Eliseeva A. V. УДК 821-112-2-з
DOI 10.26170/FK19-02-27
Saint Petersburg; RuSSia ББК Шз3(4Гем)6
ORCID ID. 0000-0002-6911-1927 ГСНТИ 17.07.29
E-mail. [email protected] Код ВАК 10.01.°3
PHÄNOMEN DER KOLLEKTIVEN IDENTITÄT
IN DEUTSCHSPRACHIGEN PROSATEXTEN DER MIGRANTINNEN AUS DER UDSSR
Zusammenfassung. Im Beitrag wird das Phänomen der kollektiven Identität in deutschspra- Schlüsselwörter: transchigen Prosatexten behandelt, welche von MigrantInnen aus der UdSSR verfasst wurden. Als Analyse- kulturelle Literatur; kollektive gegenstand dienen fünf Texte: „Zwischenstationen" (1999) von Vladimir Vertlib, „Russendisko" (2000) Identität; autobiographische von Wladimir Kaminer, „Meine weißen Nächte" (2004) von Lena Gorelik, „Der Russe ist einer, der Bir- Prosa; Vladimir Vertlib; Wladi-ken liebt" (2012) von Olga Grjasnowa und „Vielleicht Esther" (2014) von Katja Petrowskaja. Alle diese mir Kaminer; Lena Gorelik; Olga Werke haben einen autobiographischen Charakter, sie vermitteln Emigrationserfahrungen, darunter Grjasnowa; Katja Petrowskaja. die Übersiedlung in ein deutschsprachiges Land - die BRD bzw. Österreich. Die VerfasserInnen wurden in der Sowjetunion geboren und kamen nach Deutschland bzw. nach Österreich als Kinder oder Erwachsene. Die Muttersprache von allen fünf AutorInnen ist Russisch. Methodisch stützt sich die Analyse auf die Theorie der kollektiven Identität, insbesondere auf das Konzept von Aleida Assmann. Die Studie hat außerdem komparatistische und intertextuelle Ansätze.
Obwohl die analysierten Texte Elemente der essentialistischen Deutung der Ethnie bzw. der Nation aufweisen, dominiert darin insgesamt die kulturhistorische Auffassung dieser Phänomene, sie sind durch die Vorstellung geprägt, dass wirtschaftliche und soziale Faktoren den Alltag, die Lebensweise, die Mentalität der Menschen im jeweiligen Land bestimmen. Im Beitrag wird dargelegt, dass die analysierten Texte zum Verzicht auf eine endgültige und eindeutige (Selbst)Identifizierung mit einer nationalen, ethnischen und konfessionellen Gemeinschaft tendieren. Die Figuren protestieren gegen die kollektive Identität, die ihnen aufgezwungen wird, akzentuieren das Individuelle des Subjekts, das unterschiedliche kulturhistorische Erfahrungen verarbeitet, sowie die Liminarität des Bewusstseins. Die ErzählerInnen der autobiographischen Prosatexte von MigrantInnen aus der ehemaligen UdSSR distanzieren sich sowohl von sowjetischen und russischen soziokulturellen Realien, indem sie keine Nostalgie verzeichnen, als auch von der Gesellschaft der Aufnahmeländer, in der sie sich nicht völlig assimilieren und auf der Spezifik ihrer Migrationserfahrungen bestehen. Solche Liminarität des Subjekts erlaubt ihm Grenzen zwischen unterschiedlichen kulturhistorischen Räumen sowie zwischen Sprachen zu ermessen. Die Krise des Phänomens der kollektiven Identität manifestiert sich nicht nur in Bezug auf die nationale bzw. ethnische Zugehörigkeit, sondern auch im Bereich der Sprache, Körperlichkeit und Familienbeziehungen.
Eliseeva A. V.
Saint Petersburg, Russia
THE PROBLEM OF COLLECTIVE IDENTITY IN GERMAN-SPEAKING PROSE, CREATED BY AUTHORS FROM THE FORMER USSR
Keywords: transcultural literature; collective identity; autobiographical prose; Vertlib Vladimir; Kaminer Wladimir; Gorelik Lena; Grjasnowa Olga; Petrowskaja Katja.
Abstract. The article deals with the problem of collective identity in German-speaking prosaic texts created by immigrants from the USSR. The material of the analysis are five books - Vladimir Vertlib's "Way Stations", Vladimir Kaminer's "Russendisko", "My White Nights" by Lena Gorelik, "All Russians Love the Birch Trees" by Olga Grjasnowa and "Maybe Esther" by Katya Petrovskaya. All these texts are autobiographical, the subject of the image is the experience of emigration, including moving to a German-speaking country - Germany or Austria. All five texts were created by authors born in the Soviet Union and moved to Germany (Austria) in childhood or adulthood. The methodological basis of the analysis is the theory of collective identity in the modern culture studies, methods of comparative and intertextual research are also used. Despite the fact that the texts contain elements of an essentialist approach to the phenomenon of an ethnos or a nation, in general, they are dominated by a cultural historical understanding of these phenomena, an idea of the conditionality of the specific behavior, lifestyle of people in a given country by economic and social factors. It is shown that all the texts under consideration manifest a tendency to reject a definitive and unambiguous correlation with any community, their characters emphasize the individuality of the the subject who receives various culture historical experiences, also they accent the liminality of their consciousness.
Such a subject's liminality allows it to fix the boundaries between different cultural and historical spaces, as well as between different languages. The crisis of the phenomenon of collective identity is manifested not only in the sphere of national or ethnic affiliation, but also in the field of language, corporality, and family relationships.
Елисеева А. В. Санкт-Петербург, Россия
ПРОБЛЕМАТИКА КОЛЛЕКТИВНОМ ИДЕНТИЧНОСТИ В НЕМЕЦКОЯЗЫЧНОЙ ПРОЗЕ, СОЗДАННОЙ ВЫХОДЦАМИ ИЗ СССР
Аннотация . В статье рассмотрена проблематика коллективной идентичности в немецкоязычных прозаических текстах, созданных выходцами из СССР. Материалом анализа послужили пять книг - «Остановки в пути» Владимира Вертлиба, «Russendisko» Владимира Ками-нера, «Мои белые ночи» Лены Горелик, «Русский - это тот, кто любит берёзы» Ольги Грязно-вой и «Возможно, Эстер» Кати Петровской. Эти тексты носят автобиографический характер, предметом изображения является опыт эмиграции, в том числе переезд в немецкоязычную страну - ФРГ или Австрию. Все пять текстов созданы авторами, родившимися в Советском Союзе и переехавшими в ФРГ (Австрию) в детстве или взрослом возрасте. Родным языком
Ключевые слова: транскультурная литература; коллективная идентичность; автобиографическая проза; Вертлиб Владимир; Каминер Владимир; Горелик Лена; Грязнова Ольга; Петровская Катя.
