesellschaftlichen Funktionsräume und die zur Funktionsausübung notwendigen Handlungen und Interaktionen ist Bestandteil unserer fraglosen sozialen Wissensgrundlagen. Wenn wir das Bild eines Gerichtssaals sehen, erkennen wir diesen Raum nicht nur als Gerichtssaal. Vielmehr verbinden wir damit automatisch auch Annahmen über das, was in diesem Raum normalerweise geschieht. Und wir haben auch Vorstellungen darüber, wo beispielsweise die an einem Gerichtsverfahren beteiligten Parteien im Raum ihren Plate haben. Weiterhin können wir auch Aussagen darüber machen, wie die freie Bewegung im Raum in Abhängigkeit vom jeweiligen Beteiligungsstatus geregelt ist. Unser sozialtopografisches Wissen über gesellschaftliche Funktionsräume stattet uns mit Erwartungen der interaktiven Raumnuteung aus, die wir mit einem Gerichtssaal, einem Vorlesungssaal, einem Klassenzimmer und eben auch einem Kirchenraum fraglos und vor-reflexiv verbinden.

Gesellschaftliche Funktionsräume ermöglichen und unterstüteen nicht nur bestimmte Handlungsausführungen, sondern verdeutlichen auch, dass bestimmte Handlungen von bestimmten Beteiligten an bestimmten Orten im Raum ausgeführt werden. Letetlich symbolisieren sie also auch die Relevanz, die diese Ausführungen in der und für die Gesellschaft besiteen. Und sie verdeutlichen in dieser symbolischen Qualität auch den Status der an dem jeweiligen Ereigniszusammenhang beteiligten Parteien.4

Nach diesen konzeptionellen Vorklärungen wollen wir uns nun der Analyse der Interaktionsarchitektur im Alpha-Gottesdienst in der evangelischen Kirche in Rimbach / Odenwald zuwenden.

5. Der Alpha-Gottesdienst in Rimbach / Odenwald

Der Alpha-Gottesdienst ist im Jahr 2001 als moderne Alternative und Ergänzung zum traditionellen liturgischen Gottesdienst im Gemeindehaus als „zweites Programm" entstanden. 2007 ist der Alpha-Gottesdienst dann in die Kirche umgezogen und findet dort im monatlichen Wechsel mit drei anderen Gottesdienstformaten an jedem 2. Sonntag im Monat als regulärer Gemeindegottesdienst statt. Für die Gestaltung und die Durchführung des Gottesdienstes ist ein so genanntes Alpha-Team in Zusammenarbeit mit dem Pfarrer zuständig.

4 Zur Erfassung genau dieses Aspektes der positionalen Symbolik wurde das Konzept „Sozialräumliche Positionierung" entwickelt [Hausendorf, Schmitt 2017].

In einer Selbstdarstellung charakterisiert das Team den Alpha-Gottesdienst als „Gottesdienst mit dem etwas anderen Programm"5 und verweist damit auf zentrale Unterschiede zum traditionellen liturgischen Gottesdienst. Dieses „etwas andere Programm" beinhaltet zum einen Bestandteile des liturgischen Gottesdienstes wie Predigt, Fürbitten, Vater unser, Ausgangssegen und das gemeinsame Singen von Kirchenliedern. Bei der Predigt wird jedoch keine Bibelstelle ausgelegt, sondern die Themen des Alpha-Gottesdienstes, zu denen der Pfarrer predigt, haben alle eine unmittelbare Alltagsrelevanz und lauten beispielsweise: Angst vor der Zukunft; Mein Wille - Spielball der Anderen?; „Ich mach dann mal nix!"; Ohne Verbitterung älter werden oder Dazugehören um jeden Preis?

Zum anderen weist der Alpha-Gottesdienst aber auch Elemente auf, die bewusst einen alltagsweltlichen Ursprung haben. So gibt es beispielsweise so genannte Anspiele. Das sind kurze Aufführungen in Sketchform, mit denen spielerisch auf das Thema der Predigt vorverwiesen wird. Nach der Predigt gibt es im so genannten Nachgefragt-Teil die Möglichkeit, mit dem Pfarrer über seine Predigt zu sprechen. In diesem moderierten Teil können Fragen zur Predigt gestellt oder Aspekte thematisiert werden, die durch die Predigt bei dem einen oder anderen ausgelöst worden sind. Als weiteres Spezifikum wird die Predigt durch einen Moderator angekündigt, wobei auch der Pfarrer explizit vorgestellt wird.

Ein besonderer programmatischer Bestandteil dieses modernen Formats ist eine gesellige Phase zum Ausklang des Gottesdienstes. Nach dem Ausgangssegen des Pfarrers werden Tische in die Kirchenmitte und in den Raum zwischen Besucherbereich und Altarstufen gestellt. Die Gottesdienstbesucher stehen dann bei Kaffee und Keksen noch eine ganze Weile im geselligen Gespräch beieinander. Gleichzeitig - in der linken Altarraumhälfte, die dafür freigehalten wird - erwartet der Pfarrer einzelne Besucher zum seelsorgerischen Gespräch, zur persönlichen Segnung oder zum gemeinsamen Gebet oder einem Moment gemeinsamer Andacht.

Insgesamt ist die Durchführung des Alpha-Gottesdienstes arbeitsteilig organisiert. Mitglieder des Alpha-Teams eröffnen beispielsweise formell den Gottesdienst, begrüßen die Gemeinde und sprechen ein erstes Gebet. Vor allem mode-rative Tätigkeiten - wie beim Nachgefragt-Teil oder der Predigtankündigung, aber auch die Ankündigung der Fürbitten und die Kundgabe wichtiger Gemeindeinformationen - werden nicht vom Pfarrer, sondern von Alpha-Team-Mitgliedern übernommen.

