Научная статья на тему 'Искать и находить: вуппертальская модель танцтеатра'

Искать и находить: вуппертальская модель танцтеатра Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Ключевые слова
ПИНА БАУШ / PINA BAUSCH / КУРТ ЙОСС / KURT JOOSS / ВУППЕРТАЛЬ / WUPPERTAL / ТАНЦТЕАТР / КИНО / CINEMA / TANTSTEATR

Аннотация научной статьи по языкознанию и литературоведению, автор научной работы — Арндт Роман

Анализируя творческую деятельность Пины Бауш, автор выделяет несколько аспектов: танцтеатр и влияние К. Йосса на становление ученицы, постановки балетов и опер (подробно описаны такие спектакли, как «Sacre», «Cafe Müller», «1980»), создание танцтеатра в Вуппертале. Особое внимание уделено работам Бауш в кино, где она бывала как в роли постановщика хореографии, так и актрисой.

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SUCHEN UND FINDEN: DAS WUPPERTALER MODELL DES TANZTHEATERS

Analyzing the creative work of Pina Bausch, the author identifies several aspects: tantsteatr Yossi K. and influence on the formation of a student, staging ballets and operas (described in detail such performances as «Sacre», «Cafe Müller», «1980»), the creation of tantsteatra in Wuppertal. Particular attention is paid to the work of Bausch in the movie, where she worked both as director of choreography, and actress.

Текст научной работы на тему «Искать и находить: вуппертальская модель танцтеатра»

УДК 792.8; 791.43

R. Arndt

SUCHEN UND FINDEN:

DAS WUPPERTALER MODELL DES TANZTHEATERS1

Tanztheater

Der Begriff Tanztheater meint die Verbindung genuin tänzerischen und theatralischer Mittel der Bühnendarstellung zu einer neuen eigenständigen Form des Tanzes (vor allem in Deutschland), die durch einen bewussten Bezug zur Realität auszeichnet.

Nach Rudolf von Labans Auffassung sollte das Tanztheater, das er als spartenübergreifendes Gesamtkunstwerk verstand, dem Menschen eine Einbeziehung in eine als gegeben angenommene Harmonie ermöglichen und sie auf der Bühne zum Ausdruck bringen. Laban konzipierte das neu zu schaffende Tanztheater unter drei Aspekte:

• Tanztheater als Aufführungsort mit einem neuen Raum;

• Tanztheater als neue Organisationsform einen vom etablierten Theater und vor allem von der Institution Oper unabhängigen Tanzes;

• Tanztheater als neue Kunstform. Laban verstand den Tanz als autonome Kunstform, gleichberechtigt neben Schauspiel und Oper.

Für ihn ist die Körpersprache als Bedeutungsträger, der Tänzer als schöpferische Persönlichkeit und individueller Darsteller und die Dreidimensionalität aller Bühnendarstellung der Ausgangspunkt.

Labans Student und Assistent, Kurt Jooss in dem Artikel «Die Sprache des Tanztheaters» [1, s. 17] aus de Jahr 19352 macht sich Gedanken, womit die Struktur des Tanztheaters zu füllen ist. Er denkt über einen übergeordneten Kanon, der neben den klassischen und neuen geschaffen werden muss und die Elemente der beiden enthält und zu einer harmonischen Einheit verschmelzt. Das Thema beschäftigt im ca. 20 Jahre später. In einem Vortrag sagte er: «Die Analyse des klassischen-romantischen Erbes einerseits und des „modernen Tanzes" andererseits hat uns einen Reichtum des Bewegungsmaterials beschert von bisher unbekannter Farbigkeit — und im Bewusstsein dieses Reichtums schöpfen wir aus dem vollen. Die Tanztechnik wiederum ist uns nichts anderes als ein Mittel zur perfekten Form. Daher kann sie niemals Selbstzweck sein. Aber die höchste Technik ist gerade gut genug da, wo ein lebendiger Ausdruck in reiner und schöner Form erscheinen soll. Da die Technik um der Form willen existiert, so wird sie durch diese bedingt und geschaffen. Die Form aber wechselt mit dem wechselnden Zeitgeist, daher muss die Technik wechseln, sich erneuern mit ihm. So kann und darf die Arbeit in dieser Hinsicht nie zu Ende kommen, und auch andere Probleme des dramatischen Tanzes harren noch ihrer Lösung. Wir gehen jedoch weiter, experimentierend

1 К публикации материал подготовила Ю. Б. Кунина.