всех авторов является русский. Методологической базой анализа служит теория коллективной идентичности в современной культурологии, в частности концепция Алейды Ассманн. Использованы также методы компаративистского и интертекстуального исследования. Несмотря на то, что в текстах содержатся элементы эссенциалистского подхода к феномену этноса или нации, в целом в них доминирует культурно-историческое понимание данных явлений, представление об обусловленности специфики поведения, образа жизни людей в той или иной стране экономическими и социальными факторами. Показано, что все рассматриваемые тексты обнаруживают тенденцию к отказу от окончательной и однозначной соотнесённости с каким-либо национальным, этническим или конфессиональным сообществом, их персонажи выступают против навязываемой им коллективной идентичности, акцентируют индивидуальное начало в субъекте, который воспринимает различный культурно-исторический опыт, а также лиминарность сознания. Нарраторы автобиографических текстов, созданных выходцами из бывшего СССР, как дистанцируются от советского или российского социокультурного пространства, не испытывая ностальгии по советскому или российскому образу жизни, так и не ассимилируются полностью в обществе принимающих стран, осознавая специфичность своего эмигрантского опыта. Подобная лиминарность субъекта позволяет ему фиксировать границы между различными культурно-историческими пространствами, а также между различными языками. Кризис феномена коллективной идентичности проявляется не только в сфере национальной или этнической принадлежности, но также в области языка, телесности, семейных взаимосвязей.
Для цитирования: Eliseeva, A. V. Phänomen der kollektiven Identität in deutschsprachigen Prosatexten der Migrantinnen aus der UdSSR / A. V. Eliseeva // Филологический класс. -2019. - № 2 (56). - С. 199-206. DOI 10.26170/FK19-02-27.
Ende des 20. - Anfang des 21. Jahrhunderts fokussieren sich geisteswissenschaftliche Studien immer intensiver auf das Phänomen der Identität. Aleida Assmann datiert die Entstehung des Diskurses über die Identität mit den 1980er - 1990er Jahren und definiert die kollektive Identität als ein Konstrukt: „Unter einer kollektiven oder Wir-Identität verstehen wird das Bild, das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren können. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht ,an sich', sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen. Sie ist so stark oder so schwach, wie sie im Denken und Handeln der Gruppenmitglieder lebendig ist und deren Denken und Handeln zu motivieren vermag." [Assmann 1992: 132, Hervorh. i. O.] Die kollektive Identität verbinde, so Assmann, das persönliche Selbstbild mit den überindividuellen Instanzen wie etwa Generation, Familie, Ethnie oder Kultur.
Einen besonderen Platz nehmen die Vorstellungen über die kollektive Identität in den fiktionalen Texten von AutorInnen ein, welche ursprünglich in einem anderen Land sozialisiert wurden. Solcher Literaturtyp, der sich infolge der gesteigerten Mobilität rasch entwickelt, wird immer intensiver in der Forschung behandelt. Er hat diverse Bezeichnungen bekommen: Migrantenliteratur [Rösch 2004], transnationale Literatur [Handbuch Literatur & Transnationalität 2016], transkulturelle oder interkulturelle Literatur [Interkulturelle Literatur in Deutschland 2000], es gibt außerdem einen Begriff „Gastarbeiterliteratur", der semantisch enger als die anderen ist. Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff „transkulturelle Literatur" gebraucht, denn die AutorInnen der analysierten Texte, wie im Weiteren dargelegt wird, selbst die Hybridität der Kulturerfahrungen der MigrantInnen betonen.
Das Phänomen der transkulturellen Literatur ist weit verbreitet in deutschsprachigen Ländern: in der BRD und Österreich. Einige Forscherinnen unterscheiden je nach dem Herkunftsland des (der) jeweiligen Autors (Autorin) solche Bereiche der deutschsprachigen Literatur wie deutsch-türkische, deutsch-russische, österreichisch-russische, österreichisch-jüdische, deutsch-ukrainische usw. [Hofmann, Patrut 2015: 63-155].
For citation : Eliseeva, A. V. The Problem of Collective identity in German-Speaking Prose, Created by Authors from the Former USSR / A. V. Eliseeva // Philological Class. - 2019. - № 2 (56). - P. 199-206. DOI 10.26170/FK19-02-27.
Im vorliegenden Beitrag geht es um Werke der Autorinnen, die in der Sowjetunion geboren wurden. Diese Autorinnen leben jetzt in der BRD bzw. in Österreich und schreiben auf Deutsch. Für die Analyse wurden fünf prosaische Texte gewählt: „Zwischenstationen" (1999) von Vladimir Vertlib (geb. 1966 in Leningrad), „Russendisko" (2000) von Wladimir Kaminer (geb. 1967 in Moskau), „Meine weißen Nächte" (2004) von Lena Gorelik (geb. 1981 in Leningrad), „Der Russe ist einer, der Birken liebt" (2012) von Olga Grjasnowa (geb. 1984 in Baku) und „Vielleicht Esther" (2014) von Katja Petrowskaja (geb. 1970 in Kiew). Die Muttersprache von allen fünf Autorinnen ist Russisch. Drei von ihnen haben die UdSSR als Kinder mit ihren Eltern verlassen (Vertlib - im Alter von fünf Jahren, Gorelik und Grjasnowa - mit elf Jahren). Kaminer und Petrowskaja zogen nach Deutschland als Erwachsene um. Vladimir Vertlib ist ein österreichischer Schriftsteller, andere Autorinnen leben in der BRD. Alle fünf Schriftstellerinnen spielen eine merkliche Rolle im heutigen deutschsprachigen Literaturfeld, ihre Werke wurden mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Bisher sind zwei Texte ins Russische übersetzt: „Russendisko" und „Zwischenstationen".
Es lässt sich der autobiographische Charakter der fünf Werke feststellen, die durch die Migrationserfahrungen ihrer Verfasserinnen geprägt sind. Dabei verletzen drei Texte (von Gorelik, Grjasnowa und Vertlib) mindestens teilweise den „autobiographischen Pakt", wie ihn Philippe Lejeune versteht [Lejeune 1975], denn der Paratext der Werke definiert ihr Genre nicht als „Autobiographie", sondern als „Roman". Darüber hinaus führen in Goreliks und Grjasnowas Werken die ich-Erzählerinnen andere Namen als die Autorinnen: in Goreliks Buch heißt die ich-Erzählerin Anja, bei Grjasnowa - Mascha Kogan. in vier Werken (von Grjasnowa, Gorelik, Kaminer und Vertlib) geht es um die Emigrationsgeschichte des (der) Erzählers(in) und seiner (ihrer) Familie, um Schwierigkeiten und Abenteuer der ersten Jahre in Deutschland bzw. in anderen Ländern. Alle fünf Texte einhalten implizite oder explizite Reflexionen der Narratorinnen über die kollektive identität, d. h. über die Zugehörigkeit zu einer Kultur, zu einer ethnischen, nationalen, staatlichen, konfessionellen Gemeinschaft, zur Familie. Das Hauptanliegen des Beitrags besteht in
der Ermittlung der Tendenzen und der Spezifik in der literarischen Behandlung der kollektiven Identität.