Einen wichtigen Punkt dürfen wir zum Schluss dieser kurzen Charakterisierung des Alpha-Gottesdienstes nicht vergessen: Die musikalische Gestaltung wird nicht von einem Organisten/einer Organistin übernommen, sondern von einer Live-Band mit dem Namen „Living Bones"6. Die Living Bones haben ihren Plate in der rechten Altarraumhälfte und steuern zum Teil populäre Popsongs, in erster Linie aber moderne religiöse Lieder zur Gottesdienstgestaltung bei, die mit ihren eingängigen Melodien zum Mitsingen einladen. Die Texte dieser Lie-

5 Siehe die Homepage der Evangelischen Kirchengemeinde Rimbach: http://ev-kirche-rimbach.de/ gottesdienste/alpha-gottesdienst.

6 Weitere Informationen zur Band und unter anderem ihrem Namen finden sich unter: http://ev-kir-che-rimbach.de/musik/living-bones/35-musik/140-living-bones.

der, die nicht im Gesangbuch stehen, können auf einer Projektionsfläche, die die Kanzel gänzlich verdeckt, mitgelesen werden. Es ist vor allem der Band-Leader, der immer wieder als Moderator tätig wird und unter anderem die Predigt des Pfarrers ankündigt.

Der Alpha-Gottesdienst wendet sich in seiner alltagsweltlichen thematischen und programmatischen Orientierung speziell auch an Gottesdienstbesucher, die über keine kirchliche Sozialisation und Bindung verfügen. Er ist seit Jahren der am besten besuchte Gottesdienst in Rimbach.

6. Interaktionsarchitektur des Kirchenraums in Rimbach

Wir wollen uns nun nach den allgemeinen Ausführungen zur Bedeutung des Raumes für die Durchführung sozialer Ereignisse konkret dem Alpha-Gottesdienst und dem alpha-spezifischen Kirchenraum zuwenden.

Da der Kirchenraum für den Alpha-Gottesdienst erkennbar umgestaltet wird, werden wir uns zum Einstieg in die Analyse dieser Umgestaltung zuwenden. Dazu werden wir auf der Grundlage von zwei Standbildern den traditionellen Kircheninnenraum mit der alphaspezifischen Umgestaltung vergleichen. Dieser Vergleich erfolgt mit dem Ziel, diejenigen Aspekte des traditionellen Kirchenin-nenraums zu identifizieren, die ganz offensichtlich für den Alpha-Gottesdienst „abgewählt" werden.

6.1. Traditioneller und alpha-spezifischer Kirchenraum: Ein Vergleich

Die Analyse mit der Beschreibung des traditionellen Kirchenraums zu beginnen, ist motiviert und liegt in der Spezifik unseres Falls begründet. Der traditionelle Kirchenraum wird auch im Alpha-Gottesdienst in einer spezifischen Herrichtung genutet und bleibt in seiner Traditionalität erkennbar. Seine besondere Umgestaltung ist ein Hinweis darauf, dass der traditionelle Kirchenraum für das alphaspezifische Gottesdienstformat nicht geeignet ist. Ist man an den Implikationen der Umgestaltung im Sinne einer motivierten Abwahl bestimmter Aspekte der traditionellen Interaktionsarchitektur interessiert, muss man sich zunächst mit den Implikationen dieser abgewählten Aspekte im traditionellen Gottesdienst beschäftigen. Nur so wird hinreichend deutlich, dass es sich bei der Alpha-Interaktionsarchitektur nicht um ästhetische, sondern um konzeptionelle Relevanzen handelt. Diese verweisen - für alle Anwesenden sichtbar - auf die mit dem Format verbundenen Vorstellungen eines zeitgemäßen Gottesdienstes.

6.1.1. Der traditionelle Kirchenraum

Das Standbild, das der nachfolgenden Beschreibung zugrunde liegt, stammt aus einem Gottesdienst, in dem der Gemeindepfarrer, Uwe Buß, durch einen Kollegen vertreten wurde. Es zeigt das kirchenräumliche Vorne von der dem Altarraum gegenüberliegenden Empore und fokussiert damit das visuell wahrnehmbare räumliche Handlungszentrum des Gottesdienstes.

Der Gemeinderaum wird durch einen etwa altarbreiten Mittelgang in zwei gleichgroße Segmente geteilt, in denen die Besucher durch die Kirchenbänke

nach vorne ausgerichtet siteen. Der Mittelgang endet in einem mit zwei Stuhlreihen ausgestatteten Zwischenbereich vor den Altarstufen. Optisch wird der Mittelgang durch den bis unmittelbar vor den Altar reichenden Teppich verlängert. Der Teppich führt die Stufen des Altarraums hinauf, wobei auf der zweiten Stufe ein Standmikrofon in Mittelposition plateiert ist. Der Teppich endet unmittelbar vor dem Altar, der sich im Zentrum des erhöhten Altarraums befindet. In der Mitte des Altars steht hinter der aufgeschlagenen Bibel ein Kreuz. Dieses leitet den Blick weiter in die Höhe zur Kanzel, von der aus der Pfarrer seine Predigt hält.

Abbildung 1. Der traditionelle Kirchenraum

Über der mittig plateierten Kanzelkrone befindet sich hinter einer geschlossenen Balustrade die Orgel. Der Organist, der dort für den musikalischen Teil des Gottesdienstes sorgt, ist vor den Blicken der unten in den Kirchenbänken Siteenden weitgehend verborgen. Nur von der Empore aus ist er teilweise zu sehen.

Alle für die Durchführung des Gottesdienstes wichtigen Orte, Objekte, Gegenstände und Utensilien befinden sich im erhöhten Altarraum. Links neben dem Altar steht der Ambo für die Schriftlesung durch den Lektor. Vor der an der Wand abgestellten elektrischen Orgel sind zwei Stühle zu sehen, auf denen der Pfarrer Plate nimmt und seine Unterlagen ablegt, nachdem er - aus der Sakristei kommend - den Altarraum betreten hat.7 An der gegenüberliegenden Wand des Altarraums befindet sich ein Gestell für die Konfirmandenkerzen, die vor dem Gottesdienst von den Konfirmand/innen enteündet werden.