2 В 1986 г. статью повторно опубликовал журнал «Ballett» (Ю. К.)

und kämpfend auf einem geradem Weg entgegen unserem Ideal, dem vollkommenen Tanztheater, das für uns höchste Form der Theaterkunst bedeutet, weil es gleichzeitig elementarvitales Leben ist und absolute Phantasie» [2].

Diesen Vortrag an Folkwang Schule hörte sich eine junge Studentin an, Philippine Bausch. An diesem einzigartigen Ort treffen die beiden und ihre eigenen Interessen — der Tanz und das Wissen darum — zusammen. In ihrer täglichen Zusammenarbeit können sie experimentieren, entwickeln, gestalten, verwirklichen und letztlich immer wieder etwas Neues versuchen. Pina schreibt: «Ich habe in Essen bei Kurt Jooss studiert. Das Besondere an ihm war, dass er etwas öffnete. Folkwang ist keine Schule, die eine bestimmte Technik lehrt. Es waren verschiedene Techniken, klassisch, modern, europäische Folklore. Nach dem dortigen Studium lernte ich wieder andere Techniken kennen und vieles sonst. Aber nicht nur Tanztechniken beeinflussen einen. Vieles, wovon wir beeinflusst sind, lernen wir indirekt kennen. Was mich mit Jooss verbindet, sind menschliche Dinge, ist seine Humanität» [3, s. 26].

Bei Jooss haben wir es also offensichtlich mit einem Menschen zu tun, der nicht nur Lehrer, sondern auch Meister war. Dazu kommt, dass die Beziehung Meister-Schüler als eine Auseinandersetzung mit dem, was der Meister gemacht hat, betrachtet werden kann. Jooss Doppelrolle als Pädagoge und Choreograph und sein ständiger Versuch mit verschiedenen Methoden zu arbeiten, führt zur Entwicklung einer eigenen künstlerischen Methode, die im Tanzen und Choreographieren ihre Wurzeln hatte — «das Probieren». Diese entsteht aus den intimsten, persönlichsten und nahezu unbeschreiblichen menschlichen Vorgängen und Begegnungen, da sie aus dem tiefsten Inneren des Menschen hervorgeht.

Jooss' Unterricht für Tänzer war eine Synthese aus Technik und Choreographie. Vermittelt wurden Grundprinzipien. Jede Stunde war auf einen choreographischen Aspekt und ein technisches Problem konzentriert. Pina erinnert sich an Jooss' unterricht: «Auf jeden Fall war es ganz wichtig, dass man eine Grundlage hatte, eine breite Basis. und wenn man eine längere zeit gearbeitet hatte, musste man für sich selber etwa finden, was man ausdrücken musste, was ich (Kursivschrift von mir. — R. A.) ausdrücken muss. Was habe ich (Kursivschrift von mir. — R. A.) denn zu sagen? Also in welche Richtung man sich weiterentwickeln musste...» [4].

Jooss ermöglichte es den Studierenden, sich auszuprobieren. Dies geschah einerseits durch pädagogische Ausbildung und anderseits dadurch, sich selbst im unterrichten zu üben und unterricht für Laien zu geben. Jooss wusste, wie wichtig die klassische Technik für einen zeitgenössischen Tänzer in seiner zeit ist. An den Theatern, den potentiellen Wirkungsstätten der Tanzabsolventen, spielte Ballett seit Beginn der 1950er Jahre die entscheidende, der moderne Tanz eine untergeordnete Rolle. Deshalb ermöglichte er den Studierenden durch Ausprobieren, klassische Technik auf zwei Arten kennen zu lernen und zu erleben. Sie nahmen klassischen unterricht und bekamen die Möglichkeit, selbst zu unterrichten: und zwar modernes Training mit klassischen Elementen. Die Studentin, Philippine Bausch ergriff die Möglichkeit und unterrichtete die Kinder, die damals an der Schule Kinderklassen hatten. Diese Erfahrung war Ausgangspunkt einer schriftlichen Arbeit, die sie für Jooss schrieb:

«Lieber junger Freund!

