HORIZON 11 (1) 2022 : III. Discussions : P. Trawny : 441-454
ФЕНОМЕНОЛОГИЧЕСКИЕ ИССЛЕДОВАНИЯ • STUDIES IN PHENOMENOLOGY • STUDIEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE • ÉTUDES PHÉNOMÉNOLOGIQUES
https://doi.org/10.21638/2226-5260-2022-11-441-454
KRIEGESURSACHEN PETER TRAWNY
DSc in Philosophy, Professor.
University of Wuppertal, Seminar for Philosophy.
42219 Wuppertal, Germany.
E-mail: [email protected]
CAUSES OF WAR
Since the beginning of its history philosophy deals with the question for the meaning of war. This question, however, was always understood as the question for the causes of war: Why is there war? Where does it come from? The article presupposes that only this question and the attempts to respond to it can shed light onto the interpretation of the historical reality of war, which is finally the only reason to reflect on its causation. The article refers to a set of notions and texts, which belong to a discourse on war unfolding through the centuries of European thinking. These notions are: contradictions (Heraclitus), body (Plato), justice (nature) (Cicero), nature (Hobbes), right (Hegel), politics (Clausewitz), and morals (C. Schmitt). Even if this sequence is only one possible sequence of the philosophical reflection on warfare, I consider it to be one of greater importance. We see, how a plurality of causes creates a context, in which we could try to analyze actual events: For it is evident that no war has only one reason. And the article has finally one other intention, namely to show that probably every possible sequence of causes of war will have the same consequence. This con-sequence will be the final destruction of the world, the coming of the ash.
Keywords: war, polemos, soma, bellum iustum, bellum omnium in omnes, freedom, absolute war, absolute hostility.
ПРИЧИНЫ ВОЙНЫ ПЕТЕР ТРАВНИ
Доктор философских наук, профессор. Бергский университет Вупперталя, философский семинар. 42219 Вупперталь, Германия. E-mail: [email protected]
С самого начала свой истории философия имеет дело с вопросом о смысле войны. Вместе с тем, вопрос этот всегда понимался как вопрос о причинах войны. Почему существует война? Каково ее происхождение? В настоящей статье сделано предположение, что только этот вопрос и по© PETER TRAWNY, 2022
пытки ответить на него способны пролить свет на интерпретацию исторической реальности войны, которая, в конечном итоге, является собой только поводом для осмысления вызвавших ее причин. В статье дана отсылка к ряду понятий и текстов, принадлежащих дискурсу о войне, разворачивающемуся на протяжении столетий истории европейского мышления. К этим понятиям относятся: противоречия (Гераклит), тело (Платон), справедливость (природа) (Цицерон), природа (Гоббс), право (Гегель), политика (Клаузевиц) и мораль (К. Шимтт). И даже если эта последовательность является только одной из возможных последовательностей осмысления военных действий, я считаю ее одной из наиболее значимых. Мы видим, как множественность причин создает контекст, в котором мы могли бы попытаться проанализировать актуальные события. Ведь очевидно, что никакая война не имеет только одной причины. Наконец, статья имеет еще одну интенцию, а именно интенцию показать, что, вероятно, любая возможная последовательность причин войны будет иметь одно и то же последствие. Этим по-следствием будет финальное разрушение мира, испепеление.
Ключевые слова: война, polemos, söma, bellum iustum, bellum omnium in omnes, свобода, абсолютная война, абсолютная враждебность.
Offensichtlich der Krieg ist spätestens seit dem Homerischen Epos der Ilias ein zentrales Moment der voreuropäischen und europäischen Welt. Ein zentrales Moment, nicht nur unter allen marginalen Momenten das zentrale, sondern als Moment tatsächlich ein Zentrum, Moment dann auch als Augenblick, Ereignis, als etwas, das plötzlich geschieht, unvorhersehbar, unabsehbar. Dennoch kann der Krieg nicht aus dem Nichts entstehen; nach allem, was wir wissen, ist der Krieg unvorhersehbar, doch erwartbar — wie sehr schlechtes Wetter. Daher sind Philosophen von Anfang an konfrontiert mit der Frage: Was sind die Ursachen für Krieg?
Aber die Philosophen stellen die Frage nicht insofern, als sie sich für die historischen Anlässe der militärischen Unternehmen interessieren. Nicht dass diese Anlässe unwichtig wären, jeder Krieg hat konkrete Anlässe. Doch der Krieg, der sich durch die Jahrtausende bis in die Gegenwart hinein immer wieder ereignet, geht über jede historische Singularität hinaus. Es muss daher eine Ätiologie geben, die das einzelne Ereignis erinnert, ohne doch sich in ihm verlieren zu müssen, in ihm verloren zu gehen.
Darüber hinaus wissen die Philosophen und Philosophinnen, dass die Wirklichkeit des Krieges immer etwas ganz Anderes ist als die Reflexion auf seine Möglichkeit. Es gibt eine Verantwortung für dieses Wissen, die auch eine Haltung bedeutet. Man könnte diese Haltung als Ernst bezeichnen. Das kann jedoch nicht besagen, dass die Wirklichkeit des Krieges das Nachdenken über ihre Ursachen verbietet und so verhindert. Die Philosophie muss darauf bestehen, dass es offenbar Ursachen für den Krieg gibt, die immer wieder, immer noch dafür sorgen, dass er — ausbricht.
Was folgt, ist ein notwendig unvollständiger philosophischer Katalog von Kriegsursachen, der von gewissen Aspekten und Kritierien unserer Geschichte struk-
tariert wird. Zudem könnte man zu dem Schluss kommen, dass der Krieg tiefer ins Menschliche hineinreicht, als uns lieb ist. In dieser Hinsicht wäre der Krieg dann selber eine Ur-sache. Auch davon sprechen die folgenden Überlegungen.
