Научная статья на тему 'MEDIALE DEPRESSIONSBILDER: WISSENSVERMITTLUNG, INTERAKTION, SELBSTDARSTELLUNG'

MEDIALE DEPRESSIONSBILDER: WISSENSVERMITTLUNG, INTERAKTION, SELBSTDARSTELLUNG Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Ключевые слова
DISKURSLINGUISTIK / MASSENMEDIEN / MULTIMODALITäT / INTERAKTION

Аннотация научной статьи по языкознанию и литературоведению, автор научной работы — Iakushevich Marina

Depression gehört weltweit zu den häufigsten Krankheiten überhaupt. Laut WHO sind aktuell (Stand Januar 2022) ca. 280 Millionen Menschen weltweit an einer Depression erkrankt. Verständlicherweise ist die Krankheit in den öffentlichen medialen Diskursen in Deutschland seit Jahrzehnten präsent. Der Beitrag thematisiert multimodale Darstellungen der Krankheit Depression in deutschen massenmedialen Diskursen, insbesondere in einem deutschen Qualitätsmedium (Der Spiegel), und in den Social Media, speziell auf Instagram*. Berücksichtigt werden die Modalitäten Text, Bild und Schrift, dabei stehen vor allem statische Bilder und geschriebener Text im Fokus. Methodisch ist die Analyse in der Diskurslinguistik zu verorten, dabei werden einige Aspekte des DIMEAN-Modells von [Spitzmüller, Warnke 2011] kritisch reflektiert, insbesondere die Überlegungen zu Metaphorik und deren Funktionen in medialen Diskursen. Auf diese Weise soll die mediale Konstruktion eines Depressionsbildes exploriert werden. Auf der textuellen Ebene konzentrieren sich die Analysen auf die Darstellungen von subjektiven Depressionserfahrungen der Diskursakteur*innen im Zusammenspiel von Text und Bild. Dabei werden die spezifische Depressionsmetaphorik und ihre diskurstrukturierende Funktion berücksichtigt. In den multimodalen Analysen wird gezeigt, wie Metaphern durch ein komplexes Wechselspiel zwischen den einzelnen semiotischen Kodes zustande kommen. Außerdem wird der Aspekt der Vermittlung fachlichen Wissens in den massenmedialen Kommunikaten diskutiert. Instagram-Beispiele* dienen dagegen dazu, den Gebrauch der Modalitäten Text und Bild unter den Bedingungen der Netzwerkkommunikation - im Gegensatz zur Massenkommunikation - zum Zwecke der Interaktion und der Selbstdarstellung aufzuzeigen. Hier werden die Relevanz von Laienwissen und sein Beitrag zur Konstitution eines medialen Depressionsbildes aufgezeigt. * Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation.

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MEDIA IMAGES OF DEPRESSION: TRANSFER OF KNOWLEDGE, INTERACTION, SELF-EXPERSSION

Depression is a common illness worldwide. According to the data of WHO, approximately 280 million people have depression. As a consequence, the illness is present in the media discourse in Germany for years. This paper discusses the strategies different media use to create a specific image of this mental disorder: German mass media, the so called quality media (Der Spiegel) as well as social media (Instagram*). The focus of the analysis is the use of different semiotic codes such as written language, static pictures, and typography in order to create a multimodal image of depression. Methodically, the paper is based on Linguistic Discourse Analysis as it is used in the German Linguistics, whereas the term Discourse is used according to Foucault’s concept. Some aspects of the DIMEAN model by [Spitzmüller, Warnke 2011], for example concerning the metaphor in discourse will be critically discussed. The textual analysis seeks to explore how the individual experiences of people with depression are presented in language and picture. Moreover, the transfer of knowledge in the mass media discourse well be treated. For this reason, the terms expert knowledge and lay knowledge will be reflected. In the context of Social Media, especially on Instagram*, the interaction between the users is in focus of discussion, as well as the use of colours for the strategies of self-expression. Both are relevant for the creation of the specific media image of depression. * Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation.

Текст научной работы на тему «MEDIALE DEPRESSIONSBILDER: WISSENSVERMITTLUNG, INTERAKTION, SELBSTDARSTELLUNG»

UDC 811.11

M. IAKUSHEVICH Universität Innsbruck, Österreich

MEDIALE DEPRESSIONSBILDER: WISSENSVERMITTLUNG, INTERAKTION, SELBSTDARSTELLUNG

For citation: Iakushevich M. Mediale Depressionsbilder: Wissensvermittlung,

Interaktion, Selbstdarstellung. German Philology in St Petersburg State University,