Schon so bald nach Deiner Abreise einen Brief zu erhalten, hat mich sehr gefreut. Nachdem ich dich vier Jahre lang jede Woche zweimal unterrichtet und mit Dir gesprochen habe, ist es doch ein sehr seltsames Gefühl, plötzlich mit dir schriftlich zu verkehren. Anderseits ist es mir jetzt möglich, meine pädagogischen Karten einmal vor Dir auszubreiten. Ich kann mich noch gut erinnern als Du zum ersten Mal in meine Stunde kamst. Damals, es sind ja jetzt schon einige Jahre vergangen, gingst du trotz deiner Jugend — ich sehe es noch genau vor mir — schon etwas gebückt. Die Schultern hingen nach vorn, der Kopf war gesenkt und Deine Füsse waren immer leicht eingedreht. Auch deine ganzes Verhalten drückte, wie Deine Haltung, Zaghaftigkeit und Schüchternheit aus. — Ich weiß, an all dem ist Dein schweres Schicksal schuld: der Krieg und die Umstände in Deiner Familie. Du glaubst nicht, welche Freude ich hatte, als ich Deine allmähliche Umwandlung bemerkte. Es erschüttert mich direkt, daß ich es gewesen sein soll, der zu dieser Verwandlung den Anstoß gegeben hat. — wie hast Du Dich jetzt verändert! Dein Gesicht und Dein ganzer Körper trägt einen anderen Ausdruck» [5].

Sich in Form eines Briefes über Tanz zu äußern, ist nichts ungewöhnliches. Schon Noverre und Fokin benutzten diese Form, um Reformen einzuläuten und zu verbreiten. Bei Pina hat das natürlich nicht dieses Ausmass. Ihr Brief hat zwar auch eine reflektierende Kapazität aber sie möchte ihre Erfahrungen nur mit ihrem Lehrer Jooss teilen und sich mit ihm und seiner Lehre in einem Spiel auseinandersetzen, in dem sie die Perspektiven ändert. Im Verlauf des Briefes schlüpft sie in verschiedene Rollen. Sie ist die Autorin des Briefes, die manchmal aber auch der angesprochene junge Freund oder der Lehrer Jooss seien kann. Sie verflechtet eigene Geschichten mit den Geschichten der anderen, um ihre «sehrpersönlich erlebte Darstellung» des Themas vorzustellen. Ihre Überlegungen zum Thema Aus- und Eindrehung der Füße im Tanz gehen von praktisch-technischen Korrekturen bis zu den eigentlichen Ausdrucksmöglichkeiten der beiden Stellungen. Zu ihrer Debatte nimmt sie sich Beispiele aus der Tanzgeschichte. Wenn sie über das Ausdrehen der Füße schreibt, erwähnt sie das «königliche Gefühl» des Ludwig der XIV. Wenn sie über Vaclav Nijinskis eingedrehte Füße in seinem «Sacre Du Printemps» schreibt, interpretiert sie diese als Ausdruck der «gequälten Atmosphäre des Frühligsopfers».

