Научная статья на тему 'Das Fremde in der Kultur'

Das Fremde in der Kultur Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Ключевые слова
КУЛЬТУРА / СТРАХ / ИНДИВИДУАЛЬНАЯ ПСИХОЛОГИЯ / КОЛЛЕКТИВНАЯ ПСИХОЛОГИЯ / АВТОРИТЕТНАЯ ЛИЧНОСТЬ / СТОЛКНОВЕНИЕ ЦИВИЛИЗАЦИЙ / CULTURE / ANGST / INDIVIDUAL PSYCHOLOGY / COLLECTIVE PSYCHOLOGY / AUTHORITATIVE PERSONALITY / CLASH OF CIVILIZATIONS

Аннотация научной статьи по языкознанию и литературоведению, автор научной работы — Schrömbges Paul

Культура может стать вызовом для человека и общества в целом. В статье рассматриваются некоторые психологические и социальные аспекты взаимодействия с культурой как сложным феноменом.Culture can provide a challenge for the person and the society as a whole. The article considers some psychological and social aspects of interaction with culture as a complex phenomenon.

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Текст научной работы на тему «Das Fremde in der Kultur»

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УДК 008:159.9 Dr. Paul Schrombges

DAS FREMDE IN DER KULTUR

Культура может стать вызовом для человека и общества в целом. В статье рассматриваются некоторые психологические и социальные аспекты взаимодействия с культурой как сложным феноменом.

Ключевые слова: культура, страх, индивидуальная психология, коллективная психология, авторитетная личность, столкновение цивилизаций.

Culture can provide a challenge for the person and the society as a whole. The article considers some psychological and social aspects of interaction with culture as a complex phenomenon.

Keywords: culture, angst, individual psychology, collective psychology, authoritative personality, clash of civilizations.

Die Nachrichten im Fernsehen, im Internet und den Zeitungen haben uns im vergangenen Jahr gefesselt: Noch nie haben sich auf der Welt so viele Menschen auf den Weg gemacht, ihre angestammte Heimat zu verlassen und eine neue zu suchen. Die Ursachen sind ebenso vielfältig und wie bekannt: Überbevölkerung, Hungersnöte, ökologische Katastrophen, ökonomische und soziale Missstände, Ausbeutungssysteme, Diktaturen, Kriege nach außen und im Innern und vieles mehr. Bewegt von diesen anhaltenden Migrationen sind aber auch die aufnehmenden Staaten und Gesellschaften: so sehr die einen ihre Hoffnungen auf ein menschenwürdiges Leben an anderer Stelle und in anderen Ländern zu verwirklichen suchen, so sehr sind diejenigen beunruhigt, die die aus der Ferne Zuwandernden aufnehmen, integrieren und dauerhaft versorgen sollen. Der ganze Globus scheint in Bewegung geraten, mehr denn je die Bewegung zur Normalität geworden, die identitätsstiftende Statik tradierter Kultur gefährdet zu sein.

Die Beschreibung von Migration, ihren

Ursachen und Vollzügen, ist das eine, die individuelle und soziale Rezeption dieses Phänomens das andere. Ich möchte mich im Folgenden nicht mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ursachen und Folgen der Migration beschäftigen, sondern mit ihrer Rezeption im kulturellen Bereich, jenem Bereich also, in dem der Mensch sein eigenes Denken, Fühlen und Handeln reflektiert und strukturiert. Es soll im Folgenden um ,das Fremde in der Kultur' gehen. Ich werde mich vornehmlich mit der Analyse der Verhältnisse in Deutschland beschäftigen - Parallelen zu oder Übereinstimmungen mit der Situation in Russland sind zufällig oder notwendig.

Dabei werde ich mich dem Fremden, ausgehend von Ansatz des Kommunikationsmodells, unter drei Fragestellungen annähern: wie reagiere Ich als Individuum oder wir als Gesellschaft auf das Fremde, wem begegnen Ich und Wir im Fremden und gibt es das Fremde zwischen den Kulturen?

