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« рШШРшталь УДК 264-941.74
п бывший генеральный секретарь § Союза им. Мартина Лютера ^ (Habichtstrasse 14 A, Erlangen, Germany, D-91056)
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^ млртин Лютер — отец противоречий,
ч вдохновитель споров. Яастб 2
Данный текст, основанный на докладе, прочитанном 11 апреля 2017 г. в Чебоксарах, продолжает первую часть статьи, опубликованную в выпуске альманаха за 2017 г. Автор рассматривает такие значимые вопросы как отношение Лютера к новой картине Вселенной (теория Коперника), его подход к иудаизму и его значению для христиан и также его взгляд на мусульманство. Автор настаивает на необходимости адекватной исторической оценки взглядов Лютера, особенно в тех случаях, когда они далеки от современных идей. Так, относительно евреев Лютер был очень суров и требователен, однако, как подчеркивает автор, важно помнить, что правительство никогда не следовало за его призывами. В отношении к мусульманству выделяется стремление Лютера понять другую религию «изнутри», однако современная ситуация в Европе делает необходимым для лютеран пересмотреть оценки реформатора. Автор приходит к выводу, что единственной идеей Лютера, по-настоящему и по-прежнему ценной для нас, остается его понимание Искупления, совершенного Иисусом Христом, назаретянином.
Ключевые слова: Коперник, вселенная, иудаизм, евреи, мусульмане, ислам, турки, гимны, Христос, искупление
Volume VII
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Rainer Stahl .
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retired general secretary C of Martin Luther Bund C (Habichtstrasse 14 A, Erlangen, Germany, D-91056) .
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Martin L uther inspiriert und regt 3
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zum Widerspruch an. Teil 2
The text «Martin Luther inspires and stimulates contradictions» continues the second part of the artcile based on the report read 11. April 2017 in Tscheboskary and published in the previous volume of the almanac. The author raises such questions as the Luther's attitude to the new picture of the universe (of Copernicus), the reformer's approach to the relation between Jews and Christians and his view on the Muslims. The author insists on careful historical understanding of Luther's positions, especially then they are far from the modern one. In the Jewish question, Luther used to be very critical and severe, but the author emphasizes that no government followed specifically his suggestions and ideas. As to the Luther's approach to the Muslims , in the author's opinion, the only attractive theme is his demand to understand the other religion correctly. It's clear that for the contemporary ethnical situation in Europe make necessary for Lutherans to re-estimate Luther. The author comes to conclusion that the only idea that should be taken today is Luther's understanding of the Revelation as made by Jesus of Nazareth, the Christ.
Keywords: Copernicus, the universe, Judaism, Jews, Muslims, Islam, Turks, hymns, Christ, Revelation
4. Weltbild und Glaube
4.1. Jetzt schauen wir auf zwei Aussagen Luthers zu Fragen des Weltbildes, die beide in den Tischreden Luthers bezeugt sind.
4.1.1. «Es fragte jemand: Herr Doktor, die Schrift sagt, Gott habe zwei große Lichter geschaffen und alle Sterne an die Himmelsfeste gesetzt. Dagegen behaupten die Mathematiker, der Mond sei der
^ kleinste und niederste aller Sterne. Soll man nun mehr der Schriften autorität oder den mathematischen Beweisen glauben? ® Der Doktor erwiderte: Aufgrund der Theorie der Sonnen- und
® Mondfinsternisse, für die sichere Beweise sprechen, kommen wir zu p^ der Überzeugung, daß die mathematischen Hypothesen durchaus annehmbar sind. Darum glaube ich, daß Mose sich unserer Auffassungsart angepaßt hat, da die Sache uns ja gerade so erscheint [...].»'
Luther konnte also unterscheiden zwischen dem, was wir am Himmel wahrnehmen, und dem, was tatsächlich abläuft. So neigt er hier dazu, aus den Beobachtungen von Sonnen- und Mondfinsternissen der naturwissenschaftlichen These Recht zu geben, dass der Mond kleiner ist als die Sonne. Denn — ich ergänze — alle Beobachter wussten, dass es partielle Sonnenfinsternisse gibt.
4.1.2. «Es wurde ein neuer Sternkundiger mit seiner Behauptung erwähnt, daß die Erde sich bewege und nicht Himmel, Sonne und Mond... Aber (sagte Luther)... Jedoch auch, was diese verworrenen Dinge betrifft, glaube ich für mein Teil der Heiligen Schrift. Denn Josua befahl der Sonne stillzustehen, nicht der Erde.»2
Hier hat Luther auf die moderne naturwissenschaftliche Herausforderung durch Nikolaus Kopernikus in der Weise reagiert, dass er den Literalsinn einer biblischen Erzählung — nämlich derer in Josua 10 — für maßgeblicher hält. Eine biblische Aussage vermag also nach Luthers Meinung eine moderne naturwissenschaftliche These zu falsifizieren!
4.2. Einige Erstbeobachtungen:
4.2.1. Im Zusammenhang mit der Frage der Größe der Himmelskörper gibt es keine Überlegungen zu deren Distanz zur Erde. Martin Luther hatte also noch keinerlei Ahnung von der Größe unseres
1 Luthers Tischreden / Zusammengestellt von J. Henkys. Leipzig, 2003. S. 165, Nr. 348 (= WA Tischreden, Nr. 5259).
2 Luthers Tischreden / Hrsg. von J. Henkys. Leipzig, 2003. S. 166, Nr. 351 (= WA Tischreden, Nr. 4638).
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Sonnensystems, geschweige denn unserer Galaxis und der weiteren ^ Nahbereiche des Kosmos! Erkenntnisse dahingehend dürfen wir bei a Luther nicht voraussetzen und ihm also in diesem Zusammenhang i
keinerlei Unkenntnisse vorwerfen. Was hätte Luther zu unserem ^
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Wissen gesagt, dass der Durchmesser der Umlaufbahn des Mondes t
um die Erde etwa nur zwei Dritteln des Durchmessers der Sonne h
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entspricht, die Erde und der Mond mit seiner Umlaufbahn um die i Erde also in die Sonne hineinpassen?! Die Sonne hat einen Durch- s
messer von 1.392.000 km, der mittlere Abstand des Mondes von i
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der Erde beträgt 384.403 km, der Durchmesser seiner Umlaufbahn g also 768.806 km!3 Also: Die Größe der Sonne, die wir wahrnehmen, ^ weist in gar keiner Weise auf ihre wahre Größe hin! §
4.2.2. Die Thesen von Nikolaus Kopernikus sind schon in der Fra-
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gestellung, die Luther vorgelegt wurde, nicht korrekt erfasst worden. g Denn natürlich hat Kopernikus die These entwickelt, dass im Kosmos ^ alles in Bewegung ist. Er hat eine These zum Umlauf der Planeten um u die Sonne vorgelegt — auch der Erde um die Sonne. Und er hat die ^ scheinbaren Bewegungen der Fixsterne mit der Drehung der Erde um sich selbst erklärt! Die erste These war nicht neu. Hier hat Kopernikus Vordenker rezipiert. Wirklich von ihm erstmals in die Diskus- ^ sion eingebracht worden ist die zweite These, dass sich die Erde um u sich selbst drehe! «Die Kopernikanische Wende hat nichts mit der ffi Frage zu tun, ob die Sonne oder die Erde (und mit ihr der Mensch) § im Zentrum des überschaubaren Universums steht. Sie hat vielmehr mit der anderen Bewegung der Erde zu tun, die Kopernikus einführt, also der Drehung unseres Planeten um sich selbst.»4
Zusätzlich ist zu beachten, dass die damals entworfenen Thesen in einer Grundfrage von unseren Vorstellungen, von unserem Wissen weit entfernt waren: «Es sind weder bei Aristoteles noch später bei Kopernikus und Kepler die Planeten oder andere Himmelskörper, die sich bewegen. Es sind stattdessen die Sphären, die sich drehen und die ihnen zugehörenden Objekte mit sich führen. [...] Es dauert seine Zeit, bis die Physiker von Kepler bis Newton die Eigenbewegung der Planeten einführen, die uns heute selbstverständlich geläufig ist.»5
3 Meyers Neuer Weltatlas. Mannheim, 2008. S. 8.
4 Fischer E. P. Der Blick an den Himmel. Die wissenschaftliche Eroberung des Kosmos // Sonne, Mond und Ferne. Der Weltraum in der Philosophie, Politik und Literatur / Hrsg. von E. Schenkel, K. Voigt. Frankfurt am Main, 2013. S. 5.
5 Fischer E. P. Der Blick an den Himmel. S. 8.
rn So ist es nur konsequent, dass Nikolaus Kopernikus sein Hauptwerk u «De revolutionibus orbium coelestium» / «Über die Umschwünge tj der himmlischen Kreise» nannte, also nicht «über die Umschwün-q ge der Himmelskörper».
¡.q 4.3. Dieses Hauptwerk kam auf Initiative des Reformators
o von Nürnberg, Andreas Osiander, zu Anfang des Jahres 1543 her-& aus, also kurz vor dem Tod von Kopernikus. Osiander hatte dem ^ Werk von Kopernikus auf eigene Verantwortung hin ein anonymes « Vorwort vorangestellt, indem das neue Weltbild als Hypothese klas-tn sifiziert wird. Sein Anliegen war nicht, die Thesen des Kopernikus ^ abzuwerten, sondern sein Anliegen war, sie vor Spott und zu schnellt ler Kritik zu schützen und ihre Diskussion zu ermöglichen. Denn Kopernikus war es nicht gelungen, seine Beobachtungsergebnisse und Thesen durch exakte Messungen zu bestätigen6!
