UDC 821.161.1+81.4
Philologia Classica. 2020. Vol. 15. Fasc. 2
Über eine Ekphrasis von Alexander Kuschner.
Zur Frage der Rezeption der Antike in der russischen Lyrik
des 21. Jhd.s*
Ewa Sadzinska
University of Lodz, Faculty of Philology,
171/173, ul. Pomorska, Lodz, 90-236, Poland; ewa.sadzinska@uni.lodz.pl
Witold Sadzinski
University of Lodz, Faculty of Philology,
171/173, ul. Pomorska, Lodz, 90-236, Poland; witold.sadzinski@uni.lodz.pl
For citation: Sadzinska E., Sadzinski W. Über eine Ekphrasis von Alexander Kuschner. Zur Frage der
Rezeption der Antike in der russischen Lyrik des 21. Jhd.s. Philologia Classica 2020, 15 (2), 354-370.
https://doi.org/10.21638/spbu20.2020.211
Der Aufsatz untersucht die Rezeption der Antike in der Lyrik von Alexander Kuschner. Der Dialog mit der Antike ist ein zentraler Bestandteil der Lyrik des St. Petersburger Dichters, beginnend mit seinen ersten Gedichten der 1960er Jahre. Besonderes Augenmerk wird auf die Analyse des Gedichts „Перед лучшей в мире конной статуей..." („Vor dem besten Reiterstandbild der Welt.", 2008) im Zusammenhang mit dem Problem der literarischen Ekphrasis gerichtet. Der theoretische Teil des Artikels verdeutlicht die Bedeutung des Begriffs „Ekphrasis" und gibt einen kurzen Überblick über die wichtigsten Konzepte in der Literaturwissenschaft. Der Begriff tauchte in der Antike auf, wurde im 19. Jahrhundert in der klassischen Philologie verwendet und seit dem 20. Jahrhundert auf die Analyse der modernen Literatur ausgedehnt. Dabei hat sich der Umfang des ursprünglichen Konzepts und seine Anwendung erheblich erweitert. Dichterinnen und Dichter der Gegenwart nutzen die Möglichkeiten der Ekphrasis auf unterschiedliche Art und Weise. Am häufigsten wird der Schwerpunkt von der Beschreibung des Kunstwerks selbst auf die Beschreibung eines subjektiven Eindrucks übertragen. Die Gedichte nehmen immer häufiger Bezug auf Kunstobjekte ohne sie detailliert zu beschreiben. Der analytische Teil zeigt die Relevanz des ekphrastischen Prinzips in Bezug auf die verschiedenen Ebenen des lyrischen Textes. Das kulturgeschichtliche Paradigma des poetischen Bildes von Reiterstatuen, das in Kuschners Gedicht in expliziter oder impliziter Form vorliegt, wird rekonstruiert. Erläutert werden nicht nur explizite Anspielungen auf das Marcus-Aurelius-Denkmal, sondern auch implizite Reminiszenzen, die sich nicht zuletzt auf die Gedankenwelt der Antike entscheidend prägende Philosophie der Stoiker beziehen. Schlüsselwörter: Russische Literatur, Alexander Kuschner, Rezeption der Antike, Stoizismus, Marcus Aurelius, Reiterstandbild, Ekphrasis, Intertextualität.
* Der Artikel wurde von der Philologischen Fakultät der Universität Lodz finanziell unterstützt (Fun-dusz Rozwoju Wydzialu Filologicznego UL; Projekt: „Poetyka przestrzeni w liryce Aleksandra Kusznera", 2019-2020). An dieser Stelle möchten wir uns bei der Redaktion und den Rezensenten von Philologia Classica für die wertvollen Hinweise, Anmerkungen und Korrekturen sowie die Hilfe bei der Übersetzung der Gedichte herzlich bedanken [E. S., W. S. ].
© St. Petersburg State University, 2020
Alexander Semjonowitsch Kuschner (*1936) ist einer der markantesten Vertreter der sogenannten „klassischen" russischen Lyrik der zweiten Hälfte des 20. — Anfang des 21. Jahrhunderts. Sein Werk genießt nach wie vor die Aufmerksamkeit der Literaturkritiker in seiner Heimat und im Ausland. Davon zeugen die regen Reaktionen auf jeden neuen Gedichtband, gefolgt von literaturwissenschaftlichen Analysen und monografischen Fall-studien.1
Kuschner debütierte in den 1960er Jahren2 als Vertreter der unabhängigen russischen Poesie, als Alternative zur stark ideologisch eingebundenen sowjetischen Literatur von damals. Kuschner hat sich seitdem als Klassiker der Gegenwart einen Namen gemacht und wurde in viele europäische und asiatische Sprachen übersetzt. In über 60 Jahren hat er mehr als 50 Gedichtbände veröffentlicht. Darüber hinaus beteiligt er sich bis heute aktiv am literarischen Leben: Neben eigenen Gedichten publiziert er literaturkritische Beiträge und Essays zur klassischen und gegenwärtigen russischen Literatur.
Kuschners Frühwerk wurde von Literaturwissenschaftlern, Kritikern und Dichtern gleichermaßen geschätzt (so etwa von Dmitri Lichatschow, Lidia Ginzburg, Anna Achmatowa, Joseph Brodsky u.a.m.). Von Anfang an spielte der intertextuelle und interkulturelle Charakter seiner Werke eine Rolle, die nicht nur in der russischen Kultur tief verwurzelt sind. Kuschners Poesie ist ein Raum des ständigen intertextuellen Dialogs mit der literarischen Tradition, dem Wertesystem und dem Kanon der europäischen Kultur.
Die Gedichte Kuschners (sowohl der ideelle Gehalt als auch die künstlerische Form) zeugen von einem lebendigen Dialog, in den vor allem Vertreter der klassischen russischen Literatur (Alexander Puschkin, Jewgeni Baratynski, Fjodor Tjuttschew, Nikolai Gogol, Lew Tolstoi, Fjodor Dostojewski) und Dichter des Silbernen Zeitalters (Innokenti Annenski, Ossip Mandelstam, Anna Achmatowa u.a.) einbezogen sind. Er nimmt verschiedene Formen an: Akzeptanz im Dialog, Widerstreit der Ideen (Assimilation, Ablehnung, teilweise Neubewertung).