I. Das Fremde im Ich

Zunächst zur Individualpsychologie: Die

Angst von Mensch und Tier hat evolutionsgeschichtlich, wie die Verhaltensforschung uns lehrt, eine wichtige Funktion als ein die Sinne schärfender Schutzmechanismus, der in tatsächlichen oder vermeintlichen Gefährdungssituationen ein angemessenes Verhalten einleitet, etwa die Flucht, das Ausweichen vor Situationen, Panik, Wut oder Aggression. Die Psychologie hat seit mehr als einem Jahrhundert dieses Phänomen intensiv erforscht. Für unseren Zusammenhang bedeutend ist, dass jeder Mensch von Geburt an eine ihm spezifische Angstdisposition mitbringt, die sich durch lebenslange Lernprozesse verändern und in gewissem Maße auch steuern lässt. Siegfried Warwitz (2016) hat in seinen psychologischen Forschungen die ,Wagnisbereitschaft' des Menschen untersucht; der Wagnis/dem Mut kommt nach Warwitz bezüglich der Handlungsbereitschaft des Menschen grundsätzlich eine Antriebsfunktion zu, der Angst eine Bremsfunktion. Er hat dabei 8 typische Einstellungstendenzen des Menschen zur Angst systematisiert, von denen 7 eher passive Verhaltensmuster aufweisen. Für unseren Kontext xe-nophobischer Verhaltensstrukturen sticht -als Ausnahme - das Heroisierungsverhalten hervor: es nimmt als einiges Verhaltensmuster die emotionale Befindlichkeit der Angst an, sucht sie sogar und empfindet dabei ein gewisses Heroentum. Die Angst wird so gewisser Maßen zum Stimulus für Aggression zur eigenen Angstbewältigung. Dieses Verhalten ist in Deutschland derzeit oft bei ausländer- oder migrationsfeindlichen Demonstrationen bis hin zum aggressiven Einzelverhalten zu beobachten und speist sich aus unterschiedlichen individuellen oder kommunitarischen bzw. politischen Ängsten - stellt

also keine rationale Reaktion in der Begegnung mit dem Fremden dar, sondern ist Produkt eines Angstverhaltens.

In politischen Diskussionen in Deutschland werden häufig Erklärungsmuster zitiert, die die Angst vor dem Fremden als ein natürliches' menschliches Grundmuster ausweisen. Ein Ansatz versteht die Angst des Ich vor dem Fremden als eine genetisch fixierte Tendenz, die sich aus den elementaren Grundformen der Solidarität in verwandtschaftlichen Kleingruppen in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte herausgebildet habe und im Verlaufe der Menschheitsentwicklung zum festen Grundmuster des Menschen geworden sei. Hinreichende empiri-sehe Belege für diese Annahme gibt es indes nicht. Formallogisch bleibt zudem unklar, wie bei gleicher genetischer Grunddisposition unterschiedliche Reaktionen auf Fremdwahrnehmungen erklärbar sein könnten. Eine historisch geronnene Erklärung lieferte dagegen Theodor W. Adorno, der im Rekurs auf die Erfahrungen mit dem deutschen Nationalsozialismus die Theorie der autoritären Persönlichkeit entwickelte (1950) [1]. Ihr zufolge bildet die Fremdenfeindlichkeit mit antisemitischen, konservativen und autoritären Grundhaltungen ein Syndrom, das für den Typus der autoritären Persönlichkeit charakteristisch ist. Insbesondere eine strenge, durch harsche Disziplin und rigider Unterdrückung sexueller Bedürfnisse oder aggressiver Triebe geprägte Erziehung begünstige die Entwicklung einer autoritären Persönlichkeit: Sie weist ein schwaches Ego auf und verdeckt die eigenen Unzulänglichkeiten und Unsicherheiten durch übertriebene Unterwürfigkeit gegenüber Autoritäten und Abwehr alles Fremden