Außerdem ist zu beachten, dass Georg Joachim Rheticus, Wittenberg, schon 1541/42 zwei Kapitel aus dem Hauptwerk des Kopernikus veröffentlicht hatte. Es ist die These formuliert worden, dass dies mit stillschweigender Billigung von Luther und Melanchthon geschehen sei7. Die Reaktionen seitens der bedeutendsten Reformatoren waren also schwankend. Die Gesprächssituation im Hause Luther kann demnach frühestens für 1541/42 vorgestellt werden.
4.4. Wenn wir uns mit diesen Thesen auseinandersetzen, müssen wir ganz genau beachten, was in den 40-iger Jahren des 16. Jahrhunderts gedacht werden konnte. Wir dürfen in keiner Weise unser so anderes Wissen in die Diskussion der damaligen Zeit eintragen. Dann würden wir jedem damals an der Diskussion Beteiligten — auch Martin Luther — ausgesprochen Unrecht tun. Übrigens lassen die damals vorhandenen Erkenntnisse verständlich werden, dass die Theorie des Kopernikus zuerst mehrheitlich abgelehnt wurde — sowohl auf reformatorischer, als auch auf «altgläubiger» Seite8.
6 Vgl. den Artikel in Wikipedia: Nikolaus Kopernikus // URL: https:// de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Kopernikus (12.02.2017).
7 Bobzin H. Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa. Stuttgart, 1995. S. 6.
8 Vgl.: Lutherische Kirche in der Welt, Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes. 2011. F. 58. S. 75-100. Außerdem verweise ich auf den Aufsatz zum «Weltwissen» von Catherine Nichols in Luther: Luther! 95 Schätze — 95 Menschen / Hrsg. von der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. München, 2017. S. 176-182, die aber zu Luthers Haltung zu den neuen naturwissenschaftlichen
nismus beobachten. Luthers Betonung der allzeit freien Entschei-
Noch bis 29. Oktober 2017 besteht im Naturkunde-Museum ^
in Coburg die Sonderausstellung «Fabelhaft! Tiere, Natur und a
Schöpfung bei Martin Luther». Eine Texttafel in dieser Ausstellung i
gibt eine erstaunliche Bewertung der Positionen Luthers. «Trotz L
Luthers Bibelinterpretation ist die frappierende Beobachtung t
nicht von der Hand zu weisen, dass seine Auffassungen — in man- g
chen Punkten — modernen Erkenntnissen eher zu entsprechen i33
scheinen, als allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die bis s
weit ins 19. Jahrhundert von einem mechanistischen Ursache-Wir- 2
kung-Verständnis ausgingen. Das betrifft z.B. Luthers Einschät- g
zung der Relativität der Zeit und der Ausdehnung des Universums, ^
die uns an die Allgemeine Relativitätstheorie und an kosmologische § Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Urknall denken lässt.
Ähnliches können wir hinsichtlich der Kausalität und des Determi- w
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dungen Gottes verweist auf den Paradigmenwechsel vom aufklärerischen Fortschritts- und Kausalitätsprinzip, dem noch Einstein W verhaftet war ("Gott würfelt nicht!"), zu einer eher raum-zeitliche g und makro- und mikrokosmische Wechselwirkungen betrach- 2 tenden Sichtweise, wie sie sich beispielsweise von Heisenbergs p Unschärferelation bis zur Chaostheorie entwickelt hat und weiter u entwickeln wird.» Diese großartige Einschätzung des Denkens von ffi Martin Luther macht sein Denken aber gerade mit der Einstiegs- § bemerkung — «Trotz Luthers Bibelinterpretation...» — unverständlich. Denn Martin Luther war nicht naturwissenschaftlich forschend tätig. Alle Aussagen seinerseits, die modernen Positionen zu ähneln scheinen, hat er als Bibelinterpret gewonnen!
Genau in diesem Sinne ist für mich beeindruckend, dass Martin Luther mit seinem Satz — «DennJosua befahl der Sonne stillzustehen, nicht der Erde.» — die Konsequenz aus den Thesen des Kopernikus klarsichtig erkannt und ausgesprochen hat: Wäre nämlich der Bibeltext auf der Grundlage dieser Thesen des Kopernikus geschrieben worden, hätten Gott, bzw. Josua befehlen müssen, dass die Erde stillsteht, dass sie aufhört, sich um sich selbst zu drehen. Denn nur so wäre zu erreichen, dass die Sonne länger auf einen Ort scheint, dass also der helle Tag an diesem Ort länger dauert als normal.
Thesen anmerkt, der Reformator habe sie «für Hirngespinste», für die «die reine Narretei» gehalten (S. 176).
га 4.5. Meines Erachtens ist die Textsituation in Josua 10 kompli-
o ziert. In Josua 10,8-11 wird eine erste Lösung des Kampfes zwischen
tj Jerusalem und den Gibeonitern geschildert: Jahwe sichert den Sieg
О der Gibeoniter durch einen Gottesschrecken, der die Jerusalemer
л verwirrt. In Josua 10,12-15 liegt eine zweite Erklärung des Sieges
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о vor. Dabei wird ein Text eingesetzt, der im Archiv in Jerusalem gele-к
gen hat und aus einem «Buch der Aufrechten» entnommen wor-^ den war. Die Kurzformel in dieser Notiz bringt ursprünglich zum Ausdruck, dass die Götter von Jerusalem, nämlich «Schämäsch» (= Sonne) und «Jareach» (= Mond) wirkungslos, schwach werden
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^ sollen: «Schämäsch (= Sonne) bei Gibeon sei wirkungslos und Jar-^ each (= Mond) im Tal Ajjalon!» (Jos 10: 12c-d).
Die Verfasser der heute vorliegenden hebräischen Bibel haben diese alte, noch polytheistisch geprägte Vorstellung dahingehend verändert, dass Sonne und Mond in ihrem scheinbaren Lauf am Himmel auf Gottes Befehl hin stillstehen sollen. In der griechischen Übersetzung ist dann eindeutig eingetragen worden, dass das Josua angeordnet habe.9
Wenn wir heute, mit unserem naturwissenschaftlichen Wissen im Hintergrund, diese alte Geschichte deuten wollen, dann erkennen wir, dass sie als Bericht über ein angebliches Naturwunder völlig irrelevant ist. Aber ausgehend von der ursprünglichen Aussage des Gotteswortes vermittelt diese Geschichte eine zeitlose Erkenntnis: «Sie enthält die Botschaft, die auch über die gedachte historische Verankerung hinaus gültig ist: Es gibt nur einen Gott. Alle anderen "Götter" sind ihm unterworfen. Weltliches — wie Sonne / "Schämäsch" und Mond / "Jareach" — dürfen wir nicht vergotten.»10
Summary: In the discussion about our picture of the universe we have very carefully to take into account what was possible to know in the forties of the sixteenth century. When we do this, than we recognize that Martin Luther has very clearly seen the consequence of the new picture of the universe, what Nicolaus Copernicus had published. But he decided against the modern thesis — like more or less all other thinkers of his time. Only at least two centuries later, after the work of Galilei, Kepler and Newton the knowledge was elaborated to see reasons for the new thesis and create the ability to describe it mathematically!
9 Vgl:. Stahl R. Die Glaubwürdigkeit der Bibel // Aufbrüche. Festgabe für Hans Klein, konfluenzen Nr. 14-15. 2014-2015. S. 142-145.
10 Stahl R. Die Glaubwürdigkeit der Bibel. S. 145.
11 Der Begriff «Schem Hamphoras» verbindet die hebräischen Worte für «Name» — «Schem» und für «das Festgelegte» — «Mephorasch», besagt also: «Der festgelegte Name», was eine verhüllende Redeweise von «Gott» darstellt.
12 Kaufmann T. Luther und die Juden // Lutherische Kirche in der Welt. Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes. 2016. Fol. 63. S. 33.
