Научная статья на тему 'Deutsch-russische sprachkontaktе und die sparcherhaltung unter den deutschen Migranten'

Deutsch-russische sprachkontaktе und die sparcherhaltung unter den deutschen Migranten Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Ключевые слова
РУССКО-НЕМЕЦКИЕ ЯЗЫКОВЫЕ КОНТАКТЫ / СОХРАНЕНИЕ ЯЗЫКА / НЕМЕЦКИЕ МИГРАНТЫ

Аннотация научной статьи по языкознанию и литературоведению, автор научной работы — Воронкова Ольга Борисовна

В статье рассматриваются русско-немецкие языковые контакты и сохранение языка среди немецких мигрантов.

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Текст научной работы на тему «Deutsch-russische sprachkontaktе und die sparcherhaltung unter den deutschen Migranten»

O. Voronkova

DEUTSCH-RUSSISCHE SPRACHKONTAKTE UND DIE SPARCHERHALTUNG UNTER DEN DEUTSCHEN MIGRANTEN

Einleitung

Durch den Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa sind 2,5 Millionen Rußland-Deutsche als Aussiedler nach Deutschland zurückgekehrt. Viele sozialkulturelle und besonders sprachliche Integrationsprobleme sind heute zum Forschungsthema der deutschen Kulturologen, Soziologen, Historiker und speziell der Germanisten geworden.

Die vom Institut für deutsche Sprache und von vielen anderen Universitäten heute eingeleiteten Forschungsprojekte sind den Problemen der Migration und der Spracherhaltung unter den deutschen Emigranten gewidmet. Das Angebot an Schriften, welche eingehend die Geschichte, Kultur und Sprache der deutschen Migranten behandeln, ist sehr groß aber bei weitem noch nicht ausreichend.

Dieser Beitrag zur deutschen Siedlungsgeschichte in Rußland präsentiert einige der bedeutendsten historischen und ethnolinguistischen Arbeiten zum Thema der deutschen Kolonisten in Rußland und stellt die sprachlichen Folgen dieser jahrhundertlangen deutsch-russischen Sprachkontakte dar.

2. Hintergrund und Geschichte der frühen deutsch-russischen Kontakte und ihre Forschung

Die Geschichte der deutschen Siedlungen in Rußland beinnt in der Tiefe der Geschichte der Moskauer Rus\ Wie die alten Chroniken des 15.-16. Jh. sagen, gab es schon zur Zeit des Zaren Wassilij des III. einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung im ökonomischen und sozialen Leben Rußlands. Durch friedliche Handelsbeziehungen zu vielen Nachbarländern wie Dänemark, Liwonien, Grossfürstentum Litauen, der Türkei und dem Khanat Krim wurde Moskau zu einem Zentrum des internationalen Handels und Handwerks. Der Moskauer Markt auf dem Roten Platz war sehr bekannt, hier floss der ganze Handel aus allen russischen Fürstentümern zusammen.

In den Torgowyje Riady 'Handelsreihen', wo für jede Ware eine spezielle Handelsreihe zum Verkauf bestimmt war, hörte man eine Vielzahl

von östlichen Fremdsprachen wie Türkisch, Persisch, Tatarisch, Arabisch aber auch westliche wie Italienisch, Französisch und selbstverständlich Deutsch, das als eine wichtige westliche Sprache der Hanse war und das ein sehr hohes Ansehen durch den Handel mit den Hanseaten hatte. Aber auch Englisch konnte man hören, das durch das große Englische Handelskontor (Anglijskij Dwor)1 auch zu einer bedeutenden Handelssprache wurde (vgl: Kostomarow 1996: 16-19).

Aus den Pskower Gesprächsbüchern von Tönnies Fenne (1607)2 ist es bekannt, wie besonders groß der Einfluss des hanseatischen Handels auf allen Gebieten des russischen Lebens war und dadurch den Moskauer Markt förderte und den internationalen Handel so anziehend machte.

Der Kampf der Hanseaten im Ostseeraum um den russischen Markt dauerte etwa drei Jahrhunderte und endete mit einem völligen Sieg. Nowgorod und Pskov, Moskau und auch viele andere russische Märkte besonders im Norden Rußands werden im 16. und 17. Jahrhundert zu den Schlüsselmärkten der hanseatischen Kaufleute. Es wird notwendig das deusch-russische Gesprächsbuch zu schreiben. Das Buch von dem hanseatischen Kaufmann Tönnies Fenne ist ein nur zu Dienstzwecken der Hanseaten geschriebenes Gesprächsbuch. Dieses Gesprächsbuch ist das grösste und bedeutendste Sprachdenkmal unter den im 16.-17. Jahrhundert fünf bekanntesten in Westeuropa erschienenen Gesprächsbüchern. Es wird im Gesprächsbuch von Tönnies Fenne damalige System der Fachsprachen Russisch und Deutsch, sowie auch die soziokulturellen Aspekte des russischen Lebens am vollständigsten beschrieben und als ein hervorragendes Beispiel des Fachlehrbuches und zugleich des Wörterbuches dargestellt.

Die Vielfalt der ältesten sowie der jüngsten Kultur- und Handelskontakte des Russischen lassen sich besonders im Grundwortschatz des Russischen wiederspiegeln. So ist im Russischen das urslavische Wort kniaz 'Fürst' für die Bezeichnung des Machthabers schon seit dem 9. Jh. sehr gerne und oft synonym zumm mongol-türkischen Wort Khan / Chakan gebraucht; das Lexem Bojarin , kabak 'Kneipe', kolpak 'Mütze', armiak 'Jacke' und viele andere sind türkischer Herkunft (vgl: Vasmer1964: 203-204; 1967: 148; 1967: 297; 1964: 94). Die von westlichen Kontaktsprachen entliehenen Lexeme anglijskij Bot 'englisches Bot', jakor

1 Der Anglijskij Dwor war das zweitgrößte Handelsprivileg. Es befand sich im Zentrum Kitaj -Gorods in Moskau, wo sich auch Kaufleute aus Kontor und hatte nach dem der Hanseaten große anderen Ländern in dem Gostinyj Dvor ( 'Gästehaus') aufgehalten haben.