und ,Abnormalen'. Adornos Hypothese ist historisch plausibel, aber sozialpsychologisch kaum belegbar. Vor allem unterstellt sie einen weitgehend unbewusst verlaufenden ,Verdrängungsmechanismus' als Massenphänomen. Unklar bleibt zudem, wieso sich individuelle Unzufriedenheit und Frustration ausgerechnet gegen ,Fremde' richten sollte und nicht gegen die Verursacher des autoritären Regimes. Anzumerken bleibt schließlich, dass es in Westeuropa kein autoritäres Regime gibt, das diesen Erklärungsansatz rechtfertigen würde. Man darf folglich festhalten, dass sich die soziale Verbreitung und aktuelle Wiederkehr fremdenfeindlicher Tendenzen nicht mit individuellen Frustrations- und Deprivationsdispositionen begründen lassen.

Ausschlaggebender scheinen vielmehr sozialstrukturelle und soziokulturelle Faktoren zu sein. Gerade in und für Deutschland wird von internen und externen Beobachtern oftmals eine kollektive Mentalität ausgemacht, die fremdenfeindliche Tendenzen vor allem mit historischen Entwicklungszusammenhängen zu erklären versucht: Deutschland sei eine der ,späten' Nationen und stelle nach den Erfahrungen der NS-Zeit eine weiterhin verunsicherte Nation dar. Dem ist entgegen zu halten, dass sich in Westeuropa gerade auch in gefestigten' Nationalstaaten mit langer demokratischer Tradition wie z.B. Frankreich, Großbritannien, Niederlande und Dänemark eine auch parteipolitisch verfestigte Abwehrreaktion gegenüber Migranten darstellt. Eine historische Begründung für Fremdenangst und -feindlichkeit ist folglich nicht hinreichend. Heitmeyer (1996) sieht dagegen eine tiefgreifende soziale Integrations- und Desintegrationsdynamik als Ursa-

che von Fremdenfeindlichkeit, deren Ursachen er in Prozessen funktionaler Differenzierung, Individualisierung und Enttraditio-nalisierung moderner Gesellschaften vermutet. Konkret: In der postindustriellen deutschen Gesellschaft nehmen die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen deutlich zu, zugleich lösen sich die traditionellen Milieus in Kirche, Gewerkschaft, Politik und Vereinen zunehmend auf. Aufgrund aufgelöster Familienstrukturen sind traditionelle Bil-dungs- und Karrieremöglichkeiten zunehmend gefährdet. Die Verständigungsmöglichkeiten über gemeinsame Wert- und Normvorstellungen nehmen aufgrund der Individualisierungsprozesse ab und ersetzen alte Gewissheiten nicht. Zentrale gesellschaftliche Institutionen wie die Parlamente und gewählten Politiker werden aufgrund anhaltender direktdemokratischer Meinungsbildungsprozesse - nicht zuletzt in den sozialen Medien - zunehmend paralysiert. Fremdenfeindliche Orientierungen und Handlungen beruhten diesem Ansatz zufolge wesentlich auf gesellschaftlichen Desintegrationsprozessen und eine allgemeine Verunsicherung des Einzelnen. Gesucht werden neue Gewissheiten und leistungsunabhängige Zugehörigkeitsmöglichkeiten, um zunehmende Handlungsunsicherheiten und Vereinzelungserfahrungen zu kompensieren. Eine individuelle Sehnsucht nach Verstehensver-einfachung und sozialer Beheimatung bräche sich somit Bahn. So einleuchtend dieser Erklärungsansatz erscheint, auch er hat Schwachstellen: gerade auf den aktuellen Demonstrationen gegen Ausländer und Flüchtlinge ist erkennbar, dass bei Weitem nicht nur desintegrierte Personen z.B. aus den unteren Schichten ablehnende Verhal-

tensweisen gegenüber Ausländern zum Ausdruck bringen und dass zugleich auch nicht alle desintegrierten Personen sich ausländerfeindlich verhalten.