Neben der einheimischen literarischen Tradition nimmt die antike Kultur (als Wiege der europäischen Kultur) einen besonderen Platz in Kuschners poetischem Bewusstsein ein3 — in seinen Texten finden sich zahlreiche Hinweise auf Mythen, griechische und römische Dichter, Philosophen, historische Persönlichkeiten. Das Vorhandensein eines antiken Substrats in Kuschners Werken erhöht deren ideelle Kapazität und bindet sie — um mit Michail Bachtin zu sprechen — an die „hohe Zeit" der Literatur und Kultur.
Unbestreitbar hat Alexander Kuschner den Status eines anerkannten Vertreters der Tradition des kreativen Dialogs mit der Antike erlangt. Der antike Kontext ist ein wichtiger Bestandteil der Lyrik des Dichters von seinen ersten Gedichten an. Die Sammlung Античные мотивы (Antike Motive), die 2014 veröffentlicht wurde, enthält Gedichte aus
1 Пэн 1992; Weschmann 1997; Glowko 2002; Ляпина 2010; Johnson 2011; Машевский 2000; Sadzinska 2013; Кулагин 2014; Sadzinska 2014; Кулагин 2017; Sadzinska 2018; Кулагин 2020 u. a. Zu Kuschner wird in der deutsch- und englischsprachigen Slavistik aktuell wenig geforscht. Allerdings werden seine Texte als Beispiele, z.B. in Bezug auf Tendenzen und Besonderheiten der Versifikation in der neuesten russischen Dichtung, diskutiert. Vgl. Orlizki 2016; Fatejewa 2016.
2 Erste Gedichte von Kuschner wurden im Sammelband Стихи студентов (Gedichte von Studenten, Leningrad, 1956) veröffentlicht. 1962 erschien sein Debütband Первые впечатления (Die ersten Eindrücke).
3 Kuschners Sehnsucht nach der Antike wurzelt in seiner Kindheit. Sein Vater las ihm Die Odyssee in der russischen Übersetzung von Wassili Schukowski vor. Einen wichtigen Einfluss hatten die Antike-Säle der Eremitage, in denen zahlreiche Artefakte der griechischen und römischen Kultur aufbewahrt werden. Siehe: Кулагин 2014, 80-81.
verschiedenen Jahren, die mit antiken Themen verbunden sind, auch wo dies auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. Im Vorwort erklärt der Autor:
[...] Античные приметы, подробности, ассоциации сопутствуют мне всю жизнь, и речь при этом в стихотворении может идти о чем угодно: о любви, о природе, об искусстве, о смысле жизни. Минорная или трагическая, скорбная интонация дополняется легкомысленной, шуточной, иронической, какой угодно. Спектр разнообразный и никак не сводится к одной или двум краскам. По датам, поставленным под стихами, читатель увидит, что античные мотивы не покидают меня и сегодня [...].4
Die Wiederaufnahme der antiken Tradition vollzieht sich dabei auf verschiedenen Ebenen und mittels verschiedener Techniken: ekphrastische Beschreibung, bibliographische Anspielung, literarisch-philosophische Reminiszenz, Zitate etc. Sie erfüllen verschiedene Funktionen: die sujet- und bedeutungstragende, symbolische, psychologische, weltanschauliche, philosophische.
Die kontinuierliche Präsenz des antiken Erbes in Kuschners Gedichten sowie in seinen literaturkritischen Artikeln und Essays bietet umfangreiches Material für die Forschung und fordert eine detaillierte Sichtung.5 Der vorliegende Beitrag kann nur eine Momentaufnahme in Kuschners umfassender Rezeption der antiken Kultur bieten. Die Analyse wird auf das Gedicht „Перед лучшей в мире конной статуей." („Vor dem besten Reiterstandbild der Welt.", 2008) fokussiert, das bislang nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse wurde. Es ist im poetischen Dialog zwischen dem Dichter und der Antike von besonderer Bedeutung, vor allem wegen der Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der Stoiker. Das Gedicht wurde erstmals 2009 in der vierten Ausgabe der Literaturzeitschrift „Znamja" ["Banner"] veröffentlicht und später in Kuschners Gedichtband Мелом и углем (Mit Kreide und Kohle, 2010) aufgenommen.
Vorliegender Aufsatz wird die Besonderheiten und Funktionen der im Gedicht zu identifizierenden antiken Zusammenhängen herausarbeiten. Erläutert werden nicht nur explizite Anspielungen auf das Marcus-Aurelius-Denkmal, sondern auch implizite Reminiszenzen, die sich nicht zuletzt auf die die Gedankenwelt der Antike entscheidend prägende Philosophie der Stoiker beziehen.
Das zur Diskussion stehende Gedicht ist eine Ekphrasis, die eine Sinneswahrnehmung komplementär — durch das Medium der Sprache — zu vervollständigen sucht. Die Tradition der dichterischen Versprachlichung von Skulpturen ist in der russischen Poesie seit dem 18. Jahrhundert weit verbreitet. Gegenstand solcher Beschreibungen sind in der Regel Skulpturen antiker Götter und Helden, mythologischer Figuren sowie Schriftsteller, Herrscher und Philosophen.6 In die Textur der Gedichte integriert, vervielfachen sie assoziative Reihen, vertiefen Anspielungen und symbolische Konnotationen und sind oft der Schlüssel zu einem tieferen Verständnis der Texte. Dieses in den modernen Philolo-
4 Кушнер 2014, 7.