13 Kaufmann T. Luther und die Juden. S. 48.
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5. Unsere Beziehung zu unseren jüdischen Nachbarn ^
5.1. Martin Luther hat klar herausgearbeitet, «Dass Jesus Chris- r tus ein geborener Jude sei» — so seine wichtige Schrift von 1523, die § meines Wissens damals sogar in einem jüdischen Verlagshaus nach- u gedruckt worden ist. Trotzdem hat Luther auch böse Abgrenzungen h und Verunglimpfungen gegen die Juden ausgesprochen — es seien r nur seine drei diesbezüglichen Schriften aus dem Jahr 1543 genannt: «Von den Juden und ihren Lügen», «Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi»11 und «Von den letzten Worten Davids». i Gott sei es gedankt, sind seine Vorschläge — Synagogen zu zer- r stören und jüdische Mitbürger in die Zwangsarbeit zu zwingen oder c zu vertreiben — von den politisch Verantwortlichen seiner Zeit nicht d aufgegriffen worden. Für alle Orte, in denen Luther gelebt hat, galt ja auch, dass die jüdischen Mitbürger lange vor Luther vertrieben worden waren: Er hat also Jüdinnen und Juden als Mitbürger in einer Stadt gar nicht gekannt!12 Viel schlimmer war aber eine Langzeitwirkung erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts: Seine Verunglimpfungen haben damals Antisemiten zur Legitimation ihrer Positionen herangezogen. Dann im 20. Jahrhundert haben die Nationalsozialisten seine Äußerungen für die Legitimation ihrer unvorstellbaren Gewaltverbrechen benutzt: «Insofern trug des "großen Deutschen" Martin Luther maßloser Judenhass dazu bei, deutschen Judenfeinden ein "gutes Gewissen" und evangelische Christen für den völkischen Antisemitismus und seine mörderischen Konsequenzen anfällig zu machen.»13
5.2. Zu dieser Problematik sei nur so viel angedeutet: Selbstverständlich ging es Luther überhaupt nicht um Rassismus, sondern um den Gegensatz von Gesetzesreligion und Evangelium. In seiner grundlegenden Untersuchung hat Heiko Oberman vor 34 Jahren unterstrichen: «Es ist immer wieder einzuprägen, daß Luther bei "Juden" nicht eine Rasse vor Augen hat, bei getauften und ungetauften Juden nicht von einer ethnologischen Einheit ausgeht: Getaufte Juden gehören ohne Einschränkung zum neuen Volk Gottes, genauso wie
га die getauften Germanen, die Heiden. Er denkt somit bei den unge-o tauften Juden an eine Religion, und zwar an jene Gesetzesreligion», tj von der auch in der päpstlichen Kirche viele gezeichnet sind «und die О später genauso die evangelische Kirche unterwandert hat.»14 л Er verstand die eigenständige Bibelauslegung der Juden, die
о ohne das Neue Testament auskommt und die Bücher, die für uns
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g Christen das Alte Testament bilden, ohne jeden Hinweis aufJesus aus ^ Nazareth als Christus deutet, als Gefährdung der christlichen Wahrst heit. 1525 oder 1526 muss die wohl einzige Begegnung mit Rabbinern ^ stattgefunden haben. Der Gegensatz der Positionen wird an der Klage ^ eines der jüdischen Gesprächspartner deutlich, der fragte, was denn ^ Luther «immer mit dem Gehenkten habe» — womit er in einer ganz glaubenslosen Weise vom gekreuzigten Jesus aus Nazareth gesprochen hat. Thomas Kaufmann hat hervorgehoben:
Diese Begegnung, die Luther offenkundig sehr aufgewühlt hat und die seine exegetisch gewonnene Überzeugung, daß die Juden in ihrer Verstocktheit unablässig Christus lästerten, bestätigte [...] scheint maßgeblich mit dafür verantwortlich gewesen zu sein, daß Luther unversöhnlich scharf über die Juden zu urteilen begann [...]15.
Wir können also in diesem Zusammenhang nicht den frühen Luther gegen den späten Luther setzen und die Positionen des alten Luther als Alterserscheinungen bewerten, sondern wir müssen anerkennen, dass die grundlegenden bibelwissenschaftlichen Entscheidungen bei Luther durch das ganze Leben hin gleich geblieben sind und unterschiedliche Wirkungen gehabt haben. Der Horizont ist also kompliziert, vor dem wir zu eigenständigen Entscheidungen kommen müssen.
5.3. Kritisch möchte ich konstatieren, dass Martin Luther unfähig war, für Nichtchristen eine andere als die christliche Position zur Rolle und Bedeutung Jesu aus Nazareth als Möglichkeit gelten zu lassen. Für Christen sind die Positionen Luthers zu Jesus aus
14 Oberman H. A. Luthers Beziehungen zu den Juden: Ahnen und Geahndete // Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546: Festgabe zu seinem 500. Geburtstag. Bd I. Berlin, 1985. S. 519-530; Bd II. S. 894-904. Zitat: Bd I. S. 520-521. Dies ist eine grundlegende Untersuchung, bei der jede Arbeit zum Thema beginnen kann.
15 Kaufmann T. Luthers «Judenschriften». Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung. Tübingen, 2011. S. 157.
Nazareth und zu den Texten des Alten Testaments ganz wichtig; ^ deshalb setzte ich mich mit ihnen positiv auseinander. Aber wir a müssen doch Nichtchristen zugestehen, dass sie andere Positionen i einnehmen.
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Martin Luther hat dagegen die biblischen Schriften gerade T
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16 Levin Ch. Der Luther Sound ist zum Inbegriff von religiöser Sprache geworden // Philosophie Magazin: Die Bibel und die Philosophen. Sonderausgabe. 2016. N 7 (November). S. 96.
17 Kaufmann T. Geschichte der Reformation. S. 646.
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in ihrer christlichen Interpretation als allein maßgeblich angesehen, sogar in dieser Interpretation als bindend selbst für Juden oder Muslime: «Luthers Antijudaismus, über den man heute ja viel spricht, ist eindeutig. [...] In gewisser Weise ist das der Preis, den er bezahlt für seine unmittelbare Lektüre des Alten Testaments auf das 5 Neue hin. Wenn Sie wie Luther annehmen, dass der Literalsinn der Schrift, der "sensus christologicus" ist, diese Einheit von Altem und § Neuem Testament, dann können Sie überhaupt nicht verstehen, dass r es Menschen gibt, die diesen "sensus christologicus" abstreiten und g nicht sehen, dass das Alte Testament von Christus spricht. Das muss Z dann böser Wille sein oder Verstocktheit. Und genau das hat Luther ^ den Juden unterstellt» — wie der Münchner Alttestamentler Chris- ^ toph Levin kürzlich festgehalten hat.16 Und Thomas Kaufmann fasst 5 klar zusammen: «Luthers unrealistische Hoffnungen auf nennens- s werte Bekehrungserfolge schlugen in einen immer unverblümteren Judenhaß um, der [...] sich im Kern aber aus den Wahrheitsansprüchen einer christlichen Interpretation des Alten Testaments ergab.»17
Um Luthers Position im historischen Sinne zu verstehen, ist hier eine Erinnerung wichtig: Seit der Spätantike gab es die Vorstellung, dass eine Gesellschaft nur dann göttlichen Zorn nicht auf sich herabzieht, wenn sie abweichende Meinungen abwehrt, jedenfalls nicht duldet. Denn — so der Gedanke — wenn sie diese abweichenden, gegen die erkannten göttlichen Wahrheiten gerichteten Meinungen toleriert, macht sie sich an diesen Sünden mitschuldig und zieht auch auf sich selbst Gottes Zorn. Diese Gedankenstruktur war für den Fall der Gotteslästerung seit 1530 Reichsgesetz! Wenn Luther jüdische Verstehensweisen der Bibel ablehnt, dann tut er dies auch aus diesem Grund: Er will sein Gemeinwesen — seine Gemeinde, seine
га Gesellschaft — davor bewahren, durch Tolerierung angeblich falo scher Auffassungen in die göttliche Strafe hineingezogen zu werden, tj die diese angeblich falschen Auffassungen nach sich ziehen werden18! О Wir leben aber heute in einem ganz anderen Maße mit Nichtchristen
л zusammen und wissen, dass wir und unsere Nachbarn uns bei diesem
ra
о Thema grundlegend unterscheiden — selbst oder gerade auch dann,
g wenn diese Nichtchristen auch an eine Gottheit glauben. Da lernen wir
^ zuerst, diese anderen Positionen erst einmal zu ertragen.
2 5.4. Für die notwendige Auseinandersetzung mit Luthers Positi-
s
^ onen zum Judentum sei auf mehrere Vorgänge und Erklärungen vers
^ wiesen:
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^ 5.4.1. 1933 haben damals sehr mutige Theologen in Deutsch-
land im «Betheler Bekenntnis» formuliert: «Gott preist Seine Treue dadurch überschwenglich, daß er Israel nach dem Fleisch [...] auch nach der Kreuzigung des Christus nicht verwirft. [...] Von der Pflicht, Israel zur Buße und zur Taufe zu rufen, kann sich die Kirche durch keine kulturellen oder politischen Erwägungen befreien lassen. Ebensowenig können sich die Heidenchristen von den Christen aus dem Volke Israel trennen. [...]» Diese wenigen Sätze werden zur Diskussion herausfordern, sie bringen aber vor allem eines zum Ausdruck: Vom christlichen Glauben her gibt es keinerlei rassenmäßigen Unterschiede. Auch kann eine einzelne Nation nicht das Ziel der Geschichte sein, sondern für uns Christen stellt das innerweltliche Ziel der Geschichte — wie dieses Bekenntnis es formulierte — die «aus allen Völkern gesammelte christliche Kirche» dar19.
5.4.2. Während der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Budapest im Jahr 1984 hatte Dr. Gerhard M. Riegner, damals Co-Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses, zum Thema «Die Kirche und das jüdische Volk» gesprochen — eine meines Wissens im ökumenischen Bereich ganz außerordentliche Gelegenheit. Er führte aus: «Die grundlegenden Unterschiede müssen klar gesehen werden, wenn wir Verwirrung oder Illusionen vermeiden wollen. Soviel ist klar: Wir müssen diese fundamentalen Verschiedenheiten respektieren, die uns in bleibender Weise trennen. Nur wenn wir
18 Schubert A. Fremde Sünde // Martin Luther — Biographie und Theologie / Hrsg. von D. Korsch, V. Leppin. Tübingen, 2010. S. 251-270.
