N. Angermann
die Begegnung russlands mit dem lutherischen Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert
Aus Anlass des 500jährigen Jubiläums der Reformation sind namentlich in Deutschland zahlreiche Monographien und Sammelbände erschienen, in denen die europäische Wirkung Luthers dargestellt ist. Dabei wird nicht selten ein Land nach dem anderen behandelt, in dem die lutherische Kirche zur herrschenden geworden war oder eine mehr oder weniger große Bedeutung erlangt hatte. Nach einem Beitrag zum Thema Russland und die Reformation sucht man in dieser neuesten Literatur jedoch vergeblich. Dies ist bedauerlich. Der Protestantismus war nämlich schon im 16. Jahrhundert im Moskauer Russland in bemerkenswerter Weise präsent, und später gab es im Russländischen Reich eine große Zahl von Angehörigen protestantischer Konfessionen. Um 1900 waren es mehrere Millionen, vorwiegend Lutheraner. Im Wesentlichen handelte es sich bei ihnen um Nichtrussen. Für diese war Russland aber zur Heimat geworden, die ihnen den Lebensunterhalt und Glaubensfreiheit gewährte. Dafür erbrachten sie auf vielen Gebieten bedeutende Leistungen für das Land. Es ist deshalb auch aus diesem Grunde — und nicht nur wegen der weltgeschichtlichen Bedeutung der Reformation — mehr als berechtigt, wenn in Russland des 500jährigen Jubiläums in vielen Veranstaltungen gedacht wurde. Oft bezog man dabei die ins 16. Jahrhundert gehörige früheste Begegnung des Landes mit dem neuen Glauben in die Erinnerung ein.
Der vorliegende Beitrag beleuchtet die erste Epoche in der Geschichte des lutherischen Protestantismus in Russland. Es geht um die Zeit von den Anfängen bis 1689, das traditionell als Jahr des Beginns der Herrschaft Peters des Großen gilt. Für unser Thema bedeutet © N. Angermann, 2018
der Beginn der petrinischen Zeit eine starke Zäsur. Peter besaß eine entschieden positive Einstellung gegenüber den Protestanten. Deren Zahl nahm infolge der russischen Eroberungen im Großen Nordischen Krieg stark zu, und seitdem spielten sie im Heer und in der Flotte, in der Verwaltung und im kulturellen Leben Russlands eine herausragende Rolle.
Die Begegnung Russlands mit dem lutherischen Protestantismus erscheint aber auch schon beim Blick auf die davor liegende Epoche des Moskauer Zarenreichs als vielfältiges Thema. Wer sich ihm widmet, hat die äußere Lage der dortigen Lutheraner zu beachten, die im Rahmen der historischen Entwicklung des Landes starkem Wandel unterworfen war. Zugleich ist die Haltung der russischen Regierung und der Kirche gegenüber dem neuen Glauben von grundlegender Bedeutung. Einen Teilaspekt stellt dabei die breit entfaltete antiprotestantische Polemik dar. Interesse verdienen auch die häufigen Fälle des Glaubenswechsels vom Luthertum zur Orthodoxie. Ebenso gab es bereits damals nennenswerte Verdienste von Lutheranern um Russland. Damit sind nur besonders bedeutende Themenbereiche genannt. Im begrenzten Rahmen meines Beitrages kann ich aus diesem großen Themenkomplex nur Einiges herausgreifen. Zunächst sollen die ersten Kontakte von Russen mit Lutheranern mit einem Akzent auf der vermittelnden Rolle des Handels und Livlands näher betrachtet werden. Anschließend folgt ein Überblick über die Entwicklung der lutherischen Gemeinden in Russland, der leider nur sehr kurz sein kann. Des Weiteren wird auf Leistungen der Lutheraner für Russland hingewiesen und das Phänomen der russischen Toleranz angesprochen. Die Auswahl der Schwerpunkte erklärt sich weitgehend damit, dass ich dort an handels- und kulturgeschichtliche Forschungen von mir und meinen Schülerinnen Sabine Dumschat und Anke Martens anknüpfen kann.
Was die Literatur über die lutherische Kirche im vorpetrinischen Russland betrifft, dominierten in älterer Zeit die Schriften von St. Petersburger und Moskauer Pastoren. Dies gipfelte in der «Chronik der Evangelischen Gemeinden in Moskau», verfasst von August Wilhelm Fechner. Im ersten Band dieses 1876 erschienenen zweibändigen Werkes werden das 16. und das 17. Jahrhundert besonders stark berücksichtigt, mit Wiedergabe von zahlreichen Quellenauszügen1. Von russischer Seite