Die Interaktionsarchitektur weist zwei Orte im Altarraum aus, von denen aus der Gottesdienst qua Sprechen gestaltet wird. Die Position vor der Altarmitte ist der systematische Ort, von dem aus der Pfarrer agiert (wenn er nicht gerade

7 Nicht alle Pfarrer legen Wert auf einen solchen privilegierten Siteplate im Altar. Die Mehrzahl - wie beispielsweise auch der Gemeindepfarrer - nimmt in der ersten Stuhlreihe des Zwischenbereichs Plate.

auf einem der beiden Stühle sitet oder von der Kanzel predigt), und hinter dem Ambo ist der Plate des Lektors. Beide Positionen werden durch Standmikrofone als Sprechort ausgewiesen. Vertrautheitsabhängig gerät auch die Kanzel, dem Ort der Predigt, als Sprechort in den Blick. Dort gibt es ebenfalls, wenn auch im Bild kaum erkennbar, ein Mikrofon. Oberhalb der Kanzel befindet sich schließlich der Arbeitsplate des Organisten. Bereits diese Interaktionsarchitektur macht deutlich, dass die Anzahl der Personen, die den Gottesdienst im kirchenräumlichen Vorne gestalten, überschaubar ist: Es handelt sich mit dem Pfarrer, dem Lektor und dem Organisten um das organisatorische Dreigestirn des liturgischen Gottesdienstes. Dabei spielt für den Beitrag des Organisten seine Sichtbarkeit im Unterschied zum Pfarrer und Lektor keine Rolle. Für das arbeitsteilig koordinierte Zusammenspiel ist dieser traditionelle Kirchenraum in adäquater Weise ein- und hergerichtet.

Das kirchenräumliche Vorne wird im traditionellen Kirchenraum durch den Altar, dem „Tisch Gottes", und sakralem Zentrum in der Mitte des Altarraums bestimmt. Nicht zuletet durch die privilegierte sozialräumliche Positionierung des Pfarrers vor dem Altar wird dessen zentrale Bedeutung und Zuständigkeit für den Gottesdienst interaktionsräumlich verdeutlicht.

Fragt man nach der Orientierung, die der architektonischen Gestaltung des Kirchenraums und dem Vorne zugrunde liegt, dann sind vor allem zwei Aspekte zu nennen: Zentralität und Vertikalität. Sie sind die strukturbestimmenden Raumaspekte des traditionellen Kirchenraums. Die wichtigen Gegenstände und Objekte befinden sich alle in der Mittelachse der Kirche, und schon beim Eintritt in den Kirchenraum - durch die mittig plateierte Pforte - wird der Blick durch den Mittelgang auf den Altar gelenkt. Dort angekommen, wandert er nach oben über die mittig plateierte Bibel und das Kreuz bis hinauf zur Kanzel und ihrer Krone. Der Altarraum ist insgesamt eher leer und weist daher viele begehbare Flächen auf. Er ist nicht nur durch seine Erhöhung, sondern auch durch den Zwischenbereich von dem mit der ersten Kirchenbank beginnenden Gemeindebereich abgetrennt. Alle Objekte rechts und links der Mittelachse sind in ihrer Bedeutung für den Gottesdienst herabgestuft.

Wenn wir uns jetet dem alphagottesdienstlichen Kirchenraum zuwenden, dann behalten wir bei der Beschreibung die Aspekte „Vertikalität" und „Zentrali-tät" im Hinterkopf.

6.1.2. Der Alpha-Kirchenraum

Der Alpha-Gottesdienst findet in demselben und damit zunächst traditionell ausgestatteten Kirchenraum statt, der jedoch vom Alpha-Team im Sinne ihres Verständnisses von interaktionsräumlicher Angemessenheit umgestaltet wird. Die dafür notwendigen Eingriffe in diese traditionelle Interaktionsarchitektur sind durchgängig mobiliarer Art sind.

Wenn man die Standbildanalyse8 oben im Bild beginnt, wird man als erstes damit konfrontiert, dass die Kanzel gänzlich zum Verschwinden gebracht wurde.

8 Zur interaktionistischen Standbildanalyse als eigenständigem Verfahren siehe Hausendorf, Schmitt 2016 b.

Die noch sichtbare Kanzelkrone überspannt nun eine Projektionsfläche [1], auf die ein Beamer, der in der ersten Stuhlreihe links im Zwischenbereich plateiert ist [2], Text projiziert. Hier können die Gottesdienstbesucher/innen beispielsweise das Thema des Alpha-Gottesdienstes lesen, und es werden Liedtexte wiedergegeben, wodurch die Projektionsfläche die Funktion des klassischen Gesangbuches übernimmt. Auch in der Ab-Information, in der wichtige Informationen für die Gemeinde mitgeteilt werden, erscheinen diese Informationen auf der Projektionsfläche. Die relevante Abwesenheit der Kanzel macht deutlich: Es wird keine Predigt von der Kanzel geben.

Abbildung 2. Der Kirchenraum im Alpha-Gottesdienst

Eine weitere deutliche Veränderung zeigt sich in der rechten Hälfte des Altarraums. Wo im traditionellen Altarraum der Plate des Ambos war und die beiden Stühle für den Pfarrer standen, kann man nun eine Musikecke erkennen [3]. Hier stehen Klavier, Schlagzeug, Gitarren und diverse Notenständer und Mikrofone, die die gesamte rechte Altarraumseite beanspruchen. Die klassische Kirchenmusik der Orgel wird im Alpha-Gottesdienst durch die Musik einer Band ersetet. Die Mitglieder der Band sind für alle sichtbar und spielen im Altarraum, dem angestammten Territorium des Pfarrers.