2022, iss. 12, pp. 328-346. https://doi.org/10.21638/spbu33.2022.117

Depression gehört weltweit zu den häufigsten Krankheiten überhaupt. Laut WHO sind aktuell (Stand Januar 2022) ca. 280 Millionen Menschen weltweit an einer Depression erkrankt. Verständlicherweise ist die Krankheit in den öffentlichen medialen Diskursen in Deutschland seit Jahrzehnten präsent. Der Beitrag thematisiert multimodale Darstellungen der Krankheit Depression in deutschen massenmedialen Diskursen, insbesondere in einem deutschen Qualitätsmedium (Der Spiegel), und in den Social Media, speziell auf Instagram*. Berücksichtigt werden die Modalitäten Text, Bild und Schrift, dabei stehen vor allem statische Bilder und geschriebener Text im Fokus. Methodisch ist die Analyse in der Diskurslinguistik zu verorten, dabei werden einige Aspekte des DIMEAN-Modells von [Spitzmüller, Warnke 2011] kritisch reflektiert, insbesondere die Überlegungen zu Metaphorik und deren Funktionen in medialen Diskursen. Auf diese Weise soll die mediale Konstruktion eines Depressionsbildes exploriert werden. Auf der textuellen Ebene konzentrieren sich die Analysen auf die Darstellungen von subjektiven Depressionserfahrungen der Diskursakteur*innen im Zusammenspiel von Text und Bild. Dabei werden die spezifische Depressionsmeta-phorik und ihre diskurstrukturierende Funktion berücksichtigt. In den multimodalen Analysen wird gezeigt, wie Metaphern durch ein komplexes Wechselspiel zwischen den einzelnen semiotischen Kodes zustande kommen. Außerdem wird der Aspekt der Vermittlung fachlichen Wissens in den massenmedialen Kommunikaten diskutiert. Instagram-Beispiele* dienen dagegen dazu, den Gebrauch der Modalitäten Text und Bild unter den Bedingungen der Netzwerkkommunikation — im Gegensatz zur Massenkommunikation — zum Zwecke der Interaktion und der Selbstdarstellung aufzuzeigen. Hier werden die Relevanz von Laienwissen und sein Beitrag zur Konstitution eines medialen Depressionsbildes aufgezeigt.

Schlüsselwörter: Depression, Diskurslinguistik, Massenmedien, Social Media, Multimodalität, Interaktion.

* Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation. 328 https://doi.org/10.21638/spbu33.2022.117

M. IAKUSHEVICH University of Innsbruck, Austria

MEDIA IMAGES OF DEPRESSION: TRANSFER OF KNOWLEDGE, INTERACTION, SELF-EXPERSSION

Depression is a common illness worldwide. According to the data of WHO, approximately 280 million people have depression. As a consequence, the illness is present in the media discourse in Germany for years. This paper discusses the strategies different media use to create a specific image of this mental disorder: German mass media, the so called quality media (Der Spiegel) as well as social media (Instagram*). The focus of the analysis is the use of different semiotic codes such as written language, static pictures, and typography in order to create a multimodal image of depression. Methodically, the paper is based on Linguistic Discourse Analysis as it is used in the German Linguistics, whereas the term Discourse is used according to Foucault's concept. Some aspects of the DIMEAN model by [Spitzmüller, Warnke 2011], for example concerning the metaphor in discourse will be critically discussed. The textual analysis seeks to explore how the individual experiences of people with depression are presented in language and picture. Moreover, the transfer of knowledge in the mass media discourse well be treated. For this reason, the terms expert knowledge and lay knowledge will be reflected. In the context of Social Media, especially on Instagram*, the interaction between the users is in focus of discussion, as well as the use of colours for the strategies of self-expression. Both are relevant for the creation of the specific media image of depression.

Keywords: depression, linguistic discourse analysis, mass media, social media, multimodality, interaction.

1. Theoretische Grundlagen

Diesem Beitrag liegen folgende theoretische Annahamen zugrunde: Die Multimodalität wird als der natürliche und ursprüngliche Zustand der menschlichen Kommunikation angesehen1. Im schriftsprachlichen Kontext verstehe ich unter Multimodalität die Kopräsenz und das wechselseitige Zusammenspiel mehrerer semiotischer Ressourcen [vgl. Stöckl 2011: 47, 64-65]. Dabei wären vor allem verbaler Text und Bilder zu berücksichtigen, aber auch Typographie, Farben, Formen, Qualität des Trägermediums, z. B. des Papiers [vgl. Fix 2008]. Das Zusammenspiel verschiedener semiotischer Ressourcen wird unter vorrangig pragmatischen Aspekten bewertet. Der spezifische Gebrauch von Sprache und

* Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation.

1 Die Multimodalität der mündlichen Kommunikation (Mimik, Gestik, Prosodie) [vgl. z. B. bereits Scherer 1977] bleibt in meinen Überlegungen ausgeklammert, da im Beitrag nur schriftliche Kommunikate berücksichtigt werden.

Bild in einer kommunikativen Konstellation von dem Medium, den Akteur*innen und der aktuellen Situation steht im Mittelpunkt der analytischen Überlegungen. Es wird untersucht, wie multimodale Kommunikate von wem zu welchen Zwecken verwendet werden. Im Prinzip gilt hier, wie auch generell bei linguistischen Analysen, die Orientierung an die Lasswell-Kommunikationsformel: Who says what in which channel to whom with what effect? [vgl. Bentele et al. 2013: 182] In den folgenden Beispielanalysen werden die spezifischen kommunikativen Bedingungen, Massenmedien vs Social Media, berücksichtigt und reflektiert.

Ein weiterer Aspekt der multimodalen Analysen ist der der soziokul-turellen Bedingtheit des Bild- und Textgebrauchs. Sie äußert sich in der Art und Weise, wie die Bedeutungen komplexer multimodaler Kommunikate konstruiert werden und welche soziokulturellen Konventionen dabei gelten [vgl. Stöckl 2011: 47; Stöckl 2004: 5; Kress, van Leeuwen 2010: 13, 19]. Im Prozess der Bedeutungskonstruktion von multimodalen Kommunikaten ist das sogenannte „Transkribieren" [Jäger 2002; vgl. Stöckl 2011: 46-48] wesentlich. Damit ist gemeint, dass beim Erschließen von Sinn Botschaften eines Mediums durch ein anderes transkribiert, z. B. erklärt oder paraphrasiert, werden [vgl. Jäger 2002: 35; Stöckl 2011: 47]. Im Unterschied zu Stöckl und Jäger spreche ich nicht vom „Sinnerschließen", sondern von „Bedeutungskonstruktion", um die (kognitive) Aktivität sowohl auf der Seite der Textproduzent*innen als der Textrezipient*innen hervorzuheben. Der soziokulturelle Aspekt von Transkriptionen ist insbesondere wichtig, da abhängig von der j eweiligen Kultur, Subkultur, oder auch dem Medium Bedeutungskonstruktionen sehr unterschiedlich ausfallen können. Jäger et al. sprechen dabei von kulturellem Wissen, das lesbar gemacht werden kann und kulturspezifisch rezipiert wird [vgl. Jäger et al. 2008: 22]. Die vorliegende Untersuchung greift diese Überlegungen auf, die Bedeutungskonstruktionen werden unter Berücksichtigung des spezifischen medialen Kontextes analysiert.