1. GEGENSÄTZE
Die Geschichte des Kriegs, so weit er das Denken beschäftigt, beginnt mit dem immer noch beunruhigenden Spruch: ПоХецос; navwv |isv nar^p eati, navwv Ss ßaaiXsu;, Kai той; ^sv бгой; sSsi^s той; Ss dvBp^nouc, той; ^sv SouÄou; enro^as той; Ss eXsuBspou; (Diels & Kranz, 1992, 22, B 53). Krieg ist von Allem einerseits der Vater, von Allem andererseits der König, und zwar erweist er die einen als Götter, die anderen als Menschen, die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien. Man kann das Fragment als eine „Metapher für die Vorherrschaft der Veränderung in der Welt" (Kirk & Raven, 1957, 212) verstehen. Doch kannte Heraklit schon Metaphern? Und selbst wenn, warum sollte man ihn nicht zunächst wörtlich nehmen?
ПоХгцо; ist ein Verhältnis. Andere Verhältnisse, die Heraklit interessieren, sind die dp^via (Diels & Kranz, 1992, B 9, 51, 54), der Хоуо; (Diels & Kranz, 1992, B 50) oder SiKn und spi;. Von denen heißt es in einem Fragment, das ebenso den лоХгцо; anspricht: E'iSsvai Ss ХРЛ ^v nö^s^v ¿övтa ^шоч Kai SiKnv spiv, Kai yivö^sva лdvтa тт' spiv Kai xpsw^sva (Diels & Kranz, 1992, B 80). Zu wissen aber ist nötig, dass der Krieg das Seiende zusammenführt, und Recht ist Streit, und Alles entsteht durch Streit und Notwendigkeit. Es geht demnach um Verhältnisse und darum, inwiefern diese Verhältnisse bei der Entstehung von Allem (лdvта), d.h. des Seienden (¿övтa), vorauszusetzen sind.
Für das Verhältnis steht nicht nur der лбХгцо;, sondern als seine unmittelbaren Repräsentanten der Vater (na^p) und der König (ßaaiXsu;). Diese wiederum entfalten die Gegensätze Götter/Menschen, und Freie/Sklaven. Götter und Menschen entstehen in der griechischen Mythologie aus Beziehungen von Göttern mit Göttern oder Göttern mit Menschen oder Menschen mit Menschen. In dieser Hinsicht ist der Krieg vermittels des Vaters Ursache des hybriden Gegensatzes Gott/Mensch. Der Krieg ist vermittels des Königs wiederum die Quelle des Gegensatzes von Freien und Sklaven.
Verhältnis ist aber nicht das Gegensatzpaar, sondern das, was sich zwischen den Gliedern jedes Paares befindet. Die Ursache ist das Eine, aus dem die Zwei des Gegensatzes entspringt. Der Krieg (als Vater und König), das Recht oder der Streit sind Quellen für die Entstehung von Gegensätzen. Der Krieg ist die Ursache für Gegensätze Gott/Mensch, Freier/Sklave. Doch wenn der Krieg Ursache von Gegensätzen ist, was ist dann die Ursache für den Krieg?
Der Satz: Krieg ist die Quelle von Gegensätzen, lässt sich umdrehen: Wo Gegensätze, da Krieg; nicht nur die Entstehung von Gegensätzen, sondern auch ihre Erhaltung erfordern Krieg. Der Krieg kann kein bloßes Ereignis sein, wenn er Vater und König ist. Vater und König sind bleibende Garanten einer spezifischen Ordnung von Gegensätzen, in der die einen Götter, die anderen Menschen, die einen Sklaven, die anderen Freie sind. Das bedeutet eben auch, dass dort, wo sich Götter zu Menschen, Sklaven zu Freien verhalten, der Vater und König dieser Verhältnisse der Krieg ist. Dasselbe gilt für die Verhältnisse von Recht und Streit, sie entscheiden nicht nur Gegensätzliches, sie halten die Gegensätze ebenso in Spannung.
Was Heraklit zur Sprache bringt, ist nichts, was sich an den erscheinenden Gegensätzen Gott/Mensch, Freier/Sklave selbst zeigt. Er weiß, dass sich das Ganze, das sich in den Gegensätzen entfaltet, selbst jeder Erscheinung entzieht (^uaic KpuntsaBai ^iXsi (Diels & Kranz, 1992, B 123)). Daher bleibt die Spannung der Gegensätze hinter der Erscheinung ihrer Glieder selber verborgen; eine Tatsache, die für jeden Gegensatz gilt: Was Nationen jeweils in den Krieg treibt, bleibt ätiologisch unsichtbar. Lediglich Anlässe, nicht Ursachen können erscheinen. Das macht es so schwierig, über sie zu sprechen.
Eine mögliche Kriegsursache also sind Gegensätze. Sie stehen auf verborgene Weise in einer Spannung zueinander, die sich nicht erst in einem Krieg entladen muss, sondern die schon Krieg ist. Krieg ist so die Quelle einer spezifischen Ordnung. Kann so aber der Krieg noch als militärisches Ereignis verstanden werden? Nur insofern, als eine Welt, die aus Gegensätzen besteht, auch den militärischen Krieg braucht, um eine Welt von Gegensätzen zu sein. Der militärische Krieg wäre das Sichtbarwerden eines Prinzips, das verborgen ständig anwesend ist.