Als Erstes fällt auf, dass sich das Lebensgefühl der MigrantInnen von Ende des 20. Jahrhunderts wesentlich von dem unterscheidet, das Texte von EmigrantInnen und Reisenden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermitteln. In keinem der analysierten Texte verspüren die ProtagonistInnen Nostalgie, „Heimweh" oder beklagen ihre Vertreibung in die Fremde, sie enthalten also keine To-poi, welche Reiseberichte und Emigrantenliteratur in der Zwischenkriegszeit intensiv einsetzten [Time 2011]. Trotz finanzieller und psychologischer Schwierigkeiten der ersten Emigrationsjahre, der Isolation und Demütigungen in der Schule (Vertlib, Gorelik, Grjasnowa) und trotz der Ausländerfeindlichkeit, mit der Erzählerinnen in Österreich (Vertlib) bzw. in der BRD (Grjasnowa) konfrontiert wurden, äußern sie keinen Wunsch, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Gegenwärtige transkulturelle Texte heben die althergebrachte Opposition von „Heimat - Fremde" weitgehend auf. In Vertlibs Roman wird berichtet, dass sich der Ich-Erzähler schnell an jeweilige Städte und Länder gewöhnt, in denen sich seine Eltern aufhalten. Petersburg dagegen, die Heimatstadt des Erzählers, in die er nach einer langen Abwesenheit kommt, ist mit Befremdung und Antipathie dargestellt: aggressive Menschen, Armut, antisemitische Stimmungen usw. [Vertlib 2012: 5-24] Auffälligerweise erscheint die Heimatstadt des Narrators viel abstoßender als Städte von Österreich, Israel, den USA, Italien, den Niederlanden. Laut der Erzählerin in Goreliks Werk sind deutsche Städte im Unterschied zu Petersburg sauber, ruhig und farbenfroh. Nur einzelne Spuren der Nostalgie sind in Grjasnowas Roman ausmachen, wenn etwa die Protagonistin gesteht, dass sie Tel Aviv liebe, denn es erinnere sie an ihre Heimatstadt Baku. [Grjasnowa 2012: 252-253] Jedoch bekundet die Figur keinen Wunsch, ihre Heimatstadt zu besuchen.
In den fünf Werken ist der Prozess der allmählichen Assimilation der Menschen im anderen Land dargestellt: Die ProtagonistInnen beginnen sich mit der Zeit als Mitglieder der Gesellschaft des Aufnahmelandes zu fühlen. So fühlt sich der Erzähler bei Vertlib schon in seiner Jugend als ein richtiger Wiener, ebenso wird er von seiner Umgebung wahrgenommen. Der allmähliche Prozess der Adaptation der Erzählerin, ihrer Verwandten und Freunde an das andere Milieu ist in Goreliks Roman dargestellt; als seine Wendepunkte erscheinen solche Ereignisse wie die Erlangung der eigenen Wohnung, soziale Anerkennung, unter anderem die Anerkennung in der Schule: „Deutschland wird langsam, aber sicher zur Heimat." [Gorelik 2004: 257]. Bezeichnenderweise beginnt sich sogar die Großmutter der Protagonistin, die Deutsch nicht kann, in Deutschland „zu Hause" zu fühlen; sie erklärt, nachdem sie von einer Reise nach Russland zurückgekehrt ist: „Wie schön, wieder zu Hause zu sein." [Gorelik 2004: 262].
Bezeichnenderweise gehören zum engen Kreis der ProtagonistInnen Personen entweder aus deutschsprachigen Ländern - so die österreichische Freundin des Ich-Erzählers bei Vertlib, der Deutsche Elias bei Grjasnowa, Jan bei Gorelik, - oder aus anderen Ländern, so sind die besten Freunde von Mascha Kogan ein Libanese und ein Türke. Eine besondere Beachtung verdient in dieser Hinsicht das Liebesdreieck, das in Goreliks Text geschildert wird: Die
Protagonistin Anja ist mit der Wahl zwischen ihrem deutschen Freund Jan, mit dem sie längere Zeit zusammenlebt, und Ilja, dem ersten Liebesobjekt, konfrontiert. Bezeichnenderweise entscheidet sich die Protagonistin trotz der Gemeinsamkeit der kulturhistorischen Erfahrungen für ihren deutschen Freund. Derartige Entscheidung wird im Text durch einen engeren psychologischen Kontakt zwischen ihr und Jan erklärt. Auf solche Weise nimmt die Bedeutung der gemeinsamen primären Sozialisation für die menschlichen Beziehungen wesentlich ab. In den Vordergrund treten individuell-psychologische Aspekte der Kommunikation. Der Befund, dass die Personen, welche den Figuren am nächsten stehen, entweder BürgerInnen des Migrationslandes sind oder aus anderen Ländern stammen, zeugt von der Aufhebung der Opposition „das Eigene - das Fremde" und von der Verwischung der kulturellen Grenzen.
Die gegenwärtige Gesellschaft der BRD und anderer westeuropäischer Länder sowie der USA (in Vertlibs Text) ist in allen Werken als ein hybrides Phänomen dargestellt. Interessant ist in dieser Hinsicht, dass sich die Werke, um die es hier geht, vor allem an die deutschen LeserInnen richten. Dass die impliziten LeserInnen keine EinwohnerInnen Russlands bzw. anderer Länder der ehemaligen Sowjetunion sind, belegen Erklärungen der Realien von Russland, der Ukraine, der UdSSR usw., welche die Texte enthalten. So erläutert der Erzähler in Vertlibs Buch, was Pelmeni sind [Vertlib 2012: 244]. Die Texte richten sich also an Lesende, die über andersartige historische und sprachliche Erfahrungen verfügen.