Medienwissenschaftliche Forschungen thematisieren bereits seit den 1960er Jahren des 20. Jh. die Konstruktionen von Realität in den Massenmedien [vgl. z. B. Galtung, Ruge 1965; Schulz 1976]. In den medialen Produkten wird mittels Sprache, Bilder, Ton nicht eine reale Welt abgebildet, sondern eine eigene mediale Realität kreiert [vgl. Schulz 1976: 25-29]. Diese Sichtweise, in einer noch radikaleren Form, findet sich auch in Luhmanns Konstruktivismus [Luhmann 1995]. In Bezug auf das Thema des vorliegenden Beitrags bedeutet es, dass nicht die Krankheit

Depression, sondern die medialen Darstellungen, die medialen Kon-strukte, die medialen Depressionsbilder in den jeweiligen spezifischen Kontexten diskutiert werden.

Für die Bedeutungskonstruktion, bezogen entweder nur auf den verbalen Text oder auf die bildlichen Elemente oder auf das gesamte multimodale Kommunikat, gilt die Annahme der Perspektivität. Köller [2004] hat sehr eindrucksvoll die Prämisse einer generellen Perspektivität der Sprache aufgezeigt, die sich in allen sprachlichen Phänomenen zu beobachten ist. Kress und van Leeuwen behaupten, dass die Perspektivität nur Bildern zugesprochen werden kann [vgl. Kress, van Leeuwen 2010: 19]. In den Diskussionen ausgewählter Beispiele wird im Folgenden aufzuzeigen sein, dass die Perspektivität mit allen semiotischen Mitteln und durch ein komplexes wechselseitiges Zusammenspiel aller Elemente in einem multimodalen Kommunikat realisiert wird.

Die Perspektivität spielt gerade in den medialen Diskursen eine wichtige Rolle. Der Begriff des Diskurses, der hier zugrunde gelegt wird, ist an Foucault [1991, 1997] angelehnt. In Bezug auf den medialen Kontext und das Thema dieses Beitrags spielt Foucaults Betrachtung von Diskursgegenständen eine wichtige Rolle. Ein Diskurs ist kein statisches Ding, sondern er bringt seine Gegenstände erst hervor [vgl. Foucault 1997: 74]. In medialen Diskursen werden durch verschiedene mediale Praktiken Diskursgegenstände geschaffen. Die linguistische Diskursanalyse [vgl. Busse, Teubert 1994; Felder 2010, 2012; Spieß 2011; Spitzmüller, Warnke 2011] betrachtet die diskursive Gegenstandskonstitution aus linguistischer Perspektive. Dabei steht der Handlungsaspekt im Vordergrund: (Sprachliche) Handlungen der Diskursakteur*innen können z. B. Sachverhalte konstituieren und/oder bewerten [vgl. Felder 2013: 118]. Allerdings darf die linguistische Sachverhaltskonstitution, wie von Felder [2013] postuliert, nicht mit dem Hervorbringen von Diskursgegenständen gleichgesetzt werden. Foucaults Diskursverständnis ist globaler, er thematisiert die Sprache nur am Rande. Die vorliegende Mediendis-kursanalyse konzentriert sich auf sprachliche — genauer genommen multimodale — diskursive Praktiken der Konstitution des Bildes einer psychischen Krankheit.

Das Material, mit dem gearbeitet wird, ist ein Textkorpus, wobei unter „Text" ein multimodales Kommunikat verstanden wird, wie oben bereits dargestellt wurde. Das Korpus, aus dem die exemplarischen Analysen herausgegriffen werden, besteht aus 105 Texten des Wochenmagazins Der Spiegel im Zeitraum 1960-2015 zum Thema Depression. Die Texte

thematisieren schwerpunktmäßig die Krankheit Depression (Symptome, Therapien, medizinische Forschung)2. An zwei ausgewählten Beispielen wird im Folgenden unter methodischem Zugriff auf das DIMEAN-Mo-dell von Spitzmüller/Warnke [2011] gezeigt, wie unter den Bedingungen massenmedialer Kommunikation zum Zwecke der Wissensvermittlung ein spezifisches Bild der Depression konstituiert wird. Das Konzept der Wissensvermittlung wird dabei kritisch diskutiert, insbesondere die Bedeutung von Fach- und Laienwissen.

Am Beispiel eines privaten Instagram-Accounts* werden Praktiken der Selbstdarstellung in einer interaktiven Umgebung eines sozialen Mediums unter den Bedingungen der Netzwerkkommunikation. Hier wird die Bedeutung von Laienwissen bei einer interaktiven Konstitution des Krankheitsbildes der Depression berücksichtigt.