19 Schmidt K. D. Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933. Bd 1. Göttingen, 1934. S. 127f.
den andern annehmen, so wie er in seiner besonderen Identität ist, ^ können wir hoffen, in eine sinnvolle Beziehung zu ihm einzutreten. a [...] Ich sagte vorher, dass unsere Beziehung auf gegenseitigem Respekt i und wechselseitiger Anerkennung der Integrität basiert, wie diese von L jeder der beiden Glaubensgemeinschaften selbst verstanden wird. Es ist T nicht unser Ziel, die Identität der anderen Seite zu verändern oder den ® Inhalt des christlichen Glaubens zu bestimmen. Ebenso erwarten wir i von unseren Partnern, dass sie das Judentum als lebendige Wirklichkeit s sowie unser Glaubensengagement respektieren.»20 r
5.4.3. Am 18. April 1994 hat die Evangelisch-Lutherische Kir- S che in Amerika eine «Erklärung an die jüdische Gemeinschaft» h veröffentlicht, die in dieses Bild hineingehört: «Im Geiste dieser § Wahrhaftigkeit müssen wir, die wir seinen Namen und sein Erbe r tragen, mit Schmerz auch Luthers antijüdische Schmähungen und g die gewalttätigen Empfehlungen in seinen späteren Schriften gegen Z die Juden zur Kenntnis nehmen. Wie schon viele von Luthers eigenen ^ Gefährten im 16. Jahrhundert weisen wir diese verletzenden Schmä- ^ hungen zurück und drücken darüber hinaus unser tiefes und bleiben- 5 des Gefühl des Schmerzes über deren tragische Folgen für die nach- s kommenden Generationen aus. [...] Indem wir die Mitschuld unserer eigenen Tradition innerhalb dieser Geschichte [des Antisemitismus] beklagen, sprechen wir zugleich unseren dringenden Wunsch aus, künftig unseren Glauben an Jesus Christus verbunden mit Liebe und Respekt gegenüber dem jüdischen Volk zu leben.»21
5.4.4. Der Forscher zu diesem Themenfeld, Peter von der OstenSacken, Berlin, hat vor beinahe zehn Jahren positiv festgehalten: «Auf Dauer heilen lassen sich die vor allem im letzten Jahrhundert [...] geschlagenen Wunden [...], wenn beide Seiten im Zeichen der Anerkennung des Rechtes auf Verschiedenheit miteinander sprechen, ja auch, wo es nottut, miteinander um das Gemeinsame geschwisterlich streiten und wenn — in seinem Gewicht schwerlich zu überschätzen — die christliche Seite so viel Kraft aufbringt, dass sie den Schmerz zulässt»22.
20 «In Christus — Hoffnung für die Welt». Offizieller Bericht der Siebenten Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes. Budapest, Ungarn, 22. Juli — 5. August 1984 / Hrsg. von C. H. Mau. Budapest, 1984. S. 152 und 154 (LWB-Report. N 19/20).
21 Zitiert nach: Zeitschrift der Luther-Gesellschaft. 1996. N 67. S. 97f.
22 Osten-Sacken P., von der. Martin Luther und die Juden. Ende einer Feindschaft? // Interesse am Judentum. Die Franz-Delitzsch-Vorlesungen 1989—
га 5.4.5. Und auch wir — unser Martin-Luther-Bund -, haben uns
о dieser großen Herausforderung gestellt, und im September 2014 tj die Tagung «Christenheit und Judentum — Kirche und Synagoge» О durchgeführt. Damals wurden ganz verschiedene Themen aufge-л nommen: die parallele Entstehung von Christentum und Juden-o tum; Luthers Positionen zum Judentum und deren Wirkungen; g die Möglichkeit, zugleich Jude und Christ zu sein; Möglichkei-^ ten und Wege der Konversion vom Christentum zum Judentum; 2 die römisch-katholische Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum ^ und Skizzen zum Diskussionsstand in Ungarn und in der Slowakei. ч Prof. Dr. Wolfgang Treitler, Wien, hat sein Referat zur Diskussi-^ onsentwicklung in der römisch-katholischen Kirche in einer Weise zusammengefasst, die unbewusst den Gedanken von Peter von der Osten-Sacken aufnahm: «Den jüdischen Brüdern und Schwestern mit Schamröte im Gesicht zu begegnen, hat erst [Papst] Franziskus die römisch-katholische Kirche gelehrt. [... ] die in der Scham liegende echte Reue und Umkehr auch im theologischen und lehrhaften Denken zu verwirklichen — und da nicht nur in den Bereichen, die nicht schmerzen, sondern an den zentralen Stellen christlicher Selbsterfassung wie der Christologie, der Trinitätslehre, der Rechtfertigungslehre oder der Ekklesiologie — ist eine Aufgabe, an die sich erst ganz Vereinzelte gemacht haben.»23
5.5. Der Ansatzpunkt für Spannungen zwischen Christen und Juden von Seiten der Christen war durch die Jahrhunderte hindurch die merkwürdige Vorstellung einer Verflochtenheit der jeweilig zeitgenössischen jüdischen Nachbarn in den längst geschehenen Kreuzestod Jesu — meines Erachtens eine völlige Fehldeutung der Antwort des Volkes: «Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!» auf die Aussage des Pontius Pilatus: «Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen; seht ihr zu!» (Matthäus 27: 24-25). Über lange Zeit hin war deshalb die Karwoche im Jahr eine Zeit besonderer Gefährdung jüdischer Gemeinschaften seitens ihrer christlichen Nachbarn. Gerade vor diesem Hintergrund aber ist die Veränderung
2008 / Hrsg. von J. C. de Vos, F. Siegert. Berlin, 2008. S. 280.
23 Treitler W. Die römisch-katholische Kirche und das Judentum. Skizze der Beziehung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil // Lutherische Kirche in der Welt. Lutherische Kirche in der Welt. Jahrbuch das Martin-Luther-Bundes 2016. F. 63. S. 98.
einer mittelalterlichen Judasstrophe durch Martin Luther selbst ^
ein eindrückliches Zeugnis seines Glaubens — auf alle Fälle 1544 a
gedruckt, also im Jahr nach seinen problematischen Judenschriften! i
Ich finde: ein Glaubenszeugnis, das auch wir rezipieren können: L
Unsere große Sünde und schwere Missetat T
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Jesus, den wahren Gottessohn, ans Kreuz geschlagen hat.
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Darum wir dich armer Judas, dazu der Juden Schar, nicht feindlich dürfen schelten, die Schuld ist unser gar. i
Kyrie eleison. ^
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Gelobet seist du Christe, der du am Kreuze hingst, d
Und für unsere Sünde viel Schmach und Streich empfingst. e
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Jetzt herrschest mit dei'm Vater in dem Himmelreich,
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Mach uns alle selig auf diesem Erdenreich.
Kyrie eleison24.
Daraus wird deutlich, dass sich jede Generation lutherischer Christinnen und Christen sowohl mit den antijüdischen Äußerun- r gen Luthers als auch mit seinen positiv christlichen Positionen, die c nicht gegen unsere jüdischen Nachbarn gerichtet sind, auseinander- ® setzen muss, um ihre Identität in der Beziehung zu diesen jüdischen n Nachbarn zu bestimmen.
Summary: Luther's main point of the explanation of the relation betweenJews and Christians is a specific hermeneutic, a specific interpretation of the texts of the Old Testament: Luther could not imagine and not tolerate that Jews interpret and understand these texts without relation to Jesus of Nazareth, the Christ. Therefore he has first hoped that the Jewish neighbors will welcome the preaching of Christ by the reformation and become Christians. As long as he learned, that only very few persons converted, he used the same understanding and interpreting of the Old Testament to explain that the Jewish people are wrong
24 «Die sonstigen Dichtungen Luthers (auch Reimsprüche)» (D. Martin Luthers Werke: Kritische Gesamtausgabe / Hrsg. von J. K. F. Knaake. Bd 35. Weimar, 1923. S. 576), die Hervorhebungen und die sprachliche Modernisierung sind von mir. Vgl. dazu: Oberman H. A. Luthers Beziehungen zu den Juden. S. 529-530.
m and should be punished. It's very important, that in the time of Luther o no governmentfollowed specifically his suggestions and ideas.
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« 6. Gibt Luther eine Hilfe für die Beziehung zum Islam?
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^ 6.1 Hier sei zuerst in Erinnerung gerufen, dass die türkische
o Bedrohung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ^ für uns Lutheraner auch positive Wirkungen hatte, denn sie führte ^ immer wieder dazu, dass militärische Angriffe gegen die evangeli-§ schen Reichsterritorien abgewendet werden konnten. So wurde im ^ Jahr 1539 eine Verständigung innerhalb des Heiligen Römischen ^ Reiches «auf alle Anhänger der "Ausgburgischen Konfession" aus-^ gedehnt und damit der drohende Zustammenstoß zwischen Altgläubigen und Evangelischen vorerst verhindert»25.