Eine wesentliche Tendenz von den Texten besteht darin, dass sich die ErzählerInnen keiner bestimmten nationalen, konfessionellen, ethnischen Gemeinschaft eindeutig zuordnen. Ebenso charakteristisch ist die Skepsis gegenüber dem essentialistischen Konzept der Ethnie und der Nation. Diese Skepsis manifestiert sich unter anderem in der ironischen Behandlung der nationalen und ethnischen Stereotype. Bekanntlich fungieren Stereotype als eines der Mittel bei der Konstruktion der „eigenen" und „fremden" Bilder, d. h. der kollektiven Identitäten. Homi Bhabha zeigt, dass Prozesse der Metaphorisierung, d. h. der Übertragung der Eigenschaften von einem Phänomen auf den „nationalen Charakter", sowie die der Metonimisierung, d. h. der Verallgemeinerung von einzelnen Fällen, bei der Produktion von Stereotypen eine wesentliche Rolle spielen. [Bhabha 1994] Bezeichnenderweise enthalten drei Werke bereits in ihrem Titel ein Stereotyp, eine Sentenz oder eine klischierte Vorstellung über das Land oder die Stadt: „Der Russe ist einer, der Birken liebt", „Meine weißen Nächte", „Russendisko". Kaminers Titel ist offensichtlich darauf ausgerichtet, Stereotype der RezipientInnen zu aktivieren. „Weiße Nächte" benennen eine der Hauptattraktionen von St. Petersburg bzw. Leningrad. Und der Titel „Der Russe ist einer, der Birken liebt" parodiert, indem er mit dem Epigraph zum Roman aus „Drei Schwestern" von Anton P. Tschechow, der Passage, in der Werschinin seine Liebe zu Birken gesteht, sowie mit der Romanstelle, wo der Palästinenser Ismael sagt, alle Russen sähen wie Menschen aus, die Birken lieben [Grjasnowa 2012: 265], in Verbindung gesetzt wird, gängige ethnische Stereotype und impliziert darüber hinaus eine Polemik mit dem für die ProtagonistInnen des Werks schon archaischen, überholten Weltbild
von Tschechows Figuren, ihrem Landschaftsbezug, Sentimentalität, der Poetisierung der heimatlichen Region. ironie gegenüber ethnischen Stereotypen prägt ebenso die Reaktion der Erzählerin in Goreliks Roman auf klischierte Vorstellungen einiger Einwohnerinnen Deutschlands, dass Russen von Kindheit an viel Wodka tränken. Die Erzählerin Anja reagiert auf solche Stereotype, indem sie sie nicht verneint, sondern übertreibt und ad absurdum führt: „Ob alle Russen Wodka trinken. Ja, tun sie, eigentlich schon zum Frühstück. Wodka macht schneller wach als Kaffee." [Gorelik 2004: 26] Mit ironie erinnert sich die Protagonistin an die stereotypen Vorstellungen über Deutsche, die einst sie selbst und ihre Eltern hatten: „Wir denken, alle Deutschen essen Wurst." [Gorelik 2004: 79] Andererseits tendiert die Erzählerin bei Gorelik selbst zu einigen Verallgemeinerungen, die die nationale Mentalität betreffen. Für „russisch" halten die Protagonistin und ihr deutscher Freund die Manier laut zu sprechen: „„Russisch reden' heißt laut reden, durcheinander reden." [Gorelik 2004: 63] Ein weiterer „russischer" Zug sei gesteigerte Kunstliebe [Gorelik 2004: 98]. Die Protagonistin generalisiert außerdem ihre Erfahrungen mit der Mutter und weist dem russisch-jüdischen Muttertyp solche Verhaltensmuster zu wie Überfürsorglichkeit, Kinderzentriertheit, gesteigerte Emotionalität und hohe Ansprüche an Kinder. Die Narratorin baut die Opposition „russisch-jüdische Mutter - deutsche Mutter" auf, deutsche Mütter werden dabei mit einem nüchterneren, rationaleren Verhalten ausgestattet, mit Respekt gegenüber dem eigenen Privatleben und dem ihrer Kinder. „Russische Mütter sind eine Spezies für sich. Besonders schlimm sind russisch-jüdische Mütter. Sie sagen: ,Die Erfüllung meines Lebens bist du.' [...] Sie treiben uns damit in den Wahnsinn oder zum Psychiater. Deutsche Eltern sind für sie keine Eltern. ,Was sind das denn für Mütter, die ihre Kinder nur einmal in der Woche anrufen? Was sind das denn für Mütter, die ihren Kindern nicht jeden Abend gute Nacht wünschen?' Das Beunruhigende dabei ist, daß sie nicht von Vorschulkindern reden, sondern von Männern und Frauen, die selbst schon Kinder haben. Eine russische Mutter ruft selbst aus dem Urlaub im Ausland jeden Tag an. Jedes ihrer Kinder. ich weiß, wovon ich rede. ich habe so eine Mutter." [Gorelik 2004: 30-31] in dieser Passage ist der von Homi Bhabha beschriebene Metonimisierungspro-zess von interesse, durch den das ethnische Stereotyp produziert wird: Die Erzählerin überträgt ihre individuellen Erfahrungen auf alle Vertreterinnen der ethnischen Gruppe. Beachtenswert ist zudem die Hybridisierung von ethnischen Merkmalen: Eigenschaften werden der jüdisch-russischen Mutter zugeschrieben, dabei bezieht sich das deutsche Wort „russisch" sowohl auf die Ethnie als auch auf die Staatsangehörigkeit; damit wird die Grenze zwischen „russisch" und „jüdisch" diskursiv verwischt, was wohl auf die Besonderheiten der nationalen Politik in der Sowjetunion zurückgeht, die unter anderem darauf ausgerichtet war, ethnische Grenzen aufzuheben und die neue historische Gemeinschaft herzustellen: das sowjetische Volk. Die Episoden im Roman, welche Überfürsorge der Mutter veranschaulichen, verweisen die Lesenden auf das Genre der gegenwärtigen Stadtfolklore - auf den Witz. Sie erinnern an Witze über „die jüdische Mutter", in denen mütterliche Überfürsorge, Kontrolle über Kinder als Spottgegenstand fungieren. Bekanntlich ist das Genre des Witzes einerseits
subversiv gegenüber der Macht, andererseits kolportiert es Stereotype. [Shmeleva, Shmelev 2002: 47-82].