2. Massenmediales Depressionsbild: Wissensvermittlung

An zwei folgenden Beispielen möchte ich den Aspekt der Wissensvermittlung diskutieren. Der Rahmen dieses Beitrages erlaubt keine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Begriff, die eine durchaus lohnende sein könnte. Ob Wissen überhaupt vermittelt werden kann, wird z. B. in verschiedenen Didaktiken diskutiert [z. B. Ballod 2007]. Außerdem könnte man zuerst die Frage stellen, was Wissen eigentlich ist. Auch für solche Überlegungen bietet der Beitrag keinen Platz. Für die Fragstellung meines Beitrages stütze ich mich auf Foucault [1997] und Spitzmüller/Warnke [2011] und gehe davon aus, dass in Diskursen Wissen hervorgebracht wird. Spitzmüller/ Warnke [2011: 46-47] sprechen von „Wissenskonstituierung", die in „Konstruktion von Wissen", „Argumentation von Wissensakteuren" und „Distribution von Wissen" unterteilt wird. In den Analysen möchte ich aufzeigen, wie ein mediales Krankheitsbild der Depression konstituiert wird. Die Bezeichnung Krankheitsbild ist ein medizinischer Terminus, der allgemeingebräuchlich und allbekannt ist. Aus diskursanalytischer Perspektive ist das Krankheitsbild also das, was der Diskurs hervorbringt.

Das analysierte Korpus enthält Beiträge, die in den Ressorts Wissenschaft, Wissen oder Medizin des Spiegel-Magazins publiziert wurden. Die in diesem Kapitel besprochenen Beispiele stammen aus einer

2 Das Korpus ist ein Teilkorpus eines größeren Projekts zum Thema Depression [s. Iakushevich 2018, 2020a, 2021a, b].

* Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation.

Beilage zu dem Spiegel, Spiegel Wissen Nr. 1/2012. Laut Eigenaussage hat das Magazin den Anspruch, „fundiert und umfassend" zu informieren und „praktische, aber auch intellektuelle Orientierung für den Alltag und die eigne Lebenswelt"3 zu bieten. Es handelt sich, nach der klassischen publizistischen Definition, um Wissenschaftsjournalismus [vgl. Kohring 2005].

Der Artikel „Gestörtes Netzwerk im Gehirn" von Jörg Blech thematisiert die Krankheit Depression, wobei der Text eine für die Krankheitsthematik typische Struktur aufweist. Am Textanfang werden Geschichten von an Depression erkrankten Personen erzählt, danach Experten interviewt und sachliche Informationen zu Depression gegeben. In diesem Fall wird auf die Vorgänge im menschlichen Gehirn als Ursache für Depressionen fokussiert, indem auf „[N]eue Befunde der Neurologie" verwiesen wird [Blech 2012: 34]. Der Text enthält also narrative (aus der Perspektive der Kranken) und deskriptive und erklärende (aus der Perspektive des Autors) Abschnitte.

Das Bild unten (Abb. 1) weist Verbindungen sowohl zu den nar-rativen als auch zu den erklärenden Textstellen auf. In den narrativen Textteilen werden konkrete, persönliche und subjektive Erfahrungen einer an der Depression erkrankten Person dargestellt. Das ist das individuelle Laienwissen, das gebraucht wird, um zu den Darstellungen von einem abstrakten und komplexeren Fachwissen über die Depression überzuleiten und die Fachinhalte zugänglich zu machen. In Form einer Alltagserzählung wird das Individuelle veranschaulicht: „Der Immobilienmakler Javier Sayes Gomez, 37, sah im Fernsehen einen Bericht über Patienten mit Burnout und dachte: Mensch, das bin ja ich!" [Blech 2012: 33; Hervorhebung im Original] In den berichtenden, deskriptiven Textteilen werden objektive Daten, zahlen und Forschungsergebnisse präsentiert, z. B.: „Neue Befunde er Neurobiologie bestätigen dieses Bild. Ständiger Stress stumpft das Gehirn ab und kann depressiv machen. Ob der Stress vom Arbeitsplatz oder der Familie, von Überlastung oder Überforderung herrührt, ist unerheblich" [Blech 2012: 34].

Im Bild werden neuronale Veränderungen im Gehirn verkürzt, auf ein grobes und vereinfachtes Schema komprimiert, dargestellt, der Krankheitsmechanismus wird modellhaft wiedergegeben. Es wird von persönlichen Erfahrungen der Menschen berichtet, das Krankheitsgeschehen wird dadurch objektiviert. Im Bildmodus wird von schwer nachvollzieh-

Alarm im Gehirn

Neuronale Veränderungen durch chronischen Stress

In Teilen des Gehirns entstehen jeden Tag aus neuralen Stammzellen neue Nervenzellen (adulte Neurogene). Chronischer Stress verändert die Morphologie und die Anzahl der Neuronen und ihrer Fortsätze. Im Hippocampus und im präfrontalen Korten verkümmern sie - in der Amygdala vergrößern sie sich, j

Das führt zu Konzentrations- j| und Merkfähigkeitsstörungen, Angst und Depression.