"[...] Antike Zeichen, Details, Assoziationen begleiten mich mein ganzes Leben, und das Gedicht kann dabei von allem Möglichen handeln: Liebe, Natur, Kunst, dem Sinn des Lebens. Eine düstere oder tragische, traurige Intonation wird durch eine sorglose, scherzhafte, ironische oder wie auch immer ergänzt. Das Spektrum ist vielfältig und lässt sich nicht auf eine oder zwei Farben reduzieren. Anhand der unter den Gedichten angegebenen Daten wird der Leser erkennen, dass mich die antiken Motive auch heute nicht verlassen [...]" [übersetzt von E. S., W. S.].
5 Zur Rezeption der Antike in Kuschners Gedichten siehe: Арьев 2000; Поддубко 2012; Четвертных 2013; Суханова, Цыпилева 2014; Цыпилева 2016; Фетисова 2017; Балабанович 2018.
6 Vgl. Jakobson 1979, 237-238; Разумовская 2011, 145-153; Разумовская 2013, 558.
gien dominante Verständnis des Begriffes Ekphrasis als Bezeichnung von vorzugsweisen Skulptur- und Bildbeschreibungen im lyrischen Text ist für die vorliegende Untersuchung zentral. Es ist jedoch nicht die einzige Definition.
Der Terminus Ekphrasis hat seinen Ursprung in der Antike — vom 1. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. war er einer der wichtigsten Begriffe der antiken Rhetorik.7 Zu Beginn unserer Zeitrechnung wurden von Sophisten Schulen gegründet, in denen sich die Schüler via Progymnasmata/Gymnasmata in Rhetorik üben, Diskussionsmodelle entwik-keln, komponieren und auf die Reden bei Festlichkeiten und anderen Anlässen vorbereiten konnten. Aus dieser Zeit, in der im großem Umfang Lehrwerke erarbeitet wurden, rührt auch der Terminus 'Ekphrasis' her (vgl. die Werke von Philon von Alexandria oder Hermogenes von Tarsos).8 Nach Theon (Jahrhundertwende zum 2. Jh. n. Chr.) ist die Ekphrasis „eine beschreibende Rede, die den Augen deutlich zeigt, was sie erklärt".9 Der Gegenstand der Beschreibung konnte im Grunde jedes beliebige Objekt physikalischer bzw. mentaler Natur sein.10 Constantini hebt mehrere Arten solcher rhetorischen Übungen hervor, die für die Antike relevant sind11: 1) „ekphrastische Übung" (eine detaillierte und plausible Beschreibung eines realen oder fiktiven Objekts — als Beispiel werden Progymnasmata angeführt); 2) „ekphrastische Passage" (dieselbe Beschreibung, aber als Teil eines epischen Werks, z.B. der Achillesschild in der Ilias); 3) „ekphrastischer Auszug" (eine rhetorische Übung in einem geschriebenen Text für eine detaillierte und plausible Beschreibung — etwa Auszüge aus den Werken des Lucianus von Samosata); 4) „ekphrastische Zusammenstellung" (ein literarisches Werk, das aus ausführlichen Beschreibungen besteht, z.B. Die Gemälde des Philostratus12 und Ekphraseis des Callistratus13).
Laut Heller haben die Autoren der Zweiten Sophistik die ekphrastische Beschreibung zu einer ihrer Haupttechniken gemacht und damit den Anwendungsbereich des Konzepts erheblich erweitert. Unter ihrem Einfluss nahm sie einen wichtigen Platz in der Rhetorik der anbrechenden Neuzeit ein und verschmolz mit der Beschreibung (descriptio) .14
In der gegenwärtigen Literaturwissenschaft wird die Ekphrasis unterschiedlich interpretiert (als Technik, Topos, Stilfigur), was zu unterschiedlichen Herangehensweisen führt.15 So definiert L. Heller die Ekphrasis im weiteren Sinne als „jede Reproduktion einer Kunst mit Hilfe einer anderen".16 Der Forscher fasst darunter nicht nur verbale Beschreibungen von Objekten der bildenden und dekorativ-angewandten Künste (nach seiner Definition — „eingefrorene Raumobjekte"), sondern auch der synthetischen Künste — Kino, Tanz, Gesang.17 Vor allem in den Werken der westlichen Forscher P. Wagner, I. Rajewsky, F. Riemer und O. A. Hansen-Löve wird Ekphrasis im Kontext der Intermedialität, also der Interaktion verschiedener Künste, betrachtet.18
7 Константини 2013, 30.
8 Siehe: Брагинская 1977, 259; Константини 2013, 31.
9 Zit. nach: Брагинская 1977, 259.
10 Ausführlich zur Gattungsgeschichte der Ekphrasis seit der Antike: Boehm 1995; Ratkovitsch 2006.
11 Vgl. Константини 2013, 32-33.
12 Eine ausführliche Erforschung des Werks findet sich bei: Baumann 2011.
13 In der deutschsprachigen Literatur detailliert untersucht von: Bäbler, Nesselrath 2006.
14 Vgl. Геллер 2002, 5.
15 Siehe die Beiträge in: Геллер 2002; Токарев 2013; Vgl. Бочкарева 2014, 5; Бочкарева 2012, 15-16.
16 Vgl. Геллер 2002, 13.
17 Vgl. Геллер 2002, 13.
18 Vgl. Wagner 1996; Rajewsky 2005; Riemer 2018; Hansen-Löve 1983, 291-360. Siehe auch: Schnitzler und Andraschke 2004.
Die Ekphrasis ist nicht nur vielfältig19, sondern auch polyfunktional.20 Nach E. Be-rard wird Ekphrasis am häufigsten verwendet, um „unsichtbar andere Perspektiven zu eröffnen", um Themen einzuführen, die manchmal nur indirekt mit der bildenden Kunst zu tun haben.21 Nach E. Iatsenko erlaubt es die Ekphrasis auch, durch generierte „semantische Explosion" dem Rezipienten ästhetische und philosophische Ideen indirekt zu ver-mitteln.22 Diese Beobachtung ist für die folgende Analyse zentral.