intertextuelle Bezüge zum Witzgenre bei der Erzeugung von kollektiven nationalen und ethnischen identitäten sind nicht nur in Goreliks Roman auszumachen, sondern ebenso im Werk von Kaminer, in dem bekannte Klischees und Oppositionen der russischen Witze über Vertreter unterschiedlicher Nationen erkennbar sind: Der Regeln verletzende, immer Glück habende Russe mit seinem ungezügelten Verhalten und seiner Vorliebe für Alkohol und Abenteuer ist in derartigen Witzen dem ordnungsliebenden, bornierten Deutschen gegenübergestellt. Auf dieser Opposition basieren viele Geschichten von „Russendisko", was in der Kritik und Forschung dem Autor mitunter als Schuld angerechnet wird, indem man ihm kommerzielle Verwendung von nationalen und ethnischen Stereotypen vorwirft. Es sei jedoch angemerkt, dass stereotypen, witzartigen Figuren von Kaminers Prosa (russische Trinker, Prostituierte aus Russland u. ä.) in seinem Werk Personen zur Seite gestellt sind, welche die Schablone hinterfragen: z. B. sparsame Russen, die keinen Alkohol trinken und tüchtige Geschäftsleute sind, Russinnen, die gleichgültig gegenüber Ehebanden sind. in Geschichten von Kaminers Buch wird häufig das durch den Pretext des Witzes vorgegebene Muster widerlegt, damit werden dementsprechend Leseerwartungen verletzt. Das ist der Fall etwa in der Geschichte über den Deutschen Martin, der in der russischen Provinz mit dem Rad reist. Ehemalige russische Bürgerinnen versuchen es ihm auszureden, in der russischen Provinz zu höflich aufzutreten, es sei besser, Leute grob anzusprechen. Die stereotypen Erwartungen werden verletzt, denn der höfliche Martin kommuniziert erfolgreich mit Einheimischen in Russland. Auf solche Weise spielen Geschichten von „Russendisko" mit ethnischen Stereotypen, indem sie sie erst reproduzieren und dann sie mal bestätigen, mal widerlegen. Beachtenswert ist, dass in Kaminers Text wie in Goreliks Roman eine gewisse ethnische Hybridisierung vor sich geht: Mit „russischen" Eigenschaften werden Figuren ausgestattet, welche ein Asyl in Deutschland wegen der jüdischen Herkunft bekommen haben. Gleich der Erzählerin in Goreliks Werk schildert der Narrator von „Russendisko" eher den Typ des „sowjetischen Menschen", dabei wird diese Figur mit Zügen eines „Russen" aus dem Witz versehen. Bezeichnenderweise verbinden sich Elemente der essentialistischen Auffassung der nationalen identität in Goreliks und Kaminers Werk mit dekonstruktivistischen Ansätzen. Davon zeugen die Verletzung der stereotypen Erwartungen in Kaminers Prosa sowie die ironie der Erzählerin von Goreliks Roman gegenüber dem Verhaltensmuster ihrer Mutter. Dekonstruktivistisch wirkt auch die Hybridisierung der „russischen" und „jüdischen" Mentalität in den diskursiven Praktiken von Goreliks und Kaminers Texten.
Kennzeichnend ist dabei, dass die Erzählerinnen in den Werken von Gorelik und Kaminer ihre konkreten kulturhistorischen Erfahrungen stärker akzentuieren als essen-tialistisch aufgefasste Merkmale der nationalen bzw. ethnischen Mentalität. So berichten etwa die Narratorin des Romans „Meine weißen Nächte" und ihre Eltern deutschen Bekannten über das Leben in der spätsowjetischen Gesellschaft, über den totalen Warenmangel und riesengroße Schlangen. Diese Erfahrungen seien es, die Menschen
aus der ehemaligen Sowjetunion von der jungen Generation in der BRD unterscheiden. „,Kannst du dir vorstellen, wie es war, daß man nicht einfach in ein Geschäft gehen konnte und ein Buch kaufen? Daß man sich anstellen mußte? Kannst du dir vorstellen, daß wir für eine Theaterkarte drei Tage und drei Nächte anstehen mußten? [...] Meistens beantworten sie sich die Frage selbst: ,Nein, du kannst dir das nicht vorstellen. Drei Tage und drei Nächte. Im Winter, in Sankt Petersburg, minus fünfzehn Grad. Und hier, man geht einfach zur Kasse.'" [Gorelik 2004: 204] Gerade dieser kollektiven kulturhistorischen Erfahrungen fühlt sich die Erzählerin Anja teilhaftig, die sich erinnert, wie sie mit acht Jahren stundenlang Schlange gestanden hat, um Milch zu kaufen. Auf kollektive Erfahrungen beruft sich auch der Erzähler in Kaminers Werk. Auffällig ist der häufige Gebrauch des Subjekts „wir" im Buch. Dieses kollektive Subjekt hat im Text zwei Hauptbedeutungen: „wir" verweist einerseits auf sowjetische Menschen, Zeitgenossen des Erzählers, andererseits auf die EmigrantInnen aus der UdSSR, welche gleich dem Narrator nach Deutschland kamen.
Die autobiographische Erzählerin in Petrowskajas Werk „Vielleicht Esther" reflektiert ihre Zugehörigkeit zur Familie und versucht auf solche Weise die kollektive Identität herzustellen. Derartige Versuche veranlassen die Nar-ratorin, deren Persönlichkeit und Leben mehr im Schatten sind als es in den anderen Texten der Fall ist, die Geschichte ihrer VorfahrInnen zu rekonstruieren, die durch Ereignisse des 20. Jahrhunderts geprägt ist, darunter auch durch Holocaust. Der Rekonstruierung der Familiengeschichte stehen in Petrowskajas Text viele Hindernisse im Weg: Mangel an Informationen, die Unzuverlässigkeit des kollektiven und individuellen Gedächtnisses. In der Erzählung über die VorfahrInnen, die aus unterschiedlichen Staaten stammten, wird die Konventionalität des nationalen und ethnischen Konstrukts hervorgehoben. Die autobiographische Erzählerin weist auf die Unmöglichkeit hin, eine eindeutige kollektive Identität herzustellen: „Ich fuhr als Russin aus Deutschland in das jüdische Warschau meiner Verwandten, nach Polen, nach Polscha, es schien mir, als machten mich meine beiden Sprachen zu einer Vertreterin der Besatzungsmächte. Als Nachkommin der Kämpfer gegen die Stummheit war ich einsatzbereit, aber sprachlos, ich beherrschte keine der Sprachen meiner Vorfahren, kein Polnisch, kein Jiddisch, kein Hebräisch, keine Gebärdensprache." [Petrowskaja 2014: 101] Das Gefühl der Familienzugehörigkeit verbindet sich bei der Erzählerin mit der Distanz gegenüber den Ländern, in denen ihre Verwandten lebten, gegenüber ihrem Beruf (Arbeit mit taubstummen Kindern) und mit der Unkenntnis ihrer Sprachen. Die Narratorin in „Vielleicht Esther" neigt zum konstruktivistischen Konzept von Ethnie und Nation, indem sie darauf hinweist, dass dieses Konstrukt häufig willkürlich und politisch bedingt ist: „immer gab es die anderen, egal, woher man kam, Polen und Juden, Juden und Polen, und wenn sie in Katyn umgekommen waren, durften sie Polen sein, aber ihre Frauen und Kinder blieben Juden und lebten im Ghetto." [Petrowskaja 2014: 105] Derartige Ausführungen haben viel gemeinsam mit dem Konzept von Benedict Anderson, der das Phänomen der Nation als Konstrukt der Neuzeit versteht, das durch die Arbeit von Philologen und durch Massenmedien produziert wurde. [Anderson 1991]