1 Fechner, A. W. Chronik der Evangelischen Gemeinden in Moskau. Moskau, 1876. Bd 1.
hat wenig später Dmitrij Tsvetaev zahlreiche Publikationen zum Thema vorgelegt. Das Meiste davon ist in seinem umfangreichen Werk «Pro-testantstvo i protestanty v Rossii do epochi preobrazovanij» von 1890 zusammengefasst2. Cvetaev erschloss viele weitere Quellen. In neuerer und neuester Zeit sind Gesamtdarstellungen über die Geschichte des Protestantismus bzw. der lutherischen Kirche in Russland erschienen, in denen die uns interessierende Epoche mitberücksichtigt ist. Gemeint sind eine deutschsprachige Darstellung von Erik Amburger3 sowie russischsprachige Werke von Ol'ga Kurilo4 und Ol'ga Licenberger5. Speziell die vorpetrinische Epoche behandelte Kurilo auch in einem deutschsprachigen Aufsatz6. Zur Präsenz der Protestanten in der Moskauer Rus' und zu konfessionellen Problemen wird in jüngster Zeit in Russland aber auch noch von vielen weiteren Historikern beigetragen. Hervorgehoben seien hier nur Vera Kovrigina, die Erforscherin der Nemeckaja sloboda bei Moskau7, ferner Tat'jana Oparina, Autorin von Arbeiten über das russische antiprotestantische Schrifttum, über die während des Livlän-dischen Krieges nach Russland umgesiedelten Lutheraner und über das Phänomen des Glaubenswechsels8, sowie schließlich Michail Dmit-riev, der ebenfalls über das Verhältnis der Orthodoxie zu anderen Glaubensbekenntnissen und über die russische religiöse Toleranz schrieb9.
2 Цветаев, Д. В. Протестантство и протестанты в России до эпохи преобразований. М., 1890.
3 Amburger, E. Geschichte des Protestantismus in Rußland. Stuttgart, 1961.
4 Курило, О. В. Лютеране в России: XVI-XX вв. M., 2002.
5Лиценбергер, О. А. Евангелическо-лютеранская церковь в российской истории (XV-XX вв.). M., 2003.
6 Kurilo, O. V. Protestanten im Moskauer Reich im 16. und 17. Jahrhundert. Die Aktualität der protestantischen Geschichte in Russland, in: Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte. Neue Folge. Bd XIII (2004). Lüneburg, 2005. S. 289-310.
7 Ковригина, В. А. Немецкая слобода в Москве и ее жители в конце XVII - первой четверти XVIII в. M., 1997.
8 Опарина, Т. А. 1) Иван Наседка и полемическое богословие киевской митрополии. Новосибирск, 1998; 2) Проблема источников депортаций ливонских пленников в Россию, В кн.: Балтийский вопрос в конце XV-XVI в. / Под ред. А. И. Филюшкина. М., 2010. С. 239-268; 3) Воссоздание Немецкой слободы и проблема перекрещивания иностранцев-христиан в России, В кн.: Патриарх Никон и его время / Под ред. Е. М. Юхименко. M., 2004. С. 65-107.
9 Дмитриев, М. В. Московская Русь перед лицом «иноверия»: Восточнохристи-анская модель религиозного плюрализма?, В кн.: Средневековая Европа. Восток
Auf deutscher Seite publizierten Ludolf Müller über das russische antiprotestantische Schrifttum10 und Hans-Heinrich Nolte über Toleranz in Russland11. Das Erscheinen der größeren deutschen Beiträge liegt schon zurück; wissenschaftliche Aktualität kommt der konfessionellen Thematik heute dank der intensiven russischen Forschung zu.
Wann und auf welche Weise wurden die Russen mit dem Luthertum bekannt? Erste Nachrichten darüber dürften bereits in den 1520er und 1530er Jahren nach Russland gelangt sein, zumal es damals intensive Handelsbeziehungen zwischen Nordwestrussland und der Welt der Hanse, namentlich mit Livland, gab, dessen Städte schon seit den 1520er Jahren vom Luthertum erfasst waren. In Dorpat/Tartu wurde damals eine russische Kaufmannskirche Opfer eines protestantischen Bildersturms12, wobei die Ikonen dieses Gotteshauses als Anlass gedient haben könnten. Dieses Ereignis musste in Russland Aufmerksamkeit finden. Vermittler von Informationen über den lutherischen Protestantismus dürften aber auch die Ausländer, namentlich die Deutschen, im Dienste der Moskauer Großfürsten Vasilij III. (1505-1533) und Ivan IV. (1533-1584) gewesen sein. Seit dem späten 15. Jahrhundert bildete ja die Tätigkeit von Ausländern in Russland, darunter von Fachleuten und Soldaten aus Norddeutschland und Livland, in denen sich das Luthertum ausbreitete, eine ständige Erscheinung.
Diskutierenswerte und schließlich feste Anhaltspunkte für die Bekanntschaft Russlands mit dem Protestantismus liegen aber erst aus den 1550er
и Запад / Под ред. М. А. Бойцова. M., 2015. С. 233-324.
10 Müller, L. Die Kritik des Protestantismus in der russischen Theologie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Mainz/Wiesbaden, 1951.
11 Nolte, H.-H. Religiöse Toleranz in Rußland 1600-1725. Göttingen/Zürich/Frankfurt, 1969. Aus der Zahl kleinerer bzw. speziellerer Arbeiten zum Themenbereich seien erwähnt: Stökl, G. Das Echo von Renaissance und Reformation im Moskauer Rußland, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge. München, 1959. Bd 7. S. 413-430; Stupperich, R. Einflüsse der Reformation auf russischem Boden im Verlauf des 16. Jahrhunderts, in: Kirche im Osten. Göttingen, 1975. Bd 18. S. 34-45; Donnert, E. Begegnung von Luthertum und russischer Orthodoxie im Moskauer Reich um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Zwischen Christianisierung und Europäisierung. Beiträge zur Geschichte Osteuropas in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Peter Nitsche zum 65. Geburtstag/ Hrsg. von E. Hübner, u. a. Stuttgart, 1998. S. 179-200.
12 Selart, A. Die Reformation in Livland und konfessionelle Aspekte des livländischen Krieges, in: Leonid Arbusow (1882-1951) und die Erforschung des mittelalterlichen Livland / Hrsg. von I. Misäns, K. Neitmann. Köln/Weimar/Wien, 2014. S. 349-350.
