Вестн. Моск. ун-та. Сер. 19. Лингвистика и межкультурная коммуникация. 2017. № 2
Tat'yana P. Smirnova
DIALOG MIT DER (SPRACH)HEIMAT ALS PRODUKTIVES
SCHÖPFERISCHES POTENTIAL FREMDSPACHIGER
AUTORTNNEN (K. §urdum, V. Vertlib)
Linguistics University of Nizhny Novgorod 31a, Minin st., Nizhny Novgorod, 603155
The article focuses on the role of native language in the writings of migrant authors who write in German. The original constructions emerging in the process of interaction of different linguacultures sustain the presence of native languages in literary works of migrant authors. We can speak about transcultural communication at the level of invariant concepts realized through variants — particular language and speech forms established in the process of transnationalization. A literary illustration of this hypothesis is provided by the works of such migrant authors as K. Surdum and V. Vertlib, for whom German is not their native language. The transcultural dynamics in the works of these authors is examined via the mental (implicit) and linguistic (explicit) dialogues with writers' parent cultures. In Vertlib's books this process is linked to the reflection on languages and their topographies («hybrid concepts»). In the lyrics by Surdum, the image of Motherland is topical and is often present as an implication. Both «models» create a sound emotional and empirical foundation for the entry of migrant authors into the space of modern transcultural German literature.
Key words: transcultural German literature; literary field; mental and linguistic dialogues with parent culture; invariant concepts; hybrid concepts; latent bilingualism; K. Surdum; V. Vertlib.
1. Einleitung
Die deutschsprachige Literatur der Migration (in historisch, sozial, individuell bedingter Terminologie auch als „Gastarbeiterliteratur", „Ausländerliteratur", „Migrationsliteratur", „Chamisso-Literatur" [Bürger—Koftis, Schweiger, Vlasta, 2010: 14], „Migrant/Innenliteratur", „Exilliteratur", die Literatur der „Eingesprachten" (Trojanow) [ibid.: 11], die „interkulturelle Literatur", die „transkulturelle deutschsprachige Literatur" bekannt) ist heutzutage ein aktuelles Thema der Auslands — und Inlandsgermanistik. Davon zeugt auch das Forschungsprojekt „Polyphonie — Mehrsprachig-keit_Kreativität_Schreiben", das in Österreich (Wien) unter Beteiligung der Universitäten Wien, Bergamo, Catania, Genua, Padua, sowie des Bundesmi-
Tat'yana P. Smirnova — Ph. D. in Philology, Associate Professor at the Department of Theory and Practice of German Language Linguistics University of Nizhny Novgorod (tp_ [email protected]).
nisteriums für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich geschaffen wurde1.
Die neuesten Untersuchungen stützen sich auf die Analyse des literarischen Feldes des französischen Soziologen Pierre Bourdieu und gehen davon aus, dass 1. das literarische Feld „autonom und heteronom" zugleich ist; 2. Die Autorinnen „die primären Akteure des Feldes" sind; 3. Die Entwicklung der Literatur der Migration „ein Prozess der Pluralisierung von Autorschaftsrollen und ästhetischen Entwürfen" ist und weiterhin „als Projektionsfeld gesellschaftlicher Entwürfe, insbesondere für das Ziel einer multikulturellen Gesellschaft in ihren verschiedenen Variationen" dient2.
Bourdieus Prinzipien folgen die Initiatoren des Projektes Literature on the Move der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und gehen davon aus, dass „sich das österreichische literarische Feld in einem Prozess der Transnationalisierung" befindet. "Die neuen Bedingungen" ermöglichen „den Durchbruch von immigrierten Autorinnen, die die Transnationalisierung des literarischen Feldes inhaltlich und stilistisch vorantreiben"3. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf detaillierter „inhaltlicher und stilistischer" „Textanalyse" zugewanderter Autorinnen (einschließlich K. §urdum und V. Vertlib)4, was sich im Mittepunkt dieses Beitrages befindet und die Nische praktischer Untersuchungen ergänzen kann.
Der Dialog (die Dialogizität) wird laut Bachtin als Schlüsselkathegorie der interkulturellen Kommunikation verstanden, die die Welt als Ganzes, als eine Einheit sieht. Der Dialog bedeutet eine Konfrontation zwischen „Ich" und dem „Anderen", dem „Adressaten"; ist ein Prozess, kein Resultat, sondern eine dauernde, ununterbrochene Entwicklung, ein Werdegang5.