Im Zusammenhang mit der Produktion kollektiver Identitäten im Kulturfeld verdient eine besondere Beachtung das Phänomen der „aufgezwungenen Identität". Diese Erscheinung wird teilweise in der zitierten Passage aus Petrowskajas Werk behandelt, in der erwähnt wird, dass die Nationalität der Opfer aus politischen Gründen diskursiv willkürlich verändert werden konnte. Um die aufgezwungene ethnische Identität geht es ebenso in den zitierten Episoden aus Goreliks Roman, wenn Figuren von der Protagonistin bestimmte, dem Stereotyp entsprechende Verhaltensmuster erwarten, z. B. den intensiven Wodkakonsum. Das betrifft auch die Berichte über die Diskriminierung der Eltern der Protagonistin in der UdSSR, denen von der Umgebung „die jüdische Identität" aufgezwungen wurde. Eine der Figuren des Romans von Grjasnowa, ein älterer Türke, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, erfährt erst auf einer Wahlveranstaltung der CDU, dass er ein Muslim sei: „Seit zweiundvierzig Jahren in Deutschland und hat erst jetzt erfahren, dass er ein Muslim ist." [Grjasnowa 2012: 137] Andere Figuren des Werks sprechen ebenso von dem ständigen Druck auf sie durch ihre Umgebung, die von ihnen verlangt ihre nationale oder ethnische Identität zu bestimmen. So berichtet Maschas Freund Cem, der in der BRD geboren wurde und türkischer Herkunft ist, über seine Erfahrungen: „Später kamen die ständigen Nachfragen: Woher kommst du? Oder: Als was fühlst du dich, als Deutscher oder als Türke? Mit sechzehn musste ich zum Ausländeramt wegen der Aufenthaltsgenehmigung. Ich meine, was soll das? Ich bin hier geboren." [Grjasnowa 2012: 221] Die kollektive Identität wird ständig in politischen, konfessionellen, ethnischen Konflikten aufgezwungen, welche die Protagonistin Mascha in Aserbaidschan, in Israel und in Palästina mit erlebt. Die kriegführenden Parteien formen das Feindbild - einen Juden oder einen Araber, einen Armenier und suchen in konkreten Menschen die Bestätigung ihrer Vorstellungen über die „Anderen". Der aufgezwungenen Identität widersetzt sich ständig der Erzähler von Vertlibs „Zwischenstationen". Die Umgebung bietet dem Narrator stets Selbstidentifikationsmodelle, die er als fremd und aufgezwungen empfindet. Die politische oppositionelle Tätigkeit des Vaters macht das Kind zu einem Außenseiter in der Sowjetunion, der von einer Bekannten auf der Straße „nicht erkannt" wird. In Israel, wo die Familie zweimal versucht sich niederzulassen, fühlt sich der Erzähler ebenso isoliert, weil er die Gesetze der jüdischen Religion nicht befolgt und weil es ihm an Patriotismus mangelt. Während er in der Sowjetunion als Sohn eines Oppositionellen verstoßen wird, wird er in Österreich von einem Nachbarn als „Tschusch" [Vertlib 2012: 63] beschimpft und in Israel gilt er als „Goi" und „Jored": „ein Jored [...] - ein Abtrünniger, ein verachtenswerter Verräter an der Sache, der seinem Heimatland den Rücken gekehrt hatte." [Verlib 2012: 142]). Nicht nur feindlich gesinnte Umgebung strebt dem Erzähler eine kollektive Identität aufzu-zwängen, sondern ebenso seine FreundInnen. Das belegen die Diskussionen, welche der Narrator im Jugendalter mit Mendl und seiner Tochter Rita in Wien führt, welche ihm die Unkenntnis von Traditionen und Gesetzen des Judentums vorwerfen. Die Gesprächspartnerin des Narrators Rita sieht derartiges Fehlen der ethnischen und konfessionellen Identität als tragisch an: „,Es ist schon tragisch', sagt Rita, nachdem sie sich wieder gesetzt hat, ,Russen
durftet ihr nicht sein, richtige Juden seid ihr keine mehr, Gojim aber auch nicht.'" [Vertlib 2012: 287] Der Protagonist formuliert dagegen eine Vorstellung über die Priorität der individualität: „,Es gibt nur Menschen', sage ich, ,Diese Einteilung in Juden, Gojim, inländer, Ausländer, Europäer, Nichteuropäer kotzt mich an.'„ [Vertlib 2012: 287] Die Protagonistin von Grjasnowas Werk erklärt ebenso, dass sie keiner Kultur, Religion oder Nation angehört. Auf die Frage „An was glaubst du?" antwortet sie: „,An nichts' , Gott?' ,Nein.' ,Kultur?' ,Auch nicht.'" [Grjasnowa 2012: 276] Auf die Frage nach der Nation reagiert die Protagonistin mit der Erzählung. dass man in ihrem Elternhaus in Baku immer für alle Fälle einen gepackten Koffer bereit hielt. Der gepackte Koffer hängt mit dem Bewusstsein der instabilität eines Aufenthaltes in jedem Land, mit der Unzuverlässigkeit der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zusammen und bezieht sich auf das Nomadentum der Protagonistin, die häufig ihren Wohnort wechselt. Von interesse ist, wie ambivalent die Erzählerinnen die instabilität ihres Emigrationsdaseins empfinden: Beschreibungen von finanziellen und psychologischen Schwierigkeiten, Unsicherheitsgefühlen verbinden sich in den Texten mit Hinweisen auf gesteigertes Lebensgefühl, auf Änderungsfreude. So berichtet der Erzähler von Vertlib über seine gemischte Reaktion von Neid und Abversion auf die Lebensweise der Menschen, welche einen festen Platz in der Gesellschaft haben. in diesem Zusammenhang teilt der Narrator seine Beobachtungen über eine Wiener Dame mit: „Eine ältere Dame aus der Materialverwaltung fuhr mit derselben Straßenbahn zur Arbeit wie ich, seit 1958 jeden Tag mit der Linie ,J'. Und sie wird es auch die verbleibenden drei Jahre bis zu ihrer Pensionierung tun, wenn sie nicht der Schlag trifft oder sonst etwas Unvorhergesehenes passiert. Da hatte ich eine alptraumhafte Vision, im Jahre 2030 immer noch mit derselben Straßenbahnlinie auf derselben Strecke tagaus, tagein unterwegs zu sein. Am nächsten Tag ging ich ins Personalbüro und kündigte, vorzeitig, einige Wochen vor dem ursprünglich geplanten Termin" [Vertlib 2012: 296].