Jahren vor. Dabei handelt es sich zunächst um Quellen über die damaligen Moskauer Prozesse gegen Häretiker und auch schon um Anfänge des antiprotestantischen Schrifttums. Die Betroffenen jener Prozesse — der Starec Artemij, Matvej Baskin und Feodosij Kosoj — stellen interessante Beispiele eines russischen Dissidententums dar13. Von Artemij, der Neuhausen in Livland zu einem Religionsgespräch aufgesucht hatte, und von Matvej Baskin, der mit aus Litauen stammenden Personen bekannt war, ist damit bezeugt, dass sie für westliche Kontakte offen waren. Partiell zeigen ihre Auffassungen auch Übereinstimmungen mit reformatorischen Anliegen. Ihre Meinungen erklären sich aber doch aus religiösem Ringen in der Tradition nonkonformistischer russischer Glaubensrichtungen.
Sehr interessante Hinweise auf religiöse Ost—West—Kontakte jener Zeit enthält ein Bericht des lutherischen Pastors Timann Brakel, der in den 1550er Jahren in Dorpat amtierte, auch nachdem die Russen diese Stadt im Sommer 1558, kurz nach dem Beginn des Livländischen Krieges, eingenommen hatten. Anfang 1559 wurde Brakel aber gewaltsam über Pskov nach Moskau gebracht, wo er als erster sicher bezeugter lutherischer Pastor tätig war. In einem 1579 gedruckten Bericht von Brakel heißt es, dass in der Zeit vor dem Beginn des Livländischen Krieges — also vor 1558 — drei Russen, die nach eigener Darstellung von bisheriger «Abgötterei» erlöst waren, nach Dorpat kamen, um dort die «deutsche Bibel» zu übersetzen. Denn «bei uns», so sagten sie, kann «der gemeine Mann» die Heilige Schrift nicht kaufen und lesen; die in Russland vorhandenen teuren Handschriften seien zudem auf Anstiften des Teufels durch die dortigen Metropoliten und Bischöfe verfälscht worden14. Mit dieser Absicht der Übersetzung der Bibel, von der es in Russland nur kirchenslavische Texte gab, in die Volkssprache wurde das zentrale Anliegen Martin Luthers verfolgt. Das von Brakel Gesagte weist zumindest darauf hin, dass jene Russen die kirchlichen Verhältnisse in Livland kannten, vom Luthertum wesentliche Anregungen erfahren hatten und der orthodoxen Kirche sehr kritisch gegenüber standen15. Mit
13 Siehe besonders: Dmitriev, M. V. Dissidents russes. Baden-Baden, 1998-1999. T. 1: Feodosij Kosoj; T. 2: Matvej Baskin, le starec Artemij.
14 Timann Brakel. Christlich Gesprech von der grawsamen Zerstörung in Lifland durch den Muscowiter vom 58. Jar her geschehenn... Anttorf, 1579. Wedemark, 2012. S. 154-155.
15 Wie Brakel berichtet, begrüßten die Pastoren Dorpats das Übersetzungsvorhaben.
Blick auf die Einwohner von Pskov schrieb Brakel sogar, dass dort «ein kleines Häufelein» zu «reinem Glauben» erweckt worden war16. Es ist gut möglich, dass die zum Übersetzungszweck nach Dorpat Gekommenen zu dieser kleinen Gemeinde gehörten. Als Brakel 1559 kurze Zeit als Gefangener in Pskov weilte, hatte er dort Kontakt mit «zwei Gliedern seiner [Gottes] heiligen und doch wegen des Ortes Lage heimlichen und verborgenen Kirche». Diese beiden evangelischen Russen, ein Handschuhmacher und ein Stiefelschuster, fanden unter dem Vorwand, ihre Waren zeigen und verkaufen zu wollen, Zugang zu Brakel und halfen ihm durch christlichen Trost und materiell17.
Die angeführten Mitteilungen von Brakel sind in der kirchengeschichtlichen Literatur schon erwähnt, aber nicht hinlänglich gewürdigt worden. Sie gewinnen an Plausibilität, wenn man berücksichtigt, dass die Strecke zwischen Pskov und dem nahen Dorpat eine sehr wichtige Verbindungslinie des russischen Außenhandels war18. Pskover Kaufleute hielten sich oft längere Zeit in Dorpat auf, und auch russische Gewerbetreibende kamen dorthin, um ihre Erzeugnisse anzubieten. Zu den Letzteren gehörten gerade auch Stiefel und die besonders beliebten Pskover Handschuhe, so dass jene beiden russischen Helfer Brakels vielleicht schon von Besuchen Dorpats her wussten, wer er war. Dass sich russische und deutsche Kaufleute auch über religiöse Themen unterhielten, zeigen zeitgenössische kaufmännische Lehrbücher für das Russische, in denen entsprechende Satzbeispiele enthalten sind19. Der Keim einer
Dieses kam gleichwohl nicht zustande, denn die Übersetzungswilligen verließen Dor-pat wieder, weil dessen Rat ihre Sicherheit während ihres notwendigerweise längeren Aufenthalts in der Stadt nicht garantierte. Sie fürchteten ein Auslieferungsbegehren seitens der russischen Obrigkeit (Timann Brakel. Christlich Gesprech. S. 154-155). Der schon des Handels wegen auf guten Kontakt mit Russland bedachte Rat hielt diese Furcht offenbar für berechtigt und wollte gerade in jener spannungsvollen Zeit am Vorabend des Livländischen Krieges Komplikationen vermeiden.