Neubildung von Nervenzellen

und deren Wirkung auf die Stimmung

II Präfrontater Kortex

AUSLÖSER:

sozialer Stress, Krankheit, Drogenkonsum

THERAPIE:

Medikamente, körperliche Bewegung, Meditation

Neurogenese unter kritischem Schweifenwert

Diagnose Depression nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-1Ü)

Der Patient leidet seit mindestens zwei Wochen unter mindestens zwei der roigenden Hauptsvmptome:

' depressive Stimmung

• erhöhte Ermüdbarkeit

• Verlust von Interesse oder Freude

Außerdem tieten mindestens zwei der folgenden Symptome aut;

• Koiuentiatioikj^^^^^^^H Selbsfwertaj^^^^^^^HF ™H

• vermindertet Appetit M

• Schlafstörungen fl

* Schuldgefühle und Gefühle van Wertlosigkeit

• Sui rid gedenken oder -handlungen, Selbstverletzungen

Abb. 1. Alarm im Gehirn [Spiegel Wissen 1/2012, S. 35]

baren, subjektiven Empfindungen zu einem biologischen Vorgang im Gehirn überführt. Dieser Modalitätswechsel hat eine wichtige kohärenzstiftende Funktion: Der verbale Textteil und das Bild ergeben zusammen

ein komplexes Kommunikat, das umfangreiche Informationen über die Depression liefert. Das Bild enthält Informationen über die biologischen Vorgänge während einer Depression, über die Uhrsachen der Krankheit, wobei auch der zeitliche Aspekt graphisch aufgegriffen wird. Unten im Bild werden außerdem die Hauptsymptome einer Depression aufgelistet. Die Komplexitätsreduktion, die beim Überführen von medizinischem Fachwissen in das medial zugeschnittene, für das Laienpublikum rezipierbare Wissen, ist im multimodalen Gerüst dieses Bildes gut sichtbar.

Die neuronalen Veränderungen im Gehirn werden als Prozesse beschrieben, das Prozesshafte dieser Krankheitsmechanismen wird als eine lineare multimodale Textstruktur verbildlicht. Dabei greift das mentale Weg-Schema [vgl. Stöckl 2004: 74], das in vielen Lebensbereichen im Sprachgebrauch üblich ist. Ein Prozess wird als eine lineare Bewegung auf einer Geraden von links nach rechts dargestellt, was auch der weit verbreiteten Weg-Metaphorik entspricht4. Neuronale Prozesse werden zweidimensional auf einer Linie als eine Bewegung von einem Punkt zum nächsten dargestellt: Durch chronischen Stress wird im präfrontalen Kortex die Anzahl der Neuronen und ihre Morphologie reduziert. In der graphischen Darstellung dieses Prozesses wird am Ausgangspunkt der Auslöser genannt, z. B. Stress, Krankheit, Drogenkonsum. Damit wird, parallel zum Inhalt des verbalen Textteils, die vermeintliche Ursache der Depression bestimmt. Die lineare Struktur dieser Darstellung suggeriert also auch eine Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen Stress und Depression. Diese visuelle Strategie appelliert einerseits an die Sehgewohnheiten der Rezipient*innnen, die auch mit der Schreib- und Leserichtung alphabetischer Schriften zu tun hat. Aber auch das Weg-Schema ist hier zu erkennen [vgl. Stöckl 2004: 74]. Diese vertraute Gestaltung erleichtert die Wahrnehmung [vgl. Stöckl 2004: 274]. Die präsentierten Fachinhalte wirken ebenfalls attraktiv, da sie auf wenige, relativ einfache Bestandteile reduziert worden sind. Außerdem zeigt dieses komplexe Bild m. E. sehr eindrücklich, dass Metaphern nicht nur als einzelne Metaphernlexeme vorkommen, wie es im DIMEAN-Modell enthalten ist [vgl. Spitzmüller, Warnke 2011: 147], sondern als komplexe multimodale Konzepte im Vertextungsprozess entstehen.

4 Die Weg-Metaphorik wurde für viele thematische Bereiche untersucht, siehe z. B. Spieß [2017] im öffentlich-politischen Bereich. Für den medialen Depressionsdiskurs habe ich die Weg-Metaphorik an einer anderen Stelle ausführlich diskutiert [Iakushevich 2020b: 266-270].

Ich würde, in Bezug auf dieses konkrete Beispiel (in mehreren Ausgaben vom Spiegel Wissen lassen sich weitere derart gestaltete Bilder finden, sodass das Beispiel als repräsentativ betrachtet werden kann), durchaus von Wissensvermittlung sprechen. Das Magazin erfüllt mit derart gestalteten Texten eine wissensvermittelnde Funktion, steht es doch als Medium, als eine vermittelnde Instanz, zwischen Fach- und Laienwissen. Allerdings ist das Wissen nicht unabhängig von menschlichen (Diskurs) akteur*innen zu betrachten. Der Autor dieses Textes unternimmt mit diesem multimodalen Text einen Versuch, das Fachwissen, das er sich durch die Beschäftigung mit dem Thema angeeignet hat, an sein Laienpublikum zu vermitteln. Diese Kommunikation in einem Massenmedium kann als Experten-Laien-Kommunikation gesehen werden [vgl. Busch 2015]. Der Text ist in seiner inhaltlichen und formalen Gestalt den Anforderungen des Mediums unterworfen. Er soll vor allem attraktiv für ein disperses Massenpublikum sein, um gelesen zu werden. Die Attraktivität bezieht sich nicht nur auf die thematischen Inhalte, sondern auch auf die materielle Seite, da es ein auf Papier gedrucktes Magazin ist. Es ist eine themenspezifische Beilage zu einem wöchentlich erscheinenden Magazin, das ein bestimmtes Format, eine bestimmte Papierqualität aufweist und auf ein bestimmtes Publikum abzielt. Es ist ein Massenmedium, das auf Rezeption gerichtet ist und den Rezipient*innen eine eher passive Rolle zubilligt [vgl. Bentele et al. 2013: 196-197]. Die konkrete multimodale Ausgestaltung der Texte wird entsprechend von diesen spezifischen kommunikativen Bedingungen bestimmt. Eine direkte, sofortige Reaktion der Leser*innen ist weder möglich noch erwünscht. Die traditionelle Leserreaktion in Form von Leserbriefen oder heutzutage in Form von E-Mails ist natürlich immer möglich, aber nur zeitverzögert und für das Lesepublikum nur begrenzt zugänglich. In Form von digitalen Ausgaben ermöglicht die Kommentarfunktion eine sofortige Reaktion auf den publizierten Artikel. Allerdings ist das Kommentieren keine echte Interaktion, wie sie z. B. entweder in einer Face-to-face-Kommunikation oder auch auf den Social Media möglich ist. Darauf wird weiter unten eingegangen.