Dichterinnen und Dichter der Gegenwart nutzen die Möglichkeiten der Ekphrasis auf unterschiedliche Art und Weise. Am häufigsten wird der Schwerpunkt von der Beschreibung des Kunstwerks selbst auf die Beschreibung eines subjektiven Eindrucks übertragen.23 Gleichzeitig nehmen die Gedichte immer häufiger Bezug auf Kunstobjekte, ohne sie detailliert zu beschreiben.24
Alexander Kuschner ist ein ekphrastischer Dichter, im modernen Sinne des Begriffs. Er wendet sich an verschiedene Arten von Kunst — Malerei, Skulptur, Architektur und Grafik. Die Wahrnehmung der umgebenden Welt durch das Prisma anderer Künste ist ein charakteristisches Merkmal seiner Poetik. Skulpturale Ekphrasis, die einem (Stand-)Bild verborgene Sinneseindrücke entlockt, kommt in den Texten des Dichters am häufigsten vor. Bei den Beschreibungsobjekten handelt es sich um Skulpturen der St. Petersburger Gärten, meist Denkmäler historischer Persönlichkeiten der Antike (Apollon, Marcus Au-relius, Galba), aber auch Russlands (Peter der Große), darunter auch Schriftsteller (Alexander Puschkin, Nikolai Gogol).25
Aus unseren Beobachtungen geht hervor, dass die ekphrastischen Beschreibungen in Kuschners Gedichten vielfältig sind — sie unterscheiden sich im Hinblick auf ihre informative Ausstrahlungskraft, je nach der subjektiven Wahrnehmung des jeweiligen Bezugsobjekts. Die häufigsten Varianten der skulpturalen Ekphrasis im Gedicht sind: lyrischer Kommentar zur Skulptur, Hinweise auf die jeweilige Art der im Titel/im Incipit abgerufenen bildenden Künste. Seltener (noch seltener als der Name des Künstlers) ist die Aufnahme des Skulpturentitels in den Text des Gedichtes. Hinzu kommen explizite Anspielungen, die sich auf eine oder mehrere Skulpturen beziehen, wie im ausgewählten Gedicht.
Das Gedicht „Перед лучшей в мире конной статуей." („Vor dem besten Reiterstandbild der Welt.") besteht aus 16 Verszeilen, die in 2 Strophen а 8 Verse unterteilt sind. Die erste Strophe enthält eine (subjektive) These, die zweite versteht sich als eine Art Glosse. Das Gedicht beginnt mit einer Sinneswahrnehmung:
Перед лучшей в мире конной статуей Я стоял — и радовался ей. Кондотьер в Венеции ли, в Падуе, Русский царь вблизи речных зыбей Не сравнятся с римским императором. Почему? — не спрашивай меня.
19 Zur detailliertesten Typologie der Ekphrasis, vgl.: Яценко 2011.
20 Zur Polyfunktionalität der Ekphrasis, vgl.: Нике 2002, 123-134.
21 Берар 2002, 146.
22 Яценко 2011.
23 Siehe: Яценко 2011; Бочкарева 2014, 7.
24 Берар 2002, 146.
25 Vgl.: Аполлон в снегу (Кушнер 2016, 150), Аполлон в траве (Кушнер 2016, 253), "Когда бы град Петров.." (Кушнер 2016, 284), Перед статуей (Кушнер 2016, 222), "Вот статуя в бронзе." (Кушнер 2016, 189), "Если бы ведала статуя.." (Кушнер 2011, 191) u. a.
Сам себе побудь экзаменатором, Верность чувству смутному храня.26
Als ekphrastisches Bezugsobjekt wurde der älteste Typus der Monumentalskulptur gewählt — Reiterdenkmäler, die gewöhnlich für Herrscher und namhafte militärische Befehlshaber errichtet wurden. Die zitierten Passagen erwähnen vier Kunstwerke, geben allerdings keine detaillierte Beschreibung (insofern handelt es sich nicht um Ekphrasis im Sinne der antiken Theoretiker). Bei Kuschner haben wir es mit einer Null-Ekphrasis zu tun27 (explizit angegeben wird entweder der Standort oder die „Nationalität" des Dargestellten — „russischer Zar", „römischer Kaiser").
Um das semantische Potential des Textes offenzulegen, muss zuerst geklärt werden, wem die Statuen gewidmet sind. So werden in dem Gedicht, mehr oder weniger explizit, jeweils benannt: 1. ein Denkmal für Bartolomeo Colleoni von Bergamo, einen der wichtigsten Söldnerführer im Italien des 15. Jahrhunderts (Kuschners „Kondottiere in Venedig", V. 3);28 2. Das „Gattamelata" genannte Denkmal für Erasmo da Narni, einen weiteren herausragenden italienischen Feldherrn, den späteren Herrscher von Padua („Der Kon-dottiere in [...] Padua", V. 3)29; das Denkmal für Peter den Großen in St. Petersburg — der „Eherne Reiter" von Ltienne-Maurice Falconet, 1782 errichtet („Russischer Zar von Flusswellen umspült", V. 4); und schließlich 4. die berühmte bronzene Reiterstatue des römischen Kaisers, des „Philosophen auf dem Thron", Marcus Aurelius (170).30 Sie ist es auch, die das deiktische Zentrum des Gedichts bildet und für das lyrische Alter Ego Ku-schners besondere Bedeutung hat.
Das erste der genannten Denkmäler wurde von Andrea Verrocchio für den Kondot-tiere Bartolomeo Colleoni errichtet. Der Bildhauer stellte das Ross unter dem namhaften Reiter in einer ungestümen Vorwärtsbewegung dar. Das heißblütige Pferd hebt das linke Vorderbein hoch und stellt die Hinterbeine gespreizt auf. Die Figur von Colleoni ist von Kampfeslust und innerer Spannung geprägt.
26 Das Gedicht wird zitiert nach: Кушнер 2016, 368.
„Vor dem besten Reiterstandbild der Welt Stand ich- und war glückselig. Der Kondottiere in Venedig, oder in Padua, Der russische Zar, von Flusswellen umspült, Sind nicht mit dem römischen Kaiser vergleichbar. Warum nicht? — Frag mich nicht. Prüfe dich selbst,
An der Treue zum vagen Gefühl festhaltend" [übersetzt von E. S., W. S.].