Auch der Bereich zwischen Altarstufen und den Besucherbänken hat sich nicht nur durch den Beamer auf der linken Seite deutlich verändert. Auch an der rechten Wandseite sehen wir nun eine Reihe von geschmückten Tischen, auf denen Getränke, Tassen und Teller mit Keksen stehen [4]. Sowohl durch die Musikecke als auch durch die Bistrotische wird der Zwischenbereich durch alltagsweltliche Objekte und Gegenstände überbrückt. Der Besucherbereich und der Altarraum rücken so enger zusammen, und die im traditionellen Kirchenraum zwischen ihnen bestehende Distanz in Form einer fast gänzlich leeren Fläche wird aufgehoben.

Als ebenfalls neues Objekt steht ein Notenständer alleine in der sonst leeren linken Altarraumhälfte [5]. Aufgrund seiner Plateierung kann es sich nicht um ein weiteres Requisit der Musikerecke handeln, sondern verweist auf eine davon unabhängige Funktionalität. Er ist der mobiliare Hinweis auf einen wichtigen Sprechort, von dem aus der Pfarrer später seine Predigt halten wird. Man kann diesen Notenständer also als eine Art „Erben der Kanzel" sehen - und wird dabei sofort gravierende Unterschiede in den Implikationen dieser beiden Orte erkennen. Die Kanzel ist der architektonisch integrierte, fest verankerte und aufgrund ihrer Höhe und Kronenüberdachung herausgehobene Ort der Predigt. Dort wird der Pfarrer beim Predigen zum weitgehend körperlosen Exegeten ausgewählter Bibelstellen. Von ihm sind in der Kanzel nur ein Teil seines Oberkörpers und seine Hände vom Gemeindebereich aus wahrnehmbar.

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Der Notenständer wirkt im Vergleich zur Kanzel fast filigran, zerbrechlich und durchsichtig. Er verfügt neben diesen kanzelkontrastiven Eigenschaften selbst über keinerlei sakrale Qualität. Ihm ist vielmehr eine alltagsweltliche Bedeutung im Sinne eines „Ablageplatees für Unterlagen" eigen. Während die Kanzel allein schon aufgrund ihrer interaktionsarchitektonischen Qualität und auf der Grundlage des von den Gottesdienstbesuchern geteilte Wissen (um die Kanzel als Ort der Predigt) den Pfarrer zum Exegeten des Wortes Gottes macht, fehlt eine solche Ausstattung beim Notenständer gänzlich. Unter der Vorausseteung, dass der Notenständer als Markierung des Ortes der Pfarrerpredigt kein Versehen ist, kann man annehmen, dass sich nicht nur der Notenständer von der Kanzel, sondern auch die Art der Predigt von der Kanzelpredigt erkennbar unterscheidet.

Der Notenständer ist also alles, was von dem in der traditionellen Interaktionsarchitektur erhöhten Ort der Verkündigung von Gottes Wort in der Predigt übrig geblieben ist. Der Pfarrer predigt im Alpha-Gottesdienst nicht von oben herab, er ist nicht körperlos, sondern gewollt in seiner Alltagsbekleidung in seiner ganzen Körperlichkeit sichtbar. Der Pfarrer zählt im Alpha-Gottesdienst nicht nur als Exeget von Bibelstellen. Er zeigt sich vielmehr auch „als Alltagsmensch mit Expertise in Glaubensfragen", der seine Aussagen zu den alltagsrelevanten Themen der Alpha-Predigten nicht nur verbalisieren, sondern auch während der gesamten Predigt sichtbar verkörpern muss.

Und noch eine weitere Implikation des Notenständers als Ort der Predigt im Alpha-Gottesdienst darf im hier eröffneten Vergleich nicht übersehen werden: Der Pfarrer nutet für seine Predigt nicht nur eine musikspezifische Requisite. Er predigt auch auf gleicher Höhe, auf der die Musiker den Gottesdienst musikalisch gestalten. Aufgrund unseres Wissens über soziale Implikationen von Positionen im Raum [Hausendorf, Schmitt 2017] darf man darin mehr als einen Zufall, sondern ein Zeichen von interaktionsarchitektonisch repräsentierter Egalität erkennen.

Schließlich gibt es bezogen auf den Altar weitere, nicht ganz so offensichtliche Veränderungen. Zunächst einmal tritt der Altar durch die Üppigkeit des Schmucks in seiner sakralen Qualität als „Tisch des Herrn" etwas in den Hintergrund. Weiterhin „fehlt" das normalerweise hinter der aufgeschlagenen Bibel plateierte Altarkreuz. Auch es ist - wie der Ort der Predigt und der Ort der Musik -in einer anderen Gestalt nach unten gewandert. Es steht jetet als weißes Marmorkreuz auf dem Boden des Altarraums rechts vor dem Altar [6].

Diese laterale Plateierung des Altarkreuzes, einem wichtigen sakralen Objekt, wiederholt sich in gewisser Weise auch mit dem alltagsweltlich konnotierten Standmikrofon. Auch das Mikrofon ist aus seiner zentrierten Position im traditionellen Gottesdienst etwas zur Seite gewandert. Es steht zwar immer noch auf der zweiten Altarstufe, aber nunmehr seitlich vor dem weißen Kreuz [7].

Links neben dem Beamer steht - ebenfalls in der ersten Stuhlreihe der linken Besucherhälfte - ein weiterer Ständer mit einem abnehmbaren Mikrofon [8]. Hier befindet sich der Start- und Endpunkt des Teammitglieds, das den Nachge-fragt-Teil nach der Predigt moderiert. Der Moderator sitet in unmittelbarer Nähe des Mikrofons und bewegt sich beim Nachgefragt-Teil durch den Kirchenraum, um das Mikrofon zu den Besuchern zu bringen, die sich an der Nachfrage beteiligen wollen. Zuweilen liegt das Mikrofon auch einfach auf einem der Stühle, sodass kein besonderer Ständer benötigt wird.