16 Timann Brakel. Christlich Gesprech. S. 153.
17 Timann Brakel. Christlich Gesprech. S. 107.
18 Angermann, N. Zum Rußlandhandel von Dorpat/Tartu in der Zeit seiner höchsten Blüte (Mitte des 16. Jahrhunderts), in: Die Baltischen Länder und der Norden. Festschrift für Helmut Piirimäe zum 75. Geburtstag / Hrsg. von M. Laur, E. Küng. Tartu, 2005. S. 82-93.
19 Siehe den Abschnitt «Vonn gott vnd Himlischenn Dinngenn» im Sprachlehrbuch des Dorpater Kaufmanns Thomas Schrove von 1546: «Einn Russisch Buch» Tho-masa Schrouego. Slownik i rozmowki rosyjsko-niemieckie XVI wieku. Cz^sc II.
lutherischen Gemeinde in Pskov erwuchs also unter den Bedingungen des intensiven russisch-livländischen Handels, der Kontakte begünstigte20. Allerdings verdorrte dieser Keim vermutlich bald, denn die russische Kirche erlaubte grundsätzlich keinen Glaubenswechsel ihrer Mitglieder, und zudem führte der Livländische Krieg auf russischer Seite zu einer heftigen antilutherischen Propaganda. Gleichwohl liegt mit jener Verbindung zwischen Pleskau und Dorpat ein sehr bemerkenswertes Beispiel dafür vor, dass die Wand zwischen den Konfessionen nicht undurchdringlich war.
In Moskau begegnete Timann Brakel 1559 weiteren verschleppten und gefangenen Livländern, für die er als Pastor ohne Kirche tätig wurde. Er berichtet darüber mit den Worten: «also hab ich auch andern mehr das Wort Gottes wenn's die Gelegenheit hat leiden können, daselbst in Häusern gepredigt, das Abendmahl gereicht, der gefangenen Liv-länder Kind'lein, so da geboren wurden, getauft. Ebenso die Gefangenen und Kranken besucht und getröstet, und also meine Kirche, Kanzel und Altar daselbst gehabt, wie bitter und wunderlich es auch zugegangen»21. Brakel betrachtet sein Wirken selbst als so etwas wie die Gründung einer Gemeinde. Die Moskauer Obrigkeit ließ dies offenbar zu. Letzteres steht in Übereinstimmung damit, dass damals den Protestanten im russisch besetzten Livland die Glaubensfreiheit gewährt wurde22.
Johann Wettermann, ein weiterer Dorpater Pastor, setzte das Wirken Brakels ab 1565 in Russland fort. Der Chronist Franz Nyenstädt berichtet, dass die Dorpater Bürger und Einwohner in diesem Jahr nach Vladimir, Niznij Novgorod, Kostroma und Uglic deportiert wurden, und er führt dann aus: «Sie haben gehabt einen Pastoren zu Dörpt, mit Nahmen Magister Johann Wettermann. der ist mit ihnen in das Exilium gezogen,
Transliteracja tekstu. Indeks wyrazow i form rosyjskich / Ed. A. Falowski. Krakow, 1997. S. 132-134.
20 Die Vermutung, dass es sich bei jenen Pskovern am ehesten um Lutheraner handelte, findet sich auch bei Stupperich, R. Einflüsse der Reformation auf russischem Boden. S. 39. Die dortige weitere Erwägung, dass sie möglicherweise mit dem Pskover Höhlenkloster in Verbindung standen, wo man anscheinend die Gelegenheit gehabt habe, die deutsche Sprache zu erlernen und lutherische Glaubensanschauungen kennenzulernen, hat wenig für sich.
21 Timann Brakel. Christlich Gesprech. S. 98.
22 Zur russischen Kirchenpolitik in Livland vgl. Selart, A. Die Reformation in Livland und konfessionelle Aspekte des livländischen Krieges. S. 340-343.
hat seine Heerde wie ein rechtschaffener Hirte geweidet, vnd wenn er nicht Pferde gehabt, ist er zu Fusse von einer Stadt zur andern gegangen, da seine Schaaffe verstreuet gewesen, hat sie besuchet, vnd allezeit zur Furcht des Herren ermahnet, auch ihren Kindern Schulmeister, so gut er sie haben können, verordnet, die ihnen auch in allen Städten an den Sonntagen aus den Postillen vorlesen müssen»23. Schon hier ist also die typisch lutherische Sorge um die Schulbildung bezeugt, die auch die künftigen Pastoren in Russland umtrieb. Ähnlich wie im Falle der Erinnerungen von Brakel sind auch die Angaben über Wettermann in hohem Maße authentisch. Der spätere Chronist Franz Nyenstädt lebte nämlich von 1554 bis 1571 als Kaufmann in Dorpat24. Nachdem Wettermann zusammen mit anderen Deportierten 1570 nach Dorpat zurückgekehrt war, hatte er Kontakt mit Nyenstädt, dem er über seinen Aufenthalt in Moskau und in den genannten Städten berichtete25.