27 Im Falle der Null-Ekphrasis gibt es keine direkte Beschreibung des Kunstobjekts, sondern nur einen Hinweis darauf. Siehe: Яценко 2011; Niqueux interpretiert die Null-Ekphrasis als einen Vergleich: Нике 2002, 125.
28 Die Skulptur von Andrea Verrocchio (1496) befindet sich auf der Piazza San Giovanni e Paolo: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64674384 (accessed: 08.08.2020). Zum Standbild: Самин 2001; Isermeyer 1963.
29 Die Statue von Donatello (1453), dem ersten Bildhauer der Renaissance, steht auf der Piazza del Santo in der Nähe der Basilika des Heiligen Antonius in Padua: https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=556059 (accessed: 08.08.2020). Zum Standbild: Самин 2001.
30 https://de.wikipedia.org/wiki/Reiterstatue_Mark_Aurels (accessed: 10.09.2020). Ursprünglich stand das Denkmal am Hang des Kapitolinischen Hügels, gegenüber dem römischen Forum. Es wurde dann von Michelangelo auf den Kapitolsplatz versetzt (1538) und wird heute im Kapitolinischen Museum aufbewahrt (eine Kopie wurde auf dem Platz aufgestellt). Es ist die einzige antike Statue, die bis heute überdauert hat (durch einen Fehler, denn sie galt als das Abbild Konstantins des Großen). Zum Standbild: Самин 2001; von der Burg 1999.
Der Kondottiere, der in den Steigbügeln steht, seine Taille streckt, seinen Kopf hochhält, schaut unbeirrbar in die Ferne. Sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse aus Wut und Anspannung, seine Augen sind weit geöffnet, seine Nase ist wie ein Adlerschnabel gebogen. In der rechten Hand hält er mit fester Hand die Zügel, in seiner Linken einen Streitkolben, der nach vorne zeigt. Das Erscheinungsbild des Reiters lässt Herrschaftstrieb und Entschlossenheit sowie Selbstvertrauen erkennen. Die Kunstwissenschaftler stimmen überein, dass der von Verrocchio errichtete Bronze-Kondottiere seinen starken Willen, Energie, Entschlossenheit und Heldentum verkörpert.
Das nächste Reiterdenkmal, auf das in Kuschners Gedicht angespielt wird, ist Donatellos Statue des Erasmo da Narni, genannt „Gattamela" („Die gefleckte Katze") gewidmet. Im Gegensatz zu Colleoni reitet Donatellos Kondottiere ruhig und selbstbewusst. Die Position dieses Reiters steht im Einklang mit der verhaltenen Kraft des Pferdes. Der Kommandant hält in der linken Hand die Zügel und in seiner Rechten eine Rute — Symbol der Macht. Das Gesicht von Gattamellata ist stark und ruhig, aber harsch — eine Buckelnase, ein deutlich umrissener Mund, ein kleines, gleichwohl starkes Kinn. Er trägt stilisierte militärische Kleidung, die aus einer kurzen Tunika, einer Art engem Schutzkorsett, Sandalen an nackten Füßen und unbedecktem Kopf besteht. All dies fügt sich zum Erscheinungsbild eines stolzen Triumphators zusammen, eines Erben der Größe und Herrlichkeit des antiken Rom.
In der Figur des „von Flusswellen umspülten russischen Zaren" („Русский царь вблизи речных зыбей", V. 4) ist unschwer das berühmte Werk von Falconet zu erkennen — ein Denkmal für Peter den Großen, das von Katharina der Großen in Auftrag gegeben wurde. Es befindet sich im Zentrum des Senatsplatzes in Sankt Petersburg. Dieser Ort wurde nicht zufällig ausgewählt. In der Nähe befindet sich das vom Zaren gegründete Kommandozentrum der Kriegsmarine.
Das architektonische Wahrzeichen der Stadt wurde seit seiner Errichtung im Jahr 1782 von unzähligen Dichtern, Schriftstellern und Künstlern in ihren Werken aufgegriffen. Peter der Große ist auf einem sich aufbäumenden Pferd dargestellt — im vollen Galopp, an der Spitze einer Klippe. Der Kaiser hebt seine rechte Hand. Auf seinem stolz hochgeworfenen Kopf sitzt ein Kranz aus Lorbeerblättern. Seine weit geöffneten Augen sind auf die zeigende Hand gerichtet. Die hohe Stirn, mit zwei buschigen Brauen, drückt tiefe Gedanken und unerschütterlichen Willen aus. Der Reiter trägt weite, leichte Kleidung, die die Bewegungsfreiheit nicht einschränkt. Darauf, so der Bildhauer, „das Kleid aller Völker [...] das Kleid aller Zeiten, mit einem Wort, ein heldenhaftes Kleid".31 Das Gewand des Zaren setzt sich symbolträchtig aus Elementen antiker und russischer Kleidung zusammen. Ein breites Hemd liegt an Brust und Armen eng an, ansonsten fällt der Stoff wie ein Umhang in Falten entlang des Rückens und umschlingt die Schultern. An den Beinen sind leichte Pelzstiefel zu sehen, wie sie im Norden Russlands getragen wurden. Anstelle eines Sattels liegt ein Bärenfell — Symbol der Nation — auf den Pferderücken geworfen. Am Gürtel des Reiters ist ein Schwert befestigt. Waffen und der Lorbeerkranz des Siegers sind die einzigen Herrscher-Attribute des ehernen Reiters.
Die Symbolik des betrachteten Reiterstandbildes ist gut bekannt. Falconet porträtierte Peter den Großen als den Schöpfer, Gesetzgeber und Wohltäter des Landes. Nach dem
31 https://peterburg.gui de/pamjatniki/mednyj-vsadnik-glavnyj-pamjatnik-muzeja-pod-otkrytym -nebom/ (accessed: 10.10.2020) Für Falconet war die Wahl der Kleidung von großer Bedeutung. Er schrieb darüber in den Briefen an Katharina II. und Denis Diderot. Zit. nach.: Каганович 1975, 54.