Die kreativen künstlichen „Konstruktionen", die im Prozess der Auseinandersetzung mit Sprachen entstehen, können die Erstsprache (Muttersprache) bei fremdsprachigen Autorinnen nie völlig verdrängen und ersetzen. Laut Baumann können „bei einer Vernachlässigung oder Verdrängung der Erstsprache soziopsychologische, emotionale und kulturell bedingte Problematiken" auftreten [Baumann, 2010: 230]. Amodeo weist in diesem Zusammenhang auf eine „latente Zweisprachigkeit" hin, verwendet die Begriffe der „latenten Dialogizität", der „evidenten Dialogizität" [Cornejo, 2010: 351] und unterstreicht, dass die „latente Zweisprachigkeit" als „eine Bereicherung
1 Polyphonie — Mehrsprachigkeit_Kreativität_Schreiben. Available at: URL: http:// www. polyphonie.at/index.php?op=page&page=l (accessed: 14.12.2016).
2 Schmitz W. Gibt es eine Literatur der Migration? // TU Dresden. 2013. Available at: URL: https://tu-dresden.de/gsw/slk/mez/ressourcen/dateien/dateien/Projekte/presentation_ migration.pdf?lang=en (accessed: 14.12.2016).
3 LITERATURE on the Move. Available at: URL: http://www.litmove.oeaw.ac.at/index.php (accessed: 14.12.2016).
4 Ibidem.
5 Зинченко В.Г., Зусман В.Г., Кирнозе З.И., Рябов Г.П. Словарь по межкультурной коммуникации. Понятия и персоналии. М.: Флинта; Наука, 2010. С. 24.
des Ausdrucksrepertoires" [ibid.: 349] im Schreiben fremdsprachiger Autorinnen betrachtet werden kann.
Für das literarische Schreiben V. Vertlibs und K. §urdums als Vertreter der österreichischen Literatur der Migration sind diese Merkmale konstitu-tiv. V. Vertlib bezeichnet solche „Doppelperspektiven" als „Mehrwert an Erkenntnis", der einem zugewanderten Autor einen breiteren Blickwinkel ermöglichen kann [Smirnova/Susmann, 2010: 408]. Bei K. Surdum erfolgt diese Dialogizität mit der Kultur seines Heimatlandes auf der Ebene der thematischen Reflexion in seiner Lyrik, wo die türkischen Bilder „latent" präsent sind.
Zur Unterstützung dieser Thesen werden im Beitrag drei Gedichte K. §urdums: „Galata-Brücke"; „Meine Frau sagt mir, kehren wir zurück"; „Ich will nicht, dass Mutter mich weckt" herangezogen. Das Gedicht „Ga-lata-Brücke" ist dem Gedichtband K. §urdums „Kein Tag geht spurlos vorbei" (2002) entnommen, zwei andere Gedichte sind unter entsprechend http://www.yumpu.com/de/document/view/10656269/download-forum-musliminnen-in-tirol/27 und http://www.vorarlberg.orf.at/news/stories/2769960 verfügbar. Das literarische Schreiben V. Vertlibs vertreten seine Dresdner Poetikvorlesungen „Spiegel im fremden Wort", die Vladimir Vertlib 2006 im Rahmen der 5. Dresdner Chamisso-Poetikdozentur gehalten hat6. Beide Autoren sind deutschsprachige Schriftsteller, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
2. Untersuchungsmaterial und Methode
Die Präsenz von mindestens zwei Sprachen in schöpferischen Biographien sowie im literarischen Kontext fremdsprachiger Autorinnen macht die besondere Eignung der Komparatistik für eine Beschäftigung mit Migrationsliteratur deutlich.
Viele zugewanderte Autorinnen erleben die Ästhetik der „vergleichenden Analyse" des Fremden und Eigenen im Leben und literarischen Schreiben, indem sie sich auf die Suche nach einer neuen, besseren Welt machen. Enttäuscht, „entwurzelt" und „umgetopft" (Julya Rabinowich)7 suchen sie nach einem neuen Domizil, ihrer unbekannten Heimat, und finden sie letztendlich im literarischen Schreiben, in der „schriftstellerischen Heimat" [Smir-nova, Susmann, 2010: 407], wie es bei V. Vertlib heißt.