2. KÖRPER
Platon schreibt im Phaidon: Kai yäp noXs^ou; Kai ataasic Kai n&xa; oüösv aXAo napsxsi ^ to aw^a Kai ai toutou eniBu^iai (Plato, 1902, 66d). Denn auch Kriege und Aufstände und Schlachten verursacht nichts anderes als der Körper und seine Begierden. Wir wissen, dass der Dialog Phaidon von orphischen Gedanken beeinflusst ist, eine gewisse Feindschaft gegen den Körper ist nicht zu leugnen. Und doch muss dieser Gedanke, der Körper sei die Ursache dieser drei Formen von Gewalt, ernst genommen werden.
Denn mit dieser Auffassung des Körpers steht der ganze Idealismus auf dem Spiel. Wenn sich die Gewalt der Kriege, Aufstände und Schlachten nicht anders als durch das Getriebensein des Körpers erklären lässt, wenn die vernünftige Rede kei-
nen Zugang zu dieser Gewalt zu eröffnen vermag, dann steht der Idealismus von vornherein in einem prekären Verhältnis zum Körper. Und das nicht nur bei Platon, sondern bis in die Gegenwart hinein: Ist die Vernunft wirklich die Herrin über den Körper? Steht die Philosophie über seinen Trieben?
In Platons Spätdialog Nomoi heißt es: öti noXs^o; dsi näaiv 6iä ßiou auvsx^c eati npo; dnaaac tä; noXsi; [...] ^v yäp KaXoüaiv oi nXsiGtoi twv dvBpwnwv s'ip^v^v, toüt' sivai ^ovov övo^a, tw 6' spyw naaai; npo; ndaa; tä; noXsi; dsi noXs^ov dK^puKtov Katä ^uaiv sivai (Plato, 1902, 625e-626a). Dass es immer einen durch das ganze Leben gehenden Krieg aller Poleis gegen alle gebe. [...] Denn was die meisten Menschen Frieden nennen, das ist nur ein Wort, in Wirklichkeit aber sind alle Poleis gegen alle von Natur in einem unerbittlichen Krieg. Der Krieg existiert von Natur. ^uaic ist für Platon in den Nomoi ein Ausdruck der die Welt belebenden tyux^-
Das aber führt ein Problem ein. Der zum Krieg getriebene Körper ist notwendig ein beseelter. Im Tod trennt sich die Seele vom Körper und wird frei. Das Getriebensein des Körpers ist demnach ohne jene ^uai; nicht zu erklären. Das bedeutet, dass kein (lebender) Körper nur Körper sein kann. Im Gegenteil: die Begierden, die den Körper bewohnen, sind für Platon psychisch, d.h. nicht-körperlich, zu verstehen. Gibt es demnach etwa doch eine idealistische Ursache des Krieges? Ist die Seele Kriegsursache?
Nein und ja, Begierden sind für Platon immer psychische, ein bloßer Körper wie ein Tisch ist nicht kriegerisch. Und doch braucht die Seele gleichsam den Körper, um ihre Begierden zu realisieren. Der Körper ist ihr Instrument, im Krieg die erste Waffe. Der Körper ist demnach zwar nicht zureichende, doch notwendige Ursache für den Krieg. Und wenn die Vernunft nicht in der Lage ist, diesen durch die ganze Geschichte der Städte hindurchgehenden Krieg zu verhindern? Wäre dann nicht wirklich der Körper eine Macht, die schließlich diszipliniert werden muss? Hier setzen Platons Überlegungen zur Pädagogik in der Politeia an. Das Gemeinwesen muss den Körper zähmen und ihn in Zeiten des Friedens auf den unvermeidbaren Krieg vorbereiten.
3. GERECHTIGKEIT
Im ersten Buch von Ciceros De officiis spricht der Römer vom bellum iustum, dem gerechten Krieg. In re publica maxime, d.h. in einer römisch verstandenen Außenpolitik der erweiterten Republik, müsse man das ius belli einhalten. Es gibt zwei Arten, eine Entscheidung über die Grenzen der Republik hinaus herbeizuführen. Die erste sei die der Verhandlung, die zweite die der Gewalt. Weil nur die erste eine
menschliche sei (proprium hominis), die zweite aber tierisch (proprium beluarum, belua = Ungeheuer, Untier wie ein Elefant), dürfe man Gewalt erst einsetzen, wenn die Verhandlungen gescheitert seien. Der Krieg als vis, als Kraft und Gewalt, wird also den Tieren bzw. sogar außergewöhnlichen Tieren zugesprochen. Das ist in der Tradition des Naturrechts, des ius naturale oder naturae gedacht. Dieses Recht nämlich gilt für alle Lebewesen der Natur (lex vera ratio summa).
Die eigentliche Berechtigung zum Krieg sieht Cicero darin, dass man im Frieden ohne Unrecht leben soll; ein Friede um jeden Preis ist ausgeschlossen. Wird er irgendwie verletzt, setzt das Recht zum Krieg ein. Dieser Gedanke ist allerdings problematisch. Dass Rom in seinem Inneren angegriffen wurde, dass es ständig Aufstände niederschlagen musste, lag natürlich an seiner nie ruhenden Hegemonie. Der Krieg wurde demnach durch den Widerstand der unterworfenen Völker legitimiert. Die pax Romana brachte dann allerdings eine Befriedung, zu der jene Völker vorher und nachher nicht in der Lage waren.
In De re publica (Cicero, 1979) schreibt Cicero dementsprechend:
„Illa iniusta bella sunt quae sunt sine causa suscepta. Jene Kriege sind ungerecht, die
ohne Ursache unternommen werden" (Cicero, 1979, 3 (35)).