Plan des Bildhauers (und dem Wunsch der Auftraggeberin Katharina) sitzt der russische Zar fest auf seinem Pferd, das ein eigensinniges und ungehorsames Volk verkörpert. Unter den Hufen ist eine tote Riesenschlange zu sehen, die Peters Sieg über Gegner seiner Reformen symbolisiert. Die Gestalt des Zaren selbst zeigt seine Stärke, seine Ausdauer, seinen Wunsch, vorwärts zu kommen und seine Macht innezuhaben.32
Seit den 1970er Jahren nimmt Peter der Große einen festen Platz in Kuschners St. Petersburger Gedichten ein — und zwar in literarischer, kultureller und mythologischer Dimension. Kulagin bemerkt im Werk von Kuschner seine subjektive und persönliche Haltung gegenüber Peter dem Großen, was seiner Meinung nach in der russischen Lyrik einzigartig ist.33
Als letztes Denkmal nennt das zur Diskussion stehende Gedicht die 170 n. Chr. errichtete berühmte bronzene Reiterstatue des römischen Philosophenkaisers Marcus Au-relius. Sie bildet den semantischen Nukleus des Gedichts, sie wird gegenüber den anderen offenbar bevorzugt.
Die antike Statue ist vom Design und von der Komposition her sehr einfach. Dargestellt wird nicht der Feldherr, sondern der Sieger, und zwar in einfacher römischer Kleidung, mit Tunika und Sandalen, ohne kaiserliche Attribute. Mit der beruhigenden Geste eines Rhetors wendet er sich an das Volk (oder seine Armee) und verkörpert damit ein staatsbürgerliches und menschliches Ideal. Dies entspricht dem Bild, das Marcus Aurelius in seinen Schriften von sich entworfen hat.
Die Statue des Aurelius weist nicht die prätentiöse Feierlichkeit und Größe auf, die „Aufregung" und „Grausamkeit", die den repräsentativen Abbildern der anderen im Gedicht erwähnten Machthaber (und nicht nur ihnen) innewohnt. Das gesammelte Gesicht von Mark Aurelius ist ruhig, leicht idealisiert: Er hat dichtes Haar, einen langen Bart und fest geschlossene Lippen — die Augen schauen unter halb gesenkten Augenlidern hervor. Der Kopf ist leicht nach vorne geneigt. Die Figur des langsam dahintrabenden Pferdes ergänzt das majestätisch ruhige Bild des Reiters. Im Porträt des Kaisers hat der Bildhauer die Stimmung eines Mannes wiedergegeben, der die Widersprüche der ihn umgebenden Wirklichkeit bedauert und sich daraus in eine bessere Welt zu flüchten sucht. Es ist das Bild eines Philosophen und Denkers, dem Ruhm und Reichtum gleichgültig waren und dem die Seelenruhe als höchstes Ziel galt.
Im künstlerischen Raum des Gedichts (im Allgemeinen und in Kuschners Ekphrasis) gib es keine strengen Zeitgrenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Figuren der Vergangenheit und die Zeitgenossen — sowohl der lyrische Held als auch der Leser — sind im selben Raum präsent. Das lyrische Ich steht im direkten Dialog mit den über die Referenzen auf die Reiterstandbilder aufgerufenen Vertretern verschiedener Epochen und Lebenswerte und zwingt damit auch den Leser, solche Reflexionen anzustellen. Das behandelte Gedicht ist im Werk von Kuschner kein Einzelfall — viele weitere seiner lyrischen Texte vermischen Epochen, um die eigenen ästhetischen, philosophischen und sonstigen Ansichten zu offenbaren und sie mit anderen zu vergleichen.
In der zweiten Strophe des Gedichts erfolgt eine Art „Hineindringen von außen" in die konzeptuelle Bedeutung der Marcus-Aurelius-Skulptur. Es geht dabei weniger um weitere subjektive Eindrücke von dem antiken Monument, sondern um die von ihm ange-
32 Mehr zur Geschichte und Entstehung des Standbildes siehe: Каганович 1975.
33 Кулагин 2014, 71.
regte Reflexion über das menschliche Leben, seinen Sinn und seine (vermeintlich) wichtigsten Werte, vor allem den Ruhm.
И поймешь, разглядывая медного, Отстраняя жизни смертный шум: Потому что конь ступает медленно, Потому что всадник не угрюм, Потому что взвинченность наскучила И жестокость сердцу не мила, А мила глубокая задумчивость, Тихий сумрак позы и чела.34
Das wahrgenommene Bild wird hier als ein Code der lyrischen Handlung und der poetischen Reflexion eingegeben. Das lyrische Ich drängt den Leser mittels einer subtilen Beschreibung (sogenannte „verkürzte" oder „motivierende Ekphrasis"35) zum Nachdenken. Er erfasst die wichtigsten Details: ein gesammeltes, zartes und trauriges Gesicht. Die zum Nachdenken anregende Haltung des Philosophen-Asketen wird durch seine Ruhe und durch das langsam trabende Pferd vermittelt. Die Anaphern betonen die Richtung des inneren Monologs. Der Fokus bewegt sich von einer lakonischen, aber treffenden Bemerkung über die Herkunft des Pferdes zur Beschreibung der Haltung und des Gesichtsausdrucks des Reiters.
Die semantische Sphäre des poetischen Textes umfasst nicht nur das skulpturale Abbild des Marcus Aurelius, sondern auch alles, was mit seinem Namen im kulturhistorischen Umfeld verbunden ist. Die Wahrnehmung ist durch ethische und philosophische Ansichten und Affinitäten des lyrischen Ichs bedingt, in dem sich ein vom Dichter selbst angestrebtes Ideal widerspiegelt.