Ein letztes Erklärungsmodell für ein Verständnis des durch das Fremde verängstigten Ich konzentriert seine Ursachenforschung auf die direkte Beziehungsebene zwischen Deutschen und Ausländern, indem es sozialstrukturellen Konstellationen und direkte Interessenskollisionen untersucht. Es gibt einen alten Forschungsansatz, der von objektiven' kulturellen Unterschieden zwischen Einheimischen und Ausländern ausgeht und darin den Grund für die Ablehnungstendenzen in Aufnahmeländern sieht. Eine einfaches Beispiel: ein islamischer Fremder begrüßt deutsche Frauen nicht mit Handschlag. Wie ist das zu verstehen: als Ablehnung oder Herabwürdigung? Oder ist das ein in seinem Kulturkreis übliches Verhalten? Und wenn es so wäre: wäre das tolerabel? Natürlich weisen die Soziologen zu Recht darauf hin, dass im interkulturellen Kontext Kultur und kulturelle Differenzen nicht unabänderlich sind, sondern als soziale Konstrukte verstanden werden müssen, deren Interpretationsund Deutungsmuster veränderbar sind und erklärt werden müssen. Zu beobachten ist indes auch, dass in der wechselseitigen Begegnung mit dem Fremden auf Seiten der Einheimischen wie der Zuwandernden bislang oft nicht gestellte Fragen nach der eigenen Identität zu neuen (bzw. alten) Antworten und zusätzlichen Verwerfungen führen. Im genannten Beispiel: welche Rolle spielt die Frau im Islam und was toleriert eine Gesellschaft, die wegen der Menschenrechte von der Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgeht? Die Frage nach dem ,wer bin

ich' erfährt so eine neue Brisanz, der man mit der Verfestigung in der je eigenen Tradition, Religion und Kultur zu begegnen versucht. Die Begegnung mit dem Fremden führt so zu einer Stärkung des kulturellen Monologs, nicht des interkulturellen Dialogs, kann sogar das wechselseitige ,Fremdsein' verstärken. Ob man dieses Problem individual- oder sozialpsychologisch angeht, ist eher unerheblich, auch, ob man ein unbewusstes oder ein missionarisches Auftreten annimmt: der Streit um einander ausschließende Verstehens-,Wahrheiten' ist ein interkulturelles Phänomen seit Jahrhunderten und in den Kriegen der Völker allpräsent. Sehr viel konkreter dagegen ist ein Ansatz, der ethnische und kulturelle Grenzziehungen in erster Linie als Resultat kontroverser Interessenlagen versteht: über die Verteilung knapper Güter (oder als knapp angenommener Güter) wie etwa Arbeitsplätzen, Wohnungen, Sozialleistungen. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Kontext auch die Bewahrung angestammter Privilegien beim Zugang zu staatsbürgerlichen Vorrechten oder wohlfahrtsstaatlichen Leistungen, nicht zuletzt auch die Sorge, ob das wohlfahrtsstaatliche und demokratische System die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Belastung der Zuwanderung erträgt: die Angst vor der Pre-kariatisierung, dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abstieg, entfaltet eine streitige Wirkung. Ob diese Interessenskonflikte tatsächlich vorliegen oder nur als solche wahrgenommen werden oder werden sollen, ist für die Wirkung unerheblich.

Damit bin ich beim letzten Erklärungsmuster für die Deutung der Wirkung des Fremden im Ich angekommen: dass nämlich die Wahrnehmung und Entstehung von Inte-

ressenskollisionen und Fremdenängsten in der Wirkung politischer Propaganda und medialer Desinformation begründet sei. Natürlich ist eine solche Kausalität grundsätzlich zu bezweifeln: sie setzte ja die scheinbar bedingungslose Manipulierbarkeit der Bevölkerung voraus. Einzuwenden ist allerdings, dass das Korrektiv kritischer Journaille rückläufig ist und der Zugriff manipulierender Beiträge auf die sozialen Medien qualitativ wie quantitativ zunimmt. Es erweist sich abermals, dass die Informationsgesellschaft mehr denn je kritisches Potential bei den Lesern selbst voraussetzt, sie kritische Rezeption indes nicht selbst schafft. Die Bedeutung populistischer Propaganda, breit entfalteter Verschwörungstheorien und sen-sationsheischender Medienberichterstattung für die öffentliche und private Meinungsbildung ist folglich nicht gering zu erachten. Gleichwohl bleibt einzuwenden, dass die Wirkung dieser Art Propaganda vornehmlich diejenigen erreicht, die bereits eine tendenziell fremdenfeindliche Grundhaltung aufweisen und stetig auf der Suche nach einer Bestätigung ihrer Annahmen sind.