2 Das Gesprächsbuch von Tönnies Fenne ist ein deutsch-russisches Lehrbuch, das 1607 in Pskov zu Dienstzwecken der hanseatischen Kaufleute verwendet wurde. Das Buch enthält auch vollständige russisch-deutsche Fachwörterbücher aus dem Bereich des Handels der Hanseaten mit der Rus', z.B. Pelze, Edelsteine, Eisen, Holz, Honig, Wachs, Teppiche, Kleider, Werkzeuge usw., sowie auch Angaben zur Abrechnungswährung (vgl: Tönnies Fenne 1970. Bd. 2: 19-115).

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'Anker', selk 'Seide', stof 'Stoff', oder 'Mass für Getränke, bzw. auch Stoffe', kunscht 'Kunst des Handwerks' tolmatsch 'Tolcke, Übersetzer' gehören im 15.-16. Jh. zum russischen Alltag (vgl.: Petruchin, Rajewskij 1998: 295; Pryzow 1992: 62-63; Kliucewskij 1989: 108-109).

Aus diesen Transferbelegen des fremden Wortgutes und der Geschichte der Stadt Moskau wird es somit eindeutig klar, dass Moskau ein riesiger internationaler Markt im 15.-6. Jahrhundert in Osteuropa für den europäischen, asiatischen und orientalischen Großhandel und Handwerk war. Es war für die damaligen Verhältnisse ein osteuropäisches urbanistisches Zentrum außergewöhnlichen Ausmaßes und sogleich eine mehrsprachige Stadt mit einem großen sozialen und kulturellen Potenzial, wo ausländische Kaufleute versuchten, Fuss zu fassen, was oft mit vielen Einschränkungen, sogar unter großer Gefahr und mit vielen Aufenthaltskosten verbunden war (vgl.: Kostomarow, Sabelin 1996: 1820).

Man durfte sich meistens nur in der Nemeckaja Sloboda 'Deutsche Siedlung' ansiedeln, einem der Moskauer Vororte, geschützt durch dicke Mauern. Es war zuerst nur eine große deutsche Söldnersiedlung, die noch in der Regierungszeit des russischen Fürsten Wassilij des III. als Ehrenwache für den Vorort Moskaus Naliwki diente. Das Toponym Naliwki (abgeleitet von Naliwai! 'Giess ein!') signalisiert auch speziell die Privilegien der ehemaligen deutschen Söldnersiedler Kneipen und später auch s.g. Tavernen (durch die italienischen Ansiedler), und auch s.g. Kabaks (benannt durch die arabischen und türkisch-tatarischen Ansiedler dort) u.a. zu besitzen und sie frei (ohne Steuern) zu besuchen. (vgl.: Pryzow 1992: 60-65).

Diese multiethnische und mehrsprachige Siedlung wurde 1571 von Dowlet-Girej während eines seiner Eroberungsüberfälle auf Moskau niedergebrannt. Die wenigen am Leben gebliebenen Deutschen sowie andere Ansiedler bewohnten den Vorort später wieder und haben sich im Laufe der Zeit mit den Russen durch Heirat und Freundschaft assimiliert.

Nach den Eroberungskriegen des russischen Zaren Iwan in Livonien kam so eine zweite große Welle von Deutschen nach Moskau. Es waren vor allem deutsche Kriegsgefangene. Ein Teil von ihnen wurde in verschiedenen Städten untergebracht, wo sie sich allmählich auch unter den Russen assimilierten. Aber die größte Anzahl der Kriegsgefangenen ließ man speziell in Moskau ansiedeln. Dazu hat man ihnen einen neuen Moskauer Vorort am rechten Ufer der Niederjausa zugewiesen, von Schutzmauern umringt, und Nemeckaja Sloboda 'Deutsche Siedlung' genannt, wo sie auch weiterhin ihre Privilegien des freien Kneipenunternehmens und -besuchs genießen, Deutsch als Verkehrssprache behalten und ihre handwerklichen Künste entwickeln durften. In dieser deutschen Siedlung lebten auch immer noch diejenigen Ausländer, die das Glück hatten, in Moskau bleiben zu dürfen. So war auch diese Siedlung, Nemezkaja Sloboda, anscheinend hauptsächlich deutsch, aber auch durch die Anwesenheit anderer Völker mehrsprachig. Die Russen be-

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suchten diese Siedlung sehr gerne und brachten ihr Russisch mit, was für die dort wohnenden Ausländer sehr wichtig und gerne aufgenommen wurde.

Aber 1578 hat Zar Iwan bei einem seiner Wutausfälle befohlen, diese deutsche Siedlung auszuplündern und zu zerstören (vgl.: Kniazkow 1991: 63). Die deutschen Siedlungen hat als erster der falsche Zar Boris Godunow unterstützt und ihnen seinen Schutz garantiert. Aber das hat nicht lange gedauert. In der Periode Smutnoje Wremia3 wurde auch diese deutsche Siedlung völlig ausgeplündert und verbrannt. Die deutsche Bevölkerung hat sich dann unter der russischen Bevölkerung versteckt, und nur die wenigen haben Moskau verlassen. Die meisten Deutschen, die in Moskau blieben, bauten unter den Russen ihre Häuser hauptsächlich in den alten Wohnvierteln Moskaus neu auf. Es war allgemein bekannt - man soll nicht in Ghettos leben.

So entstanden deutsch-russische Wohnviertel mit Deutsch und Russisch als Verkehrssprachen in dem heutigen historischen Moskauer Zentrum Cistyje Prudy, Arbat, Twerskaja und Siwcew Wrazek. Die Deutschen haben sich mit Russen sehr angefreundet, heirateten gerne, ließen sich neugriechischorthodox umtaufen, hatten nur russische Dienerschaft im Hause, sprachen öffentlich nur Russisch und trugen sogar nur russische Kleider. Dies hatte eine Gegenreaktion - die Russen haben nämlich ihrerseits „bei den Deutschen gerne gelernt"4 .