«Die Türkengefahr war eine der großen Drohungen, die zeitweilig alle anderen Überlegungen überschattete; Türkenfurcht beherrschte die Gemüter wie nur die Ankündigung des letzten Gerichtes, und sie war kein leerer Wahn. In Sultan Suleiman besaß das Osmanische Reich einen Herrscher, der es auf den höchsten Gipfel seiner Macht geführt hatte, in Organisation — Kamuni, den Gesetzgeber, nannten ihn seine Geschichtsschreiber — wie in militärischer Schlagkraft. Er verfügte über die einzige stehende Armee der damaligen Welt [...] und sein Reich war zusammengehalten durch einen einheitlichen Glauben; er selber schrieb sich achtmal mit eigener Hand den Koran ab.»26
Auf Grund dieser damaligen militärischen Bedrohung Deutschlands seitens der Türken ist überhaupt nicht verwunderlich, dass eine allgemeine Türkenfurcht herrschte, die auch Martin Luther erfasst hat, so dass er den Islam vor allem als Bedrohung wahrnahm.
6.2. Allerdings hat er diese Bedrohung ursprünglich ganz anders verarbeitet, als seine Zeitgenossen: Er hat die Türken als «Zuchtrute Gottes» gegen die Sünden der Menschen in Europa gedeutet und von daher eine kritische Haltung gegenüber dem Kampf gegen die Türken eingenommen, die so verstanden wurde, als habe er einen Krieg gegen die Türken verworfen und vielmehr den Kampf gegen die eigenen
25 Mau R. Luthers Stellung zu den Türken // Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. S. 657. Auch dies ist eine grundlegende Untersuchung, die in das nötige Koordinatensystem zu diesem Problemfeld einführt.
26 Friedenthal R. Luther. Sein Leben und seine Zeit. München, 1967. S. 626.
27 Mau R. Luthers Stellung zu den Türken. S. 657, und: Die Reformation in Dokumenten. Weimar, 1967. S. 23: «Preliari aduersus Turcas, est repugnare deo uisitanti iniquitates nostras per illos» (die Übersetzung oben ist von mir).
28 Mau R. Luthers Stellung zu den Türken. S. 647.
29 Martin Luther. 1) Vom Krieg wider die Türken // D. Martin Luthers Werke: Kritische Gesamtausgabe / Hrsg. von J. K. F. Knaake. Bd 30. II: Schriften 1529 / 30. Weimar, 1909. S. 107-148; 2) Heerpredigt wider den Türken // D. Martin Luthers Werke. Bd 30. II. S. 160-197; 3) Vermahnung zum Gebet wider den Türken // D. Martin Luthers Werke. Bd 51: Predigten 1545/46; Auslegung des 23. und 101. Psalms 1534/36; Schriften 1540/41; Sprichwörter-Sammlung. Weimar, 1914. S. 585-625. Bei Zitaten aus diesen Schriften, die von mir immer wieder sprachlich modernisiert sind, wird jeweils die Quelle in Klammern angefügt.
Sünden stark gemacht. Diese Sicht der Dinge wurde Luther sogar von ^
Papst Leo X. in der Bannandrohungsbulle «Exsurge Domine» vom a
15. Juni 1520 als Irrlehre vorgeworfen. Der 34. der verworfenen Sät- i
ze Luthers lautet dort: «Kämpfen gegen die Türken bedeutet, Gott L
Widerstand zu leisten, der uns durch jene feindlich besucht.»27 Dieses T Verständnis von Luthers Position war lange vorherrschend und wurde ihm immer wieder vorgeworfen28. Umso mehr wurde es notwendig, dass sich Martin Luther zu dieser Herausforderung geäußert hat.
Ich nenne hier die Schriften «Vom Krieg wider die Türken» aus
dem Jahr 1528, «Heerpredigt wider den Türken» aus dem Jahr 1529 w
und «Vermahnung zum Gebet wider den Türken» aus dem Jahr 154129. h
6.3. Wie sich schon bei der Verhältnisbestimmung zu den jüdi- n
schen Nachbarn die Unfähigkeit Luthers ausgewirkt hat, ihren ^
Widerspruch gegen den Christusglauben der Kirche als Möglichkeit g
für andersreligiöse Menschen zu akzeptieren, so bestimmt diese Z
Unfähigkeit auch grundlegend seine Verhältnisbestimmung zu den ^
Muslimen: «Erstlich, so lobt er [Mohammed] wohl Christus und ^
Maria beinahe sehr, als diejenigen die als einzige ohne Sünde gewe- 5
sen seien. Aber doch hält er nichts mehr von ihm als von einem heili- r
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gen Propheten [...], verleugnet aber, dass er Gottes Sohn und rechter r Gott ist. Dazu hält er auch nicht, dass Christus der Welt Heiland sei, c für unsere Sünde gestorben, sondern habe zu seiner Zeit gepredigt A und sein Amt bis zu seinem Ende ausgerichtet, gleich wie ein anderer Prophet. Aber sich selber lobt und hebt er hoch und rühmt, wie er mit Gott und den Engeln geredet habe und ihm befohlen sei, nachdem Christi Amt nun aus sei, die Welt [...] zu seinem Glauben zu bringen und, wo sie nicht wollen, mit dem Schwert zu bezwingen oder zu strafen. Darum halten die Türken viel höher und größer von ihrem
га Mohammed als von Christus. Denn Christi Amt habe ein Ende о und Mohammeds Amt sei jetzt im Schwange. Daraus kann nun ein fcj jeglicher wohl merken, dass der Mohammed ein Verstörer unseres О Herrn Christus und seines Reichs ist. [...] Denn Mohammed mit sei-л ner Lehre von eigenen Werken und besonders vom Schwert: Das ist
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о das Hauptstück des türkischen Glaubens, bei dem auf einem Haufen g alle Gräuel, aller Irrtum, alle Teufel liegen.»30 Die Zurücksetzung ^ Christi konnte Luther nur als Wirkung des Teufels wahrnehmen. Zu ^ einem offenen Glaubensgespräch, das auch aushält, dass die ande-^ ren nicht beachten oder ablehnen, was einem selbst wichtig ist, war ^ er nicht fähig.
^ 6.4. Und zwei weitere Entscheidungen Luthers haben sich hier
wesentlich ausgewirkt: ein überraschender Biblizismus, mit dessen Hilfe er mögliche biblische Aussagen nutzt, um die Herausforderung der damals aktuellen türkischen Bedrohung zu verstehen (6.4.1.), und die Übernahme des allgemeinen Endzeitbewusstseins, die es ihm unmöglich machte, die türkische Bedrohung als "einfache" politische und militärische Herausforderung der eigenen Zeit zu deuten (6.4.2.):
6.4.1. Die Aussagen und Bilder in Daniel 7 interpretiert er dergestalt, dass er schlussfolgert: «So muss das draus folgen, dass der Türk zum Römischen Kaisertum sein wird [gehört] und im vierten Tier muss begriffen sein. [...] das kleine Horn zwischen den zehn Hörnern. Hier kommt und findet sich der Türke. [...] Solches alles zeigt und bezeugt auch das Werk und stimmt mit dem Text [des biblischen Buches], dass der Mohammed dasselbige kleine Horn sein muss»31.
Eine intensive Untersuchung des Buches Daniel hat mir zu der Einsicht verholfen, dass die Verfasser der verschiedenen Schichten der Visionskapitel nicht wissen, was in Zukunft sein wird, sondern dass sie sich ratend in die vor ihnen liegende Zeit in Richtung auf die Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. vortasten32. Deshalb widerspreche ich der langen Auslegungstradition, die die angedeuteten Mächte mit den Machtstrukturen der eigenen Gegenwart gleichsetzt.
30 Martin Luther. Vom Krieg wider die Türken. S. 122.
31 Martin Luther. Heerpredigt wider den Türken. S. S. 166f.
32 Stahl R. Von Weltengagement zu Weltüberwindung. Theologische Positionen im Danielbuch // Contributions to Biblical Exegesis & Theology. 1994. N 4. S. 77-82.
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Allerdings ist hierbei etwas Wichtiges zu beachten: Man hat ^
im 16. Jahrhundert n.Chr. das eigene Heilige Römische Reich a
Deutscher Nation als Fortsetzung des Römischen Reiches verstan- i
den, das man im vierten Tier mit seinen zehn Hörnern (Dan 7, 7) L
angedeutet verstand. Insofern konnte man den Text im Danielbuch T
direkt auf sich selbst beziehen. ®
In diesen Zusammenhang gehört eine Erkenntnis, die Hart- i mut Bobzin vor 22 Jahren herausgearbeitet hat: durch genaue Kenntnisnahme des äußeren Feindes (Türken) werden auch
die inneren Feinde (Rom und die abweichenden reformatori- 5
schen Bewegungen) klarer. Luthers Interesse am Koran war h
bestimmt vom «Aufweis von Lehrdifferenzen innerhalb der n
Kirche [...].» Er war also aus praktisch-theologischen Gründen ^
am Islam interessiert! «[...] den Koran in seinem wahren Cha- g
rakter zu erkennen ist so wichtig wie die Auseinandersetzung Z
mit allem anderen innerhalb der Kirche, was dem einen wahren ^
Evangelium entgegensteht»33. W
6.4.2. «So müssen wir unsern Herrn Jesus Christus durch seine 5
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Zukunft lassen raten und helfen, welcher doch nicht ferne sein kann. r
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Denn die Welt ist ans Ende gekommen. [...] Also dünkt mich jetzt r auch, weil das Römische Kaisertum fast dahin ist, sei Christi Zukunft c vor der Tür. Und der Türke sei für solches Reich das Letzte als eine A Zugabe»34. Hier wird die schon festgestellte Vorstellung eines Zusam- ^ menhangs zwischen dem antiken Römischen Reich und dem eigenen Staatsgebilde des 16. Jahrhunderts, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, sehr schön deutlich. Können wir dem ernsthaft folgen? Wie sollten wir dies mit Blick auf die bestehenden Staaten unserer Zeit und konkret mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland tun? Das ist also völlig unmöglich!