Auf die Frage, wie sich Unterschiede in der Tendenz zu fremdenfeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen aus der Begegnung mit dem Fremden psychologisch oder soziologisch erklären lassen, gibt es offensichtlich keine einfachen Antworten. Ein umfassender Verstehens- und Deutungsansatz der politologischen Forschung ist nicht in Sicht, den diejenigen, die für politische Maßnahmen zuständig und verantwortlich sind, indes zu Recht erwarten dürfen. Für die politische, insbesondere kultur- und sozialpolitische Praxis dürften dabei jene Erklärungsansätze, die sich auf der Ebene

der psychologischen oder soziologischen Makrotheorie bewegen, eher weniger zielführend sein. Als Grundlage operativer Maßnahmen scheint die Analyse konkreter sozialstruktureller Bedingungen und die dadurch geprägten Interessenlagen und Deutungsmuster zielführender zu sein. Fremdenfeindlichkeit dürfte man in diesem Sinne als soziales Phänomen verstehen, das diejenigen einer tatsächlichen oder gedeuteten Konkurrenzsituation aussetzt, die diese Konkurrenz am wenigsten bestehen können oder meinen, bestehen zu können. Die Betätigungsfelder des Politischen sind somit ersichtlich: Bildung, soziale Kommunikation, kritische Re-flektion des Gehörten und Gelesenen, Konstituierung persönlicher und medialer Erfahrungen im Umgang mit dem Fremden, Formung sozialer Bezugsfelder und Milieus, Begründung sozialer Anerkennung, wirtschaftliche Sicherung des sozialen und persönlichen Lebens sind Arbeits- und Themenfelder des Politischen, die es dem Einzelnen ermöglichen, dem Fremden ohne Angst zu begegnen.

II. Das Fremde im Du

Was für das Individuum gilt, gilt auch für die Gesamtheit einer Kultur. Der heute gemeinhin verwandte Kulturbegriff geht auf den Philosophen und Dichter Johann Gottfried Herder zurück, der Kultur als ein Ensemble verschiedener Merkmale versteht: Sprache, Denken, Wahrnehmen, Habitus, Institutionen, und materieller Produkte wie Kunst, Architektur, Musik. Insgesamt bilden sie eine Einheit und organische Ganzheit, eben die Kultur. Diese Kultur versteht Herder als die Identität eines Volkes bzw. einer Nation. Im Unterschied zu Herder versteht man heute Kultur nicht als etwas Beständi-

ges, sondern als eine veränderbare und sich verändernde Größe. Zweifelsfrei ist die deutsche oder eine andere Kultur des Jahres 2016 eine andere als die des 18. Jahrhunderts. Kulturen verändern sich: durch Entwicklungen von innen her: durch Philosophie, Naturwissenschaften und Technologie, durch Entwicklungen in Literatur, Kunst, Musik und Architektur, in Volkswirtschaft und im Sozialwesen, aber auch durch Adaptionen aus anderen Kulturen. Dies gilt im Besonderem in der global zunehmend vernetzten Welt des 20. und 21. Jahrhunderts. Beinahe alle Kulturen der Gegenwart sind folglich durch Synkretismus gekennzeichnet. In der postindustriellen Gesellschaft stellt sich die Kultur eines Kulturraumes zudem auch als in sich hoch differenziert dar: Kultur kann im 21. Jahrhundert kaum noch an ein Volk, eine Nation oder einen Sprachraum gebunden werden. Sie besteht in sich vielmehr aus verschiedenen Teilkulturen, Subkulturen, Milieus oder Lebenswelten, die zudem eine Schichtung aus verschiedenen kulturellen Ebenen und von transnationalen (z. B. Rockmusik, Weltreligionen) oder auch regionalen Strömungen und Elementen aufweisen können. Kultur ist demnach ein dynamisches Ganzes, ein Diskursfeld, in dem Deutungsmuster, Artikulationsformen, Werte, Normen und Traditionen ständig neu diskutiert werden und vorläufige Gültigkeit erlangen. In diesem Sinne ist die Kultur ein Dialograum, der im Dialog beständig mutiert. Eines ist sie sicher nicht mehr: ein fest um-rissenes Etwas, das uns das Andere und das Fremde zweifelsfrei definieren lässt.