Bezeichnenderweise wenden sich alle Protagonistinnen dem Problem der jüdischen identität zu. Das hängt damit zusammen, dass sie alle, wie auch die Autorinnen der Werke, nach Deutschland bzw. in andere Länder entweder als Kontingentflüchtlinge (Gorelik, Grjasnowa) eingereist sind oder ein humanitäres Asyl bekommen haben (Kaminer). Fast alle Texte sprechen den Antisemitismus in der Sowjetunion sowie in der Übergangsperiode der 1990er Jahre an. Antisemitismus ist in Goreliks Roman der Hauptgrund für die Entscheidung der Eltern der Protagonistin zu emigrieren. in Kaminers autobiographischer Prosa wird mitgeteilt, dass der Vater des Erzählers der Kommunistischen Partei als Jude nicht beitreten durfte und folglich keine Karriereaussichten hatte. Zugleich identifizieren sich die Figuren der analysierten Texte nicht mit der jüdischen ethnischen bzw. konfessionellen Gemeinschaft. Die Erzählerin bei Grjasnowa berichtet, dass jüdische Wurzeln nur als Chance benutzt wurden, Baku in der lebensbedrohenden Situation zu verlassen: „Aber unsere Auswanderung hatte nichts mit dem Judentum, sondern mit Bergkarabach zu tun." [Grjasnowa 2012: 44].
in Kaminers Buch wird die Beteiligung an der jüdischen Tradition wie alles andere zum Element eines ironischen, lustigen Spiels und zum Auslöser der Abenteuer von
MigranInnen aus der UdSSR. Wenn auch der Ton des Erzählers, der über den Antisemitismus in der Sowjetunion berichtet, ernst anmutet, sind Geschichten von Personen, welche in Deutschland bestrebt sind, ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Kultur zu beweisen, um ein Asylrecht zu bekommen, eher durch Komik geprägt: Eine Dame macht den Kölner Rabbiner mit Informationen ohnmächtig, dass Juden zu Pessach Kulitsch (russisches Osterbrot) ässen und dass man Matze aus Blut von getöteten Kindern mache; ein Bekannter des Erzählers Mischa entschließt sich aus Dankbarkeit gegenüber der jüdischen Gemeinde für die moralische und finanzielle Unterstützung sich beschneiden zu lassen usw.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Erzählerinnen in allen fünf Texten zu keiner ethnischen, nationalen, konfessionellen Gemeinschaft eindeutig zuordnen. In Goreliks Roman wird das Bedürfnis, sich zu einer kollektiven Identität voll zu bekennen, eher als Folge von traumatischen Erfahrungen interpretiert. So fasst die Protagonistin das Verhalten ihres Bruders, der zuerst ein orthodoxer Jude, dann ein „linker", später ein Christ und schließlich Buddhist wurde, als Manifestation des „Kontingentkomplexes" auf [Gorelik 2004: 42], d. h. des Bedürfnisses, einer Gruppe zu gehören, ein Gruppengefühl zu entwickeln. Nationale, ethnische und konfessionelle Spezifik ist in den analysierten Texten als ein politisches, kulturelles Konstrukt dargestellt und erscheint nicht selten als eine aufgezwungene kollektive Identität. Obwohl Goreliks und Kaminers Texte essentialistische Ansätze in Bezug auf die nationale bzw. ethnische Mentalität aufweisen, fühlen sich alle ProtagonistInnen vor allem konkreter historischer Erfahrungen teilhaftig, darunter der Erfahrungen im sowjetischen und postsowjetischen Kulturraum sowie der Emigrationserfahrungen. Derartige kulturhistorische Praktiken, welche keine essentialistische Dimension haben, prägen die individuelle und kollektive Identität der ProtagonistInnen: ihre Zugehörigkeit zur bestimmten Generation, die die Krise und den Zerfall der UdSSR mit erlebt hat, sowie die Zugehörigkeit zu MigrantInnen oder Flüchtlingen aus der Sowjetunion. In Petrowskajas „Vielleicht Esther" versucht die Erzählerin ihre kollektive Identität durch den Bezug zu ihrer Familie, das Gefühl der Verbundenheit mit ihren VorfahrInnen zu stiften. Dieser Typ der kollektiven Identität wird jedoch seinerseits relativiert, weil die Erzählerin der Unmöglichkeit bewusst wird, genaue Informationen zu ermitteln, und weil sie den Verlust der Familientraditionen eingesteht.
Bezeichnenderweise verzichtet der Narrator im Finale von Vertlibs Roman auch auf die enge Beziehung zu seiner Familie: Als Kind folgte er gehorsam seinen Eltern durch die Welt auf ihren Suchen nach dem idealen Land für die Emigration, am Ende verletzt er die Erwartungen seines Vaters und seiner Mutter, indem er die österreichische Provinz Salzburg zum Wohnort macht und sich für die Rolle des Hausmanns entscheidet. Der Protagonist lehnt das elterliche Wertesystem ab, z. B. die Opposition „Kulturstadt Wien - rückständige Provinz". Den Bruch mit elterlichen Werten vollzieht die Figur auch, indem sie auf die patriarchale Rollenverteilung im Paar verzichtet: Der Erzähler kommt nach Salzburg zu seiner Freundin, die sie beide finanziell versorgen wird. Auf solche Weise hängen die Aufhebung der Kulturgrenzen, der Verzicht auf die kollektive
Identität mit dem Bruch mit den Eltern zusammen. Ähnliche Tendenzen weist Grjasnowas Roman auf: Die Proto-gonistin Mascha befindet sich nicht nur zwischen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, sondern wird ihrer Bisexualität bewusst, damit hebt sie auch im Bereich des Körperlichen und Emotionalen Grenzen der binären Oppositionen auf. Das gemeinsame Merkmal der Texte, welche von den AutorInnen aus der Sowjetunion verfasst wurden, ist also der Verzicht auf kollektive Identitäten. Es wird dabei der Versuch unternommen, diesen die individuelle Identität des Subjekts entgegenzusetzen, das bestimmter kulturhistorischer Erfahrungen teilhaftig ist, welche das Leben in unterschiedlichen Ländern, Kenntnis von Sprachen, Wissen über gängige Stereotype, überlieferte Kulturtraditionen usw. mit einschließen.
