Научная статья на тему 'LASST UNS üBER RHETORIK SPRECHEN! PLUTARCHS STELLUNG INNERHALB EINER LANGEN, IDEOLOGISCH BELASTETEN BILDUNGSGESCHICHTLICHEN TRADITION'

LASST UNS üBER RHETORIK SPRECHEN! PLUTARCHS STELLUNG INNERHALB EINER LANGEN, IDEOLOGISCH BELASTETEN BILDUNGSGESCHICHTLICHEN TRADITION Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Philologia Classica
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PLATON / PHILOSOPHIE / RHETORIK / SOPHISTEN

Аннотация научной статьи по языкознанию и литературоведению, автор научной работы — Tsiampokalos Theofanis

Zusammenfassung: Die Frage, ob Plutarch der Rhetorik gegenüber eine ablehnende Haltung einnimmt oder nicht, beschäftigte schon seit dem 19. Jh. eine Vielzahl von Wissenschaftlern. Die traditionelle Ansicht ist, dass seine Einstellung eher negativ sei: Obwohl er den Wert der Rhetorik als Mittel der Überzeugung im Bereich der Politik anerkenne, schreibe er trotzdem dem Ethos die dominierende Rolle zu. Wie aber im Folgenden gezeigt wird, ist diese Vorstellung nach einer genaueren Untersuchung der entsprechenden Texte in ihrem historisch-kulturellen Kontext nur teilweise berechtigt. Im vorliegenden Beitrag werden PlutarchsÄußerungen zur Rhetorik vor dem Hintergrund des traditionellen Konflikts zwischen Rhetorik und Philosophie betrachtet und dabei im Verhältnis zu drei thematisch bedeutsamen Oppositionen analysiert, nämlich zu jener zwischen dem Lehren und dem Überzeugen, zwischen der Rede und dem Ethos, und zwischen den Philosophen und den Sophisten. Daraus ergibt sich, dass die sekundäre, unterstützende Rolle, welche die Rhetorik an einigen Stellen als Mittel der Überzeugung einnimmt, eher zu relativieren als hervorzuheben ist. Denn sie lässt sich jeweils aufgrund ihrer argumentativen Funktion erklären. In anderen Fällen im plutarchischen Werk, in denen die Rhetorik behandelt wird, ohne dass zugleich die gewöhnliche Opposition zwischen Rede und Ethos eine Rolle spielt, ist die geäußerte Haltung jeweils grundsätzlich positiv.

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LET’S TALK ABOUT RHETORIC! PLUTARCH’S POSITION WITHIN A LONG, IDEOLOGICALLY BURDENED TRADITION IN THE HISTORY OF EDUCATION

The question of Plutarch’s attitude towards rhetoric has occupied several scholars since the 19th century. The traditional view is that it is rather negative. Although Plutarch acknowledges some value in rhetoric as a means of persuasion in politics, he nevertheless attributes the dominant role to ethos. As it will be shown below, however, this picture is only partially justified after a closer examination of the relevant texts in their historical-cultural context. In the present work, Plutarch’s remarks on rhetoric are considered against the background of the traditional conflict between rhetoric and philosophy, and analyzed in relation to three thematically significant oppositions, namely that between teaching and persuading, between speech and ethos, and between the philosophers and the sophists. The result is that the secondary, supporting role that rhetoric assumes in certain passages as a means of persuasion is to be relativized rather than emphasized. It can be explained in each case on the basis of its argumentative function. In other cases in Plutarch’s work, where rhetoric is discussed, the attitude expressed is in principle positive without the usual opposition between speech and ethos playing a role at the same time.

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UDC 821.14

Philologia Classica. 2021. Vol. 16. Fasc. 2

Lasst uns über Rhetorik sprechen! Plutarchs Stellung innerhalb einer langen, ideologisch belasteten bildungsgeschichtlichen Tradition*

Theofanis Tsiampokalos

Universität Trier, Fachbereich II — Klassische Philologie, Universitätsring 15, 54296 Trier, Deutschland; tsiampokalos@uni-trier.de

For citation: Theofanis Tsiampokalos. Lasst uns über Rhetorik sprechen! Plutarchs Stellung innerhalb einer langen, ideologisch belasteten bildungsgeschichtlichen Tradition. Philologia Classica 2021, 16 (2), 207-221. https://doi.org/10.21638/spbu20.2021.203

Zusammenfassung: Die Frage, ob Plutarch der Rhetorik gegenüber eine ablehnende Haltung einnimmt oder nicht, beschäftigte schon seit dem 19. Jh. eine Vielzahl von Wissenschaftlern. Die traditionelle Ansicht ist, dass seine Einstellung eher negativ sei: Obwohl er den Wert der Rhetorik als Mittel der Überzeugung im Bereich der Politik anerkenne, schreibe er trotzdem dem Ethos die dominierende Rolle zu. Wie aber im Folgenden gezeigt wird, ist diese Vorstellung nach einer genaueren Untersuchung der entsprechenden Texte in ihrem historisch-kulturellen Kontext nur teilweise berechtigt. Im vorliegenden Beitrag werden Plutarchs Äußerungen zur Rhetorik vor dem Hintergrund des traditionellen Konflikts zwischen Rhetorik und Philosophie betrachtet und dabei im Verhältnis zu drei thematisch bedeutsamen Oppositionen analysiert, nämlich zu jener zwischen dem Lehren und dem Überzeugen, zwischen der Rede und dem Ethos, und zwischen den Philosophen und den Sophisten. Daraus ergibt sich, dass die sekundäre, unterstützende Rolle, welche die Rhetorik an einigen Stellen als Mittel der Überzeugung einnimmt, eher zu relativieren als hervorzuheben ist. Denn sie lässt sich jeweils aufgrund ihrer argumentativen Funktion erklären. In anderen Fällen im plutarchischen Werk, in denen die Rhetorik behandelt wird, ohne dass zugleich die gewöhnliche Opposition zwischen Rede und Ethos eine Rolle spielt, ist die geäußerte Haltung jeweils grundsätzlich positiv.

Stichworte: Plutarch, Platon, Philosophie, Rhetorik, Ethos, Sophisten.

1. Philosophie und Rhetorik

Nach einer verbreiteten Auffassung besteht der Unterschied zwischen Philosophie und Rhetorik vor allem darin, dass die eine nach Wahrheit, die andere nach Überzeugung bzw. Überredung strebe.1 Dieser Unterschied erweist sich aber größtenteils als konstru-

* Der vorliegende Beitrag stammt aus meinem Vortrag beim dritten gemeinsamen Symposion der klassisch-philologischen Institute der Universitäten St. Petersburg und Trier (28.-29. Juni 2021) anlässlich des 80. Geburtstags von Herrn Prof. Dr. Alexander Gavrilov. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Georg Wöhrle (Trier), der eine frühere Fassung meines Manuskripts kritisch gelesen und wertvolle Bemerkungen gemacht hat. Einige Stellen habe ich gelegentlich auch mit Dr. Johannes Schwind (Trier) und mit Fabia Neuerburg (Köln) diskutiert. Von den Diskussionen mit ihnen habe ich viel profitiert. Ganz herzlich sei letztendlich auch David Gauß (Trier) gedankt, der meinen Text sorgfältig durchgesehen und sprachlich und stilistisch verbessert hat.