Ihr historisches Wissen, ihr analytisches Denken über den Ausdruck des Körpers führt sie zu folgenden Gedanken über das Eindrehen: «Mit dieser Fußstellung ist meistens ein gewisses Sichhängenlassen verbunden, was in allen Gliedern sichtbar wird. Diese Bodenschwere ist ein Zeichen der Trauer, des Leids und der Resignation. Schauen wir uns einmal ein Kruzifix an. Alles hängt nach unten und ist völlig nach innen gerichtet: die Schultern, der Kopf, die Füsse, sogar der Mundwinkel und Augenbraunen» [6, s. 28]. Sie empfiehlt ihrem Schüler: «Parallele Fußstellungen, weil sie einen Punkt der Neutralität haben. Dieser Punkt nämlich kommt allen üblichen Fußstellungen der Menschen entgegen. Ganz allmählich kann man den Schüler dazu bringen, eine Drehung der Füsse anzunehmen, die ihm von Natur aus nicht liegt, und ihn so nach und nach in eine Stimmung bringen, die seinem Temperament nicht ohne weiteres entspricht».

Pina Bausch hat sehr viel von Jooss verinnerlicht: das Besondere von Jooss' Bewegungsverständnis, das Ausprobieren, das «sich neu erfinden», «sich frei entfalten»,

etwas eigenes finden, das gegenseitige Vertrauen. Dies ist noch heute in den Arbeiten der Pina Bausch zu erkennen.

Dem Meister-Schüler-Verhältnis scheinen bei Jooss und Bausch stets Respekt und Verbundenheit zu Grunde zu liegen: beides machen sie einander durch eine spezielle für sich erfundene Art und Weise deutlich. 1958 bewirbt sich Pina für ein Stipendium in den uSA — Jooss schreibt ihr die Empfehlung: «Pina habe reiche Phantasie mit einfachen Denkungsart... innere Bescheidenheit und eine tief eingewurzeltes Pflichtgefühl. bedenkenloser Opferbereitschaft mit eine zielbewusste Wille zu vollem Einsatz und höchster Leistung im Dienste der Kunst». Pina geht nach Amerika, kommt aber auf Jooss' Bitten 2 Jahre später zurück, um weiter mit ihm zu arbeiten. Sie arbeitet mit ihm an der Folkwangschule und tanzt für den Papa Jooss die Mutter in seinem «Grünen Tisch», mit dem sie und andere ihre erste Saison am Wuppertaler Tanztheater eröffnete.

Film «Grüne Tisch» (4,45")

Es gibt aber noch etwas, was die innere Verbundenheit zwischen den beiden auszeichnet — das zweifeln. Es begleitet die beiden in ihrer pädagogischen und künstlerischen Arbeit. Sowohl Jooss mit seiner Erfahrung und seinem gesammelten Wissen als auch die Studentin Bausch, die auch aus Jooss Erfahrung schöpfte, begleiteten stets bestimmte Zweifel. Bei Jooss waren es neben den schulischen Aktivitäten das Choreographieen. Bei der Studentin Pina Bausch waren es ihre Technik und künstlerische Entfaltung.

Beide wussten, dass das Zweifeln in den Ausbildungs- und künstlerischen Arbeitzusammenhang gehört. Sie integrierten das Scheitern als Handlungsweise in ihre künstlerische Arbeit. So ging Jooss in seinen Ausbildungspraktiken und schulpolitischer Arbeit gerne Risiken ein- was unter anderem mit Zweifeln und Rückschlägen verbunden war. Trotzdem war er dabei überzeugt von seinen Gedanken und Visionen und handelte. Das Scheitern nahm er nicht als Endpunkt. Das Ende vom etwas war für ihn ein Anfang. Er sah im Scheitern neue Möglichkeiten, die Ausbildungspraxis nicht als geschlossenes und einheitliches System zu betrachten.

Jooss' Schülerin Pina Bausch [7] schien all dies ebenso verinnerlicht zu haben. Sie fasste die Essenz ihrer Arbeit einmal zusammen in einem Satz: «I try again». Dass sie Jooss Lehren, «eine Grundlage», «eine breite Basis zu haben», um herauszufinden, was sie selbst ausdrücken muss, verinnerlicht hat, manifestiert sich darin, dass sie außer Jooss noch viele andere Lehrer hatte, die sie beeinflussten, die sie verehrte und denen sie viel zu verdanken hatte. Nur so konnte die einstige Schülerin letztendlich zu dem Satz kommen: «Ich bin ich!».