Der Dialog mit der (Sprach)Heimat kann nicht nur in den expliziten sprachlichen Formen betrachtet werden (obwohl Schreiben auch als eine Art kognitiver „Umschaltung", als Phänomen des sogenannten „code-swit-
6 Vertlib V. Spiegel im fremden Wort. Dresden, 2008. In der Folge wird aus diesem Werk mit SFW und einfacher Seitenanzahl zitiert.
7 Sievers W. Literatur und Migration: entwurzelt und umgetopft. ÖAW, 2016. Available at: URL: http://www.oeaw.ac.at/oesterreichische-akademie-der-wissenschaften/die-oeaw/article/ entwurzelt-und-umgetopft/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction% 5D=detail&cHash=0 (accessed: 14.12.2016).
ching" gesehen werden kann), sondern auch auf impliziter, mentaler Ebene, was im Schreiben Vfertlibs und Surdums zum Vorschein kommt.
Diese These wird im vorliegenden Beitrag aus der Perspektive der „vergleichenden Konzeptologie" als neuer Fachrichtung der Komparatistik betrachtet. „Konzepte" werden nach Stepanov als mentale Einheiten verstanden, die einen Kern, eine innere (historische) Form, und eine aktuelle Schicht besitzen. Die aktuelle Schicht beinhaltet nicht (nur) die lexikalische Bedeutung des Wortes (wörtliche, stabile, situationsunabhängige), die im Wesentlichen zum Kern gehört, sondern einen (situationsabhängigen, abhängigen von Verwendungssituation) Sinn, der vom Wort aus dem Kontext übernommen wird. Der aktuellen Schicht liegen Assoziationen, psychische Reaktionen, Erinnerungen, subjektive Vorstellungen zu Grunde, die das sprachliche Konzept im Kommunikationspartner auslösen kann. Verbale (sprachliche) Konzepte können durch diverse Schlüsselwörter, Metaphern, verbale und nonverbale Präzedenzphänomene ausgedrückt werden. Sie sind offen, nicht stabil, können geändert werden, kreieren immer neue hybride Strukturen8. Wie die „Wort-Konzepte" (oder „konzeptuelle Worte") im Diskurs der gegenwärtigen britischen Kultur in Form „struktureller" und „funktioneller" „Invarianten" von Muttersprachlern „fixiert" und verwendet werden, schreiben auch Polubitschenko und Zotova [Полубиченко, Зотова, 2013: 83]. Die transkulturelle Kommunikation kann demzufolge als gegenseitiger „Dialog" der invarianten „Sinnkonzepte" definiert werden, die durch „varia-tive" Sprach- und Redeformen im Prozess der Transnationalisierung realisiert werden.
Der Beitrag untersucht in der Folge hybride Konzepte, die für das Schreiben Vertlibs besonders charakteristisch sind. Formen der Transkultu-ralitätsdynamik in literarischen Werken K. §urdums und V. Vertlibs werden aus der Perspektive einer mentalen und sprachlichen Dialogizität mit der Herkunftskultur betrachtet.
3. Analyse
Vladimir Vertlib und Kundeyt §urdum haben beide Österreich als Zielland ihrer Migration gewählt. K. §urdum, (1937—2016), ein bislang wenig bekannter Autor, kam 1971 aus der Türkei, Istanbul, wo er deutsche Philologie und Kunstgeschichte studierte, in das westlichste und kleinste (nach Wien) Bundesland Österreichs Vorarlberg und lebte dort bis zu seinem letzten Tag im April 2016 [Смирнова, 2016: 16]. Seinen „Dialog" mit der (Sprach)Heimat realisierte K. §urdum vom Anfang an beruflich: er war als Übersetzer für u.a. die Arbeitskammer in Vorarlberg tätig [Ahamer, 2012: 76], gestaltete für den ORF eine Informationssendung für Mitbürger türkischer Muttersprache [Längle, 1993: 248]. Über den dichterischen Stil K. §urdums „mit kraftvollen Bildern und dem Ausdruck einer stillen Trauer,
8 Зинченко В.Г., Зусман В.Г., Кирнозе З.И., Рябов Г.П. Указ. точ. С. 50—56.