1 Vgl. Karadimas 1996, 2.

© St. Petersburg State University, 2021

iert. Er ist grosso modo in Platons Dialog Gorgias als Kritik gegen die mit der Rhetorik eng verbundene Sophistik zu finden.2 Schon vor der Zeit Platons reisten die Sophisten als Wanderlehrer durch die griechische Welt und in verschiedenen Städten unterrichteten sie die jungen Leute.3 Zu ihrem Metier gehörte auch die Rhetorik, die diese Sophisten oft nur mechanisch unterrichteten, ohne sich zugleich Gedanken — so zumindest die Kritik Platons — über die moralischen Konsequenzen dieses mächtigen Werkzeuges zu machen.4 Unabhängig davon, ob diese Kritik historisch gesehen berechtigt ist oder nicht, hatte sie aber jedenfalls ein sehr langes Nachleben: Platons Dialog Gorgias wurde bald — wie überhaupt alle seine Dialoge — sehr einflussreich. Bereits im Hellenismus wurde nämlich die darin geäußerte Ansicht, die Rhetorik sei bloß eine Art Schmeichelei (463a-c), von vielen Autoren ernst genommen, vor allem von Philosophen, die oftmals in ihren Schriften den Wert des Rhetorikstudiums infrage stellten.5 Zwischen den Vertretern der Philosophie und denen der Rhetorik bestand in der Antike ohnehin ein sehr langer Konflikt — selbstverständlich handelte es sich aber oft bei solchen Angriffen, insbesondere bei denen der Philosophen gegen die Rhetoriker, um den bloßen Versuch, jeweils Konkurrenzansprüche gegenüber alternativen Lehrangeboten durchzusetzen.6 Die Rhetorik als Kunst des Redens und des Schreibens war ohnehin in der Antike ein mehr oder weniger fester Bestandteil der Ausbildung aller jungen Leute.7 Platon sowie viele andere der prominentesten antiken Philosophen waren zugleich auch exzellente Schriftsteller, die von ihren rhetorischen Kenntnissen offensichtlich viel profitiert haben müssen. Es ist aber einfach so, dass es in Gebieten, in denen konkurrierende Spieler interagieren, manchmal zu einer Hierarchisierung zwischen besseren und schlechteren Angeboten kommen muss, auch wenn die Grenzen zwischen all diesen Angeboten in der Wirklichkeit eher fließend sind. Einige antike .Apologeten' der Rhetorik, wie etwa der spätere Redner Aelios Aristeides, versuchten bereits, die künstliche Natur dieses Streites aufzuzeigen,8 was allerdings am Ende nicht ausreichend war, um den Konflikt aufzulösen. Spuren dieses Konflikts lassen sich sogar noch heute in unserer Perspektive auf die beiden Disziplinen erkennen.

Mit Blick auf diese Problematik lohnt es sich, einmal die entsprechende Einstellung Plutarchs von Chaironeia erneut zu untersuchen. Plutarch, einer der prominentesten Philosophen der frühen Kaiserzeit, ist heute vor allem wegen seiner Parallelbiographien bekannt.9 Daneben hat er aber auch zahlreiche kleinere Werken veröffentlicht, die in der neuzeitlichen Forschung insgesamt mit dem generischen Titel Moralia bezeichnet

2 Vgl. etwa Grg. 454D-455D, 459B-C zusammen mit den Bemerkungen von Karadimas 1996, 2. Zum Verhältnis der Sophisten mit der Rhetorik s. etwa Kennedy 1994, 17-21.

3 Überblicksdarstellung bei Guthrie 1969; Kerferd 1981; Romilly 1988; Bonazzi 2010.

4 Ausführlicher zur Kritik Platons gegen die Sophisten mit Blick auf die Rhetorik vgl. Dodds 1959, 10; Kennedy 1963, 15-16; dens. 1980, 45-52; dens. 1994, 35-39.

5 Dazu s. Karadimas 1996, 224-230 mit ergänzenden Hinweisen.

6 Dazu vgl. Karadimas 1996, 1-2; Brittain 2001, 300-312; Liebersohn 2010, 24-28.

7 Mehr zur Bedeutung der Rhetorik im Rahmen des antiken Bildungswesens bei Marrou 1956, 46-60, 79-91, 194-216; Russell 1983, 1-20; Kennedy 2003, ix-xiv.

8 Vgl. folgende Texte: npo; nXdrwva ünsp pr|TopiKfjc; (Or. 2), npo; nXdrwva ünsp rwv TCTtdpwv (Or. 3), npo; Kanirwva (Or. 4). Mehr zur Verteidigung der Rhetorik gegen die platonische Kritik durch Aristeides bei Kennedy 1972, 584-585; Karadimas 1996, 26-31; Trapp 2020, 85-113.

9 Russell 22001 stellt wohl immer noch die beste Einleitung zum Autor und seinem Werk dar. Weitere nützliche Überblicksdarstellungen: Ziegler 1951, 636-962; Meraklis 1966; Lamberton 2001.

werden.10 Philosophisch gehört er zur Tradition der platonischen Akademie,11 die allerdings zu seiner Zeit wahrscheinlich nicht mehr als Institution in Athen existierte.12 Dennoch gründete Plutarch vermutlich in seiner Heimatstadt Chaironeia seine eigene Schule, an der man die platonische Philosophie studieren konnte.13 Zu seinen Schülern gehörten junge Männer aus den höchsten Kreisen. Einige von ihnen haben sich später in verschiedenen Bereichen, sei es in der Politik, sei es in der Philosophie, ziemlich erfolgreich gezeigt.14 Er selbst versah für mehrere Jahre auch das prestigeträchtige Amt des Priesters im Apolltempel beim Orakel in Delphi.15 Was seine Einstellung zur Rhetorik angeht, neigte die frühere Forschung überwiegend zur Ansicht, dass sie eher als negativ zu werten sei: Als Plutarch jünger gewesen sei, habe er sich wahrscheinlich mit der Rhetorik auseinandergesetzt. Dies zeige sich auch in der Überlieferung eines kleinen Korpus rhetorischer bzw. deklamatorischer Schriften, die ebenfalls unter den Moralia zu finden sind.16 Die Textsorte dieses Korpus wurde früher oft eher als ein von jungen Menschen verwendetes Genre angesehen. Nachdem er aber an einem gewissen Punkt zur Philosophie konvertiert sei, habe er alles, was mit der Rhetorik zusammenhängt, zurückgelassen und künftighin eine ablehnende Haltung eingenommen, was auch seine strenge Kritik gegen die zeitgenössische Sophistik erkläre.17 Ist es aber anhand der überlieferten Schriften so fraglos offenkundig, dass der Philosoph gegenüber der Rhetorik ablehnend erscheint? Die Antwort muss eher negativ ausfallen, wie einige Forscher auch schon bemerkt haben.18 Allerdings ist hier nicht der Raum für einen umfassenden Überblick zu dieser Fragestellung, die in letzter Zeit einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.19 Diese werde ich in einer größeren Arbeit untersuchen.20 In den folgenden Zeilen möchte ich stattdessen etwas näher auf nur einige wenige Aspekte des plutarchischen Werkes eingehen, aus denen immerhin deutlich werden kann, dass die Klärung des Sachverhalts noch nicht abgeschlossen ist.