Das Beispiel in der Abbildung 1 kann in die Kategorie fachliche Sprache-Bild-Bezüge eingeordnet werden [vgl. Stöckl 2004: 274-280]. Die sprachlichen Elemente im Bild vereindeutigen und semantisieren die bildlichen Elemente. So kann erst durch den Text oben links im Bild verstanden werden, dass die gezeichneten Elemente in den drei Kreisen mitten im Bild für Neuronen stehen. In der bildlichen Darstellung über den drei Kreisen ist ein menschliches Hirn dargestellt, mit entsprechen-

den Hirnarealen, die farblich hervorgehoben sind und mit den Fachtermini gekennzeichnet sind. Hier fungiert die Sprache als Bildlegende. Auf diese Weise entstehen komplexe reziproke Sprache-Bild-Beziehungen [vgl. Stöckl 2004: 275]. Die Verwendung von den grafischen Elementen wie Pfeile, Kreise und Linien ist konventionalisiert und sichert damit das Verständnis des gesamten Bildes. Die Darstellung der Morphologie der Neuronen in den drei Kreisen und auch die Neubildung von Nervenzellen darunter auf der gelben Linie können auch als „Prozessmodelle" [Stöckl 2004: 276] bezeichnet werden. Das Aufgreifen des Weg-Schemas stiftet hier eine gewisse Kohärenz nicht nur auf der lokalen textuellen Ebene dieses Artikels, sondern auch auf der diskursiven Ebene, da es die Weg-Metaphorik evoziert, die diskurstrukturierend ist [vgl. Iakushevich 2020b].

Etwas anders gelagert sind die Sprache-Bild-Bezüge in dem Bild 2 (Abb. 2).

Abb. 2. Die Erschöpfungsspirale [Spiegel Wissen 1/2012, S. 16-17]

Einerseits wird auch hier medizinisches Wissen zu Depression in einem multimodalen Text vermittelt. Auch hier wird in einem Prozessmodell der Verlauf der Krankheit dargestellt. Allerdings stehen hier nicht die abstrakten, mit bloßem Auge unsichtbaren neuronalen Prozesse im

Vordergrund, sondern subjektive Erlebnisse einer erkrankten Person. Fachlich sind die Inhalte insofern, dass die einzelnen dargestellten Depressionsphasen als gesichertes medizinisches Wissen präsentiert werden (die Angaben unter dem Bild nennen u. A. den Depressionsexperten Dr. Hans-Peter Unger, der im nachfolgenden Interview Auskünfte über die Krankheit gibt). Die konkreten sprachlichen und bildlichen Elemente benennen und zeigen die Krankheitssymptome so, wie sie von den Betroffenen erlebt werden: „Schmerzen aller Art", „Energieverlust", „Gedankenenge („Ich kann die Situation nicht ändern...")". Es ist somit individuelles, persönliches Empfinden einer an Depression erkrankten Person, ihr individuelles Laienwissen. Laienwissen ist eine Kategorie, die in der Forschung als Gegensatz zu Fachwissen genannt wird [vgl. z. B. Busch 2015]. Nennen die sprachlichen Elemente die Krankheitssymptome, so visualisieren die bildlichen Elemente die Symptome so, wie sie von den Betroffenen erlebt werden und für die Außenstehenden sichtbar werden können. Die schwarz-weißen Zeichnungen zeigen eine Frau, die mit ihren Händen ihren Kopf an den Schläfen mit den Händen umfasst (mit der Aufschrift „Schmerzen aller Art"), eine schreiende Frau (mit der Aufschrift „Reizbarkeit, Kränkbarkeit bis zu aggressiven Ausbrüchen"). Mit dieser Darstellung werden einerseits die subjektive Perspektive, die innerpsychischen Vorgänge sichtbar gemacht, die üblicherweise für die Anderen unzugänglich sind. Unter dem Aspekt der Wissensvermittlung kann dieses Bild mehrere Funktionen erfüllen: Zum einen, kann es den betroffenen Personen helfen, ihre Empfindungen einzuordnen, zum anderen, kann es allen anderen Menschen helfen, Betroffene zu erkennen.

Auch in dieser Darstellung kann das oben bereits diskutierte Prozessmodell erkannt werden. In der Unterüberschrift zu diesem Bild ist das sprachlich explizit ausgedrückt: „Merkmale eines Prozesses in drei Stufen". Auch das Weg-Schema und die Weg-Metaphorik sind in diesem Bild sofort erkennbar. Die Erschöpfungsspirale bei einer Depression ist als eine sich von links nach rechts drehende Spirale dargestellt. Die Weg-Metaphorik ist ebenfalls explizit ausgedrückt: „auf dem Weg in die Depression". Die Sprache-Bild-Bezüge werden hier nicht nur innerhalb dieses Bildes realisiert, sondern auch global zwischen diesem Bild und anderen Texten dieser Ausgabe. Die in dem oben analysierten Artikel erzählten Geschichten werden in dieser Darstellung wieder aufgegriffen, auf die grundlegenden Strukturen (Stufen eines Prozesses) komprimiert und visualisiert. Dabei werden keine schematischen Elemente wie in der

Abbildung 1 verwendet, sondern konkrete Darstellungen von Personen, Gegenständen, Tieren. Sie können insofern auch als schematisch und musterhaft betrachtet werden, da sie die einzelnen Stufen einer Entwicklung in Richtung einer Depression abstrahiert und verallgemeinert darstellen.