Die Bedeutung dieses Satzes lebt nicht nur von der Anwesenheit der von Cicero anerkannten Ursachen der Verteidigung, Vergeltung und Befriedung, sondern auch von dem Hinweis, dass jede nur ausgedachte, phantastische Kriegsursache auf einen ungerechten Krieg hinausläuft. Ein Krieg kann nur mit einer causa, was nicht nur Ursache, sondern Rechtsangelegenheit bedeutet, einem Fall also gleichsam, beginnen.
Nachdem der Sieg (victoria) errungen wurde, sollten die Feinde, die im Krieg nicht grausam waren, geschont (conservandi) werden. Cicero verweist sogar darauf, dass die Vorfahren ehemalige Feinde in civitatem, in die Bürgerschaft aufgenommen, Feinde wie die Kathager allerdings vernichtet haben. Eine solche Praxis der Befriedung und Bewahrung der Feinde reicht für Cicero aus, Kriege präventiv zu rechtfertigen. Er sei zunächst keineswegs für die Zerstörung Korinths gewesen — die seit gut 5 Jahrhunderten bestehende Stadt wurde 146 vor Christus von den Römern völlig zerstört —, die günstige Lage des Ortes hätte später aber wieder einen Krieg nötig gemacht.
Ciceros Text, der den Begriff des gerechten Kriegs zum ersten Mal maßgeblich formuliert, lautet: Ac belli quidem aequitas sanctissime fetiali populi Romani iure perscripta est. Ex quo intellegi potest nullum bellum esse iustum, nisi quod aut rebus repetitis geratur aut denuntiatum ante sit et indictum (Cicero, 1976, I 34b-36). „Und das Kriegsrecht ist jedenfalls höchst gewissenhaft durch das Fetialrecht des römischen Volkes genau beschrieben worden. Und aus diesem kann man ersehen, daß kein Krieg
gerecht ist außer dem, der entweder, nachdem Genugtuung (res repetere) gefordert worden ist, geführt wird oder vorher feierlich erklärt und angekündigt wurde". Die Fetialen waren Priester, die die römische Außenpolitik mit Ritualen gestaltet haben. Sie führten die Gespräche mit dem Feind. Wurde der Aufforderung zur Genugtuung, zur Vergeltung nicht Folge geleistet, schleuderte ein Fetiale ein Speer ins feindliche Gebiet und der Krieg galt als erklärt.
Dem Krieg muss stets eine Verhandlung vorausgehen. Zu ihr gehört implizit, dass ihr Scheitern notwendig zum Krieg führt. Auch das scheint zur causa belli, zur Kriegsursache zu gehören: Ohne vorangehende Verhandlung und einer im Falle des Scheiterns nötigen Kriegserklärung gilt ein Krieg als ungerecht und ungerechtfertigt. Cicero ist der Philosoph, der schon vor Clausewitz den Krieg als eine Fortsetzung der Politik betrachtet. In gewisser Weise entspringt er der Sprache der Vernunft, die eine Sprache des Rechts ist.
Von Cicero über Augustinus geriet der Begriff des bellum iustum in die Köpfe der christlichen Scholastiker, die mit ihm die Eroberung und Vernichtung paganer Völker legitimierten.
4. NATUR
In der philosophischen Erörterung der Kriegsursachen ist es eine der ersten Fragen, ob der Krieg gleichsam ein Phänomen der Kultur oder der Natur ist. Dem folgt die weitere Frage, ob der Mensch die Natur so weit von sich abgespalten hat, dass deren Bedingungen für ihn nicht mehr gelten. Die Antworten auf diese Frage enthalten alle Möglichkeiten: 1. der Mensch ist kein Naturwesen mehr, die Vernunft hat ihn ihr enthoben; 2. der Mensch ist sowohl ein Kultur- als auch ein Naturwesen, er steht gleichsam auf der Schwelle; 3. der Mensch ist nichts anderes als ein Tier, demnach ein besonders hoch entwickeltes Naturwesen.
Hobbes Auffassung des Naturzustands (status naturae) des Menschen dürfte unter 2. subsumiert werden können; allerdings mit gewissen Komplexionen, die eine eindeutige Hobbes-Lektüre beinahe ausschließen. Wer sich sowohl den Text De cive (Hobbes, 1994) als auch den Leviathan anschaut, wird an gewissen Unklarheiten nicht vorbeisehen können; wobei gefragt werden kann, ob diese Unklarheiten nicht zur Sache gehören. Sie betreffen vor allem die Beschreibung des Naturzustands selbst, der manchmal so erscheint, als enthielte er bereits soziale Momente.
Im ersten Kapitel von De cive „Über den Menschen außerhalb des Gesellschaftszustands (extra Societatum civilem)" wird das gesamte Spektrum einer von Natur her existierenden Veranlagung zum Krieg ausgefaltet. Was im Naturzustand primär gilt,
ist die Selbsterhaltung (conservatio vitae). Nun ist Hobbes in De cive nicht ganz deutlich, wie dieser Zustand außerhalb der Gesellschaft zu verstehen ist. Einerseits spricht er von den Körpern (corpora humani), die sich im Naturzustand zu töten streben und in diesem Streben gleich sind. Wer da der Stärkste sei, kann nur durch einen realen Kampf der Körper (pugna) entschieden werden. Andererseits gibt es einen geistigen Wettstreit (certamen ingeniorum), den wir am meisten erstreben (praeterea cum maximum).