10 Mehr dazu bei Geiger 2008, 5-12.

11 Dazu s. Dillon 1988, 357-364; dens. 1996, 184-186; Nikolaidis 1999, 398. Vgl. auch Frede 1999, 771, 776-782.

12 Dazu s. Dillon 1988, 357-359 (mit ergänzenden Hinweisen). Vgl. aber auch Nikolaidis 1999: 402403.

13 Zur Schule s. Hirzel (1895) 2,176; Ziegler 663-665; Russell 22001, 14; Bouffartigue 2012, xix.

14 Dazu s. etwa das Profil des Aristotimos, des einen von den beiden Schülern, die in der Schrift ,Über die Klugheit der Tiere' erwähnt werden, bei Puech 1992, 4837-4839.

15 Dazu s. Syll. 3,829a. Vgl. auch Lamberton 2001, 52-59; Russell 22001, 14-16; Hirsch-Luipold 2014, 163-165.

16 Diese sind folgende: De fortuna Romanorum (316b-326d), De Alexandri magni fortuna aut virtute, libri ii (326d-345c), Bellone an pace clariores fuerint Athenienses (345c-351c). Mehr dazu bei Bowie 1970, 7; Stanton 1973, 364; Beck 2003, 169-192.

17 Dazu s. Hirzel 1895, 2.124-125; Krauss 1912, 3-13; Ziegler 1951, 716-717; Jones 1966, 70; Hamilton 1969, xxiii; Jones 1971, 14-16, 67-71, 135. Als marginal im Vergleich zu den anderen 'philosophischeren' Werken Plutarchs werden die rhetorischen/deklamatorischen Werke auch von Dillon 21996, 189, 198 und Schmitz 2014, 33 betrachtet.

18 Vgl. bereits Jeuckens 1907, 7-8; Russell 1972, 226-227; Stanton 1973, 353; Moles 1978, 80; Karadi-mas 1996, 9; Martin 1997, 718; Cosenza 2000, 109-129; Beck 2003, 170-188; Lauwers 2015, 53-59.

19 Vgl. insbesondere Xenophontos 2014, 38: 'A comprehensive study on Plutarch's attitude towards rhetoric inparticular is still needed'.

20 Dazu s. Tsiampokalos 2022.

2. Lehren und Überzeugungen

Unser Ausgangspunkt muss die von Plutarch in seinen Schriften vertretene Philosophie sein. In allen antiken philosophischen Schulen wird als Endzweck des Lebens die „Glückseligkeit" (eüSat^ovia) betrachtet. Für die Philosophen der platonischen Tradition, wie es bei Plutarch der Fall war, wird jedoch dieser zusätzlich auch als „Angleichung an Gott" (ö^oiwat; 0ew) betrachtet.21 Als orthodoxer Platoniker nahm Plutarch einen oberen, ewigen und guten Gott an,22 der einst mithilfe seines Logos die Materie unterworfen und ihr Grenzen gesetzt habe. Die Materie entspreche der Unendlichkeit, der Formlosigkeit, der Vielfältigkeit usw.23 Aus deren Unterwerfung unter den Willen Gottes sei die Welt entstanden, die allerdings wegen der Affinität zur Materie ständig des Schutzes Gottes bedarf.24 Der Gott ist in diesem Zusammenhang offenkundig als eine väterliche Figur konzipiert.25 Er sorge für die Welt und darunter auch für die Menschen.26 Er sei „menschenfreundlich" (^tXdvöpwnoc;).27 Ein Philosoph muss laut Plutarch die gleiche Gesinnung haben, insofern Gott sein Vorbild darstellt.28 Er müsse also zunächst die Ordnung Gottes bzw. des Logos in sich selbst wohnen lassen und dann auch anderen Menschen den Weg dazu zeigen. Denn Plutarch vertritt in seinen Texten offenkundig die Auffassung, dass der philosophische Unterricht nicht nur in einem Klassenzimmer mit ein paar wenigen Studenten, sondern auch in weiteren Bereichen des sozialen Lebens erfolgen soll, wo ein Philosoph, sei es als ein in der Öffentlichkeit stehender Redner, sei es als Staatsmann, mit einer möglichst breiten Masse von Menschen interagiert.29

Die Einzelheiten des genannten Prozesses werden in einer kleinen plutarchischen Abhandlung mit dem Titel „Über die moralische Tugend" (De virtute morali 440D-452D) erklärt. Es folgt eine kurze Überblicksdarstellung einiger Kernaspekte dieser Lehre, wie sie in der genannten Schrift zu finden sind:30 Die menschliche Seele unterliege von Natur aus dem kosmischen Dualismus (441D-F). Denn sie sei in einen Teil zu untergliedern, in welchem der göttliche Logos anwendbar sei, der Teil der Vernunft, und in einen anderen Teil, in welchem die Begierde und die Affekte dominant seien. Die Glückseligkeit entstehe aus der Unterwerfung des letzteren Teils unter den ersteren, so dass das Ganze der Anordnung der Vernunft gehorchen könne. Der zu unterwerfende Teil der Seele sei ebenfalls nicht vollkommen homogen. Er bestehe wieder aus zwei weiteren Teilen, von denen der eine, welcher mit notwendigen Begierden wie Hunger, Durst, Fortpflanzung usw. zu tun hat, für die Vernunft völlig taub sei, während der andere, welcher die Affekte umfasst, immerhin unter bestimmten Bedingungen der Vernunft gehorchen könne. Plutarch plädiert in dieser Hinsicht auch für eine Art Mittelmäßigkeit (s. etwa 444B-445A). Er nimmt näm-

21 De Is. et Os. 351C-D, 355C; De sera num. 550D-551C; Adprinc. iner. 780F-781A; fr. 143 Sandbach. Vgl. Rom. 28,10; Num. 6,2; De def. or. 415B. Mehr bei Dillon 21996, 192-193.

22 De Is. et Os. 373A-B; De E 392E-393B, 394C; Quest. conv. 720B. Vgl. Arist. 6,3.

23 De def. or 428E-F; Quest. conv. 719 C-D; Quest. Plat. 1001B-C.

24 Quest. conv. 719E.

25 Zur Vorstellung des 'Väterlichen' in der antiken Welt vgl. Wöhrle 1999, 18-22.

26 De def. or. 426D-E; Quest. conv. 720C.

27 De def. or. 423D.

28 Ad princ. iner. 780E; An seni 786B. Vgl. auch Russell 22001: 89-90.

29 Vgl. De lat. viv. 1128D; De aud. 43E-44A; Maxime cum principibus 776A-E, 777D-779C; An seni 786B, 791C.

30 Ausführlichere Überblicksdarstellungen bei: Dillon 21996, 194-198; Opsomer 2014, 95; Xenophon-tos 2016, 25.

lich an, dass es in der Seele eigentlich Veranlagungen für den Äußerung aller möglichen Affekte gibt. Je nachdem, welche Affekte häufiger geweckt und zum Ausbruch gebracht werden, erwirbt die Seele bestimmte Gewohnheiten, die insgesamt das menschliche Ethos (^Go;) darstellen (s. dazu auch Quest. conv. 682C-D).31 Solange die Vernunft diesen Prozess unter Kontrolle hat, können die verschiedenen Affekte jeweils so gezügelt werden, dass sie sich als Tugenden äußern.32 Die Bildung einer tugendhaften Moral besteht also gerade im Streben nach einer emotionalen Zurückhaltung angesichts verschiedener Reize. Wie es in einem von Plutarch in diesem Zusammenhang verwendeten Xenokrates-Zitat heißt, sollen „die wahren Philosophen allein freiwillig tun, was die Übrigen wider Willen, des Gesetzes willen tun" (446E).33 Selbstverständlich würden nicht alle Menschen freiwillig eine solche gesetzestreue Lebensweise wählen. Dies scheint allerdings Plutarch völlig bewusst zu sein, wie es etwa verschiedene Stellen in Texten aus den Moralia belegen (s. etwa De aud. 43E; De ad. et am. 56A, 72B-C; Animine an corp. 501B-F). Dabei könne aber die Synergie mit einem Überzeugungsmittel, welches auf die Eigenheiten des nichtlogischen Teils der Seele eingehen kann, in der Tat behilflich sein.