Die Bedeutung, die Livland für den konfessionellen Kontakt besaß, bestätigt sich, wenn wir auf die Regierungsebene schauen. Von Ende der 1550er bis Anfang der 1570er Jahre gehörte zur engsten Umgebung des Zaren eine Gruppe von Ratgebern, die der Krieg aus Livland nach Moskau verschlagen hatte26. Dazu gehörten Elert Kruse, zuvor Inhaber der hohen Stellung eines Stiftsvogts von Dorpat, ferner der Adlige Johann Taube und der Jurist Caspar von Elverfeldt. Es ist bekannt, dass Ivan Groznyj mit diesen Ratgebern über religiöse Themen sprach. Zweifellos beharrte der Zar dabei letztlich auf orthodoxen Positionen, so dass Elert Kruse, der 1560, vor seiner Gefangennahme durch die Russen, die konfessionelle Beeinflussung Moskowiens durch den Westen für möglich gehalten hatte27, hier seine Illusion verloren haben mag. Interessant ist auch, dass Ivan Viskovatyj, zeitweilig wohl der einflussreichste Vertraute des Zaren am Moskauer Hof, am 4. Dezember 1558 mit dem in Russland weilenden Dorpater Bischof Hermann im Kreml
23 Nyenstädt, F. Livländische Chronik nebst dessen Handbuch / Hrsg. von G. Tiele-mann, in: Monumenta Livoniae antiquae. Riga/Leipzig, 1839. Bd 2/2. S. 67.
24 Nyenstädt, F. Livländische Chronik. S. III.
25 Nyenstädt, F. Livländische Chronik. S. 68.
26 Шапошник, В. В. Протестанты при дворе Ивана Грозного, В кн.: Религия. Церковь. Общество: Исследования и публикации по теологии и религии. 2016. Т. 5. С. 234-249.
27 Neue Quellen zur Geschichte des Untergangs livländischer Selbständigkeit / Hrsg. von C. Schirren. Reval, 1885. Bd III. № 219.
ein Gespräch «inn religion sachen» führte28. Mehr, als dass es «eine zeitlangk» dauerte, erfahren wir von Christian Hillebrandt, dem Sekretär der bischöflichen Gesandtschaft, leider nicht. Obwohl Hermann ein katholischer Geistlicher war, ging es bei diesem Dialog zweifellos nicht zuletzt um die Lehre Martin Luthers.
Längere Zeit verfügten die Lutheraner sogar in Moskau, wo besonders viele von ihnen ansässig waren, über keine eigene Kirche. Aus dem Jahre 1576 liegt dann aber die Nachricht vor, dass der Zar den Bau einer solchen erlaubt hatte29. Dieses Gotteshaus wurde allerdings bereits 1580 zerstört, was eventuell in den Kontext der sich abzeichnenden Niederlage Ivans im Livländischen Krieg gehört. Während der Zar 1576, vor einem erfolglosen Eroberungszug gegen Livland, noch dessen Unterwerfung erhofft hatte, ließ er sich nun möglicherweise von Enttäuschung über die widerständige Haltung der Livländer leiten.
Nach dem 25 Jahre dauernden Livländischen Krieg kehrte offenbar nur ein geringer Teil der Livländer in ihre Heimat zurück. Im Waffenstillstandsvertrag von Jam Zapol'skij (1582) war kein Gefangenenaustausch vereinbart worden, weil der Verhandlungsleiter, der päpstliche Nuntius Antonio Possevino, und die polnisch-litauischen Unterhändler die Rückkehr der Lutheraner in das jetzt zu Polen-Litauen gehörige Livland verhindern wollten. Indessen setzte sich der Zuzug von mittel- und westeuropäischen Fachleuten und Soldaten nach Russland fort, und unter dem ausländerfreundlichen Boris Godunov kam es zu einer Blütezeit der Nemeckaja slo-boda, die südöstlich von Moskau entstanden war. Die Ereignisse der Smuta führten jedoch dazu, dass die dortige Kirche wiederum zerstört wurde, ebenso die Schule, die im Sinne Martin Luthers gegründet worden war.
In der Zeit der ersten Romanovs, in der die Zahl zugewanderten Ausländer bald wieder stark zunahm, gab es in Moskau bzw. in der 1652 neu gegründeten Nemeckaja sloboda zeitweilig drei lutherische Gemeinden. Zur älteren
28 Christian Hillebrandts Bericht über den Aufenthalt Bischof Hermanns von Dor-pat in Moskau 1558/59 / Hrsg. von A. Bergengrün, in: Mitteilungen aus dem Gebiete der Geschichte Est-, Liv- und Kurlands. Bd 15. Riga/Leipzig, 1893. S. 447.
29 Tallinna Linnaarhiiv (Revaler Stadtarchiv). B.n.8 (Kirche Moskau). Fol. 1r-v (Brief des Magnus Pauli aus Moskau vom 1. Mai 1576). Diese Quelle ist seit A.W. Fechner bekannt. In der Literatur oft behandelte Tatsachen, die im vorliegenden Beitrag zum Verständnis erwähnt werden, sind im Folgenden, auch wegen des Zwangs zur Kürze, nicht mehr belegt.
Gemeinde gehörten Livländer und ihre Nachkommen sowie das breite Spektrum der neu nach Moskau gekommenen Vertreter verschiedenster Berufe, während die später entstandene und zeitweilig getrennte neue Gemeinde vor allem aus Angehörigen des Militärs bestand.