Im Verständnis der interaktionsarchitektonischen Konzeption gehört zur Gestaltung des kirchenräumlichen Vorne auch die freie Fläche in der linken Altarraumhälfte [9]. Diese Fläche ist in der Regel auch im traditionellen Kirchenraum frei, wird aber dort - außer als Laufweg der Konfirmand/innen zu ihren Kerzen - nicht genutet. Das ist im Alpha-Gottesdienst anders. Neben ihrer Bedeutung als begehbare Fläche für die Konfirmand/innen spielt dieser Bereich in der Phase des Ausklangs eine wichtige Rolle. In dieser Phase ist der Bereich links neben dem Altar für den Pfarrer reserviert, der hier für seelsorgerische Bedürfnisse der Gottesdienstbesucher zur Verfügung steht, während die Bistrotische für geselliges Zusammensein genutet werden.

Wir wollen damit die Beschreibung des Alpha-Kirchenraumes zugunsten eines ersten Resümees beenden. Der Vergleich der traditionellen und der alpha-spezifischen Interaktionsarchitektur hat - neben interessanten Details -eine deutliche Tendenz bzw. Orientierung der Raumgestaltung und der damit verbundenen Möglichkeiten für Interaktion gezeigt. Die Umgestaltung der vorgefundenen Interaktionsarchitektur betrifft vor allem die beiden (für den traditionellen Kirchenraum charakteristischen) Aspekte „Zentralität" und „Vertikali-tät". Die Alpha-Interaktionsarchitektur kann als Versuch beschrieben werden, die Auswirkungen der Zentralität und der Vertikalität mit mobilen Mitteln systematisch zu minimieren. Dies zeigt sich

im „Herunterholen" von markierten Sprechorten (Kanzel und Notenständer, Orgel und Musikecke),

in der „Lateralisierung sakraler Objekte" und in der „horizontalen Belebung des Altarraums".

Im Zusammenspiel führen diese Aspekte dazu, dass es zu einer sichtbaren „Ent-Sakralisierung" des kirchenräumlichen Vorne kommt. Das Alpha-Team hat - in anderen Worten - den sakralen traditionellen Kirchenraum ein Stück weit veralltagsweltlicht. Wenn man sich an dieser Stelle daran erinnert, dass das Gottesdienstformat seine Anfänge im Gemeindehaus hat, dann kann man auch sagen: Die Interaktionsarchitektur des Alpha-Gottesdienste ist der Versuch, so viel Gemeindehaus wie möglich mit in den traditionellen Kirchenraum und dort zur Geltung zu bringen.

6.2. Modifikationen des Alpha-Kirchenraums: Summer time

Die beschriebene Alpha-Interaktionsarchitektur wird mit kleinen Modifikationen bei allen Alpha-Gottesdiensten beibehalten. Kommt es zu markanten Veränderungen, reagieren diese immer auf bestimmte „Sonderbedingungen". Wie die Interaktionsarchitektur in solchen Fällen situativ modifiziert wird (und welche Implikationen damit verbunden sind), wollen wir nachfolgend an drei unterschiedlichen Beispielen zeigen.

Abbildung 3. Fehlende Bistrotische im Kirchenraum

Bei dieser Aufnahme vom 11.06.2017 ist die bekannte Alpha-Interaktionsarchitektur zu sehen: Die Kanzel ist mit der Projektionsleinwand verhängt, der Beamer in der ersten linken Stuhlreihe projiziert relevante Informationen, in der Musikecke warten in der rechten Altarraumhälfte Instrumente auf ihren Einsate, am Boden steht in lateralisierter Position rechts das Marmorkreuz vor dem Altar, und auch der Musikständer für die Ablage der Predigtunterlagen steht hinter einem Standmikrofon in der sonst weitgehend freien Altarhälfte für den Pfarrer bereit.

Als fester Bestandteil der Grundstruktur fehlen jedoch die Bistrotische, die auf das gesellige Zusammensein im Rahmen des Gottesdienstausklangs verweisen. Und auch die Seitentür in der rechten Kirchenwand ist geöffnet [1]. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass es zum Zeitpunkt der Aufnahme ausgesprochen warm war, was man an der sommerlichen Bekleidung der Gottesdienstbesucher/innen erkennen kann. Das Alpha-Team hat die Bistrotische nach draußen gebracht, um das gesellige Zusammensein im Freien im Schatten der stattlichen „LutherLinde" zu ermöglichen. Damit ist ein wichtiger Teil der Alpha-Architektur aus dem Kirchenraum verschwunden, was sich in einer Reduktion der Alltagsqualität der Kirchenraumgestaltung niederschlägt. Durch die relevante Abwesenheit

der Versorgungsstationen für die Geselligkeit im Gottesdienstausklang kopiert sich der traditionelle Kirchenraum wieder etwas stärker in die alphaspezifische Interaktionsarchitektur hinein. Konkret zeigt sich das darin, dass die partielle Überwindung der Distanz zwischen Besucherbereich und Altarraum, der primär durch die seitlich an den Wänden plateierten Bistrotische erreicht wird, durch deren Fehlen wieder aufgehoben wird.

Im Gegensate zu den anderen Alpha-Gottesdiensten ist der Bereich der Musikecke etwas weiter in Richtung Zwischenbereich gewandert: Nicht nur ist der Notenständer des Sängers und Modertors der Band an den Rand des Altarraums in Richtung obere Altarstufe gerückt worden. Die Band hat mit einem Teil ihrer Ausrüstung tatsächlich den Schritt „hinunter" auf die zweite Stufe gemacht. Hier sehen wir neben technischem Equipment auch Unterlagen der Band liegen [2].