Diese Notwendigkeit wird mehrmals im Werk Plutarchs thematisiert, und zwar nicht so sehr mit Blick auf die Kommunikation des Philosophen mit einzelnen Personen als mit Blick auf Bereiche des sozialen Lebens, in denen der Philosoph mit mehreren Menschen interagieren könnte. In der Schrift „Über die moralische Tugend" nennt Plutarch als Beispiel eines Überzeugungsmittels die Musik (De virt. mor. 441D-E). Ich zitiere die ganze Stelle:

öti 5' aüt^c sati t^; ^ux^C ¿v ¿autfl auvGstov ti Kai Si^us; Kai ävö^oiov, wansp etspou aw^ato; tou äXÖYou npö; töv Aoyov ävaYKr| tivi Kai q>uaa au^^vto; Kai auvap^oaGsvto;, sIko; ^¿v ¿ati ^r|Ö£ nuGaYopav ¿Yvo^aai, tsK^aipo^svoi; tfl nspi ^ouaiK^v anouSfl tou ävSpö;, ^v ¿nr|YaY£to tfl ^uxä K^Ä^asw; svsKa Kai napa^uGla;, w; oü nav ¿xoua^ SiSaaKaAia Kai ^aG^aaiv ün^Koov oüSs Xoy« ^£taßXr|TÖv ¿k KaKia;, äXXa tivo; 8T¿pac naGou; auvspYoü Kai nAaas«; Kai tiGaasuasw; Ssö^svov, e'i ^ navtanaai ^¿ÄÄoi fiAoaofta Sua^staxapiatov slvai Kai äns^c;.

„Dass aber die Seele selbst in sich etwas Zusammengesetztes, dass sie doppelter Natur und etwas Ungleiches ist, indem das Unvernünftige, gleichwie ein anderer Körper, dem Vernünftigen durch einen Zwang und wie von Natur beigemischt und mit ihm verbunden ist, muss schon Pythagoras erkannt haben; man sieht dies aus seinem Eifer für die Musik, die er als ein Mittel benutzte, die Seele zu besänftigen und zu beruhigen, weil sie nicht immer dem Unterricht und der Wissenschaft sich unterwerfe, noch durch Vernunft [allein] vom Laster [zur Tugend] sich führen lasse, sondern noch einer andern mitwirkenden Überredung, einer Bildung und Zähmung bedürfe, wenn sie nicht völlig unlenksam und unfolgsam gegen die Philosophie werden wolle." (Übersetzung von C. N. von Osiander, G. Schwab).

Dieses Beispiel ist allerdings im Rahmen der genannten Schrift auf eine spezielle Diskussion begrenzt. Wie das genannte Desideratum sonst zu erreichen wäre, könnte man aber vielleicht auch an einigen Passagen aus Plutarchs Parallelbiographien erkennen, welche historische Gestalten, wie etwa den athenischen Politiker Perikles oder den römischen Staatmann Cato, behandeln. All diese Gestalten werden in ihren Biographien auch als

31 Hierzu vgl. aber auch Jeuckens 1907, 21.

32 Vgl. auch Dillon 21996, 195-196 und Xenophontos 2016, 26.

33 Übersetzung nach C. N. von Osiander, G. Schwab. Vgl. auch De aud. 37E.

philosophisch geprägte Menschen dargestellt (Perikles' Führungsmodell ist von seinen Beziehungen mit Anaxagoras bzw. Damon geprägt, Phokion studierte an der Akademie, Catos Lebensführung ist stark von der Stoa beeinflusst) und für jeden von ihnen wird jeweils einmal im entsprechenden Text erzählt, dass er an einem Punkt seines Lebens auf eine größere Gruppe unfolgsamer Menschen positiv einwirken konnte, indem er diese „überzeugte und lehrte" (Per. 15, 1: neiöwv Kai SiSaawv; Cat. Min. 9, 6: neiöwv nspi eKdaxou Kai SiSdCTKwv. Vgl. auch Phoc. 2, 9: netöoi Kai A.oyw). Im Fall des Perikles wird das Mittel, mit welchem der athenische Staatsmann seinen Zweck erreichte, noch genauer bestimmt (15, 1-2). Die Stelle lautet folgendermaßen:

[... ] äÄÄ' ¿k tf; ävsi^svn; ¿Kstv^; Kai ünoGpunto^sv^; svia SrmaY«Yia; wansp avO^pä; Kai ^aÄaKf; äp^ovia; äpiCTtoKpatiK^v Kai ßaaiAiK^v ¿vtsiva^svo; [sc. Perikles] noAiTdav, Kai Xpw^svo; aÜTfl npö; tö ßsÄtiatov öp9fl Kai ävsYKÄitw, tä ^sv noAAä ßouAö^svov nsiOwv Kai SiSaCTKwv töv Sf^ov, r|v S' öts Kai ^aÄa SuCTxspaivovTa Katatsivwv Kai npoaßißaZwv ¿XEipouto tw au^fspovti, ^i^ou^svo; äts^vw; latpov noiKiAw voa^ari Kai ^aKpw Katä Kaipov ^sv ^Sovä; äßAaßäc;, Katä Kaipov Ss S^Y^ou; Kai fap^aKa npoo^spovra awt^pia. navtoSanwv Yäp w; sIkö; naOwv ¿v ö^Äw toCTaut^v tö ^¿yeöo; äp^v sxovTi fuo^svwv, ^6vo; SKaCTTa Sia^sipi-CTaCTOai ns^uKw;, ^aÄiCTTa S' ¿ÄniCTi Kai foßoi; wCTnsp o'ia^i

ctucttsääwv tö GpaCTuvö^svov aÜTwv Kai tö SuctGu^ov ävisi; Kai napa^uGou^svo;, sSa^s T^v p^TopiK^v KaTä nÄaTwva (Phaedr. 271c) ^u^aY^ytav ouCTav Kai ^¿yicttov spYov aÜTf; T^v nspi Tä ^9r| Kai na9r| ^¿GoSov, wCTnsp Tivä; Tovou; Kai fOÖYYou; ^u^f; ^aÄ' ¿^sXoüc; äff; Kai KpouCTsw; Sso^svou;.