Zum russischen Wohlstand gehörten nach deutschem Muster z.B. Tische und Stühle aus dem schwarzen, oder s.g. „indischen Baum" mit geschnitzten Beinen „deutscher Arbeit", oder auf „polnische Art". Ins Russische kommen Lexeme wie stul, Pl. stulja ('Stuhl, Stühle') und me-bel ('Möbel') (vgl.: Vasmer 1973: 385; 1967: 410). Auf dem Markt Owoschchnoj Riad konnte man für einen goldenen Rubel je 1 Stück Sessel mit Gobelin, oder s. g. „vergoldete deutsche Sessel" kaufen. (vgl.: Kniazkow 1991: 28). An den Wänden konnte man in den reichen Häusern Spiegel und Uhren sehen, sogar Taschenuhren waren sehr modern. Darum gab es in Moskau Anfang des 17. Jh. sehr viele bekannte deutsche Uhrenmeister. Auch Kerzen in schönen Kerzenständern wurden bei den Deutschen gerne gekauft. So finden wir heute Beschreibungen des russischen Alltags, wobei man die deutschen Handwerker russisch ansprach, aber ihre deutsche Benennung sowie die der Waren gebrauchte: russ. schumacher 'Schuhmacher', russ. urmacher, nemeckije. uren 'Uhrmacher, deutsche Uhr', russ. schneider 'Schneider', russ. lichtemacher, lichtera ,und russ. podlichter dt. 'Lichtemacher', 'Licht, Kerze' und 'Kerzenständer'. (vgl.: Marcenko 2001: 125-126).

3 Smutnoje Wremia 'Dunkle Zeiten', d.h. die Zeit der falschen Zaren und Kämpfe um den Zarenthron, Ende des 16. und Anfang des 17. Jh.

4 Aus der alten Moskauer Chronik des 17. Jh., zitiert und hier übersetzt nach Kniazkow 1991: 28-29.

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Was die Kleidung anbetrifft, so war der deutsche Einfluss schon seit der Mitte des 16. Jh. sehr stark. So haben sich die strengen national gestimmten Bojaren beim Zaren über diejenigen jungen Leute beschwert, die „die Kleider der Gottlosen von Kopf bis Fuss beneiden und durch das Tragen deren auf ihren Körpern" ein großes Unheil allen Christen bringen werden. (vgl.: Kniazkow 1991: 29). Diese Klagen hatten wenig Erfolg, denn sogar die Kinder des Zaren Michail bevorzugten deutsche Kleider. Die fremde Kleidung war so beliebt, dass der Zar 1675 seinen Hofdienstzugehörigen verboten hatte, diese Kleider am Hofe zu tragen. Und trotz dieses Befehls konnte man auf dem Markt Ochotnyj Riad fremde Kleider jeder Zeit kaufen. Außerdem gab es in Moskau sehr viele moderne deutsche und polnische Schneider, wo man sich gerne fremde Kleider nähen ließ.

Am Hof des Zaren Aleksei gab es auch viele ausländische Fakire und Gaukler, Künstler, Musiker, Orgelspieler, Schauspieler. Es ist bekannt, dass ein deutscher Pastor am Zarenhof als Regiseur diente, Schauspielstücke und Schauspieler für das Zarentheater auswählte, und sie bei der Botschaft ins Russische übersetzen ließ.

Sehr bald erweckten die deutschen Familien, die unter den Russen lebten, eine große Unzufriedenheit seitens der Russen, weil sie keinen Handelszoll bezahlten und frei die Kneipen besuchen konnten. Außerdem durften sie rauchen, Bier trinken, ohne dafür Steuern zu zahlen (Kniazkow 1991: 30-35).

Dieser große deutsche Einfluss auf den russischen Alltag war auch ein Dorn im Auge der russischen orthodoxen Kirche. Deshalb hat im Jahre 1652 der Zar den Deutschen befohlen, den Russen ihre Häuser zu verkaufen und sich zurück an die Jausa anzusiedeln, wo früher die „Deutsche Sloboda" war. Bis in das 20 Jh. hinein war in diesem Wohnviertel eine „deutsche Strasse" bekannt. Bis Ende des 17. Jh. bestand Nemeckaja Sloboda als ein richtiges deutsches Städtchen mit sauberen geraden Straßen, hoher Kirche aus roten Ziegelsteinen, gemütlichen Häusern mit roten Kacheldächern, schönen Blumen und gestickten Vorhängen vor den glänzenden sauberen Fenstern. Dies alles unterschied das deutsche Städtchen von den damaligen russischen Städten.

Das deutsche Städtchen lebte sein spezifisches Leben: man saß abends in den gemütlichen Bierkneipen, man trank Bier, Punsch, rauchte Pfeifen, man unterhielt sich lustig bis in die Nacht hinein. Es gab auch Familienabende, als die Jugend tanzte und die ältere Generation sich gemütlich unterhielt. Deutsch und Russisch waren die Sprachen im öffentlichen Verkehr und im privaten Alltag. Dies wurde die anziehende Umgebung für den 16-jährigen Peter, den Zarensohn, den zukünftigen Peter den Großen, als er in seiner Heimat die ersten Handwerker, gelehrte Ingenieure und Techniker, begabte Künstler und Musiker kennen gelernt hatte und sie dann später als Gefährte für seine Modernisierung des russischen Lebens geholt hatte (Kniazkow 1991: 32).

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Diese frühe „deutsche Periode" in Rußland ist heute wenig erforscht, obwohl sie für die Übertragung und Rezeption deutschen Lehngutes im Russischen von großer Bedeutung ist. Es gibt aber alte russische Darstellungen, wo im allgemeinen historischen Kontext der russischen Geschichte das Thema der deutschen Siedlungen und der Mehrsprachigkeit behandelt wird, wie z. B. bei Autoren wie Karamsin, Kliucewskij, Kostomarow, Zabelin, Pryzow, Marquis de Custine u.a.

Das Thema der deutschen Siedlungen wird öfters nur im Zusammenhang mit den Reformen des 18.-19. Jh. behandelt, obwohl es eine sehr lange frühere Tradition des kulturellen und sprachlichen Zusammenlebens der beiden Völker darstellt, die bestimmt dazu beigetragen hatte, die deutschen Kolonisten nach Rußland zu locken. Somit wird es klar, dass die Erforschung der Migrationsgeschichte der europäischen Völker eigentlich nur einen fragmentarischen Charakter trägt.