einer immer nur angedeuteten Sehnsucht", hatte bereits in den 1970-er Jahren E. Jandl geschrieben. Längle betont, dass viele seiner Gedichte „einfach von existentiellen Themen wie Liebe, Krieg, Trauer, Trennung oder Verfolgung" handeln und charakterisiert K. §urdum als einen „Dichter in der grundlegendsten Bedeutung des Wortes", der „die Welt poetisch verwandelt" [ibid.].
im Unterschied zu K. Surdum, der sein Zielland „einmal und für immer" gewählt hatte, bedeutete dieser Weg und diese schwierige Wahl für V. Vertlib (1966), der 1971 im Kinderalter aus der ehemaligen Sowjetunion mit den Eltern emigrierte, eine lange „Odyssee" mit vielen Strapazen und „Zwischenstationen" (so heißt auch der Roman V. Vertlibs (1999)).
im Kontext seiner realen, non-fiktiven Biographie beginnt Vertlib sehr früh mit solchen Begriffen zu konfrontieren, wie „Krieg", „Vertreibung", „Grenze", „Zuwanderer".
Der Prozess der „Anpassung" des Zuwanderers an die Kultur des Ziellandes ist schwierig, dauernd, oft kein „Zusammen"—sondern ein „Aufeinandertreffen". Der zugewanderte Autor oder die zugewanderte Autorin agiert in konfrontierenden literarischen Feldern fremder Kulturen, mentaler und sprachlicher Normen, die oft beiderseitige Probleme auf verschiedenen Ebenen verursachen. Um die möglichen „kommunikativen Misserfolge" [KpacHbix, 2002: 163] zu vermeiden, sollen die konfrontierenden Kulturen richtig identifiziert, verglichen und zugeordnet werden. Wie dieser Prozess bei V. Vertlib funktioniert, wird anhand der Poetikvorlesungen V. Vertlibs veranschaulicht.
3.1. Dialog mit der (Sprach)Heimat in sprachlicher „Odyssee"
Vladimir Vertlibs
in den essayistischen Texten seiner Poetikvorlesungen reflektiert V. Vert-lib über den Prozess des Sprachenlernens, der nicht nur auf die Sprache beschränkt ist.
Die Aneignung der neuen mentalen und sprachlichen Konzepte erfolgt im Prozess der „Anpassung" des Zuwanderers an die „fremde" Kultur des Ziellandes9. im Laufe dieses langwierigen Prozesses wird der „zugewanderte Autor", so Vertlib, „[...] nie ganz die Perspektive eines Einheimischen übernehmen können" (SFW, 39). Der Grund für die Nichtübereinstimmung der „eigenen" und „fremden" kulturellen Tradition liegt im „von Generation zu Generation tradierten kulturellen und historischen Ballast", den der „zugewanderte Autor" unbedingt in die für ihn fremden mentalen und sprachlichen Normen hinüberträgt (SFW, 39). Andererseits wird auch der „einheimische Autor", wie Vertlib schreibt, „den Zuwanderer (im idealfall) zwar gut verstehen, sich aber nie zur Gänze in ihn hineinfühlen können" (SFW, 39). Deswegen führt dieser Vorgang nicht zu der vollen Berührung zwischen zwei
9 TaM xe. P. 10.
verschiedenen nationalen kulturellen Traditionen „im Punkt, der gleich zwei einander ähnelnden Daseinsformen zugehörig ist". Aber, wie Vertlib unterstreicht, dieser „Mehrwert an Erkenntnis" kann für den „zugewanderten Autor" ein „Gewinn" sein, wenn er „durch ihn die Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit der Welt" [...] genauer erkennen kann" (SFW, 39) [Smir-nova, Susmann, 2010: 408].