„[...] sondern wandte sich [sc. Perikles] von der schwächlichen, in machen Stücken gar zu nachgiebigen Art der Volksführung ab wie von einer allzu weichen und zärtlichen Melodie und zog die Saiten an zu einem aristokratischen und königlichen Regiment. Und da er in seiner Politik mit unbeugsamer Festigkeit dem Wohl des Staates diente, vermochte er das Volk zumeist ohne Widerstand durch die überzeugende und belehrende Kraft seines Wortes zu lenken. Zuzeiten allerdings bekam er auch den Zorn der Masse zu spüren; dann zog er die Zügel an und scheute sich nicht, sie zu dem zu zwingen, was nottat, nicht anders als ein Arzt, der bei einer schweren, langwierigen Krankheit bald ein unschuldiges Vergnügen erlaubt, bald scharfe Mittel und bittere Arzneien anwendet, um den Patienten zu heilen. Denn es konnte ja nicht anders sein, als dass in einem Volk, dem solche Macht in die Hände gegeben war, die verschiedenartigsten Leidenschaften ausbrachen, und Perikles allein war imstande, in jedem Falle die richtige Art der Behandlung zu finden. Er brauchte dazu vor allem die Furcht und die Hoffnung, die für ihn gleichsam die Steuerruder waren, wenn es galt, den trotzigen Übermut des Volkes zu dämpfen oder es in seiner Niedergeschlagenheit aufzurichten und zu trösten. Dadurch erbrachte er den Beweis, dass die Redekunst, wie Platon sagt, Seelenführung ist und dass ihre vornehmste Aufgabe darin besteht, auf die Gemütszustände und Leidenschaften einzuwirken; denn diese sind wie klingende Saiten der Seele, die man in richtiger Weise greifen und schlagen muss." (Übersetzung von K. Ziegler, W. Wuhrmann).

Es handelte sich hier also um eine Rhetorik, die im Einklang mit dem philosophischen Hintergrund des Perikles stand (Vgl. auch ebd., 8,1-2). Die Musik-Metaphorik ist an vorliegender Stelle auch sehr auffällig. Man vergesse dabei nicht, dass die Parallelbiographien nicht als ein rein historisches Werk zu verstehen sind. Sie weisen hingegen durchaus mit einer starken ethischen Komponente auf, die wiederum — wie Christopher

Pelling überzeugend gezeigt hat — nicht durch explizite moralische Appelle der Art „Tu dies" oder „Lass das" erfolgt (,protreptic/expository moralism'), sondern eher deskriptiv durch moralische bzw. ethische Implikationen (,descriptive/exploratory moralism'),34 die aus der Erzählung abzuleiten sind und auf Plutarchs idealen Leser deutlich eingewirkt haben müssen.35 Solch ein Leser würde aber jetzt anhand der vorliegenden Beispiele — vor allem anhand des von Perikles — klar sehen, dass in Kontexten, in welchen ein philosophisch geprägter Mensch mit einer breiteren Öffentlichkeit interagieren muss, auch der Wert eines Überzeugungsmittel wie die Rhetorik anerkannt wird bzw. anerkannt werden kann, natürlich unter der Voraussetzung, dass sie [die Rhetorik] einer moralphilosophischen Perspektive entsprechend angepasst wird.

3. Rede und Ethos

Es kann dennoch kein Zweifel darüber bestehen, dass in Texten Plutarchs, in denen die Rhetorik in der Tat von einer bestimmten moralphilosophischen Perspektive aus betrachtet wird, diese nur eine sekundäre, unterstützende Rolle als Überzeugungsmittel einnimmt, während die dominierende Rolle dem Ethos zugeschrieben wird. Es gibt jedoch gute Gründe, diese Haltung nicht unbedingt als repräsentativ für eine persönliche Ansicht anzusehen, wie sie von einem großen Teil der früheren Forschung interpretiert wurde.36 Ausführlich wird diese untergeordnete Rolle der Rhetorik in einer weiteren, sich ebenfalls unter den Moralia befindenden Schrift mit dem Titel „Politische Ratschläge" dargelegt (Praecepta gerendae reipublicae, 798A-825F). Die Schrift gehört ebenfalls zur späteren Phase der schriftstellerischen Karriere Plutarchs.37 Die im Betracht kommende Stelle (Praec. ger. reip. 801C-D) lautet:

Oü ^v ä^sXr^ov y£ Sia touto t^c nspi töv Aoyov xapito; Kai Suva^s«; ¿v äpstfl Gs^vou; tö aü^nav, äXXa t^v p^topiK^v vo^iaavta; ^ Sr^ioupYÖv äXXa toi auvspYÖv slvai nsiGou;, ¿navopGanxov tö tou MsvavSpou

tpono; saG' o ndG«v tou A¿Yovтoc;, oü Aoyoc-

Kai Yap o tpono; Kai o Aoyoc; ■ e'i ^ v^ Ata q^asi Tic;, w; töv Kußspv^tr|v &Y£iv tö nAoiov oü tö nr|SaXiov, Kai töv [^¿a aтp¿9£lv töv innov oü töv xaAivov, out« noAiv nsiGsiv oü Aoy«, äAAa tponw xp«^vr|v wansp oiaKi Kai xaAivw t^v noAitiK^v äpst^v, fnsp süatpoqwTatov Zwov, w; qnai nAat«v, o iov ¿k npü^vr|C änto^vr|v Kai KatsuGüvouaav.

„Freilich darf man in dieser Hinsicht auch die gewinnende Kraft der Rede keineswegs vernachlässigen und in allen Dingen allein auf Tüchtigkeit und den Charakter setzen. Vielmehr sollte man — in der Überzeugung, dass die rhetorische Kunst Vertrauen und Überzeugung zwar nicht hervorbringt, aber Beihilfe dazu leistet — den Vers des Menander korrigieren:

34 Pelling 1995, 208 (= ders. 2002, 239).

35 Vgl. auch Duff 2004, 285 und Chrysanthou 2018, 1-3.

36 Dazu s. Volkmann 1869, 1,45; Radermacher 1897, 420; Jeuckens 1907, 9, 18-19; Stamatakos 1937, 13; Ziegler 1951, 817, 929; Meraklis 1966, 61; Kennedy 1972, 555; Aalders 1982, 48; Stadter 1987, 251-25; 266.

37 Vgl. Jones 1966, 72.

„Der Charakter des Redners bewirkt die Zustimmung, nicht die Rede selbst." Denn beides, der Charakter und die Wortmächtigkeit, bewirken dies. Es sei denn, beim Zeus, dass jemand erklärt, die politische Tüchtigkeit bringe — ebenso wie der Steuermann das Schiff lenkt, nicht aber das Ruder, oder der Reiter das Pferd wendet, nicht aber der Zügel — die Polis zum Gehorsam nicht durch den Einsatz von Redekraft, sondern von Charakterstärke, diese wie ein Steuerruder und einen Zügel nutzend, und zwar von dort her, von wo sich ein Lebewesen, wie Platon sagt, am leichtesten lenken lässt — gleichsam „vom Achterdeck aus zufassend und korrigierend"." (Übersetzung von G. A. Lehmann).

Hier wird die Rhetorik ausdrücklich nicht „Urheber der Überzeugung" (SnmoupYÖ; nsi9oü;), wie es in einer klassischen Definition heißt, die ebenfalls aus dem platonischen Dialog Gorgias stammt (ebd., 452A-453A), sondern vielmehr ein „Gehilfe" (CTuvspYo;) genannt (801C). Als „Gehilfe" soll die Rhetorik die Glaubwürdigkeit bewirken, welche ein guter Redner aufgrund seines vorhandenen moralischen bzw. ethischen Standards aufweisen muss; die allgemeine Bedeutung dieses Standards für die erfolgreiche Tätigkeit griechischer Staatmänner ist bereits im vorausgehenden Teil des Textes ausführlich behandelt (800A-801C). Man darf aber nicht vergessen, dass im Rahmen der plutarchischen Philosophie die Politik ebenfalls zu den Bereichen gehört, in welchen ein philosophischer Mensch einen positiven Einfluss auf seine Mitmenschen ausüben kann. Der vorliegende Text ist — trotz seines Titels — nicht nur als eine Art Handbuch für politisches Handeln zu verstehen. Formal ist der Text als Brief gestaltet, welcher einen jungen Adressaten namens Menemachos von Sardis bei dessen aktuell anlaufendem Einstieg in die Politik mit Plutarchs eigener philosophischer Perspektive unterstützen soll (798B-C). Wie es nicht anders zu erwarten ist, nimmt die ethische Komponente in dieser Schrift einen hohen Stellenwert ein.38 Ebenso überrascht es nicht, dass die Rhetorik in einem solchen Zusammenhang nur als sekundäres Überzeugungsmittel auftaucht.