Jedenfalls konstatiert Hobbes, dass im Kampf um die Selbsterhaltung, im Naturzustand also, alle den Willen haben müssen, zu schaden (voluntas laedendi); vorausgesetzt natürlich das, was die Selbsterhaltung unausweichlich macht, nämlich dass Güter nicht im Überfluss, sondern nur knapp vorhanden sind. Das führt zur ersten Grundlegung des natürlichen Rechts (Ius naturalis fundamentum primum), nämlich sein Leben und seine Glieder (den Körper) zu schützen. Dieses Recht besteht übrigens auch in der Gesellschaft, selbst wenn der Souverän eine Verhaftung oder Exekution anordnet. Das Recht zur Selbsterhaltung ist unverhandelbar.
Dem Recht auf Selbsterhaltung steht im Naturzustand das Recht auf alles und damit auch auf das Leben des Anderen gegenüber (jus in omnia). Das ist die Voraussetzung für das, was Hobbes das bellum omnium in omnes, den Krieg aller gegen alle nennt. Von diesem Krieg wird gesagt, er habe bestanden, bevor die Menschen sich vergesellschafteten (antequam in societatem coiretur); in der Gegenwart würde er sich bei den Amerikanern (Americanos) zeigen. Dabei ist es auch für Hobbes eine Voraussetzung des Krieges, dass er durch Worte und Taten deklariert wird. Die übrige Zeit nennen wir Frieden.
Diesen Zustand zu verlassen, sei ein Gebot der rechten Vernunft (recta ratio-nis dictamen est), kein Jus naturalis, sondern eine lex Natura. Die Gesellschaft sorgt dann im weiteren mit Institutionen (für Hobbes mit einem Vertrag (contractus)) dafür, dass Frieden herrscht. Aber wie es unmöglich ist, außerhalb der Zeit zu leben, ist es unmöglich jenseits des Gegensatzes von Krieg und Frieden zu leben. Der Naturzustand wird demnach durch den Gesellschaftsvertrag nicht wirklich beendet, sondern diszipliniert. Unterhalb der Gesellschaft bleibt der Krieg aller gegen alle präsent.
5. RECHT
In Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts taucht der Krieg im dritten Abschnitt des Kapitels über „Die Sittlichkeit" auf, im Abschnitt über den „Staat". Dort gehört er zum „inneren Staatsrecht" und erscheint unter der Überschrift „Die Souveränität gegen Außen". Der Staat ist ein Individuum, dessen „ausschließendes Für-sich-
sein" „als Verhältnis zu anderen Staaten" (Hegel, 1970a, § 322) erscheint. In dieser „Selbständigkeit" habe das „Für-sich-sein des wirklichen Geistes sein Dasein". Sie ist so „die erste Freiheit und die höchste Ehre eines Volkes".
Es ist dieses „Dasein" des Staates (bzw. des Volkes), das im Verhältnis zum Einzelnen als „absolute Macht" der „Substanz" (Hegel, 1970a, § 323) auftritt und dem Individuum seine eigentliche „Nichtigkeit zum Dasein und Bewußtsein" bringe. Gegenüber dem Staat bin ich nichts. Hier tritt die „substantielle Pflicht" der Individuen in Erscheinung, mit der „Unabhängigkeit und Souveränität des Staates" auch die „substantielle Individualität" (Hegel, 1970a, § 324) selbst zu erhalten. Diese „substantielle Individualität" gehe in der Sorge um die „bürgerliche Gesellschaft", der „Sicherung des Lebens und Eigentum"" nicht auf. Was auf dem Spiel steht, ist die „Sittlichkeit" bzw. die „Freiheit" selbst.
In ihr liege „das sittliche Moment des Krieges, der nicht als absolutes Übel und als eine bloß äußerliche Zufälligkeit zu betrachten" sei. Was er leistet, hängt mit der ohnehin gegebenen Endlichkeit der Individuen zusammen. Könnte der Krieg als eine „bloß äußerliche Zufälligkeit" betrachtet werden, so wäre gerade diese „Zufälligkeit" „notwendig"", weil sie zeigt, dass „das Endliche, Besitz und Leben, als Zufälliges gesetzt werde"". Das sei überhaupt der „Begriff des Endlichen"". Zwar könne das als eine „Gestalt der Naturgewalt" erfahren werden, „im sittlichen Wesen aber, dem Staate", wandelt sich diese Gewalt „zum Werke der Freiheit"".
Darum sei der „Krieg als der Zustand, in welchem mit der Eitelkeit der zeitlichen Güter und Dinge, die sonst eine erbauliche Redensart zu sein pflegt, Ernst gemacht" werde, „das Moment, worin die Idealität des Besonderen ihr Recht erhält und Wirklichkeit" werde. Nicht nur der Einzelne ist ein Besonderes, auch der Staat erscheint als ein Individuum, das die Opferung der Einzelnen fordern darf; und zwar deshalb fordern darf, weil nur in der „Freiheit" des Staates die „Freiheit" des Einzelnen zu denken ist. Ich bin nicht nur nichts im Verhältnis zum Staat. Er garantiert mir meine Freiheit, die eigentlich die seine ist. Daher bin ich bereit, für ihn zu kämpfen.
„Zwiste der Staaten" (Hegel, 1970a, § 326) könnten „irgendeine besondere Seite ihres Verhältnisses zum Gegenstand" haben. Dafür sei dann „der besondere, der Verteidigung des Staates gewidmete Teil" — und zwar das Heer, in dem „alle Bürger des Staates zu seiner Verteidigung" des Staates aufgerufen werden — zuständig. Doch was zunächst als „Verteidigung" beginnt, braucht nicht als eine zu enden. Wenn der Staat „alle Bürger" mobilisiert, sei das „Ganze zur Macht geworden". Diese bestehe darin, dass das Ganze, eben der Staat, „aus seinem inneren Leben in sich nach außen gerissen" werde. Damit gehe „der Verteidigungskrieg in Eroberungskrieg über"". Es hat den Anschein, als würde Clausewitz' Begriff des „absoluten Kriegs" anklingen.