Erst 1997 wurde am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim ein großer Sammelband mit Wolgadeutschen Siedlungs- und Dialektkarten der 1960er Jahre veröffentlicht. Es handelt sich um ein sehr großes Werk, das von einem Autorenkollektiv auf Grundlage von Interviews mit den ersten deutschen Aussiedlern aus der Sowjetunion verfasst wurde (Behrend 1997). In diesem Buch wird aber nur ein kleiner Ausschnitt aus der fast 300 Jahre andauernden tragischen Geschichte der deutschen Kolonisten in Rußland dargestellt. Die soziolinguistische Untersuchung der rußlanddeutschen Aussiedler wurde heute am Institut der deutschen Sprache unternommen. Hierbei ist die neuste Arbeit von Prof. Meng unter Mitarbeit von Prof. Protassowa zu erwähnen „Rußlanddeutsche Sprachbiografien" (Meng 2001).

3. Stand der Forschung der deutschen Sprachinseln

Die ersten Untersuchungen aus dem Kolonistenleben in Rußland, darunter auch viele von den Mennoniten verfasste Chroniken, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Sie wurden meist von denjenigen Forschern verfasst, die selbst aus Kolonistenfamilien kamen aber später aus verschiedenen Gründen nach Deutschland zurückkehrten. Diese Arbeiten sind eher fragmentarisch und in einem persönlichen, belletristisch gefärbten Stil geschrieben (vgl. z. B.: Klaus 1887).

Anfang des 20. Jahrhunderts, vor dem Ersten Weltkrieg, wurde in Deutschland und in Rußland eine Reihe ethnischer, allgemein- und religionshistorischer Studien über die Deutschen in Rußand veröffentlicht. Die umfassendsten sind hier zu nennen: Th. Bassler: "Das Deutschtum in Rußland' (1910) und P. M. Friesen: "Die alt-evangelische mennonitische Brüderschaft in Rußland' (1899).

Nach dem Ersten Weltkrieg erschienen mehrere Arbeiten zu diesem Thema, die aber mehr oder weniger autobiographischer Natur sind und auf Daten vor dem Ersten Weltkrieg basieren. Dies betrifft insbesondere Untersuchungen, die Daten enthalten, die eigentlich nicht durch Feldarbeit vor Ort ermittelt wurden, sondern durch Interviews im engen Fami-

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lienkreis, wo vieles vergessen wurde und wo man möglicherweise die verbliebenen Erinnerungen subjektiv einfärbte. Es sind in dieser Zeit jedoch auch bedeutende Werke entstanden. Vor allem ist hier der Name von Karl Stumpp und seine Arbeit "Die deutschen Kolonien im Schwarzmeergebiet" (1922) zu nennen. Es handelt sich hierbei um ein umfassendes Werk mit einer ganzen Reihe von Siedlungskarten, die eigentlich zum ersten Mal in der Geschichte der Kolonisten gezeichnet wurden. Der Forscher stammt selbst aus der Familie der ehemaligen deutschen Kolonisten in Rußland und die Daten zu dieser Untersuchung hat er allerdings in der Periode vor dem Ersten Weltkrieg gesammelt.

Eine große Anzahl von Forschungsprojekten betrifft speziell die Mennonitengruppen, die eine der ältesten und größten Bewegungen der evangelischen Bruderschaften darstellen. Die Mennoniten, die als Vorfahren der Reformation und des Protestantismus und als die ersten vertriebenen Auswanderer aus Deutschland, Holland, Belgien und anderen europäischen Ländern auf der Suche nach einer neuen Heimat Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts über West- und Ostpreußen, Polen und Litauen nach Rußland zogen, mussten schließlich Ende des 19. Jahrhunderts auch Rußland verlassen. Erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts kommen einige als Rückwanderer nach Deutschland zurück.

Heute gibt es in Westeuropa viele zahlreiche Mennonitengemeinden, die ein großes Ansehen durch ihre kulturelle Tätigkeit in der breiten Öffentlichkeit sowie in den Wissenschaftlerkreisen genießen. So wird beispielsweise die Erforschung der Sprache und Kultur der Mennon-itengemeinden heute von vielen angesehenen wissenschaftlichen Stiftungen unterstützt und finanziert.

Auch zu erwähnen sind die Projekte "Sprache und Sprachgebrauch der Mennoniten in Mexiko" von Carsten Brandt (1992) oder "English and Pennsylvania German in Contact" von Kate Burridge (1999), Katharina Meng (2001) "Rußlanddeutsche Sprachbio grafien". Das neueste Projekt des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim und der Universität in Austin/Texas sowie dem Institute of American-German Studies of the University of Wisconsin behandelt den "Sprachwandel und Sprachwechsel bei untergehenden Varietäten des Deutschen" und ist erst im Herbst 2000 gestartet.

4. Die Sprachinselforschung des russischen Germanisten Viktor Zirmunski

Nach der Oktoberrevolution 1917 war Rußland für ausländische Forscher nicht mehr zugänglich. Zudem war die sozialpolitische Entwicklung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges für solche Forschungen auch nicht günstig. Diese Tatsachen waren entscheidend für den zweiten besonderen Abschnitt auf dem Gebiet der Erforschung der Sprache der deutschen Sprachinseln. Die umfassendsten und bis heute vielleicht vollständigsten Untersuchungen über Kulturgeschichte, Folklore und Sprache der rußlanddeutschen

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Siedungen bis in die 30 er Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden in Rußland unter der Leitung von Professor Viktor Zirmunski (1891-1971). An der Petersburger Universität wurde eine Forschungsgruppe von Germanisten unter der Leitung von V. Zirmunski gegründet, die bis in den Anfang der Dreißiger Jahre ein breites Netz von Forschungsreisen zu allen rußlanddeutschen Siedlungen unternahm.

Viele Arbeiten von V. Zirmunski über die deutschen Siedlungen in Rußland stammen aus der Forschungsperiode von 1916 bis 1932 (Zir-munski 1928). Das riesige Forschungsarchiv von V. Zirmunski mit linguistischen, soziohistorischen, folkloristischen, sowie literarischen Datensammlungen befindet sich heute in St. Petersburg an der Akademie der Wissenschaften Rußlands.