Sicherlich dürfte in diesem Text der Rhetorik eine schlechtere Position im Vergleich zur Position, die sie einnimmt, vorbehalten sein. Obwohl in Platons jüngerem Dialog Phaidros die Existenz eines Raums innerhalb des Bereichs der Philosophie, in welchem die Rhetorik einen Nutzen darstellen könnte, am Ende akzeptiert wird (Phdr. 258D, 259E-260E. Vgl. aber bereits Grg. 503A-B, 504E, 527C), versuchten anschließend seine Nachfolger in der Akademie aufgrund der Konkurrenz mit weiteren gegenwärtigen Lehrangeboten gleichwohl diesen Raum wieder zurückzunehmen.39 Als vehementester Vertreter dieser Tendenz muss wohl der akademische Philosoph Charmadas (ca. 168/7-nach 107) gelten,40 der nach dem Zeugnis Ciceros behauptete, dass Überzeugungsfähigkeit überhaupt nicht durch den Unterricht der Rhetoriker, sondern exklusiv durch die Führung eines tüchtigen Lebens erreicht werde, dessen Geheimnisse freilich nur den Philosophen bekannt seien (De or. 1.87). Nach Cicero organisierte Charmadas in der Akademie auch Vorlesungen über Platons Gorgias (ib. 1, 47). Solch eine Stellungnahme gegen die Rhetorik konnte von Plutarch nicht einfach ignoriert werden. Plutarch beweist sich nämlich in seinen Schriften auch als Philosoph der platonischen akademischen Tradition. Auch wenn die Akademie zu seiner Zeit, wie gesagt (s. o. Fn. 12), als Institution in Athen nicht mehr existierte und es daher auch keinen Scholarchen (Schulleiter) mehr gab, der die orthodoxe Richtung der Schule definieren konnte, konnten dennoch Orthodoxie und

38 Dazu s. Trapp 2004, 195. Vgl. jüngst auch Thum 2020, 239.

39 Dazu s. wieder Karadimas 1996, 224-230 mit ergänzenden Verweisen.

40 Vgl. auch Brittain 2001, 299-302.

Unorthodoxie nunmehr auch durch die Einhaltung der Lehrmeinungen der jeweiligen Vorgänger bestimmt werden.41 Plutarch neigte ohnehin zur Identifizierung mit einer Tradition, die mit Pythagoras und Platon begonnen hatte, und dann über Aristoteles und die ganze hellenistische Akademie bis hin in seine eigene Zeit reichte.42 Dabei käme aber eine Anerkennung des Wertes der Rhetorik — auch wenn es sich dabei um einen sekundären Wert handelte, wie es an vorliegender Stelle der Fall ist — sicherlich dieser Ausrichtung nicht richtig entgegen, da sie jedenfalls zumindest der Meinung von Charmadas widerspricht. Dies könnte theoretisch einen möglichen Vorwurf der Unorthodoxie zur Folge haben, welcher aber im Text Plutarchs trotzdem riskiert zu werden scheint.43 Die sekundäre, unterstützende Rolle, die hier die Rhetorik als Überzeugungsmittel einnimmt, ist also eher zu relativieren.44

In allen anderen Fällen im plutarchischen Werk, in denen die Rhetorik ebenfalls in einem politischen Kontext behandelt wird, ohne dass nun zugleich auch die gewöhnliche Opposition zwischen Rede und Ethos von Belang sein müsste, ist die geäußerte Haltung jeweils grundsätzlich positiv. In der Schrift Politische Ratschläge gibt es auch Stellen, an welchen die Überzeugungsfähigkeit durch die Rede sogar dem ,Euergetismus' vergleichend an die Seite gestellt wird und dabei, jetzt von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachtet, ohne Weiteres als ein probates Mittel politischer Führung dargestellt wird. Hier kommen vor allem zwei Stellen in Betracht. Die eine findet sich im bereits zitierten Kapitel der Schrift, in dem die Rhetorik behandelt wird (Praec. ger. reip. 802d-e):

töv ^sv ouv Xukov ou qaai twv a>t«v Kpatstv, S^ov Ss Kai noXiv ¿k twv «t«v aysiv Sei ^aXiata, KaGansp svioi twv äyu^vdat«v nspi Xoyov Xaßa; d^ouaou; Kai ^¿xvou; (ntouvts; ¿v toi; noXXot; t^c yaatpö; sÄKouaiv sü«xoüvts; ^ tou ßaXXavtiou SiSovtsc;, ^ nuppixa; tiva; ^ ^ovo^ax«v Gsa^ata napaaKsuaiovts; dsi Srmay«yoüai, ^aXXov Ss S^^oKonouai. Armay«yia yap H Sia Xoyou nsiGo^v«v ¿ativ, a[ Ss toiautai tiGaasuasi; twv oxÄ«v oüSsv dX6y«v (w«v aypa; Kai ßouKoXi^as«; Siaq^pouaiv.

„Ein Sprichwort sagt, dass man den Wolf nicht an den Ohren packen und festhalten kann. Die Führung über eine Volksmenge und eine Polis geht jedoch gerade von den Ohren aus — im Gegensatz zu denen, die, da sie in der Redekunst ungeübt sind, nach geistlosen und simplen Handhaben in der Volksmenge suchen und sie vom Bauche her führen wollen: Sie veranstalten Festbankette und private Geldspenden-Verteilungen (an die städtische Unterschicht), sie organisieren aufwendige Tanz-Darbietungen oder Gladiatoren-Spiele und treten dabei jeweils als Volksführer / Demagogen auf, sind jedoch eher Volksverführer. Denn ,demagogia' bedeutet eigentlich ,Führung durch Worte und Argumente'. Die erwähnten (einlullenden) Besänftigungen für die Volksmasse unterscheiden sich jedoch nicht von der Jagd auf vernunftlose Tiere oder vom Unterhalt einer Viehherde." (Übersetzung von G. A. Lehmann).

41 Frede 1999, 792-793. Vgl. auch Wiater 2011, 36-37.

42 Dazu s. Lampr. Cat. 63: üepi tou piav elvai dnö tou nXdt«vo; ÄKaS^psiav (Über die Einheit der Akademie seit Platon). Zu Plutarchs Verhältnis zur akademischen Skepsis s. z. Bsp. De Lacy 1953, 79-85; Boy-Stones 1997, 41-58; Opsomer 1997, 17-39; Brittain 2001, 225-236; Bonazzi 2014, 121-130.

43 Vgl. auch die parallele Stelle De aud. poet. 33F: tpono; saG' o nsiG«v tou Xsyovto;;, oü Xoyoc;. Kai tpono; psv ouv Kai Xoyo; ^ tpono; Sia äoyou, KaGdnep innsü; Sia xaXivou Kai Sia nr|6aXiou Kußepvr|tr|c;, oüSsv out« qiAdvGpunov oüSs auyyev«; ¿xouar|C trjc dpetfjc öpyavov w; töv Xoyov.