Das Kapitel über die „Sittlichkeit" endet mit Ausführungen zur „Weltgeschichte". Der Krieg ist niemals nur auf Verteidigung zu restringieren, die Mobilisierung des Volkes endet nach Hegel nicht an der im Krieg verletzten Staatsgrenze. In der „Weltgeschichte" gebe es nun ein „absolutes Recht der Idee" (Hegel, 1970a, § 350), dass überhaupt Staaten existieren, dass also „Barbaren" (Hegel, 1970a, § 351) ihren ursprünglichen, nicht-staatlichen Zustand hinter sich lassen. Dieses Recht sei „das Heroenrecht zur Stiftung von Staaten" (Hegel, 1970a, § 350).
Den „zivilisierten Nationen" (Hegel, 1970a, § 351) ist damit nachgerade das Recht und auch die Pflicht übertragen, vermeintlich zurückgebliebene Gesellschaftsformen zu zivilisieren, mithin zu kolonisieren. Die „Kriege und Streitigkeiten", die zwischen Zivilisierten und Unzivilisierten entspringen, sind demnach „Kämpfe des Anerkennens in Beziehung auf einen bestimmten Gehalt", nämlich den der „Freiheit". Sie gibt jenen „Kriegen und Streitigkeiten" „eine Bedeutung für die Weltgeschichte", deren Sinn, wie wir wissen, der „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" (Hegel, 1970b, 32) ist. Alles in allem heißt das: Für Hegel ist die Kriegsursache die Freiheit, ihre Ermöglichung wie Verteidigung.
6. POLITIK
Eine „Theorie des großen Krieges" ((Clausewitz, 1980, 10) als „philosophischer Aufbau der Kriegskunst" (Clausewitz, 1980, 11) stammt von Carl von Clausewitz (Clausewitz, 1980). Clausewitz war selber Soldat und stand am Ende seines Lebens im Rang eines Generalmajors. Als er 1806 an den Napoleonischen Kriegen auf der Seite der Preußen kämpfte, war er noch Stabskapitän und Adjutant. Nach der Niederlage in der Schlacht um Jena und Auerstedt begegnete er in Berlin Napoleon I.
Nach Clausewitz sei der Krieg „ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen' (Clausewitz, 1980, 17). Gewalt ist demnach „das Mittel'', der Wille „der Zweck". Den Feind „wehrlos zu machen", sei „dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung". In der „Anwendung der Gewalt" gebe es dem Zweck entsprechend „keine Grenzen". Es geht darum, das Maß der Gewalt auf die Niederschlagung des Feinds abzustimmen. Die Art und Weise der Gewalt, die Frage, ob sie gewisse Grenzen nicht überschreitet, ist nach Clausewitz von der „Intelligenz" der kriegführenden Parteien abhängig. „Gebildete Völker" mieden die „rohen Äußerungen des Instinkts" (Clausewitz, 1980, 19).
Clausewitz rationalisiert den Krieg soweit als möglich. Dazu gehört, ihm den Charakter des plötzlichen Ereignisses zu nehmen. Der Krieg entstehe „nicht urplötzlich; seine Verbreitung ist nicht das Werk eines Augenblicks" (Clausewitz, 1980, 22). Der Zweck
des Krieges, der noch weiter zu bestimmende „Wille"", sei „kein ganz Unbekanntes; er tut sich kund für das, was er morgen sein wird, in dem, was er heute war". Das meint, der Wille sei stets beiden der kriegführenden Parteien bekannt, „jeder der beiden Gegner" könne den anderen großenteils schon aus dem beurteilen, was er ist, was er tut". In einer gewissen Hinsicht beginnt der Krieg demnach schon so vor seiner ausdrücklichen Erklärung, vor seinem konkreten Beginn, wie er sein Ende überdauern wird.
Berühmt geworden ist die Clausewitz'sche „Philosophie des Krieges" (Clausewitz, 1980, 18) durch die genauere Bestimmung des Zwecks des Kriegs. Zwar bestehe der unmittelbar darin, „den Gegner wehrlos zu machen, ihn niederzuwerfen" (Clausewitz, 1980, 25), doch wenn dieser Wille in seiner Kraft zurücktrete, „muß der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv" hervortreten. Darin klingt die berühmte Definition des Kriegs an, er sei „nichts als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln" (Clausewitz, 1980, 8). So betrachtet sei der Krieg „also durchaus nichts Selbständiges" (Clausewitz, 1980, 674). Als „politischer Zweck" für das „Mittel" des Krieges dürfte z.B. die Annexion von angrenzendem Terrain zur Expansion der eigenen Nation oder die Kolonialisierung ferner Gebiete zwecks Stärkung der nationalen Ökonomie oder beides in einem gelten.
Man fange keinen Krieg an, „oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen" wolle. Der erstere sei der „Zweck"", „das andere das Ziel" (Clausewitz, 1980, 642). Der Zweck ist politisch, der Krieg seine Realisierung. Ein Krieg um des Kriegs willen ist scheint nicht nur irrational zu sein, es handelte sich schlechthin nicht um einen Krieg. Doch so einfach ist es nicht.