Wie stark diese beiden Bereiche unter anderen Bedingungen angenähert und fast verbunden werden können, zeigt das nächste Bild.

6.3. Modifikationen des Alpha-Kirchenraums: Auftritt Gospel-Chor

Die deutlichsten Veränderungen im kirchenräumlichen Vorne zeigen sich, wenn nicht die Alpha-Band „Living Bones", sondern der Rimbacher Gospelchor für die musikalische Gestaltung zuständig ist.

Abbildung 4. Choradäquate Interaktionsarchitektur

In solchen (eher seltenen) Fällen müssen wesentlich mehr Personen im Altarraum untergebracht werden und möglichst alle Mitglieder des Chores sollen für die Gemeinde auch sichtbar sein. Das führt zu zwei markanten Konsequenzen in der Alpha-Raumgestaltung: Einerseits sind in der Musik-Ecke kleine Podeste plateiert, damit auch die hintere Reihe der Sängerinnen und Sänger sichtbar ist und auf die Anweisungen des Chorleiters reagieren kann [1]. Zum anderen sind die elektrische Orgel und ein Teil der technischen Ausstattung nach unten in den

Zwischenbereich gewandert [2]. Das hat wiederum zur Folge, dass die Stühle vor der ersten Kirchenbank entfernt werden mussten und nur noch ein Tisch (für den geselligen Ausklang) dort Plate findet [3]. In Reaktion auf die personelle Dichte in der rechten Altarraumhälfte ist auch das Bodenkreuz auf die linke Seite des Altars gewandert. Es handelt sich in diesem Gottesdienst nicht um das große weiße Marmorkreuz, sondern um das kleinere Kreuz, das im traditionellen Gottesdienst mittig auf dem Altar steht [4].

Abgesehen von diesen durch den Chorauftritt und die damit verbundene Notwendigkeit der Unterbringung vieler Personen im Altarraum notwendig gewordenen Modifikationen, die sich ausschließlich auf den rechten Bereich des kirchenräumlichen Vorne beziehen, ist die „normale" alphaspezifische Grundstruktur klar erkennbar.

Eine Modifikation, die wesentlich stärker in die räumlichen Grundlagen des Alpha-Gottesdienstes eingreift, zeigt die folgende Abbildung. Auch in diesem Gottesdienst ist wieder der Gospel Chor für die musikalische Gestaltung zuständig.

Abbildung 5. Gospel Chor Arrangement

Dass es hier zu einer Art „interaktionsarchitektonischen Seitentausch" kommt, bei dem die Musikseite vom rechten in den linken Altarraumbereich verschoben wird, hat nicht ausschließlich mit dem Auftritt des Gospel Chores zu tun. Dieser Seitentausch ist gewissermaßen hausgemacht. Denn die Nutebarkeit der Musikerecke in der rechten Altarraumhälfte ist durch ein „Siteecken-Ensemble", bestehend aus einem Stuhl und einem kleinen, niedrigen Tisch, stark eingeschränkt [1]. Die Podeste der Sängerinnen und Sänger wandern in Reaktion hierauf in die andere Altarraumhälfte [2]. Sie „arbeiten" hier jedoch gegen die etablierten sozialtopo-grafischen Erwartungen der Gottesdienstbesucher. Da der Chor mit großer Instrumentalisierung auftritt, sind in diesem Gottesdienst sowohl im linken als auch im rechten Teil des Zwischenbereichs Instrumente plateiert [3]. In Reaktion auf die

alternative Positionierung der Chormitglieder ist hier einerseits das Bodenkreuz wieder an seine angestammte Position zurückgekehrt [4]. Andererseits ist die mittig plateierte Bibel auf dem Altar etwas nach rechts gerückt und etwas eingedreht, sodass hier auf dem Altar so etwas wie eine Ablagefläche entstanden ist [5].

Ein interessantes Detail ist hier noch anzumerken. Es betrifft die in der hier realisierten Interaktionsarchitektur implizierte sozial-räumliche Positionierung des Pfarrers. Ganz hinten in der rechten Ecke des Altarraums sehen wir den Notenständer, auf dem der Pfarrer bei der Predigt üblicherweise seine Unterlagen plateiert [6]. In Anbetracht der normalen Positionierung des Notenständers in der ansonsten freien linken Altarraumhälfte mit Nähe zum Altar ist damit objektiv - nicht intentional - eine Marginalisierung der Rolle des Pfarrers und der Predigt für diesen Alpha-Gottesdienst angekündigt. Für die Predigt gibt es keinen ausgewiesenen Ort. Der Pfarrer muss sich vielmehr, wenn er dran ist, diesen Ort erst selbst herstellen.

7. Implikationen der Alpha-Interaktionsarchitektur

Der traditionelle Kirchenraum wird in systematischer Weise umgestaltet, damit eine für den Alpha-Gottesdienst angemessene Interaktionsarchitektur entsteht. Die Grundstruktur dieser Interaktionsarchitektur ist in allen Gottesdiensten stabil. Markante Modifikationen der Raumgestaltung ergeben sich nur als Reaktion auf besondere Anforderungen. Diese werden dann als „Abweichung" von der alpha-spezifischen Interaktionsarchitektur erkennbar. Aber auch dann bleibt die zentrale Grundstruktur erhalten. Dies gilt beispielsweise für die territoriale „Rechts-Seitigkeit der Musikecke" und die „Links-Seitigkeit des Pfarrerbereichs" im Altarraum. In den umfangreichen Videoaufnahmen gibt es diesbezüglich nur die oben beschriebene Ausnahme.