Bausch und die Oper

Die Venusbergszene in Richard Wagners Tannhäuser-Bacchanal ist eine Choreographie, die Arno Wüstenhöfer, Ehemalige Wuppertaler Generalintendant, bei Pina Bausch 1972 in Auftrag gab. Er wollte sie testen wie sie die großen Formen im großen Raum schafft. In dem ersten Teil sind besonders die Männer in Aktion, während

die Frauen sich vom Boden heben und wieder zurücksinken. Die Männer arbeiten im «Tannhäuser» — wie später in «Sacre» auch — besonders viel mit starken Akzenten am Ende der Bewegungen, so genannte terminal accent. Im terminal accent kommen Kraft und Zielbewusstsein zum Ausdruck.

Film «Tannhäuser» (10

Bausch inszenierte in Wuppertal 1974 und 1975 zwei Tanzopern. Es war «Iphigenie auf Tauris» und «Orpheus und Eurydike». Bei der letzten Oper stützte sich Pina Bausch musikalisch auf die französische Version der Gluck-Oper von 1774. Dabei hat sie alle Rollen doppelt besetzt: Orpheus, Eurydike und Amor treten jeweils in Gestalt eines Tänzers und einer Sängerin auf die Bühne, wobei es die Tänzer sind, die den Handlungsfaden spinnen. Ihre singenden Pendants treten in schwarzen Kostümen auf und — für die Oper höchst ungewöhnlich — hinter den Tänzern zurück. Seit 1975 hat Bausch nichts an der Inszenierung geändert. Die ausdrucksvoll schlichten Kostüme der Tänzer und das symbolistische Bühnenbild tragen noch immer die Handschrift ihres 1980 verstorbenen Lebenspartners Rolf Borzik, der auch ihr Bühnen- und Kostümbildner war.

Bausch und der Tanz

«Le Sacre du Printemps» von Pina Bausch ist ein «Stück», das zu den zeit- genössischen Choreografien zählt, zugleich aber auch als eine Ikone der Tanzmoderne gilt. Es bietet eine Reihe von historischen Bezugspunkten sowie verschiedene Möglichkeiten der wissenschaftlichen Kontextualisierung. Jochen Schmidt behauptet, dass «Sacre» das «traditionellste» aller Stücke Pina Bauschs sei, die in ihr Repertoire eingegangen sind. Es sei das «letzte ihrer fruühen Stücke, in denen Tanz ungebrochen und ohne Vorbehalt stattfindet» [8]. Zugleich ist «Sacre» auch die meist aufgeführte Choreographie von Pina Bausch, nun mehr getanzt von der zweiten Generation von Tänzern des Wuppertaler Ensembles.

Das Stück «Sacre du printemps» aus dem Jahre 1975 hält sich im wesentlichen an die originale Szenenfolge des Librettos, ohne jedoch Bezug auf das heidnische Russland zu nehmen. Die einzige Ausstattung ist der Bühnenboden mit einer Schicht Erde (Torfmull) bedeckt. Die Erde ist nicht nur stückbezogener Metapher, sondern beeinflusst direkt die Bewegungen, verlieht ihnen eine erdhafte Schwere und zeichnet die Spuren des brachialen Opferrituals auf. So schreib «Sacre» mit dem Körpern die Geschichte noch einmal in den Boden ein: die anfängliche glatte Fläche ist am Ende ein wüster Kampfplatz. Die Erde haftet an den Kleidern, schmiert sich in die Gesichter, klebe an den Körpern. Die Tänzer spielen ihre Erschöpfung nicht. Die Geschichte der Opferung ist physisch mitzuerleben. Der körperliche Einsatz trieft den Zuschauer unmittelbar. Sie wird mit schwerem Atmen hörbar gemacht. Die Bausch Version von «Sacre» ist nicht nur das Thema: Ritual. Es sind mehrere Themen, wie Geschlechterkampf und Entfremdung, die in diesem Stück radikal und emotional mitzuerleben sind.