Clausewitz kennt den Begriff der „absoluten Gestalt des Krieges" (Clausewitz, 1980, 645). Der Krieg vermag absolut zu werden, wenn er selbst den „Charakter der Politik annehme"". Das ist ein tückischer Gedanke. Dort gelange „die Kriegskunst auf ihren höchsten Standpunkte"", wo sie „zur Politik" werde, „aber freilich eine Politik, die statt Noten zu schreiben, Schlachten" (Clausewitz, 1980, 678) liefere. Doch wenn Politik und Krieg sich zu Einem vereinen, was ist dann noch Zweck, was seine Verwirklichung? Genügt es schon, den Krieg zu legitimieren, indem man ihn politisch proklamiert?
Das hatte Clausewitz an Napoleons Politik und Kriegführung studieren können. Napoleon war der Repräsentant einer „großen Politik" (Nietzsche), die den „großen Krieg" forderte. Dennoch würde eine bloße Identifizierung von Krieg und Politik Clausewitz' Idee, der Krieg sei eine Fortsetzung der Politik zuletzt ad absurdum führen. Vielleicht liegt in dieser Idee eine gewisse Gefahr, die im rassistisch motivierten Begriff des „totalen Kriegs" von General [sic] Ludendorff wiederkehrt. Wenn „der Krieg die höchste Äußerung völkischen Lebenswillens" (General Ludendorf, 1935, 10) sei, dann ist er nichts anderes als die Auffassung einer bestimmten Politik, die im 20. Jahrhundert Millionen von Männern, Frauen und Kindern das Leben kostete.
7. MORAL
Mit dem 20. Jahrhundert schlägt die Entwicklung neuer Kriegstechnologien auf eine vielleicht nicht unmögliche Theorie der Kriegsursachen zurück. Mit den Abwürfen der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki ist den Menschen eine Waffe demonstriert worden, die eine „Hegung oder Begrenzung des Kriegs" (Schmitt, 1963, 91), wie es bei Carl Schmitt heißt, (Schmitt, 1963) über die Grenzen des Ludendorff'schen (und auch Goebbel'schen) „totalen Kriegs" hinaus prekär werden lässt. Ein totaler Atomkrieg wäre das Ende der Menschheit.
Nach Schmitt gehe es in der „Theorie des Kriegs" „immer um die Unterscheidung der Feindschaft, die dem Kriege seinen Sinn" (Schmitt, 1963, 91) gebe. Alle Versuche „einer Hegung oder Begrenzung des Kriegs" müsse „von dem Bewußtsein getragen sein, daß — im Verhältnis zum Begriff des Krieges — Feindschaft der primäre Begriff" sei, „und daß der Unterscheidung verschiedener Arten des Krieges eine Unterscheidung verschiedener Arten der Feindschaft" vorangehe. Man versteht unmittelbar, warum die Theorie des Partisanen eine Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen mit ihrer Präsentation der Freund/Feind-Unterscheidung sein soll.
Was Schmitt meint, ist die Abwägung der militärischen Mittel dem jeweiligen Feind entsprechend. Clausewitz stand dem Napoleonischen Heer gegenüber, angesichts dessen er auf den Begriff des „absoluten Krieges" kam. Doch so überaus mobilisiert Napoleons Truppen dem preußischen Generalmajor auch erschienen sein mögen, dieser Feind blieb eine klar begrenzte Figur, dem man mit ausgefeilter Strategie auf Schlachtfeldern begegnen konnte. Zudem war der französische Kaiser eine Gestalt, die Hegel in einem Brief die „Weltseele auf dem Rücken eines Pferdes" nannte. Obwohl Napoleon den Begriff des „absoluten Krieges" evozierte, wurde er seinen Feinden nicht zum Repräsentanten einer „absoluten Feindschaft" (Schmitt, 1963, 92).
Bei einem Feind wie Napoleon übte man „Verzicht auf die Kriminalisierung des Kriegsgegners". Man relativierte die Feindschaft, negierte die „absolute Feindschaft". Für Schmitt ist es „wirklich etwas Seltenes, ja unwahrscheinlich Humanes, Menschen dahin zu bringen, daß sie auf eine Diskriminierung und Diffamierung ihrer Feinde verzichten" (Schmitt, 1963, 92). Ohne Zweifel dachte Schmitt dabei auch an die Nürnberger Prozesse und seine eigene Inhaftierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die alliierte Kriminalisierung der deutschen Kriegsverbrecher lehnte er ab. In dieser Hinsicht blieb er blind; doch der Hinweis auf die Gefahren der Ausrufung „absoluter Feindschaft" ist wichtig. (Auch deshalb, weil Schmitt implizit auf Hitlers Strategie verweist, die Judenvernichtung dadurch zu legitimieren, dass Hitler die Juden als den „absoluten Feind" charakterisierte.)
In seiner Theorie des Partisanen entscheidet Schmitt zunächst, dass der Partisan für gewöhnlich einen „wirklichen, aber nicht einen absoluten Feind" (Schmitt, 1963, 93) habe. In der Tat wehrt sich der Partisan normalerweise lediglich gegen den Okkupanten seines Landes; er will sein Volk, seine Nation verteidigen. Das habe sich mit Wladimir Iljitsch Lenin jedoch geändert. Er habe die Gestalt der „Berufsrevolutionäre im Weltbürgerkrieg" (Schmitt, 1963, 94) begründet. Schmitt denkt daran, dass der kommunistische Revolutionär nicht mehr gegen einen bestimmten Feind, sondern gegen die nichtkommunistische Welt überhaupt kämpft. Indem Lenin die „Partei absolutgesetzt" habe, sei „auch der Partisan absolut und zum Träger einer absoluten Feindschaft erhoben" (Schmitt, 1963, 94) worden. Der Begriff der „absoluten Feindschaft" hatte seine erste Wirklichkeit gefunden.