Die Aufmerksamkeit für das Reiterstandbild des Marcus Aurelius ist durch Kusohners Interesse an der Antike, einschließlich der Philosophie der römischen Stoiker motiviert, deren letzter bedeutender Vertreter der römische Kaiser selbst war, der sich als Denker und Asket sah. In dem betrachteten Gedicht hallen Ideen wider, die auf die Notizen — „Selbstbetrachtungen" — des „Philosophen auf dem Thron" zurückgehen. Die wichtigsten von ihnen sind bekanntlich: die Eitelkeit des Strebens nach Macht und Ruhm, das Leben nach moralischen Werten (Gerechtigkeit, Wahrheit, Besonnenheit, Mut, sowie das Handeln zum Wohle der res publica, das sich in der gewissenhaften Erfüllung der moralischen Pflichten manifestiert), das Leben im Einklang mit der Natur und schließlich die Annahme des Lebens, wie es ist, um die Existenz einer Harmonie zwischen Gut und Böse in der Welt aufrechtzuerhalten.
Ähnliche Ideen sind in KusAners Gedichten aus verschiedenen Jahren zu finden. Am deutlichsten, mit einem klaren Bezug auf die Philosophie der römischen Stoiker, wer-
34 "Und du wirst es verstehen, wenn du dir den Bronzenen anschaust, Den tödlichen Lärm des Lebens meidend:
Weil das Pferd langsam schreitet,
Weil der Reiter nicht mürrisch ist,
Weil die Aufregung langweilt.
Und dem Herzen die Grausamkeit nicht lieb ist,
Es liebt die tiefe Nachdenklichkeit,
Das stille Zwielicht von Pose und Stirn" [übersetzt von E. S., W. S.].
35 fl^HKO 2011.
den sie in dem Gedicht „Как римлянин согласный с жизнью в целом." („Führ ein anständiges Leben, wie ein Römer.") dargestellt, das den Gedichtband Mit Kreide und Kohle (Мелом и углем) eröffnet, der auch das analysierte ekphrastische Gedicht miteinschließt. Das zweite Gedicht spiegelt die moralischen Ansichten und Verhaltensregeln wider, die Marcus Aurelius in seinen Selbstbetrachtungen vorgeschlagen hat.
Как римлянин, согласный с жизнью в целом, Живи себе пристойно, день за днем, Благополучный день отметив мелом, А неблагополучный день углем.
Да будет календарь, как ствол березы, Бел, кое-где лишь черные видны На нем пометы, — что ж, нужны и слезы, И боль, и гнев. Как римляне умны!
Их стоики считают, что из жизни По меньшей мере сто ведут дверей, А в жизнь — одна. Поэтому не кисни, Не жалуйся, живущий, не робей.
В любой момент на волю можно выйти, Через дверной перешагнуть порог -И звездные тебя обхватят нити, Космический обнимет холодок.36
In dem zitierten Gedicht tauchen folgende stoische Motive auf: die Akzeptanz des eigenen Schicksals, die Existenz von Gut und Böse in der Welt, das Bewusstsein für die eigene Bedeutungslosigkeit im Vergleich zum ewigen Kosmos, die Furchtlosigkeit vor dem Tod und der Selbstmord als Wahloption. In Anlehnung an Marcus Aurelius erkennt Ku-schners Gedicht die Vernunft als oberste Richtschnur („Wie klug die Römer sind!", V. 8). Der Verstand möge den Menschen trösten und ihn lehren, die Dinge richtig zu behandeln. Der Schlüssel besteht dabei darin, nicht aufgrund von Misserfolgen in Verzweiflung zu verfallen, sondern auch diese Schattenseiten als integralen Teil des Lebens zu akzeptieren.
36 Zitiert nach Kuschner 2016, 362. In unserer Übersetzung:
„Führ ein anständiges Leben, Tag um Tag, wie ein Römer, der mit dem Leben im Ganzen einverstanden ist. Vermerk den glücklichen Tag mit Kreide, Und den unglücklichen Tag mit Kohle.
Der Kalender soll weiß, wie der Stamm einer Birke sein, Nur an manchen Stellen schwarze Zeichen. So sei's denn — wir brauchen auch Tränen, Und Schmerz und Wut. Wie klug die Römer sind!
Ihre Stoiker glauben, dass aus dem Leben Mindestens hundert Türen führen, Ins Leben aber nur eine. Also keine Mätzchen, Klag nicht, verzag nicht, solange du lebst.
Man kann jederzeit hinaus in die Freiheit gehen, Die Türschwelle überschreiten -Und die Sternenfäden werden dich einhüllen, Die kosmische Kälte dich umarmen."
Der stoische philosophische Hintergrund von Kuschners Werken wurde schon häufiger thematisiert, unter anderem von Joseph Brodsky:
Поэтика Кушнера, говоря коротко, поэтика стоицизма, и стоицизм этот тем более убедителен и, я бы добавил, заражающ, что он не результат рационального выбора, но выдох или послесловие невероятно напряженной душевной деятельности.37
Was die literarische Stoa-Rezeption betrifft, könnten auch Brodskys Werke Einfluss ausgeübt haben. Dessen Gedichte wie auch Essays fangen wiederholt Leben und Werk der römischen Stoiker ein, darunter Marcus Aurelius (vgl. z. B. die Gedichte Строфы [Strophen], 197 838; Элегия [Elegie], 198239; Разговор с небожителем [Gespräch mit dem Himmlischen], 197040 und die Essays Less That One41; Homage to Marcus Aurelius42). Nach Smirnov sei Brodskys Interesse an dieser philosophischen Doktrin auf die Ähnlichkeit der historischen und kulturellen Situation zurückzuführen, in der sein Werk gereift ist.43 Dasselbe scheint auch auf Kuschner, einen Zeitgenossen und engen Freund des Nobelpreisträgers, zuzutreffen.