In den Archiven der Universitätsbibliotheken in Tübingen und Göttingen befinden sich auch einige Arbeiten von V. Zirmunski, die in Rußland während des stalinistischen Terrors als verloren galten. In den Jahren 1990-1992 hat Claus Jürgen Hutterer in München im Verlag Südostdeutsches Kulturwerk einen großen Sammelband von Viktor Zir-munskis soziolinguistischen und ethnographischen Studien über die alten deutschen Siedlungen in der Ukraine, Rußland und Transkaukasien veröffentlicht (Hutterer (ed.) 1992). Dieses Buch hat Hutterer anhand seiner Archivstudien teils in Rußland und teils in Deutschland herausgegeben.

Ich möchte mich an dieser Stelle jedoch auf die deutschen Siedlungen in Rußland im Lichte der ethnolinguistischen Forschungen von Viktor Zirmunski beschränken und die Migrationsgeschichte der deutschen Mennonitenkolonisten bis in ihre Rückkehr nach Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg behandeln. Die vor 5 Jahren an der Universität Mannheim abgeschlossene Pilotstudie der Mennoniten in der Pfalz und im Schwarzwald hat zum Thema der Spracherhaltung unter den Mennoniten neue Daten ergeben, die ich teilweise hier präsentieren möchte.

5. Die Ursachen der Auswanderung von deutscher Seite

Die Kolonisierung Rußlands begann Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts. Man zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa 2 bis 2,5 Millionen deutsche Kolonisten in Rußland. Diese Zahlen sind jedoch sehr ungenau, was ziemlich deutlich aus den älteren Quellen ersichtlich ist (K.Stump, K. Alfred, Friesen).

V. Zirmunski unterscheidet in den 20er Jahren folgende sechs größere Koloniegruppen der deutschen Siedlungen (Zirmunski 1928).

- Das Wolgagebiet an beiden Ufern der Wolga zwischen Saratow und Samara mit ca. 200 Kolonien und 600.000 Einwohnern.

- Das Newagebiet (Petersburger Gebiet). Nördlich von Petersburg und am südlichen Ufer des Finnischen Meerbusens sowie in Richtung Nowgorod gab es etwa 34 Kolonien mit 100.000 Einwohnern.

- Das Schwarzmeergebiet, das größte und reichste Siedlungsgebiet der Deutschen in Rußland mit ca. 1.000 Dörfern. Es waren Gebiete in

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der Ukraine, auf der Krim und Süd-Rußland. Die ältesten Mutterkolonien (etwa 160 Dörfer) befanden sich in der Ukraine zwischen Jekaterinoslaw und Cherson, Taurien und Melitopel und Bessarabien. Alle anderen hier erwähnten Kolonien werden als Tochterkolonien betrachtet (ca. 550 mit 400.000 Einwohnern).

- Transkaukasien (ca. 20 Dörfer) war ein spät kolonisiertes Gebiet. Zwischen Georgien (Tiflis) und Aserbaidzan (Elisabethpol) wurden die Kolonien insbesondere von den Württemberger Separatisten und Men-noniten mit etwa 20.000 Einwohnern gegründet.

- In Wolynien, sind ca. 550 Dörfer bekannt. Dieses Gebiet wurde erst spät besiedelt und die deutschen Kolonien bestanden meist aus Mutterkolonien mit etwa 350.000 Einwohnern.

Der Ural, das West- und Mittelasien wurden von jüngeren Tochterkolonien der Wolgasiedlungen und der Schwarzmeerdeutschen besiedelt. Das Gebiet befindet sich zwischen Ufa, Orenburg, Sibirien und Turkestan. Es handelt sich um späte deutsche Tochterkolonien nach der Umsiedelung durch Stalin 1940. Man findet insgesamt etwa 300 Dörfer, deren wichtigstes Zentrum Omsk ist. Die Einwohnerzahl beträgt etwa 150.000.

6. Ursachen der Einwanderung von russischer Seite

Auf russischer Seite ist vor allem die ungeheure Expansion des russischen Reiches unter Peter dem Großen und Katarina der II. zu beachten. Die neu eroberten Gebiete im Süden und Osten waren fast unbe-siedelt. Die herrschende Leibeigenschaft bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte alle Möglichkeiten zu innerer Kolonisation gelähmt. Das Land hatte keine innere Entwicklungskraft mehr, und man war gezwungen, für die weitere Expansion auf ausländische Kolonisten zu bauen (Deutsche, Hugenotten, Polen, Holländer etc.). Die Emigration war in den meisten westeuropäischen Ländern zwar offiziell per Gesetz verboten, aber fast alle russischen Regierungen nach Peter dem Großen unterstützten die Einwanderer und schufen für sie günstige Bedingungen zur Ansiedlung, so dass Rußland trotz des Auswanderungsverbots im Westen ein attraktives Immigrationsland für die westeuropäischen Auswanderer wurde. Die neuen Einwanderer in Rußland wurden mit ihrer hohen landwirtschaftlichen Kompetenz und Handwerk als neue Arbeitskräfte sehr wichtig für die Entwicklung der russischen Wirtschaft und Urbanistik.

6.1. Die Politik des Zaren Alexander I

Diese günstige Einwanderungspolitik Rußlands dauerte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Schon 1803 stoppte der russische Zar Alexander I. die Politik von Katarina II. durch ein Manifest. Man hat großen Wert darauf gelegt, nur tüchtige, wohlsituierte Bauern anzuwerben. Bei V. Zirmunski finden wir folgende detaillierte.

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Die neuen Siedler sollten ein Zeugnis vorlegen, das sie in ihrer Heimat tüchtige Landwirte waren und sie mussten 300 Gulden Vermögen, Geld oder Waren vorlegen können. Es gab allerdings immer viele Übersiedler, die diese Bestimmungen umgehen konnten. So haben sich beispielsweise mehrere Familien einander heimlich dasselbe Geld zugeschoben und nacheinander vorgelegt. Die Steuerfreiheit wurde jetzt nur noch für zehn Jahre gewährt, und der Vorschuss an Nahrungs- und Einrichtungsgeld wurde nur bei der Ankunft ausbezahlt (Zirmunski, 1928).