Von Moskau abgesehen, entstanden auch in Niznij Novgorod und in Archangel'sk bedeutende lutherische Gemeinden. Bezeichnenderweise war der erste, ab 1594 bezeugte Pastor in der Garnisons- und Handelsstadt Niznij Novgorod ein Livländer (Matthäus Grabau)30, während nach Archangel'sk, wo Hamburger Kaufleute stark vertreten waren, Geistliche aus der Elbestadt entsandt wurden. In der Literatur findet man bis heute die Angabe, dass im Jahre 1686 Franz Lorenz Schrader als erster lutherischer Pastor in Archangel'sk eingesetzt wurde und damals auch die erste lutherische Kirche entstand31. Indessen ist durch einen Reisebericht bezeugt, dass schon 1683 ein Diakon namens Johannes Block aus Hamburg nach Archangelsk reiste, um dort während der spätsommerlichen und frühherbstlichen Handelssaison in einer lutherischen Kirche Gottesdienst zu halten32.
Außer den lutherischen Kirchen existierte in Moskau und Archangel'sk je ein Gotteshaus der Reformierten. Den Katholiken, die in Russland stärker abgelehnt wurden als die Protestanten, verweigerte man eine Kirche. Die nur ganz vereinzelt nach Russland kommenden Mennoniten hatten die Bildung einer eigenen Gemeinde offenbar nie erstrebt, sondern begnügten sich mit Hausandachten und dem Besuch von Gottesdiensten der Reformierten33.
Im Einzelnen können wir oft nicht genau feststellen, welcher Konfession ein in Russland lebender Mittel-, Nord- oder Westeuropäer angehörte. Aus russischer Sicht waren sie alle andersgläubige nemcy,
30 Цветаев, Д. В. Протестантство и протестанты в России до эпохи преобразований. С. 122.
31 Vgl. u.a. Попова, Л. Д. Храмы западноевропейских конфессий в Архангельске, В кн.: Русский Север и Западная Европа / Под ред. Ю. Н. Беспятых. СПб., 1999. С. 86-87.
32 Johannes Block. Muscovien-Fahrt. Das ist: Kurtzer und umbständlicher Bericht von der Schiffahrth aus Hamburg nach Archangel, vom 12. Julij Abends biß den 4. Augusti in der Hinreise und vom 6. Octobr. Morgends biß den 11. November Abends um 5. Uhr Anno 1683 in der Zurückkunfft mit Gott vollendet. Hamburg, 1683.
33 Informationen über die bisher kaum beachteten Mennoniten im Russland des 17. Jahrhunderts verdanke ich Anke Martens, Hamburg.
in den russischen weltlichen Quellen über sie wird die Konfession nur äußerst selten mitgeteilt34. Dass die Lutheraner stark überwogen, steht aber außer Zweifel. Diese waren weitestgehend deutscher Herkunft. Auch aus den lutherischen skandinavischen Reichen kamen nur wenige Schweden und Dänen nach Russland, sondern vor allem Deutsche aus den schwedischen Provinzen im Ostbaltikum bzw. aus dem unter dänischer Herrschaft stehenden Holstein.
Was die Leistungen der Lutheraner für Russland betrifft, ist es bezeichnend, dass in unserer Epoche keine solchen leitend in der Zentralverwaltung tätig waren - im Gegensatz zur späteren Zeit, als es in St. Petersburg z.B. auch lutherische Minister gab. In der vorpetrinischen Epoche war dafür die russische Distanz gegenüber den nemcy noch zu groß. Es bildete eine Ausnahme, dass Ivan IV. zeitweilig eine Gruppe deutscher Berater um sich hatte35. Gleichwohl ist aber nach dem Anteil der Lutheraner an der Modernisierung Russlands zu fragen, die im 17. Jahrhundert auf vielen Gebieten zu beobachten ist. Die Autoren Kurilo und Licenberger sind bei der Beleuchtung dieses Themas auf die Rolle der Lutheraner bei der Etablierung des Moskauer Hoftheaters (ab 1672) eingegangen36. Dies ist in der Tat ein eindrucksvolles Beispiel. Im Mittelpunkt stand dabei der Pastor Johann Gottfried Gregorii, der die Stücke schrieb, in denen es zum Teil um biblische Stoffe ging. Auch junge Russen wurden zur Teilnahme herangezogen. Mit dem Tode des Zaren Aleksej Michajlovic hörten die Vorführungen 1676 für eine beträchtliche Zeit auf, aber der Theatergedanke lebte weiter.
Verdienste von Lutheranern lassen sich aber auch auf vielen anderen Gebieten namhaft machen. Dies kann hier wiederum nur in einer kleinen Auswahl geschehen. Aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sei beispielhaft auf eine militärische Leistung hingewiesen. Gemeint ist die Teilnahme von zahlreichen Livländern an der wichtigen Schlacht bei Molodi von 1572. In dieser mehrtägigen Schlacht wurde ein großangelegter Angriffszug der Krimtataren, die schon im Jahre davor Moskau
34 Опарина, Т. А. Воссоздание Немецкой слободы и проблема перекрещивания иностранцев-христиан в России. С. 66, прим. 3.
35 Шапошник, В. В. Протестанты при дворе Ивана Грозного.
36 Курило, О. В. Лютеране в России: XVI-XX вв. С. 45; Kurilo, O. V. Protestanten im Moskauer Reich im 16. und 17. Jahrhundert. S. 308-309; Лиценбергер, О. А. Евангелическо-лютеранская церковь в российской истории. С. 52-53.
stark zerstört hatten, zurückgewiesen. In den Quellen ist festgehalten, dass zu den russischen Truppen Hundertschaften von Dorpater und Nar-vaer nemcy gehörten, in geringer Zahl auch Felliner37. Im 17. Jahrhundert waren unter den ausländischen Offizieren und sonstigen Soldaten im russischen Dienst Lutheraner ebenfalls stark vertreten. In der zweiten Jahrhunderthälfte bildeten sie die größte konfessionelle Gruppe38. Sie nahmen nicht nur direkt an den Kriegen Russlands teil, sondern auch an der Ausbildung von russischen Kriegsleuten in den Regimentern «neuer [ausländischer] Ordnung».