Entsprechend seiner Gedankenwelt hat Luther in seiner « Heerpredigt wider den Türken» festgehalten: «Zum Schluss soll flugs auf der Türken Reich und Wüten der Jüngste Tag und das Reich der Heiligen kommen» (WA 30, II, S. 170). «Luther glaubte das Weltende nahe herbeigekommen: "finis adest mundi", wie er wiederholt und in immer neuen Variationen vor allem in den Briefen seiner letzten
33 Bobzin H. Der Koran im Zeitalter der Reformation. S. 18, 92 und 150.
34 Martin Luther. Vom Krieg wider die Türken. S. 143f.
rn Lebensjahre schreibt [...].»35 Aber: Einmal weiß der originale aramäi-
o sche Text von Daniel 7 nichts von der Geschichte eines europäischen
tj Reiches. Zum anderen müssen wir die zwischen der Reformation und
O uns vergangenen 500 Jahre auch als theologisch relevant anerken-
-q nen: das Endzeitbewusstsein Luthers hat sich überlebt!
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o 6.4.3. Der Regensburger Systematische Theologe Hans Schwarz hat
g jüngst festgehalten: « Zunächst b etont Luther die strikte Unterscheidung ^ zwischen geistlicher und weltlicher Zuständigkeit, die für das christli-2 che / evangelische Umfeld unverzichtbar ist»36: In diesem Sinne kann ^ er sich einen Krieg gegen die Türken nur als Verteidigungskrieg und ^ als Krieg unter der staatlichen Autorität des Kaisers vorstellen. Das ist ^ also eine Position ganz im Sinn einer recht verstandenen «Zwei-Reiche-Lehre» oder einer «Lehre von den beiden Regierweisen Gottes», die wir auch heute für uns fruchtbar machen können.
Zugleich aber verbindet er den hier auf Grund des vorhandenen Bedrohungspotentials notwendigen Kriegseinsatz mit seinen Endzeitvorstellungen, wendet die genannte Unterscheidung zwischen weltlich und geistlich gerade «für das türkisch / muslimische [Umfeld] nicht» an37 und opfert diesen wichtigen Aspekt evangelisch-lutherischer Identität der Propaganda eines Endzeitkampfes: «Und wenn ihr nun wider den Türken ziehet, so seid ja gewiss und zweifelt nicht daran, dass ihr nicht wider Fleisch und Blut, das ist, wider Menschen streitet [...]. Sondern seid gewiss, dass ihr wider ein großes Heer von Teufeln streitet»38.
6.4.4. Beim heutigen Gespräch mit Richtungen des Islam kann uns Luther von seiner Grundprägung her also nicht helfen. Denn es wäre ein große Versuchung, auf aggressive Positionen innerhalb des Islam, vom so genannten «Islamismus» bis zu dem Gebilde «Islamischer Staat», mit gleicher Münze zu reagieren. Als Christen und als Lutheraner haben wir uns für die Religionsfreiheit der Muslime in unserem Kulturkreis und für die Religionsfreiheit für nichtmuslimische Religionen, gerade auch für Kirchen und Christen, unter von islamischen Bestimmungen geprägten Rechtssystemen einzu-
35 Bobzin H. Der Koran im Zeitalter der Reformation. S. 17.
36 Vgl.: Schwarz H. Luther und die Türken // Confessio Augustana. 2016. N 1. S. 65.
37 Schwarz H. Luther und die Türken. S. 65. (Hervorhebung von mir).
38 Martin Luther. Vermahnung zum Gebet wider den Türken. S. 618.
einer Widerlegung des Koran war! In diesem Sinne fügt Luther seiner deutschen Übersetzung dieses Textes einen eigenen, sehr kritisch-
se, dass der Koran selber zu erkennen gäbe, dass zwei Drittel seiner Aussagen «alle erlogen» seien (vgl.: D. Martin Luthers Werke. Bd 53. S. 338, Anm. 5, 340), und der Tatsache, dass sich Luther bei seiner Koraninterpretation immer auch in der Auseinandersetzung mit christlichen Richtungen befindet, wird folgende Aussage verständlich (von mir sprachlich modernisiert): «Weil nun [...] bei uns und unter uns Christen gewöhnlich der größte Teil gegen Gottes Gebot ungehorsam ist und dem Mammon, ja dem Teufel, wissentlich dient, wie sollte es dann verwundern, dass die Türken, die Gottes Gebot und Wort nicht haben, im Mammon und in großem Glück ersaufen, erkannte Lügen glauben oder mindestens für unschädliche Lügen halten, scheint ihnen Gott doch so nahe und ehrt sie mit Sieg und Reichtum, Glück und was sie wollen» (D. Martin Luthers Werke. Bd 53. S. 391).
41 Mau R. Luthers Stellung zu den Türken. S. 660-661. Vgl. auch: Bobzin H. Der Koran im Zeitalter der Reformation. S. 154ff; Kaufmann T. Geschichte der Reformation. Frankfurt am Main; Leipzig, 2009. S. 648-651. Allerdings müssen wir hierbei Luthers Ziel deutlich wahrnehmen: «Gerade an der wirklichen Kenntnis der mohammedanischen Religion aber kann klarwerden, was das Evangelium in Wahrheit ist: daß es etwas anderes und weitaus Höheres ist als Zeremonien oder auch gute Sitten und Werke» (so: Mau R. Luthers Stellung zu den Türken. S. 656).
setzen und die Kräfte zu unterstützen, die geordnete Beziehungen ^
und gegenseitiges Verständnis fördern. a
Dabei vermitteln Luthers positive Positionen zum Islam auch i
Ansatzpunkte für ein offenes Gespräch: L
Zuerst seine Bereitschaft, den Islam so korrekt wie möglich zur t
Kenntnis zu nehmen: So hat er selber das lateinische Referat über w
den Inhalt des Korans, das der Dominikanerpater Ricoldo da Monte i
Croce vor 1300 vorgelegt hatte, ins Deutsche übertragen und 1542 s
drucken lassen39. Allerdings muss ein Verweis auf diese Publikation r
im Auge behalten, dass der alte Text von Ricoldo da Monte Croce w
keine einfache Dokumentation des Korantextes sondern der Versuch h
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en zum Koran an40. Ganz entscheidend dagegen war Luthers Einsatz w
für die Veröffentlichung einer schon in Basel gedruckten deutschen h
Übersetzung des Korans, die der Rat von Basel einstampfen lassen u
wollte. Nur seinem Einsatz ist zu verdanken, dass das Werk — allerdings H
ohne Erwähnung des Ortes Basel und ohne Verkaufserlaubnis für Basel ^
selbst — ab Anfang 1543 erscheinen konnte41! w
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39 Vgl.: D. Martin Luthers Werke: Kritische Gesamtausgabe / Hrsg. r
von J. K. F. Knaake. Bd 53: Schriften 1542/43. Weimar, 1915. S. 261-387 U
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(für die Datierung in die Zeit kurz vor 1300 vgl. S. 263). h
1 D. Martin Luthers Werke. Bd 53. S. 388-396. Ausgehend von der The- A
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die dem Glauben am feindlichsten gesinnt sind,
die Juden sind, und die, die beigesellen.
Und du wirst wahrlich finden, dass die Menschen,
die den Gläubigen in Liebe am nächsten stehen,
die sind, die sagen: «Wir sind Christen / Wir sind Nazarener.»
Dies, weil unter ihnen Priester sind und Mönche und weil sie nicht überheblich sind43.
Ich habe diesen Text entsprechend der modernsten deutschen Übersetzung gegeben, die Prof. Dr. Hartmut Bobzin und seine Frau Katharina Bobzin erarbeitet haben44. Aber für mein Gefühl ist der Begriff «Christen» in einer Koranübersetzung problematisch. Damit könnte ja eine Akzeptanz des Selbstverständnisses
42 Martin Luther. Heerpredigt wider den Türken. S. 187.
43 Vgl.: Der Koran. Die wichtigsten Texte ausgewählt und erklärt von H. und K. Bobzin. München, 2015. S. 168. Ich habe den arabischen Koran der Ahmadiyya-Bewegung im Internet unter www.alislam.org/quran/Holy-Quran-German.pdf gegengeprüft und erkenne «wir sind Nazarener». In der deutschen Übersetzung auf dieser Internetseite steht an dieser Stelle auch «Wir sind Christen»!
44 Der Koran / Aus dem Arabischen neu übertragen von H. Bobzin unter Mitarbeit von K. Bobzin. München, 2010.
Dann seine Beobachtungen zum Ernst der muslimischen Theologen, zur Ernsthaftigkeit der Gottesdienste und zum guten Lebenswandel vieler Muslime: «Dass ihre Priester oder Geistlichen solch einen Ernst, eine Tapferkeit, eine Strenge vorleben, dass man sie für Engel ansehen möchte [...]. [...], dass sie in ihren Kirchen oft zum Gebet zusammenkommen und mit solcher Zucht, Stille und schönen äußerlichen Gebärden beten, dass bei uns in unseren Kirchen solche Zucht und Stille nirgends zu finden ist»42.