44 Ausführlicher dazu bei Tsiampokalos 2020, 495-510.

Dabei geht es um eine moralische Hierarchisierung, in deren Rahmen die Überzeugung durch die Rhetorik sich klar als eine bessere Alternative im Vergleich zur Überzeugung durch Wohltätigkeiten erweist. Die andere Stelle findet sich später im Text im Rahmen einer Diskussion zum sog. Euergetismus (ib. 822f-823a):

oütw; out' äY£VV^ ¿°Ti nsviav ö^oäoyeTv, outs Xdnovtai про; 5uva^iv ¿v nöXsai twv ¿atiwvtwv Kai xopnYouvtwv o[ nsv^ts;, av nappr|ffi.av an' äpst^c; Kai niativ ex^ffi. 6ä ^aXiata Kpatsiv ¿autwv ¿v toi; toioutoi; Kai ц^т' e'i; ns5ia Kataßaivav nsZov [nnsuai ^axou^svov ц^т' ¿ni ataSia Kai Gu^sXa; Kai tpans^a; nsv^ta nXouatoi; ünsp 66^r|; Kai Suvaatda; SiaYwviiö^vov- aXX' an' äpst^; Kai fpov^ato; äd цета Xoyou neipw^voi; aY£iv t^v noXiv, ol; oü ц6vov то KaXöv Kai то a£цvöv aXXa Kai то Ksxapia^vov Kai äYwY°v svsati "Kpoiadwv a[p£twt£pov atat^pwv."

„So ist es also nicht ehrenrührig, seine Armut einzugestehen. Überdies fehlt es armen Leuten — im Vergleich mit denjenigen, die Festbankette ausrichten und Choregien übernehmen — nicht an Einflussmacht und Gewicht in der Polis-Gemeinde, wenn sie wegen ihrer Tüchtigkeit über Redefreiheit und allgemeines Ansehen verfügen. In dieser Situation gilt es also, vor allem Selbstbeherrschung zu zeigen und sich ebenso wenig als Fußsoldat zum Kampf mit Reiterei auf ebenes Terrain zu begeben wie als Armer mit Reichen — im Hinblick auf Sport-Wettkämpfe, Fest-Feiern und Bankette — um Ruhm und Macht zu wetteifern. Vielmehr sollte er mit denen konkurrieren, die auf der Basis von persönlichem Leistungsvermögen und Verstand mit Überzeugungskraft versuchen, die politische Führung zu übernehmen. Denn darin liegt nicht nur Vortrefflichkeit und Würde, sondern auch weitaus mehr an Popularität und politischer Durchsetzungskraft ,als in den Stateren (Doppeldrachmen) des Königs Kroisos'." (Übersetzung von G. A. Lehmann).

Euergetismus bedeutet politische Herrschaft durch Wohltätigkeit.45 Für viele Wohltäter muss allerdings solch eine Herrschaft eher eine Belastung gewesen sein, weil sie in ihren Städten ständig unter dem Druck standen, Gelder zu diesen Zwecken einzusetzen.46 Eine Art Herrschaft, die hauptsächlich von der Moral und der Redekunst (asi цета xoyou) unterstützt wird, wäre ihnen daher eine viel günstigere Alternative. Die Gegenüberstellung von Rhetorik und Wohltätigkeit ist freilich aus historischer Sicht übertrieben, da in der Praxis die eine kaum durch die andere ersetzt werden konnte. Vielmehr handelt es sich ja um Führungsmethoden, die eher komplementär funktionierten; denn ein antiker griechischer Staatsmann konnte in seinen öffentlichen Reden selbstverständlich immer taktisch auf seine Wohltätigkeiten verweisen.47 Wieso werden sie dann in Plutarchs Text gegenübergestellt? Eine mögliche Interpretation ist, dass, abgesehen von Fällen, in denen die Rhetorik im Gegensatz zur Überzeugungskraft eines tüchtigen Charakters betrachtet wird, sie durchaus der plutarchischen Philosophie nicht fremd ist. Diese Hypothese könnte eventuell auch durch eine weitere Schrift Plutarchs aus dem Korpus der Moralia bekräftigt werden. Bei dem Dialog „Über die Klugheit der Tiere" (De sollertia animalium, 959A-985C) handelt es sich nämlich größtenteils um eine dialektische Übung zwischen zwei Schülern an einer Bildungseinrichtung, die sich mit Plutarchs eigener philosophischer Schule identifizieren lässt: Ein Schüler plädiert für die These, die Landtiere seien

45 Mehr zu diesem Phänomen bei Veyne 1976; Gauthier 1985; Zuiderhoek 2009; Heller, van Nijf 2017,

1-27.

46 Dazu s. etwa Cass. Dio 52, 35-36. Vgl. Duncan-Jones 1990, 170.

47 Vgl. z. Bsp. das Ehrendekret IG XII 9, 906 und die Umstände, unter welchen dort die Wohltätigkeiten des Aurelius Hermodoros thematisiert werden.

klüger, während ein anderer wiederum für die Gegenthese spricht, die Wassertiere seien doch klüger. Zwischendurch finden sich aber im Text nicht wenige Belege (etwa 960A-B, 965B, 965E, 975C, 985C),48 die eine zumindest gelegentliche Auseinandersetzung mit der Rhetorik in Plutarchs Konzept eines philosophischen Unterrichts in der Tat dokumentieren können.49

4. Philosophen und Sophisten

Die Möglichkeit einer gewissen Beschäftigung mit der Rhetorik auch im Rahmen der eigenen philosophischen Ausbildung wirft zugleich auch die Frage nach der Kritik auf, die Plutarch systematisch an den zeitgenössischen Sophisten übt. Diese waren freilich nicht jenen zu vergleichen, gegen die sich Platon einst widersetzte. Zu der Zeit Plutarchs bezeichnete man mit dem Begriff „Sophist" vor allem erfolgreiche, gut ausgebildete Männer, welche neben ihren anderen Tätigkeiten gerne in verschiedenen Situationen auch als öffentliche Redner auftraten.50 Sehr oft — aber nicht immer — unterrichteten diese Sophisten auch Rhetorik. Bis vor kurzem wurde die genannte Kritik Plutarchs in der Forschung als ein Ausweis für die eigene Ansicht des Philosophen über die Rhetorik insgesamt betrachtet. Diese Interpretation war ursprünglich von Forschern vorgeschlagen worden, die bei ihrem Versuch, das Korpus der wenigen erhaltenen rhetorischen bzw. deklamatorischen Schriften Plutarchs als Jugendwerke zu präsentieren, um sie dann in eine frühere Phase von Plutarchs Laufbahn als Schriftsteller zu datieren, auf das klassische Schema der Bekehrung von der Rhetorik zur Philosophie zurückgriffen.51 Das Problem ist jedoch, dass im Falle Plutarchs die Kritik gegen die Sophisten nicht zwangsläufig auch Kritik gegen die Rhetorik bedeutet.52

Der Sophist fungiert im Werk Plutarchs als Manifestation des Anti-Philosophen. Bei Plutarch werden die Sophisten systematisch als maßlos bezeichnet, während die Philosophen immer als zurückhaltend dargestellt werden; die einen sind überheblich und wollen beim Vortragen vor allem sich selbst zeigen, die anderen wollen hingegen mit ihrer öffentlichen Präsenz ihren Mitmenschen helfen; die einen können dabei nur Vergnügen bereiten, die anderen wissen, wie sie für ihr Publikum nützlich sein können, usw.53 Diese Opposition zwischen einem Interaktionsmodell, das durch Maß, Wahrheit, Wissen und Nutzen gekennzeichnet ist, und einem anderen solchen, welches sich dagegen durch

48 Zur juristischen Bildsprache s. Hirzel 1895, 2.176, Anm. 4; Mossman 2005, 146; 156.

49 Vgl. auch Russell 22001, 13; Martin 1997, 720.

50 Zur Bedeutung des Begriffs 'Sophist' in dieser Zeit siehe Bowersock 1969, 1-2. 13-14; Karadimas 1996, 6; Whitmarsh 2005, 15; Wyss 2017, 185-186.