Gleichwohl verbleibt der Kultur eines Landes, eines Sprachraumes oder einer Ethnie eine bedeutende Orientierungsfunktion,

sowohl auf der Ebene makrosozialer Gebilde wie Nationen, Gesellschaften etc., wie auch auf der Ebene kleinster sozialer Einheiten wie Familien, Freundeskreise, Vereinigungen usw. Kultur ist nicht nur das, was wir als Hochkultur bezeichnen und über ihre Konkretisierungen definieren, sondern auch Alltagskultur: ein System von Bedeutungen, von überkommenen Vorstellungen und symbolischen Formen, in das die Menschen hineinwachsen und enkulturiert werden, mit Hilfe dessen die Menschen sich orientieren, sich ausdrücken, miteinander kommunizieren und ihr Wissen und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln: Sprache, Regeln, Werte, Rituale, Gestik, Mimik, Kleidung, Lebensstile. Kultur ist in diesem Sinne nicht nur ein Produkt, sondern auch ein ,Verb', etwas, das man tut und lebt. In dieser Vielschichtigkeit wird Kultur als existentiale Daseinsdimension des Menschen deutlich: ohne Kultur gibt es keine gemeinschaftliche Lebensform des Menschen.

Was vor diesem Hintergrund als das Fremde wahrgenommen wird, hängt demzufolge von der jeweiligen Gesellschaft oder Person ab, ihrer Situation und Selbstdefinition. Das als fremd Wahrgenommene ändert sich in dem Maße, in dem die eigene Kultur sich verändert. Vor allem ist das Fremde keine absolute Größe, keine Eigenschaft des Fremden, sondern stellt eine Beziehungsaussage des Bezeichnenden über den oder das Bezeichnete/n dar. Der Fremde ist nur in der Fremde fremd, weil er dort in anderen und neuen sozialen und individuellen Bezügen steht. Andersartigkeit - wie z.B. eine andere Hautfarbe oder Rasse - ist in diesem Zusammenhang lediglich ein Indikator, sie sagt

zunächst nichts über die Fremdartigkeit des Wahrgenommenen selbst aus: das Fremde definiert erst sich vor dem Hintergrund des eigenen Selbst, des individuellen wie des gesellschaftlichen, und verändert sich mit dem Selbst.

Damit ist eine zweite wesentliche Dimension im Umgang mit dem Fremden aufgeworfen: die ethische Qualität, die in der interkulturellen Begegnung unabweisbar enthalten ist. Zunächst ist es ja so, dass jede Kultur für sich einen Universalanspruch erhebt und am Fremden auch die eigene Identität entwickelt. So haben die Griechen schon vor mehr als 2000 Jahren für die NichtGriechen die Bezeichnung des Barbaren geprägt, desjenigen, der nicht ihre Sprache spricht und deshalb auch über keine Kultur verfüge. Und auch die europäische Kultur hat seit Jahrhunderten den Mythos des Fremden gepflegt, indem sie den Fremden zum Problem stilisierte, in Afrika, Asien und Amerika, und einen globalen Kolonialismus entwickelte. Darin manifestiert sich eine anthropologische Reduktion des Menschen, die notwendig eine Ver- und Entfremdung des kulturell Anderen zur Folge hat. Die Aberkennung der vollmenschlichen Qualität des Fremden, die Entmenschlichung des Fremden bedeutet die Verdrängung der Humanität in der Betrachtung des Fremden. Vor allem Levinas hat diese in der europäischen Geschichte seit Jahrhunderten gepflegte Übereinstimmung von (Selbst)Bewusstsein und Gegenstand kritisiert, die den Fremden nicht als den Gleichen wahrnimmt. Levinas entwirft in der Folge eine ,Ethik der Demut' gegenüber dem Anderen, eine Ethik der passiven Offenheit und demütigen Hingebung, die in der aktuellen