Im 19. Jahrhundert gab es eine massive Auswanderungswelle aus Deutschland, besonders aus dem süddeutschen Gebiet nach 1848. In Karlsruhe, Stuttgart und Frankfurt a. M. gab es jeweils eine große russische Gesandtschaft, die diese Auswanderung koordinierte. Es gab noch andere Auswanderungswege über Ulm und dann entlang der Donau über Österreich nach Galizien und Bessarabien in die Südukraine. Der Sprache nach waren diese Auswanderer Menschen aus Württemberg, Nordbaden (Baden Durlach), dem Nord-Elsass, der bayrischen und der badischen Pfalz. In Rußland spiegelte sich die Herkunft der Ansiedler in ihren Benennungen der neu angelegten Dörfer: Es gab Mannheim, Heidelberg, Speyer, Selz, Neu-Stuttgart etc. (vgl.: Deutsche Mennoniten... 1998).

Die dritte Phase der Auswanderung fällt auf das Jahr 1823, als die meisten Ansiedler aus Preußen, aus der Gegend um Danzig und auch aus Württemberg nach Georgien im Kaukasus kamen. Es handelte sich hierbei um Separatisten, die sich von der lutherischen Kirche abgewandt hatten und die durch ihre sehr rationalistischen Ansichten bekannt waren.

Die Kolonisten hatten in Rußland eine kulturelle, wirtschaftliche und politische Autonomie. Es gab ein sehr großes Netz von deutschen Bildungsanstalten (Schulen, Gymnasien, Lehrerinstitute, Ingenieurhochschulen, landwirtschaftliche Institute usw.). Zudem waren deutsche Zeitungen und Zeitschriften in großer Anzahl verbreitet. Die deutschen Kolonisten hatten sehr bald eine hoch entwickelte Landwirtschaft aufgebaut. Es entstanden viele sehr gut geplante und moderne Dörfer mit einer hohen urbanistischen Kultur. Eisenbahnstrecken wurden gebaut, und es entstanden große Fabriken und Manufakturen. Das Land blühte auf. Es gab keine Analphabeten unter den Kolonisten, die freie Bauern und Handwerker in Rußland waren. Sie hatten viel Land in ihrem Besitz.

Im Gegensatz dazu waren russische Bauern Leibeigene bis hinein ins 19. Jahrhundert. Für sie war das Leben eine schreckliche Sklaverei, sie hatten mit Rechtlosigkeit, Analphabetismus und Perspektivlosigkeit zu kämpfen. Aber die intensive intellektuelle, wirtschaftliche, finanzielle und urbanistische Entwicklung unter den deutschen Kolonisten war den russischen Machthabern ein Dorn im Auge. Ihre Vorstellung war gewesen, dass sich die Deutschen nur auf dem Lande bäuerlich entwickeln sollten. Darum hat man sofort Gegenmaßnahmen getroffen: Überall in den Schulen wurden russische Inspektoren eingesetzt. Alle Institutionen der Deutschen wurden einem übergeordneten russischen Inspektions-

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und Versorgungskomitee unterstellt. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts war Deutsch als Schulsprache abgeschafft und im öffentlichen Verkehr nicht mehr geduldet. Es war nur noch als Religions- und Haussprache erlaubt.

6.2. Die Politik des Zaren Alexander II. und die Mennoniten

Der erste Schlag für die deutschen Kolonisten war die Aufhebung der früheren materiellen und kulturellen Privilegien im Jahre 1871. Es war die Periode der großen Reformen im sozialen Leben Rußlands. Der zweite Schlag war die Einführung des obligatorischen Militärdienstes in der russischen Armee für alle Bürger, was für die deutschen Kolonisten inakzeptabel war.

Es kam sofort auch zu Problemen mit der Religionsfreiheit, denn mehr als die Hälfte der Kolonisten waren Mennoniten, Protestanten oder Separatisten. Die größte Gruppe bildeten, wie oben bereits erwähnt, die Mennoniten. Sie wurden wegen ihrer religiösen Einstellung aus Deutschland, Belgien, Holland und anderen europäischen Ländern seit dem Reformationsbeginn, die von Protestanten oder Katholiken vertrieben worden waren. Die aus religiösen Gründe Vertriebenen haben für sich den schweren Weg ins Exil auf der Suche nach der Religionsfreiheit in Begleitung ihrer Priester begeben.

Das lang ersehnte Privileg - die Befreiung vom Militärdienst - haben sie am Preußischen Hof zum ersten Mal Ende des 16. Jahrhunderts bekommen. Dadurch haben die Mennoniten ihre Muttersprache und Kultur nach Preußen mitgebracht. Es ist auch bekannt, dass schon seit Ende des 16. Jahrhunderts Mennoniten in Danzig lebten. Es war aber leider eine Zwischenstation auf ihrem Auswanderungsweg. Von 1640 bis 1786 emigrierten mehr als 500.000 Mennoniten nach Preußen, die vor physischer Verfolgung und Vernichtung fliehen mussten. Aus den preußischen Chroniken von 1572 ist auch bekannt, dass die Mennoniten Niederdeutsch, Friesisch und Holländisch, aber auch Bayrisch, Schweizerdeutsch sowie Französisch (Hugenotten) gesprochen haben. Das bedeutet, dass sie größtenteils aus den nördlichen Gebieten Deutschlands, Friesland, Holland aber auch aus der Schweiz, Frankreich und Österreich stammten. Es ist auch bekannt, dass sie bis ins 19. Jahrhundert hinein in Danzig holländische Gebetsbücher lasen und Gottesdienste auf Holländisch abhielten.

Aber bereits Anfang des 18. Jahrhunderts mussten die meisten aus Preußen weiter nach Rußland fliehen, denn der obligatorische Militärdienst wurde auch in Preußen für sie eingeführt. Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Preußen noch etwa 13.000 Mennoniten, aber Anfang des 20. Jahrhunderts waren es nur noch 10.000.

Die Mennoniten waren in allen Ländern, in die sie kamen, diejenigen, die ihrem Glauben entsprechend nie an den militärischen, religiösen und politischen Kämpfen teilnahmen. Deshalb waren sie, die ewig Vertriebenen, Jahrhunderte lang auf der Suche nach einer neuen Heimat und

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Freiheit. Überall, wo sie ankamen, sammelten sie das intellektuelle Kapital, bauten Bibliotheken, Kirchen, Bildungsinstitutionen, Kulturstätten, Straßen und urbanisierten die Umgebung mit blühenden Gärten und Äckern. In einem waren sie jedoch konsequent bis zum Tode: niemals Militärdienst zu leisten und Gewalttaten zu begehen (Friesen 1899; Deutsche Mennoniten... 1998).