Bei der Auseinanderseteung mit der Interaktionsarchitektur des traditionellen Kirchenraums hat sich seit dem Auszug aus dem Gemeindehaus im Laufe der Zeit eine für die Durchführung des Alpha-Gottesdienstes adäquate Alpha-Raumstruktur in der Kirche herausgebildet und verfestigt. Sie wird kontinuierlich in nuancierter Variation reproduziert. Letetlich haben wir es mit einer funktionsräumlichen Umgestaltung des traditionellen Kirchenraums hin zu einer neuen Form zu tun. Spezifikum dieses neuen Funktionsraumes ist seine ausschließlich situative und mobile Existenz, die sich nur zum Alpha-Gottesdienst zeigt. Dass es keinen stabilen, in der gewünschten Alpha-Struktur gebauten neuen kirchlichen Funktionsraum gibt, hat folgende Implikation.

Die situative Existenz des Alpha-Raums spiegelt den Status des Alpha-Gottesdienstes als einer von vier Gottesdienstformen im Rimbacher Portfolio wieder. Diese wesentliche Gemeinsamkeit mit den anderen Gottesdiensten besteht gerade darin, sich mit diesen denselben Kirchenraum zu teilen. Das kann man bei allen Unterschieden zwischen den vier Gottesdienstformen durchaus als Symbolisierung gemeindegottesdienstlicher Identität verstehen. Auch wenn das Alpha-Team seine Gemeindehausorientierung im Rahmen des traditionellen Kirchenraums umsetet, bleibt der traditionelle Kirchenraum als Bezugsfolie auch im Alpha-Gottesdienst erhalten. Und er wird nach „situativer Umgestaltung" wieder in seine traditionelle Form rückgeführt. Es ist zum Großteil die Nuteung

des traditionellen Kirchenraums, durch den der Status des Alpha-Formats als Gemeindegottesdienst in Rimbach symbolisch sichtbar wird.

Aus Perspektive des Alpha-Teams beginnt der Alpha-Gottesdienst zudem nicht erst mit der musikalischen und/oder sprachlichen Eröffnung. Vielmehr ist die gemeinsame Umgestaltung vor dem Gottesdienst bereits ein wichtiger Teil ihrer religiösen Vergemeinschaftung. Die sich immer wiederholende situative Auseinanderseteung mit dem traditionellen Kirchenraum ist also nicht nur eine notwendige Anforderung, die bearbeitet werden muss. Sie ermöglicht vielmehr im Akt der Umgestaltung eine Gemeinschaftserfahrung innerhalb des Teams. Diese wäre bei der vorausseteungslosen Nuteung eines bereits gebauten und fertig zur Verfügung stehendenden Alpha-Raums nicht ohne weiteres möglich. Dass die religiöse Vergemeinschaftung im Team ein wichtiger Aspekt ist, zeigt die Tatsache, dass sich alle Teammitglieder vor dem Alpha-Gottesdienst im Gemeindehaus zum gemeinsamen Gebet treffen. Schließlich ist mit jeder situativen Umgestaltung des traditionellen Kirchenraums auch so etwas wie ein handlungspraktisch realisiertes Erinnern an die Anfänge im Gemeindehaus und damit an die Wurzeln des Alpha-Gottesdienstes verbunden.

Fragt man nun danach, welche generelle Orientierung der oben beschriebenen Alpha-Raum-Struktur zugrunde liegt, dann kommen vor allem folgende allgemeine Aspekte in den Blick:

7.1. Horizontalisierung der Interaktionsarchitektur

Die Interaktionsarchitektur des kirchenräumlichen Vorne wird primär durch eine Tendenz charakterisiert, die man als „Ent-Vertikalisierung"9 oder als „Hori-zontalisierung" des traditionellen Kirchenraums beschreiben kann. Als Ergebnis dieser Orientierung finden alle Aktivitäten des Gottesdienstes auf derselben Ebene, in der Regel im Altarraum und beim Nachgefragt-Teil auch im Zwischen- und Gemeindebereich, statt. Alle aktiv beteiligten Personen wie Pfarrer, Alpha-Teammitglieder und Musiker sind dadurch hinsichtlich ihrer räumlichen Präsenz egalitär. Sie präsentieren sich der Gemeinde als Handelnde auf derselben Ebene. Rollenspezifische Differenzierungen - wie das Alleinstellungsmerkmal des Pfarrers als Prediger in der Kanzel - werden nicht mehr durch Oben-unten-Differenzen veranschaulicht. Zur sozialräumlichen Positionierung [Hausendorf, Schmitt 2017] werden im Alpha-Gottesdienst wesentlich subtilere territoriale Differenzierungen genutet.

7.2. Sichtbarkeit der Macher und Transparenz der Vollzugsgrundlagen

Im Unterschied zum traditionellen Gottesdienst, bei dem der Organist überhaupt nicht, der Pfarrer bei der Predigt nur teilweise mit seinem Oberkörper und auch der Lektor „geschütet" hinter dem Ambo zu sehen sind, sieht die Alpha-Interaktionsarchitektur Positionen für die Agierenden vor, bei denen alle in glei-

9 Das ist eine Formulierung, mit der Johanna Jud im Rahmen eines Workshops zum Alpha-Gottesdienst in Zürich den Kern der Interaktionsarchitektur des Alpha-Gottesdienstes präzise erfasst hat.

cher Weise sichtbar sind. Nicht nur, dass man den Musikern beim Musik machen zuschauen kann, man kann auch wahrnehmen, wie der Pfarrer - ohne Talar -hinter dem Notenständer steht und seine Ausführungen in der Predigt kontinuierlich verkörpert. Durch das Sichtbar-Machen der Personen, die den Gottesdienst aktiv gestalten, gewinnt der gesamte Ablauf an Transparenz. Man kann im Detail erkennen, wie genau der Vollzug organisiert ist, und mit dieser interaktionsarchitektonisch organisierten Sichtbarkeit geht eine Transparenz der Grundlagen des Gottesdienstes einher.