Schmitt sieht jedoch „in der vorhandenen Wirklichkeit des nuklearen Zeitalters" noch „eine andere Art der Absolutsetzung des Feindes"". Wer über „absolute Vernichtungsmittel" verfüge, kann diese nicht gegen einen begrenzten und daher klar lokalisierbaren Feind einsetzen. Sollte er das tun, wäre er als „absolut unmenschlich"" (Schmitt, 1963, 94 ff.) zu bezeichnen. „Absolute Vernichtungsmittel", Waffentechnologien, die schließlich die gesamte Erde zerstören könnten, erfordern einen „absoluten Feind". Nur ihm kann man mit Atombomben begegnen.
„Die letzte Gefahr" in der Geschichte des Krieges bestehe „in der Unentrinnbarkeit eines moralischen Zwanges". Wer „jene Mittel gegen andere Menschen anwenden" wolle, sehe sich gezwungen, „diese anderen Menschen, d.h. ihre Opfer und Objekte, auch moralisch zu vernichten"". Und weiter: „Sie müssen die Gegenseite als Ganzes für verbrecherisch und unmenschlich erklären, für einen totalen Unwert. Sonst sind sie eben selber Verbrecher und Unmenschen" (Schmitt, 1963, 95). Wohlgemerkt: Schmitt sagt nicht, dass man den Feind in einem Nuklearkrieg als „absolut" bezeichnet, weil etwa der bereits Nuklearwaffen zum Einsatz gebracht haben könnte. Vielmehr muss man im vorhinein, vor dem Einsatz der eigenen Atomwaffen, den anderen zum „Verbrecher und Unmenschen" erklären. Nur dann ist ein Einsatz der ultimativen Waffe moralisch zu rechtfertigen.
8. SCHLUSS
Gegensatz, Körper, Gerechtigkeit (Natur), Natur, Recht, Politik und Moral bilden womöglich eine philosophisch gelesene Geschichte der Kriegsursachen ab. Sollten sie das nicht tun, liefern sie einen Katalog für eine noch zu schreibende philosophische Ätiologie des Kriegs. Denn es dürfte unmöglich sein, dass Kriege der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ganz außerhalb der erläuterten Ursachen nicht nur zu verstehen sein, sondern darüber hinaus auch geschehen werden.
Die Sequenz der Kriegsursachen ist darüber hinaus auch deshalb eine Vereinfachung, weil sich in der Geschichte der Philosophie die verschiedenen Auffassungen des Krieges überschneiden und untergraben. Je länger sie dauert, desto komplexer werden die Diskussionen; Gesetz der Philosophie. Hegel liest Heraklit, Cicero und Hobbes. Schmitt liest darüber hinaus Clausewitz, Lenin, Jünger und Ludendorff. Eine „Philosophie des Krieges" heute geht weit darüber hinaus.
Dabei dürfte klar sein, dass in der konkreten Situation des Krieges nie nur eine einzige Ursache vorausgesetzt werden kann. Der faktische Krieg wird immer mehrere Ursachen haben, die die Verursacher unmittelbar gewiss nicht zu differenzieren vermögen. Zudem wird er sich — wie alles Wirkliche — nicht buchstabengetreu nach philosophischen Überlegungen richten. Insofern bleibt zwischen den hier erinnerten philosophischen Ideen zum Krieg und seiner Wirklichkeit eine unüberwindbare Kluft bestehen.
Trotzdem sollte für den, der zu lesen versteht, angeklungen sein, dass Manches von dem, was Philosophen und Staatsrechtler zu sagen haben, auch für die Gegenwart sehr bedenklich ist. Dabei geht es nicht nur darum, diese Gegenwart zu verstehen, sondern sie auch zu beurteilen. Im Krieg steht Alles auf dem Spiel. Wer ihn entfesselt, sollte sich darüber im Klaren sein. Und wenn nicht nur wirklich Alles in ihm auf dem Spiel steht, sondern auch gleichsam gegenständlich in ihn hineingerissen werden wird, wird unsere Zukunft die Asche sein.
REFERENCES
Cicero. (1976). De officiis / Vom pflichtgemäßen Handeln (H. Gunermann, Hrsg. & Übers.). Reclam: Stuttgart.
Cicero. (1979). De republica / Vom Gemeinwesen (K. Büchner, Hrsg. & Übers.). Reclam: Stuttgart. Clausewitz, C. v. (1980). Vom Krieg. Hinterlassenes Werk. Ullstein: Frankfurt am Main, Berlin und Wien. Diels, H., & Kranz, W. (1992). Die Fragmente der Vorsokratiker. Bd. 1. 18 (W. Kranz, Hrsg.; H. Diels,
Übers.). Auflage. Weidmann: Zürich und Hildesheim. General Ludendorff. (1935). Der totale Krieg. Ludendorffs Verlag: München.
Hegel, G. W. F. (1970a). Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Werke 7 (E. Moldenhauer & K. Markus Michel, Hrsg.). Suhrkamp: Frankfurt am Main. Hegel, G. W. F. (1970b). Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Werke 12 (E. Moldenhauer &
K. Markus Michel, Hrsg.). Suhrkamp: Frankfurt am Main. Hobbes, T. (1994). Vom Menschen / Vom Bürger: Elemente der Philosophie II/III (G. Gawlick, Hrsg.).
Felix Meiner Verlag: Hamburg. Kirk, G., & Raven, J. (1957). The Presocratic Philosophers: A Critical History with a Selection of Texts.
Cambridge UP: Cambridge. Plato. (1902). Opera, Recognovit brevique adnotatione critica instruxit Ioannes Burnet. Oxonii e typo-grapheo Clarendoniano.
Schmitt, C. (1963). Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen. Duncker & Humblot: Berlin.