In Rußland wurden sie gerne aufgenommen, denn sie waren tüchtig, sehr gute Fachleute auf allen Gebieten der Wirtschaft, dazu sehr intellektuell und friedlich. Die ersten größeren deutschen Kolonien entstanden in der Südukraine, die berühmten Chortitza und Molotschnaja. Diese Kolonien wurden mit Fleiß von den Mennoniten aufgebaut. Anfang des Jahres 1800 gab es in Rußland mehr als 120.000 Mennoniten. Etwas später, im Jahre 1859, gab es im Süden Rußlands 200 Mennonitenkolonien mit einer Gesamteinwohnerzahl von 13.000 (Zirmunski 1928).

6.3. Die Rückwanderung der Mennoniten aus Rußland und ihre Auswanderung nach Amerika

Alle deutschen Kolonisten erlebten die Terrorjahre in Rußland zwischen 1874 und 1898 sehr schwer, es war eine große Enttäuschung, die eine Welle der Rückemigration hervorgerufen hat. Die deutschen Kolonisten, besonders die Mennoniten, verließen Rußland um über Holland und Frankreich mit Schiffen nach Amerika zu fahren, wo sie ihre neue Heimat fanden. Für Rußland war dies ein riesiger Rückschritt, insbesondere ein großer ökonomischer Verlust an Fachleuten, Handwerkern, landwirtschaftlich Beschäftigten, Ingenieuren und Lehrern. (s. dazu: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Siedler Verl., 2002).

Die deutschen Aussiedler, darunter die meisten Mennoniten-gemeinden, die ab 1871 aus Rußland auswanderten, zogen sowohl in den Süden als auch in den Norden Amerikas, z.B. nach Kanada, Pennsylvania, Kansas, Arizona aber auch nach Mexiko, Brasilien, Uruguay, Argentinien. Erst nach dem zweiten Weltkrieg kamen, nach so vielen Jahren des Exils, in den 1950er und 1960er Jahren nur wenige wieder nach Deutschland zurück. Sie wählten sich überwiegend in den Regionen anzusiedeln, die ihre Vorfahren vor vielen Jahrhunderten verlassen hatten. So gibt es heute Mennonitengemeinden in der Pfalz, im Schwarzwald, am Oberrhein und anderen Gebieten, die viele Gegenstände der materiellen Kultur aus ihren Exiljahren in West- und Osteuropa, in Polen, Preußen und letztendlich Rußland und auch aus Amerika zurückgebracht haben. Zusammen mit den Werkzeugen und Elementen der materiellen Kultur verschiedener Völker brachten die Mennoniten auch Bräuche, Lieder und Bezeichnungen der Sachkultur derjenigen Völker, mit denen sie in Kontakt gewesen waren.

Im Rahmen einer Pilotstudie von der Universität Mannheim habe ich in den Mennonitengemeinden in Schwarzwald und in der Pfalz in den Jahren 1998-2000 interessante soziolinguistische Daten gesammelt, die zur Migrationsgeschichte und Spracherhaltung der Deutschen beitragen.

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Die Daten aus der Pfalz waren in dieser Hinsicht am besten vorhanden. Es handelt sich um eine grosse Mennonitengemeinde, die aus Pennsylvania in den 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts in das im 16. Jahrhundert eines der von ihnen verlassenen pfälzischen Dörfer zurückgekehrt ist und dort ein grosses Forschungszentrum für Geschichte, Kultur und Sprache der Mennoniten aufgebaut hat. Das Forschungszentrum besitzt eine sehr reiche Bibliothek (über 50 000 Bände), eine spezielle Sammlung von Bibeln, Wörterbüchern, Enzyklopädien in verschiedenen Sprachen, eine riesige Sammlung von russischen, polnischen, tschechischen, englischen Zeitungen, Zeitschriften, Mikrofilmen, Büchern, Tonbänden, Aufnahmen, Zeichnungen, Briefen, Tagebüchern, ein riesiges Schulwesenarchiv des 19. und 20. Jh. aus Rußland mit Klassenbüchern, Schulheften, Kontrollarbeiten und Zeugnissen der Schüler, eine grosse Sammlung von Kleiderstücken der Mennoniten, nationale Trachten aus verschiedenen Gebieten des deutschsprachigen Europas aus der Periode vom 16. bis in das 20 Jahrhundert, eine Sammlung von Kunstgegenständen, Bilder, Kinderspielzeuge, Kunstgewerbe, z.B. Töpferei, Stickerei, Schmiederei u.a.

Das Forschungszentrumgebäude haben die Mennonitenrentner selbst auf eigene Kosten unter der Leitung des Gemeindevorsitzenden in den letzten fünf Jahren gebaut. Die Gemeinde wanderte schon im 18. Jahrhundert nach Rußland aus Preussen ein. Den grössten Teil der Gemeinde bildeten die von uns untersuchten Pfalzmennoniten. An sie haben sich in Preussen Mennonitenfamilien aus der Schweiz, aus Österreich, aus Tschechien, aus Holland angeschlossen (Daten laut den Interviews). Es waren insgesamt etwa 70 Familien, die nach Rußland zogen. Die Gemeinde baute ihre neue Existenz in der bekannten Kolonie Molochnaja, „lebte aber sehr eng zusammen" (zitiert nach dem Interview). Dann gingen einige junge Familien in verschiedene Mutterkolonien und der Kontakt zu ihnen wurde im Laufe der Zeit verloren. „Der Kern aber hielt über Jahrhunderte zusammen" (Interview). In Amerika hielt die Gemeinde auch zusammen, obwohl viele junge Leute das Elternhaus verliessen und sich in Amerika assimilierten. Erst nach dem zweiten Weltkrieg zusammen mit den amerikanischen Militärtruppen, kam die Gemeinde in die Pfalz zurück. Die Sprecher, die, wie sie behaupteten, bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts „gerne pälzsch" gesprochen haben, wobei „einige schwizzersch gschwätzt" sprachen, was natürlich heute schwer zu rekonstruieren ist.