Im täglichen Leben teilt der Zuwanderer assoziativ die Teile des für ihn unbekannten Landes in „eigene" und „fremde" ein, wobei er in „eigenen" und ihm innerlich nahen Territorien sein Denkverfahren unwillkürlich aufs „heimatliche" umschaltet. Das Bedürfnis des Immigranten, dabei in seiner Muttersprache zu denken, kann nur als Beweis gesehen werden, dass ihm die Erst(Mutter)sprache bestimmte Assoziationen (Zusammenhänge) eröffnet, und die virtuelle Rückkehr in seine sprachlich geprägten Heimatorte, wo er sich „wie zu Hause" fühlen kann, möglich macht. So beschreibt V. Vertlib im Essay „Ich und die Eingeborenen" (1999) die Gegend im 20. Wiener Gemeindebezirk, die „sogenannte Brigittenau" (SFW, 104), wo er seine Kindheit verbracht hat. Er erwähnt, dass die Freunde seiner Volksschulzeit „allesamt russisch—jüdische Einwanderer" wie er waren, und wenn er später manchmal in diese Gegend kam, wechselte er „automatisch die Sprache", begann Russisch zu denken, erinnerte sich „an die russischen Kinderbücher", die er gelesen hatte (SFW, 105). Damit vergaß er, dass er in Österreich war, und konnte sich kaum vorstellen, „dass es auch gebürtige Wiener geben kann, „Eingeborene", die diese Gegend bewohnen. [...]" (SFW, 105). Mit der Zeit gelang es Vertlib „den langen Weg" zu seiner neuen Sprache zu machen (SFW, 52) [ibid.: 408-409].
Im Unterschied zu V. Vertlib, der in seinen Texten über die unterschiedlichen Beziehungen zu den verschiedenen Sprachen und mit ihnen verbundenen Topographien reflektiert, werden im K. §urdums literarischen Schreiben Einblicke in seine Kultur gegeben. Die Muttersprache als „Mittler" und „Instrument" im Prozess der Annäherung konfrontierender Kulturen erfüllt im Schreiben K. §urdums noch eine Funktion: der Trägerin von retrospektiver Erinnerung und Identität [Vlasta, 2010: 439], was anhand seiner Lyrik veranschaulicht werden kann.
3.2. Dialog mit der (Sprach)Heimat in lyrischen
Studien Kundeyt $urdums
Beim Zusammentreffen mehrerer Kulturen beeinflussen sie sich gegenseitig und voneinander. Mit seiner Lyrik „lädt" K. §urdum die LeserInnen ein, die Kultur seines Heimatlandes zu verspüren, sich auf die Erfahrung der kulturellen Vielfalt einzulassen.
In vielen Gedichten thematisiert K. §urdum schon in den Titeln auch Reflexionen über die Heimat: „Salacak", „Nicht das Meer suchend", „Der gerechte Tag in Tatvan", „Das Meer lässt Spalten zurück" („Unter einem geliehenen Himmel") und andere.
Der Dialog mit der Kultur seines Heimatlandes erfolgt auf der Ebene der thematischen Reflexion auch dann, wenn die „türkischen Bilder" „latent" präsent sind. im Gedicht „ich will nicht, dass Mutter mich weckt" bestimmt nur ein einziges Wort „Pflaumenbaum" die ganze Erzählperspektive: (1)
[...]
ich will nicht, dass Mutter mich ruft, wenn ich spiele unterm Pflaumenbaum. ich weiß wohl, wenn ich aufhöre zu spielen,
Werde ich nach Deutschland fahren. Deutschland, Deutschland — Wiegenlied, Deutschland, Deutschland — Tränenlied.
Eine Konstante in seiner Lyrik bleibt die Auseinandersetzung mit dem Thema Migration, wo der „Dramatismus des emotionalen Lebens" [3a-ipa3KHHa, 2012: 15] besonders spürbar ist. Mit dem Gedicht „Meine Frau sagt mir. " werden den Leserinnen Einblicke in das bittere Leben vieler Migrantinnen gegeben: (2)
Meine Frau sagt mir Kehren wir zurück Du hast Sehnsucht nach deiner Kindheit ich denke an meinen Sohn und möchte nicht dass er Sehnsucht hat nach seiner Kindheit Und sage: diesen Winter bleiben wir noch.
Die Gedichte K. §urdums sind ein bevorzugtes Medium zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen oder politischen Konflikten in der Heimat. Mit den kraftvollen Bildern des Gedichtes „Galata-Brücke" werden den Leserinnen Einblicke in ein anscheinend unlösbares Dilemma seiner Heimat gegeben: (3)
Auf der Galata-Brücke schlägt die Sonne die Eile. Unten, an der Anlegestelle, wo die Fischer sind, ist Stille. Weißt du, was Schweigen ist —
Wo man schreien sollte. [...]
ich schaue ins Wasser und sehe den Selbstmord einer Rasse.