Es lassen sich auch Ähnlichkeiten zwischen Kuschners Gedicht und den Selbstbetrachtungen des antiken Philosophen feststellen, vor allem solche formaler Natur. Viele Forscher interpretieren das Genre der Selbstbetrachtungen als das persönliche Tagebuch des Kaisers, in dem er seine intimen Gedanken notierte und reflektierte.44 А. Stoljarov charakterisiert sie als eine Art philosophisches diarium, das — oft nicht verwandte — moralische und repräsentative Botschaften enthält und einige Ähnlichkeiten mit dem Diatribe-Genre aufweist.45 Die Behandlung der Selbstbetrachtungen als Diatribe setzt, wie Kotscherow zu Recht feststellt, einen Dialog mit einem (imaginären) Gesprächspartner voraus. Er wird als ein Gespräch zwischen einem „Mentor" und einem „Schüler" geführt, deren Rollen klar definiert sind: der eine predigt, der andere fragt und hört andächtig zu.46 Bei Marcus Aurelius fehlt dieser „Schüler", er bevorzugte bekanntlich Gespräche „allein mit sich selbst". Es bleibt dennoch nach wie vor ein Dialog, wenn auch nur intern. Kotscherow zufolge können die Aufzeichnungen des Marcus Aurelius als ein Gespräch mit sich selbst verstanden werden, in dem der Kaiser sowohl als Mentor als auch als Schüler fungiert, d.h. in der Rolle als stoischer Weiser (vernünftig, tugendhaft, pflichtbewusst) und in der eines gewöhnlichen Menschen (wollüstig, für die Freuden von Körper und Seele offen), dessen Charaktereigenschaften er auch in sich selbst erkennt.47
37 So in der anlässlich der Verleihung des Poet-Preises an Kuschner im Jahr 2005 online gestellten Meinung: J. Brodsky: http://poet-premium.ru/laureaty/kushner_otzyvy.html (accessed: 05.09.2020).
"Kuschners Poetik, kurz gesagt, ist die Poetik des Stoizismus, und der Stoizismus ist umso überzeugender und, wie ich hinzufügen möchte, ansteckend, dass er nicht das Ergebnis einer rationalen Wahl ist, sondern das Wesen des Ausatmens oder das Nachwort einer unglaublich intensiven geistigen Aktivität" [übersetzt von E. S., W. S.].
38 Бродский 2001, III, 181-187.
39 Бродский 2001, III, 252.
40 Бродский 2001, II, 361-367.
41 Brodsky 1986, 3-33; Бродский 2001, V, 7-27.
42 Brodsk^ 1995, 267-298; Бродский 2001, VI, 221-246.
43 Vgl. Смирнов 2010.
44 Кочеров 2016, 561.
45 Столяров 1995, 318.
46 Кочеров 2016, 561.
47 Кочеров 2016, 561.
Kuschner verwendet eine ähnliche Technik — die Form eines Gesprächs „mit sich selbst". Das lyrische Ich spricht den Leser und/oder sich selbst an (interner Dialog): Es beantwortet sich die im ersten Gedicht (Str. 1, V. 6) auch explizit gestellte Frage „warum?" und versucht, die umgebende Realität philosophisch zu deuten, um auf ewige Fragen nach der richtigen Lebensweise zu antworten.
Zusammenfassend stellen wir fest, dass die Ekphrasis nicht nur zu einem Element des künstlerischen Raumes wird, sondern zum wichtigsten semantischen Element des Textes (und der Strategie des Autors im Allgemeinen). Sie gewährleistet die innere Integrität des Gedichtes und betont seine philosophische Komponente.
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Ekphrasis by Aleksandr Kushner and the Reception of Antiquity in the Russian Poetry of the 21st Century*
Ewa Sadzinska
University of Lodz, Faculty of Philology, Department of Russian Literature and Culture, 171/173, ul. Pomorska, Lodz, 90-236, Poland; ewa.sadzinska@uni.lodz.pl
Witold Sadzinski
University of Lodz, Faculty of Philology, Department of German Linguistics, 171/173, ul. Pomorska, Lodz, 90-236, Poland; witold.sadzinski@uni.lodz.pl
For citation: Sadzinska E., Sadzinski W. Über eine Ekphrasis von Alexander Kuschner. Zur Frage der Rezeption der Antike in der russischen Lyrik des 21. Jhd.s. Philologia Classica 2020, 15 (2), 354-370. https://doi.org/10.21638/spbu20.2020.211
The article examines some of the features of A. Kushner's reception of antiquity. The antique layer is an important component of the poetry of the St. Petersburg poet, starting with his very first poems of the 1960s. Particular attention is paid to the analysis of the poem "Перед лучшей в мире конной статуей.." ("In front of the world's best equestrian statue", 2008) in connection with the problem of literary ekphrasis. The theoretical part of the article clarifies the meaning of "ekphrasis" and gives a brief overview of the most significant concepts that exist in modern science. The term appeared in antiquity, in the XIX century it was used in classical philology, and from the twentieth century it was applied to the analysis of the literature of modern times. The actualization of the term has significantly expanded the scope of the concept and its application. Modern authors use the possibilities of ekphrasis in different ways. In its most common form the emphasis is shifted from describing the work of art itself to describing a subjective impression (in poetry, works of art are usually mentioned more often than described in detail). The analytical part confirms the relevance of the ekphrastic principle in relation to different levels of the poem. The cultural-historical paradigm of the poetic image of an equestrian statue/statues that are present in Kushner's poem in explicit or implicit form
* The article was financially supported by the Philological Faculty of the University of Lodz (Fund for the Development of the Faculty of Philology, University of Lodz; Project: "Poetics of Space in Aleksandr Kushner's Lyricism", 2019-2020).
is reconstructed. The specificity and functions of antique intertexts are revealed. The article exposes not only obvious allusions correlated with the monument to Marcus Aurelius, but also implicit reminiscences referring to the philosophy of the Roman Stoics.
Keywords: Russian Literature, Aleksandr Kushner, Reception of Antiquity, Stoicism, Marcus Aurelius, Equestrian statue, Ekphrasis, Intertextuality.
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Received: August 22, 2020 Accepted: November 2, 2020