In Bezug auf die diskursiven Strukturen zeigt dieses Bild die Relevanz der betroffenen Personen als Diskursakteure, d. h. Handelnde in ihren sozialen Rollen [vgl. Spitzmüller, Warnke 2011: 136-137]. Die Analysen des gesamten Korpus zu Depression in den deutschen Qualitätsmedien (s. Fußnote 3) zeigen eine zunehmende Präsenz von Erkrankten im Diskurs. In den 1960er Jahren wird u. a. im Spiegel über die Krankheit Depression berichtet, die Kranken selbst sind nur Objekte dieser Berichte. Seit den 1990ern werden vermehrt individuelle Geschichten von den Kranken erzählt, wobei sie zuerst anonym und dann immer öfter unter ihren echten Namen auftauchen. Kranke Personen erzählen ihre Geschichten selbst und werden mit Fotos gezeigt. Der massenmediale Depressionsdiskurs wird dadurch zunehmend personalisiert, damit steigen auch die Präsenz und Relevanz von Laienwissen im Diskurs [vgl. Tienken 2015: 50]. Gerade die multimodalen populärmedizinischen Texte zeigen immer mehr individuelle, subjektive Wissensbestandteile. Dies steigert die Attraktivität der Texte, da es eine gewisse Nähe suggeriert, Glaubwürdigkeit steigert und nicht zuletzt auch Unterhaltung bietet [vgl. Busch 2015: 371-372].

3. Depression in den Social Media: Interaktion und Selbstdarstellung

Weitere Facetten des medialen Depressionsbildes liefern die Social Media. Die Social Media zeichnen sich durch eine Netzwerkkommunikation aus, die im Unterschied zu der massenmedialen Kommunikation auf die Interaktion angelegt ist. Die interaktive Kommunikation ist dank den digital vernetzten Medien und vor allem den internetfähigen Endgeräten möglich [vgl. Schmidt 2017: 16]. Die technischen Voraussetzungen der Smartphones und der darauf installierten Apps bestimmen die Art und Weise der Nutzung und auch die Eigenschaften multimodaler Kommunikate, die infolgedessen entstanden sind. Aufgrund der spezifischen kommunikativen Bedingungen der Social Media entstehen „alternative Öffentlichkeiten" [Hauser et al. 2019], in denen die persönliche Relevanz der Themen und die Interaktion mit dem eigenen sozialen Netzwerk grundlegend sind. Im Folgenden möchte ich am Beispiel eines

Instagram-Accounts* zeigen, welche Besonderheiten die Kommunikation aufweist und auf welche Art und Weise ein Beitrag zum medialen Depressionsbild geleistet wird.

Instagram* ist als eine Video-App entstanden, mittlerweile wird es als Soziales Netzwerk bezeichnet [vgl. Gunkel 2018: 20-22]. Nutzer*innen haben die Möglichkeit, ihren persönlichen Account im Rahmen gegebener technischer Vorgaben kreativ zu gestalten. Psychische Erkrankungen werden auf Instagram* ebenfalls thematisiert. Am Beispiel von depridisco5 möchte ich ein Beispiel diskutieren.

Auf der Abbildung 3 sieht man das typische Erscheinungsbild eines jeden Instagram-Accounts*. Es ist möglich, die einzelnen Elemente individuell zu gestalten, der eigenen Kreativität sind aber von der technischen Seite klare Grenzen gesetzt, was z. B. die Farbpalette angeht. Auch das Startbild aller Accounts ist gleich und unveränderbar.

Die Inhaberin des Accounts, die zuerst anonym erschienen ist6, thematisiert ihre eigene Depression. Ihr Anliegen bzw. das Ziel ihres Accounts formuliert sie explizit: „Für alle, die zu depressiv sind, lange Ratgeber zu lesen oder das Haus zu verlassen"7. In den einzelnen Beiträgen schreibt sie vor allem über ihre Erfahrungen mit der Depression, das subjektive Erleben verschiedener Symptome, Therapien, Medikamenteneinnahme, Bewältigung des Alltags, Kontakte mit Behörden oder der Krankenkasse. Der Account ist in seiner Gestaltung auffällig und unterscheidet sich von anderen privaten Accounts von Personen, die ebenfalls ihre Depression thematisieren, wie z. B. deprifrei8, wo viele Selfies und Alltagsbilder gepostet werden. Der Grund dafür ist sicherlich zum einen die Wahrung der Anonymität, zum anderen erfährt man, dass die Autorin als Designerin tätig ist und ihr Account entsprechend professionell gestalten kann.

Bemerkenswert in Bezug auf die Multimodalität ist vor allem die farbliche Gestaltung des Accounts in hellen Pastelltönen. Ungewöhnlich ist es dadurch, dass Depressionen wie andere psychische Erkrankungen mit dunklen Farben assoziiert werden. Die Hell-Dunkel-Metaphorik ist

5 www.instagram.com/depridisco (gesehen am 24.01.2022)*.

6 Nach dem Erscheinen ihres Buches über die Depression (https://www.instagram. com/p/CT7R-nfssl8/, gesehen am 24.01.2022)* konnte die Anonymität nicht mehr erhalten werden.

7 https://www.instagram.com/depridisco (gesehen am 24.01.2022)*.

8 https://www.instagram.com/deprifrei/ (gesehen am 24.01.2022)*.

* Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation.

Abb. 3. Instagram-Account* „depridisco"9

in den Symptombeschreibungen bei psychischen Erkrankungen bereits bei Kraepelin 1896 vorhanden: „verschiedene Helligkeitsgarde des Bewusstseins" [Kraepelin 1896: 113; vgl. Schuster 2010: 211-212]. Das subjektive Empfinden der Dunkelheit, des Befindens in einem schwarzen Loch findet sich sehr oft in den Beschreibungen Betroffener, auch in den Beiträgen des Accounts. Z. B. heißt eine Kachel „Hello darkness my old friend", was einerseits eine Anspielung auf das berühmte Lied von the Beatles ist, andererseits den Gemütszustand der Autorin thematisiert.

Ein wichtiger Aspekt, den die Autorin immer wieder thematisiert, ist die Hoffnung, wieder gesund zu werden und normal leben zu können. Diese Hoffnung auf eine bessere Zukunft wird mit den hellen, freund-

9 https://www.instagram.com/depridisco (gesehen am 24.01.2022)*.

* Meta is determined as an extremist organization in Russian Federation.

lichen Farben assoziiert und ausgedrückt. In dieser multimodalen Gestaltung ist auch die depressionsübliche Weg-Metaphorik vorhanden: Die hellen Pastellfarben symbolisieren einen guten Ausgang der Depressionsgeschichte, die Genesung und Normalisierung des Lebens. Die farbliche Gestaltung des Accounts zusammen mit der gewählten Schrift wirkt attraktiv, homogen und eben professionell. Das Instagram* ist auf die visuelle Präsenz und Präsentation ausgerichtet. Zwar spielen Hash-tags eine wichtige Rolle, aber die Bilder sind doch die wesentlichen Gestaltungsmittel. Das Visuelle verspricht einerseits die Individualität, die Möglichkeit, sich exzeptionell und einzigartig darzustellen. Diese Kreativität wird aber gleichzeitig durch ein vorgegebenes Inventar an Farben, Schriften, Filtern limitiert. Jeder Account hat dieselbe Struktur, lediglich die bildlichen und sprachlichen Inhalte können individuell gestaltet werden. Alle verwendeten Mittel dienen der Selbstdarstellung; das Versprechen der Individualität bedient dieses menschliche Bedürfnis [vgl. Mummendey 1995].

Identisch ist auch immer die Interaktionsform, die in diesem sozialen Medium möglich ist. Der*die Autor*in platziert ein Initialpost, auf das von anderen Nutzer*innen reagiert wird. Oft ist es eine Frage, die gestellt wird und worauf dann geantwortet wird. Da persönliche Erfahrungen ausgetauscht werden, ist verständlich, dass narrative Strukturen bei depridisco zu finden sind. So wird explizit darauf verwiesen, dass etwas erzählt werden soll: „Ich muss euch was erzählen". Es wird von einzelnen Erlebnissen und Ereignissen des Alltags mit Depressionen erzählt. Gleichzeitig wird um Rat gefragt und auch Rat erteilt, dadurch wird eine Gemeinschaft geschaffen. In diesem gemeinschaftlichen kommunikativen Raum werden Konzepte von Gesundheit und Krankheit interaktiv ausgehandelt. Das Erzählen über die eigenen Depressionserfahrungen dient ebenfalls der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung [vgl. Boothe 2004: 11, 15]. Es kann auch von einer Art Selbsttherapie gesprochen werden, suchen doch alle Beteiligten durch diese Interaktionen mit Gleichgesinnten Verständnis, Hilfe und Unterstützung, die in der restlichen Gesellschaft nicht immer zu finden sind. Auch hier, wie in dem massenmedialen populärwissenschaftlichen Depressionsdiskurs, wird das Krankheitsbild der Depression mitkonstituiert. In den Social Media, insbesondere auf Instagram*, ist hauptsächlich das Laienwissen von hoher Relevanz, da vor allem persönliche Erfahrungen ausgetauscht

werden. Dieser Austausch zeigt aber auch generell die Relevanz des Laienwissens für mediale Medizindiskurse.

4. Fazit

An den diskutierten Beispielen habe ich versucht zu zeigen, mit welchen Mitteln das Bild der Krankheit Depression in massenmedialen und Social Media-Kontext mutlimodal konstituiert wird. Dabei wurde offensichtlich, dass sowohl in den klassischen Massenmedien als auch insbesondere in den Social Media die Relevanz des Laienwissens wächst. Subjektive Erfahrungen von Menschen mit Depressionen sind in den medialen Medizindiskursen präsent, die Betroffenen werden zu Diskursakteuren, sprechen über ihre Depressionen und konstituieren das mediale Depressionsbild mit. Die multimodalen Gestaltungsmittel wie fachliche Bilder im Spiegel Wissen oder eine spezifische Farb- und Schriftgestaltung auf Instagram* dienen wesentlich der Wissenskonstitution und Wissensvermittlung, aber auch der Interaktion und Selbstdarstellung.

Quellen

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Marina Iakushevich

Universitätsassistentin (PostDoc), Arbeitsbereich Linguistische Medien- und Kommunikationswissenschaft, Institut für Germanistik, Universität Innsbruck, Doctor philosophiae

Adresse: Österreich, A-6020 Innsbruck, Innrain 52 Marina Iakushevich

Scientific Associate, Department of Media and Communication Studies, Institute for German Philology, Doctor of Philosophy

Address: 52, Innrain, Innsbruck, A-6020, Austria E-mail: marina.iakushevich@uibk.ac.at

Received: January 31, 2022 Accepted: April 26, 2022

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