Krise der europäische Moderne jede Art von Determinismus und Universalismus zur Einverleibung des Anderen und zur gewaltsamen Integration des Fremden unterbinden will. Waldenfels hat in diesem Sinne vom Niemandsland der Interkulturalität gesprochen, in dem man sich mit einem Grenzverhalten bewegt, das sich auf Fremdes einlässt, ohne es dem Eigenen gleichzumachen oder es einem Allgemeinen zu unterwerfen. Diese zunächst praxisfern erscheinenden Grundsatzbemerkungen aus der philosophischen Ontologie tragen konkrete Konsequenzen in sich: in der Begegnung der Kulturen geht es nicht nur um Reziprozität, Symmetrie und Gleichheit, sondern auch um die Frage, ob und wie der Anspruch des Fremden im eigenen Denken und Handeln mitgedacht werden kann.

Damit ist ein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang unausweichlich: der Aspekt des Kulturrelativismus. Der Kulturrelativismus entfaltet seine Sprengkraft insbesondere, indem er ethische Festlegungen auf den Gültigkeitsbereich einer Kultur beschränkt. Ein Beispiel dazu: Auf einem Kongress trug eine französische Ethnologin vor (Nussbaum 1993), dass die Einführung der Pockenschutzimpfung in Indien durch die Engländer den uralten Kult von Sittala Devi ausgerottet habe, den Kult der Götter, die man anzubeten pflegte, um die Pockenerkrankung abzuwenden. Hier liege ein Beispiel für westliche Missachtung vor. Auf den Einwand, es sei doch besser gesund als krank zu sein, kam die Antwort: es sei die westliche Medizin, die die Dinge binär auffasse, man könne Krankheit nicht einfach der Gesundheit und Tod nicht einfach dem Leben entgegensetzen. In der Frage des Kulturrelativismus

einbezogen ist somit der eben ausgeführte Komplex des Miteinanders der Kulturen ,auf Augenhöhe' ebenso wie der Aspekt universal gültiger Normen jenseits der Einzelkulturen. Wir leben in einer Zeit, die ja gerade das Menschenrechts- und Demokratieverständnis der westlichen Welt als eine Partikularkultur deutet und im weltpolitischen Miteinander zu einer postkolonialen Frage erhebt. Wenn jeder Kulturanspruch gleich gültig ist, könnte das Miteinander der Kulturen nur noch auf der Koordinierungskompetenz vormoralischer Rationalität gegründet werden. Ein Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage verdeutlicht, dass ein friedliches Miteinander der Kulturen indes auch Regeln des Diskurses - also normative Setzungen - voraussetzt und zugleich die je eigene Realitätssicht einer Kultur grundsätzlich anerkennt. Wieweit die Wahrnehmungen des je Anderen wechselseitig kommensurabel sind, ist im Einzelfall auszuloten. Das Spannungsfeld zwischen universalen und relativen Normen ist jedenfalls grundsätzlich in der Lage, auf beiden Seiten die Annahme zu verstärken, dass im jeweils Anderen das wirklich Fremde, wenn nicht gar das Feindliche begegnet. Ob ein Kompatibilismus, also die Vereinbarkeit des Nebeneinanders, in der praktisch-politischen Anwendbarkeit weiterhilft, sei dahingestellt: ein belastbarer Ausgleich zwischen universalen und relativen Setzungen ist nur schwer erkennbar, da es auch im Miteinander der Kulturen nicht nur Normen geben kann, die man auf Zeit und Ort miteinander vereinbart. Dem Fremden ist so eine latente Krisenqualität eigen, die es im Alltagspraktischen zu überwinden gilt.