Auch für kulturelle Tätigkeitsbereiche im engeren Sinn lässt sich ein hoher Anteil von Lutheranern unter den westlichen Ausländern in Russland nachweisen. In den bisherigen Forschungen über westliche Fachleute in Russland wurde üblicherweise auch nach deren ethnischer und regionaler Herkunft gefragt. Oft zeigte sich ein Überwiegen deutscher Zuzügler, die traditionell weitestgehend aus Nord- und Mitteldeutschland sowie aus dem Baltikum (im Sinne Est-, Liv- und Kurlands) stammten, das heißt aus Regionen, die seit dem 16. Jahrhundert lutherisch waren. Bestätigt durch Belege für das religiöse Bekenntnis von vielen einzelnen Fachleuten, kann auf dieser Grundlage behauptet werden, dass die Lutheraner beim medizinischen Personal, unter den Übersetzern und Dolmetschern sowie bei den Musikanten im 17. Jahrhundert die jeweils größte konfessionelle Gruppe bildeten39. Am Beispiel der zarischen Leibärzte lässt sich am leichtesten zeigen, dass in Moskau auch
37 Скобелкин, О. В. Служилые «немцы» в русском войске второй половины
XVI в. [Электронный ресурс], В кн.: История военного дела: Исследования и источники. Специальный выпуск I. Русская армия в эпоху царя Ивана IV Грозного. СПб., 2012. Ч. I. Статьи. С. 69-103.
38 Vgl. resümierend Орленко, С. П. Выходцы из Западной Европы в России
XVII в.: правовой статус и реальное положение. M., 2004. С. 51 (hier ist von Deutschen die Rede, bei denen es sich aber zweifellos fast nur um Lutheraner handelte).
39 Vgl. Dumschat, S. Ausländische Mediziner im Moskauer Rußland. Stuttgart, 2006; Angermann, N. 1) Deutsche Übersetzer und Dolmetscher im vorpetrinischen Rußland, in: Zwischen Christianisierung und Europäisierung. Beiträge zur Geschichte Osteuropas in Mittelalter undfrüher Neuzeit. Festschrift für Peter Nitsche zum 65. Geburtstag / Hrsg. von E. Hübner, u.a. Stuttgart, 1998. S. 221-249; 2) Musik im Rahmen der deutsch-russischen Beziehungen vor Peter dem Großen, in: Musik am russischen Hof. Vor, während und nach Peter dem Großen (1650-1750) / Hrsg. von L. Erren. Berlin/ Boston, 2017. S. 1-15.
hervorragende Vertreter ihres Faches tätig waren. So wurde Wendelin Sybelist aus Halle, ein langjähriger Leibarzt des Zaren Michail Fedorovic, später Leibarzt des schwedischen Königs40. Johannes Below aus Rostock war in der Zeit vor seinem Moskauer Dienst Professor der Medizin an der Universität Dorpat41. Den ausländischen Medizinern oblag unter anderem die Unterrichtung von russischem medizinischem Personal. Die Zahl ihrer russischen lekarskogo i aptekarskogo dela uceniki war nicht gering42. Solche Ausbildungsleistungen gab es auch auf anderen Berufsfeldern. Als Beispiel sei nur noch der aus Livland stammende Johann Deters erwähnt, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts als zivopisec an der Oruzejnaja palata tätig war. Er war der erste Lehrer für westliche Malerei in Russland und machte seine Schüler mit der Technik der Ölmalerei und mit der westlichen Portraitkunst bekannt43.
Viel wäre auch über die Bedeutung der Lutheraner für das russische Wirtschaftsleben zu sagen. Lukas Pauli, ein Sohn des anmerkungsweise erwähnten Kaufmanns Magnus Pauli, der 1576 mit Freude darüber berichtet hatte, dass Ivan Groznyj den Lutheranern in Moskau den Bau einer Kirche zugestand, leitete in Russland einen staatlichen Betrieb zur Erzgewinnung44. Im späteren 17. Jahrhundert bildete Heinrich Butenant, einer der ersten deutschen Bekannten Peters des Großen, das Beispiel eines lutherischen Großkaufmanns und Unternehmers; er war der Verwalter und Besitzer von Eisenwerken45. Angehörige der privilegierten Gruppe der «Moskauer ausländischen Kaufleute» (Moskovskie torgovye nemcy oder inozemcy), die im Kern aus umgesiedelten Livländern der Zeit Ivan Groznyjs und deren Nachkommen bestand, erfüllten im 17. Jahrhundert staatliche Aufträge verschiedener Art.
40 Dumschat, S. Ausländische Mediziner im Moskauer Rußland. S. 681-683.
41 Dumschat, S. Ausländische Mediziner im Moskauer Rußland. S. 562-564.
42 Dumschat, S. Ausländische Mediziner im Moskauer Rußland. S. 354-364.
43 Vgl. u.a. Павленко, А. А. Роль иноземцев в создании живописного дела в Оружейной палате в XVII в., В кн.: Древняя Русь и Запад. Научная конференция. Книга резюме. M., 1996. С. 188.
44 Ангерман, Н. Предприниматели из Германии в Москве в XVII в., В кн.: Немецкие предприниматели в Москве / Под ред. В. А. Аумана. M., 1999. С. 31.