7.3. Demokratisierung der Interaktionsarchitektur

Dadurch, dass die Erhöhung des Pfarrers durch die Abwahl der Kanzel als Ort der Predigt aufgegeben und nach unten geholt wird, wird auch ein Teil der rollenspezifischen Erhöhung des Pfarrers aufgegeben. Der Pfarrer wird - ungeachtet seiner faktischen Expertise, seines Status und seiner exklusiven Zuständigkeiten - auch zum Team-Player. Dies wird in signifikanter Weise durch seine Alltagsbekleidung und durch die Benuteung des Notenständers bei der Predigt verdeutlicht.

Der Alpha-Gottesdienst zeichnet sich insgesamt durch eine Demokratisierung der Raumnuteung aus. Bereits die Interaktionsarchitektur liefert deutliche Hinweise auf eine grundsäteliche Demokratisierung der Zuständigkeit und Egalisierung derjenigen Personen, die im Vorne agieren.

7.4. Interaktivität des Gottesdienstes

Ein weiterer Aspekt ergibt sich als Konsequenz aus der demokratischen Interaktionsarchitektur des Alpha-Gottesdienstes und betrifft unmittelbar die Beziehung derjenigen, die den Alpha-Gottesdienst gemeinsam gestalten. Da unterschiedliche Sprechorte für unterschiedliche Beteiligte vorgesehen sind, müssen sich diese ablaufbezogen koordinieren und bei Übergängen miteinander abstimmen. Dies ist bei der alleinigen Zuständigkeit des Pfarrers im traditionellen Gottesdienst so nicht der Fall. Dort läuft die Liturgie wie eine gut geölte Maschine, ohne dass es explizite Abstimmungen zwischen Pfarrer und Organist und Lektor gibt. Im Alpha-Gottesdienst ist dies hingegen kontinuierlich der Fall. Wenn der Pfarrer zu seiner Predigt nach vorne kommt und den Notenständer als Kanzeläquivalent positioniert, ist oftmals noch der Band-Leader im Altarraum. Er hat es übernommen, die Predigt thematisch anzukündigen und den Prediger namentlich vorzustellen.

Zuweilen muss der Pfarrer dann warten, bis der Bandleader die Musikerecke verlassen hat, um mit der Predigt beginnen zu können. Solche Sequenzen des Übergangs dürfen nicht etwa als Holprigkeiten, kleine Pannen oder gar Fehler missverstanden werden. Sie gehören zentral zum Alpha-Gottesdienst dazu und tragen ihren Teil zur Verdeutlichung bei, dass dieses Gottesdienstformat als ein interaktives konzipiert und gelebt wird. Hierfür stellt die Interaktionsarchitektur des Alpha-Gottesdienstes nicht nur einen adäquaten Raum zur Verfügung. Sie ist vielmehr selbst wesentlicher Teil der besonderen religiösen Vergesellschaftung im Alpha-Gottesdienst.

Resümee

Die architektonische Gestaltung des Alpha-Kirchenraums in Rimbach erfolgt mit dem Ziel, den existierenden traditionellen Kirchenraum alpha-tauglich zu machen. Mit der Horinzontalisierung des kirchenräumlichen Vorne werden „oben" und „unten" als hierarchie-implikative Differenzierungen zu Gunsten eines egalitären Nebeneinanders aller aktiven Akteure als Handlungsgrundlage im Vorne aufgegeben. Die für eine arbeitsteilige Durchführung des Gottesdienstes notwendige Demokratisierung der Altarraumnuteung führt dazu, dass im Alpha-Gottesdienst alle Akteure gleichberechtigt auf einer Ebene agieren und für die Gemeinde zu jedem Zeitpunkt sichtbar sind. Der Alpha-Kirchenraum symbolisiert den Gottesdienstbesuchern bereits beim Eintritt in die Kirche, dass sie - im Sinne unserer Vorstellung von der Interaktionsarchitektur als gebauten Lösungen für wiederkehrende Interaktionsprobleme - einen Raum betreten, der wesentliche Bestandteile des gottesdienstlichen Konzeptes symbolisiert. Die Alpha-Interaktionsarchitektur steht dabei ganz im Dienste eines interaktiven und demokratischen Gottesdienstes. Sie stellt gleichzeitig eine notwendige Voraussetzung für die situative Realisierung dieses Gottesdienstkonzeptes dar.

Die vor dem Gottesdienst erfolgende Umgestaltung des traditionellen Kirchenraumes in eine alpha-taugliche Architektur zeigt: Der Kirchenraum ist ein konstitutiver Teil des Gottesdienstes selbst. Die Struktur des Formats ist bereits interaktionsvorgängig wahrnehmbar und macht schon vor dem Gottesdienst interaktive Ereignisse erwartbar, die kontrastiv zum traditionellen liturgischen Gottesdienst mit Unterstüteung genau der besonderen Interaktionsarchitektur vollzogen werden.

Wir haben hier also einen kirchlichen Funktionsraum, dessen Interaktionsarchitektur interaktionsvorgängig eine hohe Konzeptindikativität besitet und ausstrahlt.

REFERENCES

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Материал поступил в редакцию 25.03.2019, принят к публикации 19.06.2019

Для цитирования:

Schmitt R., Petrova A. Implikationen der kirchenräumlichen Interaktionsarchitektur: Das Beispiel Alpha-Gottesdienst // Визуальная теология. 2019. № 1. С. 89-114. DOI: 10.34680/vistheo-2019-1-89-114

For citation:

Schmitt R., Petrova A. Implikationen der kirchenräumlichen Interaktionsarchitektur: Das Beispiel Alpha-Gottesdienst. Journal of Visual Theology. 2019. 1. P. 89-114. DOI: 10.34680/vistheo-2019-1-89-114

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