Die meisten Befragten haben in Amerika studiert, in Deutschland auch ihre Deutschkenntnisse seit den 50-er Jahren vervollständigt und heute schon als gebildete Landwirte, Agronome, Schullehrer für Englisch, Maschinenbauingeneure für Landwirtschaft in ihrem Dorf arbeiten. Es ist heute nur laut der Interviews mit den älteren Gemeindemitgliedern festzustellen, die in den 30 Jahren des 20.Jahrhunderts schon in Pennsylvania geboren wurden, sich aber an die Erzählungen und die Sprache der Grosseltern erinnern, die selbst heute seit der Rückkehr ein gelerntes

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Pfälzischdeutsch mit einem mehr oder wenig starken englischen Akzent sprechen. Dabei haben sie immer zu Hause seit ihrer Kindheit mit den Eltern und Freunden deutsch, anscheinend gebrochen, gesprochen. Die Spracherhaltung war ja für die Mennoniten ein obligatorisches Teil der Identität und Kultur.

In den Kinderschulheften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchten Schwankungen zum Gebrauch der zweiten Latverschiebung, sowie der Gebrauch der russischen Buchstaben im deutschen Text, manchmal auch russische Wörter mit deutschen Buchstaben auf, die dann auch nicht immer von den Lehrern korrigiert worden sind.

Die Sprecher der untersuchten Gruppe haben sehr viele Gegenstände der materiellen Kultur, sowie die Benennungen dieser Gegenstände russisch, tschechisch, polnisch behalten. So besitzt der Vorsitzende der Gemeinde eine private Sammlung vom tschechischen keramischen Geschirr mit reichem Blumen- und Kräuterornament aus dem 16. Jahrhundert, das aus seiner Familienmanufaktur in der Nähe von Prag stammt. Diese Geschirrstücke hat man im Laufe der Jahrhunderte sorgsam aufbewahrt und endlich nach Deutschland zurück gebracht.

Unter den wichtigen Alltagsgegenständen gibt es einen russischen samowar des 19. Jahrhunderts, ukrainische Handtücher mit herrlicher alter Stickerei - rushniki, auch Kleiderstücke, z.B. Männerjacken, die kaftan genannt werden.

In einigen Familien hat man im Menü auch russische Gerichte, die man sorgfältig aufbewahrt, wie z.B. ukrainischer borschtsch, oder der polnische borschtsch, haluschken, gedeckte biroggen aus Hefeteig mit Weisskohl, mit Pilzen, mit Fleisch, mit Fisch, mit Ei und grünen Zwiebeln, aber auch mit Apfelmus, Kirschenmus, genannt warenje.

Obwohl die deutschen Rückwanderer sehr interessante kulturelle und sprachliche Daten aus Kontaktsituationen und Kontaktsprachen im Ost und West aufbewahrt haben, fehlt es noch an einer systematischen Untersuchung, dieser Vielfalt der kulturhistorischen und sprachlich spezifischen Aspekte der Kontakte. Dies bedeutet, dass das Thema der globalen deutschen Migrationsgeschichte ein aktuelles und wichtiges Teil der modernen soziolinguistischen Forschung ist.

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7. Zusammenfassung

Dieser Artikel setzt sich mit Deutsch in Rußland auseinander, wobei zuerst die frühe Kontaktnahme zwischen deutschen Söldnern, Kriegsgefangenen, Handwerkern und Russen schon im 16. Jh. in Moskau behandelt wird. Dann werden die Massenmigrationswellen zu den deutschen Sprachinseln im russischen Zarenreich des 18. und 19. Jahrhunderts behandelt, als religiöse, politische, handwerkliche und landwirtschaftliche Gründe als Auswanderungs-faktoren (push-and pull factors) dominierten. Der Forschungseinsatz bei der Beschreibung der deutschen Sprachinseln von V. Zirmunski wird dann auch eingehend erörtert und auch seine umfassende Sammlung von sprachlichen und kulturellen Ar-

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chivdaten an der Akademie der Wissenschaften Rußlands in St. Petersburg. Letztendlich werden die neuen Daten aus der pfälzischen Mennonitengemeinde präsentiert, die von der Abteilung für allgemeine Linguistik an der Universität Mannheim in einem Pilotprojekt 19982000 ermittelt wurden.

Von Wichtigkeit für die Eurolinguistik ist die enorme große Bevölkerungsverschiebung von Rußland und Zentralasien nach dem vereinten Deutschland, die seit dem Wiedervereinigungsvertrag von 1991 mit den Allierten des 2. Weltkrieges ermöglicht wurde.

Der Umfang dieser gewaltigen Migration der jüngsten Geschichte passiert vor unseren Augen. Am Ende des 20. Jahrhunderts zählte nämlich die deutsche Bevölkerung in Rußland etwa 2,5 Millionen Menschen, die heute im großen Umfang nach Deutschland ausgewandert sind. Mit so einer großen Anzahl von Menschen, von denen in den 1990er Jahren die meisten nach Deutschland zurückgewandert sind, ergibt sich ein riesiger Bevölkerungszuwachs russischsprachiger Personen in der Bundesrepublik, die nur teilweise Deutsch beherrschen. Durch diese neuste Einwanderungswelle aus Rußland sind die Rußlanddeutschen zu der Zweitgrößten ethnischen Gruppe in der heutigen Bundesrepublik gewachsen. Die Aufgabe der kontaktlinguistischen Forschung ist es, die Stellung und Umfassung der Deutschkenntnisse nach so einer langen Zeit des Exils zu beschreiben.

Deshalb steht die Geschichte der Migrationen der Deutschen und der anderen europäischen Völker im Zentrum der Aufmerksamkeit der Eurolinguisten, da sich die sprachliche Wechselwirkung zwischen Migranten und den gastgebenden Völkern durch ihre kulturellen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Kontakte auf jeder Kommunikationsebene widerspiegelt, vor allem im Wortschatz aber auch in der Syntax, Morphologie und Phonologie, von der Sachkultur und ihrer Bezeichnungen hier ganz zu schweigen.

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