45 Martens, A. Heinrich Butenant — Hamburger Kaufmann und Unternehmer in Moskau, Diplomat und Vertrauter Peters des Großen, in: Kollektivität und Individualität. Der Mensch im östlichen Europa. Festschrift für Prof. Dr. Norbert Angermann zum 65. Geburtstag / Hrsg. von K. Brüggemann, u.a. Hamburg, 2001. S. 119-171.
Diese Leistungen erklären die Duldung des protestantischen Bekenntnisses in Russland. Die Moskauer Regierung erstrebte den Zuzug und dauerhaften Aufenthalt von qualifizierten Ausländern, geleitet von militärischen Notwendigkeiten, wirtschaftlichen Motiven und kulturellem Geltungsanspruch. Deshalb gewährte sie den Ausländern trotz des Widerstandes der Kirche weitgehende Glaubensfreiheit. Sie mischte sich nicht in das innere Leben der Gemeinden ein. Häufig spricht man in diesem Zusammenhang von Toleranz. Dies vermeide ich, da in Deutschland ein Toleranzbegriff Geltung erlangt hat, der die Achtung gegenüber der anderen Auffassung beinhaltet. Die Ablehnung Luthers und seiner Lehre war in Russland aber so verbreitet und stark, dass in unserem Zusammenhang der Begriff Duldung geeigneter ist. Die weitgehende Ghettoisierung der Protestanten in der Nemeckaja sloboda ist ein augenfälliges Zeichen dafür, dass diese Duldung mit Einschränkungen verbunden blieb. Beim Vergleich zeigt sich aber, dass die Lage der Lutheraner in Russland deutlich günstiger als in katholischen Ländern des südlichen Europa war. Ebenso gab es in lutherischen Gebieten vielfach keine solche Duldsamkeit wie in Russland. Ein Beispiel: Die protestantischen Kaufleute aus Hamburg konnten in Russland ihren Glauben in eigenen Kirchen bekennen, dagegen wurde den Reformierten im lutherischen Hamburg kein eigenes Gotteshaus zugestanden. Hier ging Russland in einer Weise voran, die Beachtung verdient. Interessant ist der Versuch, diese relative Toleranz mit der byzantinisch-orthodoxen Tradition zu verbinden46. Dazu und zu sonstigen hier angeschnittenen Problemen gibt es Erörterungen in der russischen Wissenschaft, von der wir weiterhin Vieles erwarten dürfen.
Information on the article
Angermann, N. Die Begegnung Russlands mit dem lutherischen Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert, in: Proslogion: Studies in Medieval and Early Modern SocialHistory and Culture, 2018. Vol. 4 (1). P. 101-122.
Norbert Angermann, doctor of History, professor emeritus, Historical seminar of the Hamburg University (20148, Germany, Hamburg, Mittelweg 177)
norbertangermann@t-online.de
46 Дмитриев, М. В. Московская Русь перед лицом «иноверия». С. 233.
This article looks at the presence of the Lutheran Protestantism in Russia from the Middle of the 16th century to 1689, the year of the accession to power of Peter the Great. The main attention is focused on the beginning of the Lutheran-Orthodox contacts. The author stresses the role of trade and the relationships between Russia and Livonia. Already on the eve of the Livonian war (before 1558) in Pskov there was a little parish of Russian Protestants, probably formed as a result of trade between Pskov and Dorpat. In the whole time under observation the Lutherans formed the biggest group of the Western foreigners in Muscovy. The author speaks about the services of the Lutheran military men, doctors, interpreters and other specialists for Russia. Above all owing to the utility of these persons the government gave to them a far-reaching religious freedom. With regard to the allowance of the Lutheran faith Muscovy had behind other European countries.
Key words: Moscow, Ivan the Terribble, Lutherans, Reformation, heresy, tolerance
информация о статье
Angermann, N. Die Begegnung Russlands mit dem lutherischen Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert, В кн.: Proslogion: Проблемы социальной истории и культуры Средних веков и раннего Нового времени. 2018. Вып. 4 (1). С. 101-122.
Ноберт Ангерман, д. и. н., почетный профессор, Исторический семинар, Университет Гамбурга (20148, Germany, Hamburg, Mittelweg 177) norbertangermann@t-online.de УДК 284.98
В статье прослеживается история лютеранства в России с середины XVI в. до 1689 г. — года воцарения Петра Великого. Основное внимание сосредоточено на начале лютеранско-православных контактов. Автор подчеркивает роль торговли и взаимоотношений между Россией и Ливонией. Уже накануне Ливонской войны (до 1558 г.) в Пскове существовал небольшой приход русских протестантов — вероятно, возникший в результате торговли между Псковом и Дерптом. В течение всего рассматриваемого периода лютеране составляли наибольшую группу западных иностранцев в Московии. Автор рассказывает о службе лютеранских военнослужащих, врачей, переводчиков и других специалистов, которую они несли в России. От правительства они получили безграничную религиозную свободу — главным образом благодаря приносимой пользе, в то время как лютеранская вера в Московии по распространенности уступала остальным европейским странам.
Ключевые слова: Москва, Иван Грозный, лютеране, Реформация, веротерпимость
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Archival materials
Tallinna Linnaarhiiv (Revaler Stadtarchiv)
B.n.8 (Kirche in Moskau).
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Архивные материалы
Tallinna Linnaarhiiv (Revaler Stadtarchiv) B.n.8 (Kirche in Moskau).