Film «Sacre» (12 )

Das Thema Entfremdung vertieft sie in dem Stück «Cafe Müller». Sie erzählt von Einsamkeit und Zwanghaftigkeit aber auch von der Suche nach einem anderen Tanz, einem anderem Theater, das den Gefühlen auf den Grund geht. Die Bühne ist dunkel beleuchtet und voll mit dem Cafe-Stuhlen und Tischen vollgestellt. Der Raum ist am Anfang lehr. Am Anfang die zwei Tänzerinnen und drei Männer bewegen sich zwischen den Stühlen und Tischen. Die Bewegungen der Tänzerinnen sind zunächst auf körperzentrierte, langsame Drehungen auf der Stelle und begrenzte Wege im Raum beschränkt. Sie suchen, sie Versuche sich zu verständigen. Das Aufräumen der Stühle und Tische zur Seite erleichtert nicht die Suche nach Nähe und Geborgenheit zwischen denen. Sie vertiefen sich in der Machtlosigkeit in dem sie immer wieder versuchen aber ohne Erfolg.

Film «Cafe Müller» (5^)

«Cafe Müller» war ein 4-teiliger Abend. Pina Bausch lud noch 3 Choreographen ein und unter den Gesamttitel standen die Choreographien als unabhängige, selbstständige Produktionen nebeneinander. Die Choreographen haben sich einen gemeinsamen Rahmen mit mehreren frei kombinierbaren Anhaltspunkten für die inhaltliche Struktur der jeweiligen Teile gegeben. Es waren: einen Cafesaal, Dunkelheit, vier Personen, jemand wartet, jemand fällt um, wird aufgehoben, ein rothaariges Mädchen kommt herein, alles wird still.

Bausch und die Fragen

Im Laufe der Zeit die Struktur der Arbeit mit den Tänzern wird klare. Es sind tägliche Trainings zu absolvieren, aber dann entsteht etwas Neues. Pina Bausch stellt Fragen den Tänzern und die Antworten liefern das Material für ein neues Stück. In einem Dokumentarfilm «Was tun Pina Bausch mit Ihren Tänzern in Wuppertal» wird es deutlich.

Film «Was tun Pina Bausch mit ihren Tänzern in Wuppertal (12^)

Diese Methode der Arbeit mit den Tänzern war die Vorbereitung für das Stück «1980». Es handelt von den Kindheitserinnerungen, von der Einsamkeit, von Abschied nehmen, von Trauer und von Tod. Es ist ihre letzte Arbeit mit ihrem Lebenspartner und Bühnen- und Kostümbildner, Rolf Borzik. Das Stück spannt einen Lebensbogen von der Geburt über Kindheit und Erwachsenwerden bis zum Altern und schließlich zum Lebensende (z.B. ein alter Turner am Barren im Vergleich mit den jungen Tänzern oder Judy Garland «Somewehre over the rainbow» in zwei Versionen unmittelbar hintereinander gesungen — mit 16 Jahren und 20 Jahren später).

Pina Bausch und ihre Tänzer untersuchen von immer neuen Blickpunkten das Verhältnis von Anfang und Ende, Werden und Vergehen, Jugend und Alter. Sie suchen nach den ursprünglichen Beweggründen hinter der erstarrten, auf Floskeln geschrumpften Verhaltenswiese. Hinter den gewohnten Ritualen scheint ein wahres

Bedürfnis verborgen. Das Bekannte erschein in Bauschs Collage plötzlich neu, unbekannt und entdeckt bislang unbemerkte Möglichkeiten. Das Vertraute wird fragwürdigt gemacht und erhält ab und zu eine unvermutete Lebendigkeit oder verwirrende Widersprüchlichkeit. Der Sprache wird in diesem Stück einen großen Raum gegeben. Aber was die Spreche verstecken will wird der Körper verraten. Wenn sich Gäste nach eine Party mir den bekannten Redewendungen von der Gastgeberin verabschieden, geschieht das ist eine stille Atmosphäre, so das der Abschied nach eine Kondolenz erinnert. Wo die Gefühle übermächtig werden, beginnt der Tanz.