6.4.5. Erlauben Sie mir, dass ich diesen Teil über das Verhältnis des Christentums zum Islam mit der kurzen Kenntnisnahme und Diskussion von Aussagen im Koran selber beschließe:
6.4.5.1. Dort gibt es eine ganz überraschend positive Aussage über die Christen. In Sure 5,82 begegnen eine traditionell antiju-daistische Aussage und danach ein Lob für uns Christen: Wahrlich, du wirst finden, dass die Menschen,
der Christen innerhalb des Korans nahegelegt werden, die aber — wie wir gleich sehen werden — in keiner Weise gegeben ist. Ich vermute, dass bei Übersetzungen des koranischen Begriffs «Nas-rani» / «Nasärä» mit «Christ» / «Christen» eine schlichte Kennzeichnung wiedergegeben wird — ohne dieser Kennzeichnung eine Bedeutung beizumessen. Um dieser Problematik willen, füge ich aber auch die Fassung einer älteren Übersetzung des Koran mit hinzu, in der an dieser Stelle der Begriff «Nazarener» steht45.
In einem Gespräch mit Prof. Dr. Hartmut Bobzin am 25. März 2017 habe ich gelernt, dass diese überraschende Kennzeichnung von uns Christen nicht auf eine bestimmte Kirche oder Konfession bezogen werden darf, sondern eine positive Aussage darstellt, an der man auch heute im Gespräch mit Muslimen anknüpfen kann. Mohammed hat Kontakte zu Christen gehabt, aber nicht zu offiziellen Vertretern und zu Dogmatikern sondern zu Vulgärchristen und zu Predigern.
6.4.5.2. Das Problemfeld zwischen Islam und Christentum ist die Gottesvorstellung des Christentums:
Ihr Buchbesitzer! Geht nicht zu weit in eurer Religion,
und sagt nur die Wahrheit über Gott!
Siehe, Christus / Messias Jesus, Marias Sohn, ist der Gesandte Gottes [...].
So glaubt an Gott und seine Gesandten
und sagt nicht: «Drei!»
Hört auf damit, es wäre für euch besser.
Denn siehe, Gott ist ein Gott;
fern sei es, dass er einen Sohn habe
(Sure 4, 171)46
Ungläubig sind, die sagen:
«Siehe, Gott ist Christus / ist der Messias, Marias Sohn.» [...]
45 Der Koran / Übersetz. von M. Henning. Leipzig, 1968. S. 129f.
46 Der Koran. Die wichtigsten Texte... S. 164. Im Koran im Internet ist zum arabischen Text die Übersetzung: «der Messias Jesus, Sohn der Maria» hinzugefügt.
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H dem wird Gott den Paradiesgarten verwehren,
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w und sein Zufluchtsort wird das Höllenfeuer sein.
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^ Ungläubig sind, die sagen:
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^ «Siehe, Gott ist der Dritte von dreien.»
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^ KeinGottistaußer einem Gott!»
S (Sure 5, 72-73)47
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s Auch hier wiederholt sich das oben schon angesprochene Problem
^ der Übersetzung — jetzt für den Terminus «Christus». Im Arabischen steht hier immer «almasich», ein Begriff, den ich in unserer westlichen Tradition für weniger bedeutungsschwer halte und deshalb an den Stellen, an denen er begegnet48, vorziehe: «der Messias». Die genauere Kennzeichnung erfolgt im Koran mit dem Zusatz: «'ibn Mariam» = «Marias Sohn», der sicher die Menschlichkeit dieses «Gesandten Gottes», wie sodann festgestellt wird, unterstreichen soll.
Mit den Aussagen in den Suren 4 und 5 zu uns, den Christen, liegen klare Ansagen vor, denen gegenüber wir unsere eigene Position klären und vertreten müssen. Allerdings gibt es eine Dimension, bei der die koranischen Aussagen, auch wenn sie uns eigentlich missverstehen, meines Erachtens zu innerchristlichen Klärungen beitragen können:
Wir verehren nicht drei Götter. Sondern wir verehren den einen Gott, von dem der Koran mit Blick auf die Juden in Medina sogar sagt: «Streitet mit den Buchbesitzern nur auf schöne Art, doch nicht mit denen von ihnen, die freveln. Sprecht: «Wir glauben an das, was auf uns herabgesandt und was auf euch herabgesandt wurde. Unser Gott und euer Gott sind einer. Ihm sind wir ergeben»» (Sure 29, 46)49.
Ich selber bin Alttestamentler und deshalb sehr daran interessiert, die Einzigkeit Gottes festzuhalten. Auch die Offenbarung, die wir von Jesus aus Nazareth, dem Christus, her vernehmen, ver-
47 Der Koran. Die wichtigsten Texte... S. 158. Im Koran im Internet ist zum arabischen Text die Übersetzung: «Allah ist kein anderer denn der Messias, Sohn der Maria» hinzugefügt.
48 Vgl. die Suren: 3, 45; 4, 157.171.172; 5, 17 (2x), 72 (2x).75; 9, 30.31. Bei allen handelt es sich um sehr späte Suren.
49 Der Koran. Die wichtigsten Texte... S. 158.
kündigt uns immer nur diesen einzigen Gott. Die theologischen Bild- ^ begriffe «Christus», «Sohn Gottes», «Heiliger Geist» bringen nicht a zum Ausdruck, dass wir drei »Götter« verehren würden. Sondern i
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und bekannt wird!
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sie bringen zum Ausdruck, wie uns der eine Gott offenbart wurde
6.4.5.3. Und so wird konsequenterweise deutlich: Wir müssen unser Verstehen und Glauben des Jesus aus Nazareth als Christus ganz genau zu unserem Gottesglauben ins Verhältnis setzen. Dazu markiert der Koran deutliche Einsprüche gegen christliche Glaubenspositionen:
der Messias ist Gottes Sohn.»
Das ist es, was sie mit ihrem Munde reden!
50 Der Koran. Die wichtigsten Texte... S. 165. Im Koran im Internet ist zum arabischen Text die Übersetzung: «[...] und die Christen sagen, der Messias sei Allahs Sohn» hinzugefügt.
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Die Christen / die Nazarener sagen: «Christus / r
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Sie ahmen die Rede der Ungläubigen vor ihnen nach, g
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Gott verfluche sie! [...] C
Doch wurde ihnen befohlen, nur einem Gott zu dienen: ^
Kein Gott ist außer ihm! e
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(Sure 9, 30-31)50 p
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Hier müssen wir als Christinnen und Christen unseren Glauben C begreifen, stark machen und ihn im Gespräch mit Andersglaubenden A bezeugen lernen. Aspekten dieser Aufgabe geht der letzte Abschnitt meiner Überlegungen nach.
Summary: The only points in Luther's writings about the Muslims which are attractive to us today are his demand to understand the other religion correctly and his positive view about the behavior of Muslim persons. But the whole understanding of the Islam from certainpositions of interpreting the Christian Bible is today meaningless. On the other hand we have to learn the positions of the Qur'an about us and sharpen our Christian understanding and believe in discussion with them.
7. «Solus Christus» — «Allein Christus»
7.1. Von unserer reformatorischen Tradition her muss gegen die innerkirchlichen Tendenzen der letzten Jahrzehnte, die Konzen-
га tration auf Christus zu überwinden, entschieden festgehalten wer-
o den: «allein Christus». Auf alle existenziellen Fragen des Glaubens
tj gibt Martin Luther eigentlich nur eine Antwort: Jesus aus Nazareth,
О der Christus. Ihm zu vertrauen, das ist alles.
л Im Juni 1522 hatte Martin Luther in einer Predigt zu Matthäus
о 16,13-19 die entscheidenden Akzente klarsichtig herausgearbeitet:
«Wo also nur Vernunft ist und "Fleisch und Blut", die können nicht
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^ weiter Christum begreifen als allein für einen heiligen, frommen 2 Mann, der von sich ein fein Exempel gebe, dem nachzufolgen sei.
^ [...] Nun, wer ihn so annimmt, allein für ein Exempel eines guten
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ч Lebens, dem ist der Himmel noch verschlossen und er hat Christum
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^ noch nicht ergriffen noch erkannt [...] Das andere Verständnis von Christus ist das [...]: "nicht einer, der anderen vorangeht. Es ist noch viel höher mit dir: du bist Christus, der heilige Gottessohn". [...] Darum ist hier ein Unterschied gesetzt zwischen dem Glauben und den Werken [...]. Mit Werken kommt man nicht zu ihm, die Werke kommen hintennach; ich muss zum ersten in seine Güter treten, dass er mein sei und ich sein.»51 Im Grunde sind hier die Weichen schon gestellt: Lutherische Christinnen und Christen sind Menschen, die sich wirklich und tatsächlich auf Christus verlassen, nicht — auch nicht heimlich und nicht hintenherum — doch auf sich.