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51 Vgl. auch Synes. Dion 1. Mehr dazu bei Bowersock 1969, 10-11. 110-111; Stanton 1973, 53-354; Whitmarsh 2005, 17-18.

52 Vgl. auch Karadimas 1996, 9.

53 Dazu s. auch Schmitz 2014, 35-41. Zum Porträt des, Sophisten' bei Plutarch vgl. Tib. Gracch. 7,6; Nic. 1,1-4; Comp. Nic. Crass. 2,6-7; Luc. 7,4; Brut. 33,6; Dem. 9,1-2; Comp. Dem. Cic. 1,3. 2,1; Alex. 53,1; De aud. 41D, 43F, 46E, 48D; De ad. et am. 65C, 71A; De prof. in virt. 78F, 80A; De tuenda 123B, 129D, 130E-131B, 133E; Reg. et imp. apophth 176C, 217D (= Apophth. Lac. 219C); Apophth. Lac. 223E; De Alex. Magn. fort. 328B; Bellone an pace 351A; De E 387D; De Pyth. or. 408C-D; De def. or. 413A-B; De virt. mor. 449A-B; De vit. pud. 536A; De se ipsum laud. 543E, 547E; De genio Socr. 580B; Quest. conv. 709B; Amat. 756D; Praec. ger. reip. 802E, 813A; De Hdt. mal. 855E-F; Gryllus 988F-989B; Adv. Col. 1124C. Der Begriff ,Sophist' wird manchmal auch metaphorisch zur Charakterisierung von ,Betrügern', ,Gaunern', usw. (Pelop. 23,4; Lys. 7,3; Sert. 10,3-4; Alex. 62,6-7; Apophth. Lac. 229A; Quest. conv. 710B) und einmal neutral zur Bezeichnung der ,Sieben Weisen' (De frat. Am. 478B-C; vgl. aber auch De E 385D; De Hdt. mal. 857F.) verwendet.

Überschwang, Eitelkeit, unkontrolliertes Vergnügen und Unwissenheit auszeichnet, taucht jedoch nicht zum ersten Mal bei Plutarch auf. Dabei handelt es sich um eine bekannte rhetorische Taktik, die darauf abzielt, durch eine Herabstellung des Gegners einen moralischen Vorteil für die eigene Partei zu verschaffen.54 Es besteht kein Zweifel, dass die Sophisten, die bei Plutarch kritisiert werden, in Wirklichkeit sehr erfolgreich waren. Eben dieser Erfolg dürfte die Ursache dafür sein, dass ihre Tätigkeit im Werk des Philosophen angegriffen wird. Dennoch geht es bei diesen Angriffen nicht um die Rhetorik an sich. Vielmehr handelt es sich um die allgemeinere Gegenüberstellung zwischen einerseits dem Interaktionsmodell eines philosophischen Lehrers mit seinem Publikum, sei es bei der Teilnahme an einer gelehrten Diskussion mit Studenten und Freunden, sei es im Rahmen eines öffentlichen Vortrags, und andererseits einem alternativen, erfolgreicheren Interaktionsmodell mit der breiten Öffentlichkeit, das von den sog. Sophisten vertreten wurde und oft die gleichen Bereiche betraf.55 Plutarch kann zwar die Rhetorik in diesem Zusammenhang gelegentlich auch thematisieren, aber genau genommen in erster Linie deshalb, weil sie einen zentralen Anwendungsbereich der Sophistik darstellt. Davon abgesehen wird ihr Wert (natürlich unter der Voraussetzung, dass sie einer moralphilosophischen Perspektive entsprechend angepasst ist) an mehreren Stellen des plutarchischen Werks, wie wir bereits dargelegt haben, trotzdem auf die eine oder andere Weise anerkannt.

Gewiss gibt es noch weitere wichtige Fragen, die man im Rahmen dieser Thematik auch beantworten sollte. Wie kann die Rhetorik in der Praxis einer moralphilosophischen Perspektive angepasst werden? Inwiefern trennt Plutarch das Ethos eines Menschen vom sogenannten ,Ethos des Redners', welches in der Tat auch ein rhetorisches Mittel darstellt? Diese Fragen und vieles andere mehr habe ich aber, wie eingangs schon gesagt, im Rahmen einer demnächst erscheinenden größeren Arbeit über Plutarchs Äußerungen zur Rhetorik untersucht.

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54 Vgl. etwa Ar. Nub. 889-1111; dens. Ran. 1006-1481; Thuc. 3, 38, 1-7; Pl. Ap. 17B-C.

55 Dazu s. Schmitz 2012, 84: „However, when we look at the social mechanisms underlying his own way of philosophical interaction, the deep structure of these two models of social interaction [also des philosophischen und des sophistischen] turns out surprisingly similar. Both produce social cohesiveness by defining a common ground for discussion; both are socially exclusive and restrict access to this playing field to members of the social and cultural élite. [...]". Vgl. Lauwers 2015, 55.

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Let's talk about rhetoric! Plutarch's position within a long, ideologically burdened

tradition in the history of education

Theofanis Tsiampokalos

University of Trier, Faculty II — Classical Philology,

Universitätsring 15, 54296 Trier, Germany, tsiampokalos@uni-trier.de

For citation: Theofanis Tsiampokalos. Let's talk about rhetoric! Plutarch's position within a long, ideologically burdened tradition in the history of education. Philologia Classica 2021, 16 (2), 207-221.

https://doi.org/10.21638/spbu20.2021.203 (In German)

The question of Plutarch's attitude towards rhetoric has occupied several scholars since the 19th century. The traditional view is that it is rather negative. Although Plutarch acknowledges some value in rhetoric as a means of persuasion in politics, he nevertheless attributes the dominant role to ethos. As it will be shown below, however, this picture is only partially justified after a closer examination of the relevant texts in their historical-cultural context. In the present work, Plutarch's remarks on rhetoric are considered against the background of the traditional conflict between rhetoric and philosophy, and analyzed in relation to three thematically significant oppositions, namely that between teaching and persuading, between speech and ethos, and between the philosophers and the sophists. The result is that the secondary, supporting role that rhetoric assumes in certain passages as a means of persuasion is to be relativized rather than emphasized. It can be explained in each case on the basis of its argumentative function. In other cases in Plutarch's work, where rhetoric is discussed, the attitude expressed is in principle positive without the usual opposition between speech and ethos playing a role at the same time.

Keywords: Plutarch, Plato, philosophy, rhetoric, ethos, sophists.

Received: August 5, 2021 Accepted: October 19, 2021

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