In diesem Stück ist der Tanz sehr isoliert auf eine Tänzerin beschränkt, die ganz für sich und im Hintergrund tanzt. Es wirkt als ein intimer Moment um zu sich zu finden, um sich neu zu finden. Dann bricht die Atmosphäre des Poetischen in eine absurden Situationen wie gemeinschaftliches Sonnenbad. Es wird gesucht und das Finden wird noch mal befragt und neu untersucht im Feldforschung der Körperkommunikation. Pina Bausch' Stücke speisen sich aus einem Reservoir authentischer Erfahrung, die Erfahrung der Darsteller mit ihrem Körper. Die Darsteller sind nicht nur Tänzer. Es sind Opernsänger, Schauspieler, Theatertechniker, Statisten. Der Zuschauer betritt die Welt deren Erfahrung, an der er eingeladen ist teilzuhaben. (oft werden die Zuschauer mit den Worten «Guten Abend kommen Sie rein» von Mechthild Großmann eingeladen.)

Film «1980» (8 20 ")

Hier wird die Frage nach dem Tanz deutlich. Auch für Pina Bausch. Sie sagte: «Es ist einfach die Frage, wo fängt man an zu tanzen, wo nicht. Wo ist der Beginn? Wann sagt man Tanz? Das hat schon etwas mit dem Bewußtsein zu tun, mit dem Körperbewußtsein, und wie man etwas formt. Aber das braucht ja nicht diese Art von ästhetischer Form zu haben, es kann ja auch eine ganz andere sein und trotzdem Tanz bleiben» [9].

Bausch und die zweite Generation der Tänzer

Pina Bausch erfand ihre Stücke nicht. Sie komponierte sie aus dem ihr auf den Probenimprovisationen angebotenen Material. Auch mit der zweite Generation der Tänzern entwickelte Bausch keinen Plot, um eine Story zu erzählen oder eine konsistente, logische Dramaturgie. Sie kombinierte Einzelbilder zu einem Bilderbogen: von individuellen Geschichten und Gruppenritualen, von Details und Leitthemen, vom Tanz- und Sprechszenen, von musikbegleitete und stumme Szenen, von Solonummern und Ensemblechoreographien. Sie erarbeitete ihre Themen assoziativ, beleuchtet sie aus mehreren Blickwinkeln, um sie visuell und theatral überzeugend darzustellen; ihre Stücke haben eine offene Struktur, es sind Collagen, die sich festgelegten, objektiven oder rationalen Beschreibungen und Interpretationen entziehen. Bewegung, Sprache, Musik und Bühnenbild erhalten in den Produktionen eine Eigendynamik, die sie begrüßte, weil sie ihre Wahrnehmung und ihr intuitives Verständnis (und die des Publikums) erweiterten. «Man muss immer wieder von vorn beginnen», — sagte sie.

Film «Vollmond» (ca 30')

Was ist Tanztheater heute? Was ist Tanztheater nach dem Tanztheater? Kann man Tanztheater vererben wie eine Immobilie? Arnd Wesemann sagte, dass «man dem Begriff „Tanztheater" nicht mehr trauern soll, so wie Pina Bausch der Sprache nicht traute, wenn sie erst sehr spät einen Titel ihren Stücken gegeben hatte. Das Wort Tanztheater klingt wie historischer Fortschritt von damals auf der Suche nach etwas neuem. Was ist das Neue heute? Ein freies Theater? Bietet das Tanztheater nach dem Tanztheater ein Asyl für jede Strömung aus den obersten wie untersten Schubladen?» [10, s. 151]

Was also ist das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch heute? Es ist ein Tanztheater, das immer weiter Bausches Repertoire tanzt und weiter gibt (an neuen Tänzern der Kompanie oder an anderen Kompanien). Es wird nach neuen Strategien für die Compagnie gesucht. Es sollen neue Stücke mit neuen Choreographen kreiert werden. Es gibt ein Konzept eines Zentrums Pina Bausch in Wuppertal.