Diese neue Perspektive wird an einer überraschenden Predigt zu Lukas 10,23-37, zur allbekannten Erzählung über den barmherzigen Samaritaner, vom August 1529 klar. In ihr stellt Luther den Sinn dieses Textes endlich vom Kopf auf die Füße: Es geht nicht darum, dass wir uns von diesem Text her zu großartigen ethischen Leistungen verpflichten lassen, sondern es geht darum, dass wir den Einsatz des Christus begreifen, anerkennen und auf uns beziehen, aus diesem Einsatz neu leben: «Die große Masse der Menschheit ist vom Teufel verwundet, beraubt, geschlagen, liegt halb tot [...], wir sind aller Gerechtigkeit und Wahrheit beraubt und halb tot, so dass wir uns selbst nicht helfen können. [...] Da kommt erst der Levit und dann der Priester, das sind die, die die Menschen zu belehren pflegen. Aber dann kommt Christus, der Samariter, in die Welt, tritt zu uns und macht, wie es die Geschichte erzählt. [...] wir bedürfen
51 Martin Luther. Sermon von der Gewalt Sankt Peters, 29. Juni 1522. Zitiert nach: Zeitschrift der Luther-Gesellschaft. 1995. N 66. S. 2f.
dessen, dass uns aufgeholfen wird. So hat Christus unsere Sünden ^ auf sich genommen und für uns getragen, damit wir Anteil erhiel- a ten an seinem heiligen Geist und der Gnade, mit dem Ziel, dass wir i sie auch weitergeben. [...] Denn ihr hört nicht allein, was zu tun ist, L sondern auch, wo es zu empfangen ist und dass man es tun kann.»52 T Von Christus her ist zu gewinnen, was wir brauchen. Und nur von dieser empfangenen Qualität her können wir dann neu leben.
7.2. Diesem Gedanken darf ich zum Schluss noch nachgehen. Er führt uns zu der großen Denktradition der «Stellvertretung», die Christus für uns geleistet habe. Bei meiner kurzen Skizze bezie- 5
he ich mich jetzt auf Überlegungen, die ich 2013 für eine Festschrift 5
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für Generalbischof Dr. Milos Klatik, Bratislava, zur Verfügung n gestellt hatte: «Wie können wir heute vom Opfer Christi reden?»53 ^
7.2.1. Einsteigen möchte ich mit dem Hinweis auf eine theo- g logische Kleinkonferenz, die Papst Benedikt XVI. Ende August Z 2008 auf Castelgandolfo durchgeführt hat: Bedeutende Theologen ^ kamen zum Thema «Jesus» zusammen. Die Diskussion zum Thema ^ «Jesu Opfergang», «Jesu Stellvertretung» hat der damalige Papst 5 mit folgenden Gedanken eröffnet: «Ich habe gefunden, dass es eine s breite Front von Exegeten gibt, die es ganz entschieden ablehnt, dass der Gedanke des Sühnetodes aufJesus selbst zurückgeht. Diese Forscher meinen, das Neue an der Verkündigung Jesu sei, dass er von der absoluten Güte Gottes spreche, die an keine Bedingungen mehr, also auch nicht mehr an die Bedingung einer Sühne, geknüpft sei. Dass der gleiche Gott, dessen absolute schenkende Güte Jesus verkünde, nun doch Blut verlange, das Sühneblut und den Tod, den gewaltsamen Tod, eines Menschen, damit Heil werden könne, widerspreche Jesu Gottesbild von Grund auf [...].
Damit ist wirklich eine gewichtige Frage an die Theologie und an den Glauben gestellt. Denn in der Tat ist es für den Menschen von heute fast unvorstellbar, dass Gott, damit er vergeben könne, zuerst ein Blutopfer verlange.»54
52 Martin Luther. Predigt zu Lukas 10, 23-28, 22. August 1529. Zitiert nach: Zeitschrift der Luther-Gesellschaft. 1993. N 64. S. 55 (Hervorhebung von mir).
53 In: V Sluzbe Evanjelia. Vedecky zbornik vydany pri pflezitosti päidesiatych narodenfn PhDr. Mgr. Milosa Klatika, PhD / Hrsg. von M. Kriv-da, J. Bandy, R. Keller. Liptovsky Mikulas, 2013. S. 225-233.
54 Gespräch über Jesus. Papst Benedikt XVI. im Dialog mit Martin Hen-gel, Peter Stuhlmacher und seinen Schülern in Castelgandolfo 2008 / Hrsg.
7.2.2. Es gibt meiner Meinung nach nur eine Lösung dieser großen Frage: Gott selbst ist für uns eingetreten. Gott ist in Christus für uns tätig geworden. Für diejenigen, die sich Christus anvertrauen, die also Christen zu sein versuchen, hat Gott selbst in dem Leben, Leiden und Sterben des Jesus Christus solche Arbeit der Vergebung geleistet, die uns Freiheit schenkt.
Diese Wahrheit kann mit einer Aussage des Apostels Paulus zur Sprache gebracht werden:
Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
Den hat Gott hingestellt als Sühnegabe durch den Glauben in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit [...]
(Römer 3,22b-25a)
Während jener theologischen Konferenz in Castelgandolfo hat auch Papst Benedikt XVI. auf diese Bibelstelle hingewiesen und hinzugefügt: «... ein Wort, das Origenes sehr schön kommentiert hat. Das heißt, dass Gott selbst uns seinen Sohn als Sühne gegeben hat, und dass nicht wir ihm diesen letztlich unermesslichen Kaufpreis bezahlt haben [...].
[. ] dass durch Jesus und seinen Tod nicht von den Menschen gegenüber Gott eine Leistung erbracht wird, die ihn besänftigen soll, sondern dass es sich um Gottes eigenes Gnadenwirken handelt, in dem er uns seinen Sohn schenkt, dass er uns letztlich in ihm sich selbst schenkt. Ich bemühe mich, das immer noch tiefer zu verstehen und dem nachzusinnen.»55
7.2.3. Ich will diese Aufgabe des tieferen Verstehens und Nachsinnens folgendermaßen aufnehmen:
Wir müssen uns aktiv mit den Bildtraditionen in unserer Kirche auseinandersetzen, mit der Art, wie wir den trinitarischen Gott darstellen. Da fallen uns Bilder und Plastiken mit einem alten Mann (Gott-Vater), mit einem jungen Mann (Gott-Sohn) und mit einer
von P. Kuhn. Tübingen, 2010. S. 87f.
55 Gespräch über Jesus. S. 88f.
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Taube (Gott-Heiliger Geist) ein. Immer mehr frage ich mich, ob die- ^ se Darstellungstradition wirklich angemessen ist. a
Unsere orthodoxen Schwestern und Brüder sind in dieser Fra- i ge einen richtigeren Weg gegangen. Bei ihnen gibt es eigentlich nur L ein Bild für Gott: nämlich die Darstellung des Christus — außer sie T
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haben ihre eigene Bildtradition von den westlichen Bildtraditionen beeinflussen lassen, wie man in einigen Kirchen aus dem 18. Jahrhundert in Kiew zum Beispiel gut beobachten kann. Richtig ist vielmehr:
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w (Ö
Wenn wir Gott darstellen wollen, müssen wir Christus i
darstellen. r
Wenn wir von Gott reden wollen, müssen wir Christus zu Wort kommen lassen.
Wenn wir Christus zu Wort kommen lassen, hören wir Gott. g
Wenn wir Christus darstellen, haben wir Gott dargestellt. U
Das heißt nun für unsere Fragestellung: Gott selbst ist den Weg w ans Kreuz gegangen und hat für uns Menschen gelitten. Im Tod Christi hat Gott den Tod niedergerungen und für uns Menschen das Leben durchgesetzt. ^
7.2.4. Aus dem großen Fundus der Werke Martin Luthers ließ sich c hierzu eine ganze Reihe von Überlegungen und Thesen anführen. a 2013 hatte ich Thesen Luthers aus den Jahren 1539 bis 1544 zitiert56. n Heute möchte ich aber einfach auf einen der berühmtesten Texte Luthers verweisen und uns darauf aufmerksam machen, dass er auch für unsere jetzt geführte Diskussion einen großartigen Beitrag darstellt: nämlich Vers 2 seines Liedes «Ein feste Burg ist unser Gott»: Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit' für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth,
6 V Sluzbe Evanjelia. S. 231-233.
cq und ist kein andrer Gott,
H das Feld muß er behalten57.
Martin Luther bringt in diesem Text aus dem Jahr 1529 die altkirchliche Lehre der zwei Naturen Jesu Christi präzise zum Ausdruck.
g Wie er im «Kleinen Katechismus» vom Anfang desselben Jahres g klar formuliert hatte: «Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger ^ Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und wahrhaftiger Mensch von ^ der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr [...].»58 Diese Wahrheit ® hat er dann in seinem Lied dichterisch zum Ausdruck gebracht und ® scheinbar Unvereinbares nebeneinander gestellt:
[...] es streit' für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren» — hier wird das Bild verwendet, dass ein Mensch von Gott erwählt worden ist, um sich für die gesamte Menschheit zu opfern. «Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott [... ]
Hier wird eine Begrifflichkeit für den Gott Israels — «Herr Zebaoth» — verwendet, um deutlich zu machen, dass uns in diesem von Gott erwählten «rechten Mann» dieser erwählende Gott selbst entgegentritt und sich für uns Menschen einsetzt!
Einfacher können wir das Wesen unseres Glaubens nicht haben. Mit dieser Komplexität müssen wir uns in das Gespräch mit unseren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen begeben!
Summary: As Christians we can and have to learn from Luther that Jesus of Nazareth, the Christ, is the only revelation of God, who is offering the love and the strength of God to all humankind, to all believing persons. And this truth has to be conjugated through the main field of the work of Christ: In Jesus Christ God himself has sacrificed himself for the whole world, for us, and offered us all of his qualities!
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