Im literarischen Schreiben K. §urdums und V. Vertlibs werden die Formen ihrer individuellen Transkulturalitätsdynamik auf einen mentalen und sprachlichen Dialog mit dem Herkunftsort, ihrer Herkunftskultur bezogen. Implizite (Vertlib) und explizite (§urdum) „Modelle" bereichern die gewählte Literatursprache (Deutsch) zugewanderter Autoren inhaltlich und stilistisch; sind „produktiv" beim Eintritt in das Feld der transkulturellen deutschsprachigen Literatur.
4. Schluss
Formen und Ebenen der Transkulturalitätsdynamik der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur der Migration unterscheiden sich von einander, sind individuell und oft auf die Herkunftskultur sowie die Erstsprache (Muttersprache) der zugewanderten AutorInnen bezogen.
Der Dialog mit der (Sprach)Heimat erfolgt im literarischen Schreiben mehrsprachiger Autorinnen unterschiedlicher Herkunft (K. §urdum, V. Vrtlib) explizit (in sprachlicher Form) und implizit (auf der mentalen Ebene (hybride Konzepte)).
Beide „Modelle" schaffen inhaltlich und stilistisch „produktive" Perspektiven für die gewählte Literatursprache (Deutsch) zugewanderter Autorinnen, sind für die Leserinnen interessant. Die originellen, kreativen Formen des Umgangs mit (Fremd)Sprachen ermöglichen den fremdsprachigen Literaten eine größere emotionale und empirische Assoziationsbreite in der gegenwärtigen Transkulturalitätsdynamik.
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Т.П. Смирнова
ДИАЛОГ С РОДНОЙ КУЛЬТУРОЙ КАК ОСНОВА ТВОРЧЕСКОГО ПОТЕНЦИАЛА СОВРЕМЕННЫХ НЕМЕЦКОЯЗЫЧНЫХ ПИСАТЕЛЕЙ-МИГРАНТОВ (К. Сурдум, В. Вертлиб)
Федеральное государственное бюджетное образовательное учреждение высшего образования «Нижегородский государственный университет имени Н.А. Добролюбова» 603155 Россия, Нижний Новгород, ул. Минина, 31А
Статья посвящена роли первого (родного) языка в творчестве современных немецкоязычных писателей-мигрантов. Оригинальные авторские «конструкции», возникающие в процессе взаимовлияний языков и культур, сохраняют присутствие первого (родного) языка в литературных произведениях писателей-мигрантов. Речь, таким образом, идет о транскультурной коммуникации на уровне инвариантных смысловых концептов, реализуемых через «вариантные», меняющиеся, конкретные (языковые и речевые) формы, устанавливаемые в процессе транснационализации. Литературной иллюстрацией данного тезиса служат произведения немецкоязычных писателей-мигрантов К. Сурдума и В. Вертлиба, для которых немецкий язык не является родным. Формы транскультурной динамики в творчестве В. Вертлиба и К. Сурдума
рассматриваются с точки зрения ментальной (имплицитной) и языковой (эксплицитной) диалогичности с родной культурой указанных литераторов. В творчестве В. Вертлиба этот процесс связан с рефлексиями о языках и относящихся к ним топографиях («гибридные концепты»); в литературных произведениях К. Сурдума облик Родины тематизирован в лирике и зачастую присутствует скрыто, «латентно». Обе «модели» создают прочную эмоциональную и эмпирическую основу при вхождении иноязычных авторов в поле современной транскультурной немецкоязычной литературы.
Ключевые слова: транскультурная немецкоязычная литература; литературное поле; ментальная (имплицитная) и языковая (эксплицитная) диалогич-ность с родной культурой; инвариантные смысловые концепты; «гибридные концепты», «латентное двуязычие»; К. Сурдум; В. Вертлиб.
Сведения об авторе: Смирнова Татьяна Петровна — кандидат филологических наук, доцент кафедры теории и практики немецкого языка Нижегородского государственного лингвистического университета им. Н.А. Добролюбова (e-mail: [email protected]).
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