Und es gibt Pina Bausch Fundation, die von ihren Sohn Salomon ins Leben gerufen wurde. Das Ziel dieser Arbeit ist, Pina Bauschs Kunst lebendig zu erhalten, indem sie auch für zukünftige Generationen erfahrbar wird — für Fachleute und Laien, Neugierige und Neulinge, Menschen jeden Alters und besonders für eine junge Tänzergeneration. Indem ihre Stücke auch in Zukunft immer wieder auf der Bühne wirklich werden. Und indem für die Pina Bausch Foundation und das Pina Bausch Archiv eine langfristige Heimat geschaffen wird, ein Ort der Begegnung und ein kreativer Kosmos, wie ein üppig wachsender Garten. Ein Zentrum, von dem aus das Werk von Pina Bausch weiter in die ganze Welt strahlt.

Am Ende noch ein Kommentar zu den Gedanken: Weitergeben von alten Stücken an jungen Tänzern. Die vorher gezeigte Version von «Tannhäuser» wurde von Studierenden des Instituts für zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität der Künste getanzt. In unserem Institut entstand die Frage ob die Einstudierung als ein schöpferischer Prozess zu begreifen wäre. Sehr schnell wurde klar, dass die Einstudierung bietet den Studierenden mit ihren unterschiedlichen Körpern eine Fülle von Möglichkeiten zu schöpfen, zu erfinden, zu erzeugen und herzustellen. Natürlich geht es dabei nicht um das erzeugen noch nicht dagewesener Körperbewegungen, denn diese sind bereits von einer Choreographie gegeben. Die schöpferische Kraft liegt vielmehr in dem herstellen von Beziehungen, um zu Kreativität und Freiheit zu finden. Schöpferisch zu sein, bedeutet sich bestehender Möglichkeiten bewusst zu werden und eine Wahl zu treffen, wie z. B. wird der Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart geknüpft? Wird das in der Choreographie transportierte Wissen umgesetzt und mit dem Körper ins Heute geholt? Wird das Neue in der Wiederholung zu entdecken? Wieder Fragen, wieder suchen...

LITERATUR

1. Sm.: Jooss K. Die Sprache des Tanztheaters //Ballett. 1986. № 34. S. 17.

2. Jooss K. Gedanken über die Stilfragen im Tanz//Aus der Vortrag vor den Studierenden der Folkwangschule am 23. September 1957.

3. Bausch P. Der Tanz muss etwas ganz Erwachsenes werden, conversation mit H. Scheier // Jahrbuch Ballett. 1986 S. 26.

4. Bausch P. Rede im Rahmen der Preisverleihung in Kyoto. 2007.

5. Bausch P. Ein- und Ausdrehung der Füsse im Laienunterricht [Unveröffentlichte Hausarbeit] //Tanzarchiv des Instituts für Zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität der Künste. (Ohne Jahr) S. 1-7.

6. Zit. n.: Linsel A. Pina Bausch: Bilder eines Lebens. Hamburg: Edel Germany Hardcover, 2013. 184 s.

7. Bausch P. Choreografin Pina Bausch über ihre Arbeit / Interview E. Gleede//Ballett 1975. Chronik und Bilanz des Ballettjahres / Red. H. Koegler. Seelze-Velber bei Hannover: Friedrich Verlag, 1976. S. 27-31.

8. SchmidtJ. Pina Bausch — die Übermutter//Tanztheater in Deutschland. Frankfurt am Main: Propyläen Verlag, 1992. S. 28-78.

9. Zit. n.: Schlicher S. Tanztheater. Reinbek, 1992. 145 s.

10. Sm.: Wesemann A. Für Hüpfbürger: Tanztheater nach dem Tanztheater//Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland: Diskurse — Entwicklungen — Perspektiven / Red. Mittelstädt E., Pinto A. Wetzlar: Transcript Verlag, 2014. S. 151-156.

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