Eine wichtiges Merkmal von ProtagonistInnen der Werke ist dabei, dass sie zwei oder mehrere Sprachen beherrschen, vor allem Russisch und Deutsch; sie reflektieren oft über die Differenzen der Sprachen, über die Unübersetzbarkeit von Wörtern und Ausdrücken, welche sich auf spezifische kulturhistorische Erfahrungen beziehen. Derartige Ausführungen enthält der Roman „Meine weißen Nächte", dessen Erzählerin über die Unmöglichkeit spricht, auf Deutsch solche Begriffe der spätsowjetischen Zeit wiederzugeben wie „dostat'" („kriegen") [Gorelik 2004: 203-208] oder die Frage der Person, die sich anstellt, „Chto dayut?" („Was gibt es hier?") [Gorelik 2004: 50]. Der Vater der Protagonistin versucht vergeblich den russischen Begriff „Sakuska" ins Deutsche zu übersetzen: „Nachessen". Dabei bemerkt die Erzählerin: „Ein Wort, das sich nicht übersetzen läßt." [Gorelik 2004: 27] Das Problem der Unübersetzbarkeit der Wörter beschäftigt auch die Erzählerin von „Vielleicht Esther", die oft fremdsprachige Lexik benutzt, darunter auch russische. Solche Wörter und Ausdrücke sind manchmal kyrillisch geschrieben, mitunter erklärt sie ihre Bedeutung. Das sind etwa Piroschki [Petrowskaja 2014: 21, 104], das Dreiliterglas, trjochlitrowaja banka" [Petrowskaja 2014: 33, Kursiv hier und weiter im Original - A.E.], Кощей Бессмертный, Kostschej Bess-mertnyj, Kostschej der Unsterbliche" [Petrowskaja 2014: 215]. Die Narratorin führt außerdem russische Phraseo-logismen an, welche sie teilweise ins Deutsche übersetzt oder für sie Ausdrücke mit ähnlichem Inhalt im Deutschen findet: „vielleicht bin ich стрелочник strelotschnik, ein Weichensteller, und immer ist der Weichensteller schuld, aber nur auf Russisch" [Petrowskaja 2014: 8]; „Sie hatten nicht alle Tassen im Schrank, obwohl man im Russischen nicht alle Tassen sagt, sondern Hast du nicht alle zu Hause?" [Petrowskaja 2014: 21]; „Socken, der Kunstflug des Strickens, vyschij pilotasch, wie man sagte [Petrowskaja 2014: 21]; „der Trumpf, kozyrnaja karta" [Petrowskaja 2014: 115]; „dass meine Seele in die Fersen rutschte, wie man auf Russisch sagt, wenn man von Furcht ergriffen wird" [Petrowskaja 2014: 215] und andere mehr. Die Erzählerin stellt fest, dass diese und andere Wendungen entweder keine Äquivalente im
Deutschen haben oder die Äquivalente eine andere innere Form aufweisen. Andererseits bemerkt die Narratorin, dass es im Russischen kein Äquivalent für das deutsche Verb ,wandern' gibt. [Petrowskaja 2014: 255]. Vertlibs Erzähler denkt darüber nach, dass die Lautgestalt der Volksdichtung in einer anderen Sprache nicht vermittelt werden kann, indem er sich an einen russischen Vers erinnert. Der Roman enthält nur die Übertragung dieses Textes ins Deutsche: „Man soll den Wein im Becher trinken, solange er noch gut und süffig ist. Solange es sich lebt, soll man leben, zwei Leben gibt es nicht!" [Vertlib 2012: 296], diese Übertragung kommentiert der Narrator auf solche Weise: „im Russischen reimt sich das zu einem schönen, kleinen Knittelvers." [Vertlib 2012: 296] Also werden die Protagonistinnen von Gorelik, Petrowskaja, Vertlib ständig mit den Erfahrungen der Unübersetzbarkeit konfrontiert, mit der Unvermittelbarkeit von inhalten, der Unmöglichkeit, Ausdrücke einer Sprache mit einer anderen wiederzugeben. Solche sprachlichen Divergenzen werden in den Texten nicht nur als rein linguistische Unterschiede aufgefasst, sondern ebenso als Folgen von diversen kulturhistorischen Erfahrungen. Durch ihre Kenntnis von zwei oder einigen Sprachen und durch die Erfahrungen mit unterschiedlichen Ländern gelangen die Figuren zu einer Art von der Li-minarität des Bewusstseins, die Grenzen der Sprachen und der damit verbundenen Realitätsbilder untersucht, diese beziehen sich auf eine historische Periode von einem konkreten Land. Bezeichnenderweise haben Figuren der Werke einen Beruf, der mit Sprachen zusammenhängt: Mascha Kogan ist Dolmetscherin, Erzählerinnen von Petrowskaja und Kaminer sind Schriftstellerinnen. Die Liminarität des Subjekts wird in diesen Fällen zu einem Vorteil, sie enthebt es der Eindeutigkeit der kollektiven identität, denn sie erlaubt unterschiedliche Arten von kollektiven Erfahrungen und sie vermittelnde Sprachmittel gegeneinander abzuwägen und zu vergleichen.
Zum Schluss lässt sich sagen, dass im Zentrum der prosaischen Texte von Petrowskaja, Gorelik, Vertlib, Kaminer und Grjasnowa ein Subjekt steht, das auf ein ausschließliches und endgültiges Bekennen zu einer Gemeinschaft verzichtet, das keine eindeutige kollektive identität hat. Das Phänomen der kollektiven identität wird meistens konstruktivistisch aufgefasst, d. h. es stellt ein politisches bzw. ein kulturelles Konstrukt dar. Die Erzählerinnen treten gegen die ihnen aufgezwungene kollektive identität auf, indem sie auf der individualität und Autonomie des Subjekts bestehen. Zugleich fühlen sich jedoch die Figuren der konkreten kulturhistorischen Erfahrungen ihres Herkunftslandes sowie des Emigrationslandes teilhaftig. Meistens essentialisieren die Protagonistinnen diese Erfahrungen nicht. Die Sprachkompetenzen der Protagonistinnen und ihre Sozialisation in unterschiedlichen Ländern führen zur Liminarität ihres Bewusstseins, die Grenzen der Rede und Grenzen der kulturhistorischen Realität erforschen lässt.
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Данные об авторе
Елисеева Александра Владимировна - кандидат филологических наук, доцент, доцент кафедры теоретической и прикладной лингвистики, Балтийский государственный технический университет «Военмех» имени Д. Ф. Устинова (Санкт-Петербург).
Адрес: 190005, Россия, Санкт-Петербург, ул. 1-я Красноармейская, 1.
E-mail: [email protected].
Author's information
Eliseeva Aleksandra Vladimirovna - Candidate of Philology, Associate Professor, Associate Professor of the Department of Theoretical and Applied Linguistics, Baltic State Technical University "Voen-mech" named after D.F. Ustinov (Saint Petersburg).