III. Das Fremde in den Kulturen

In den beiden ersten Kapiteln habe ich

versucht, die Wahrnehmung des Fremden in Individuum und Gesellschaft selbst sowie des Fremden in der Begegnung zu analysieren: ein dynamisches wechselwirksames System von Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Im Folgenden soll es um Kategorien gehen, die jenseits des Individuellen und Situativen die Wahrnehmung des Fremden maßgeblich beeinflussen. Es ist hinreichend bekannt, dass die Wahrnehmungen der eigenen wie fremder Kulturen auch - und oft genug maßgeblich - von Stereotypen, sei es absichtlich, zufällig oder tradiert, bestimmt werden. Was ist typisch deutsch, was ist typisch russisch, was ist typisch muslimisch oder katholisch usw.? Stereotype haben heuristisch eine wichtige Funktion, insofern sie den ersten Schritt einer ordnenden Wahrnehmung ermöglichen, die dann, wie oben ausgeführt, im dialogischen Miteinander hinterfragt werden sollten. Auf einer anderen Ebene agieren historische Fragestellungen, die sich dem Auf- und Niedergang sowie dem Miteinander von Kulturkreisen widmen. Diese ethnologisch-historischen Fragestellungen begleiten unsere westliche Zivilisation seit der Kodifizierung der Bibel, in den römischen Schriften zur Auseinandersetzung mit Karthago usw. und wurden seit der Aufklärung von westlichen Philosophen und Historikern wieder aufgenommen. Die letzte große Analyse dieser Art stellt Samuel P. Huntingtons: ,the clash of civilizations and the remaking of world order' (1996) [2] dar. Die Untersuchung ist fachlich nicht unumstritten: das Konzept der Kulturkreise sei empirisch nicht hinreichend definiert, die Kausalverknüpfungen zwischen dem Streit der Zivilisationen und deren Rückführung auf religiöse Werte und Normen sei nicht

schlüssig, der Ausweis von Zentralstaaten in den Kulturkrisen nicht evident, Kulturkreise führten keine Konflikte oder Kriege usw., zudem entstamme das Buch der Zeit unmittelbar nach dem Ende des West-OstKonfliktes und weise in Manchem eine stark inneramerikanische Sichtweise auf. Wie immer: die umfangreiche Studie ruft eine Urerfahrung des Menschen in Erinnerung, dass nämlich in der persönlichen oder sozialen Begegnung mit dem Fremden immer auch große Kultur-Systeme einander begegnen. Die Brüche und Entfremdungen dieser Kulturkreise sind evident: Europa als westlicher Kulturkreis, weitgehend überlappend mit dem orthodoxen, begrenzt im Osten von dem chinesischen und japanischen und im Süden von dem muslimischen Kulturkreis. Unbeschadet empirischer Befunde sind diese Kulturkreise - mal religiös, mal staatlich, mal kulturell begründet - ein heuristischer Ausgangspunkt in das Verstehen globaler Kultur und den ihr innewohnenden Antagonismen. Das Verdienst Huntington ist es, den bekannten Ordnungskategorien von Ideologie, Macht und Ökonomie die Kategorie ,Kultur' hinzugefügt zu haben, eine bedeutende Paradigmenergänzung zum Verständnis der Welt. Zugleich entwickelt Huntingtons Studie jedoch aufgrund ihrer vertrauten Fremdheitsmuster auch eine Scheinevidenz: Zum einen sind es nicht die Kulturkreise, die die Konflikte in Kriege und Migrationen umformen, sondern Staaten und Staatenbünde und deren regionale und globale Interessen, die Konflikte der Kulturen sind demnach allenfalls als Begleitphänomen zu betrachten. Zum anderen begegnen uns in Anbetracht der beschleunigten Globalität der Prozesse und anhaltender Migrationen Kul-

turkonflikte nicht nur in der Konkurrenz zu anderen Kulturkreisen, sie entstehen nicht mehr starr entlang der traditionellen Grenzen der Kulturen, sondern im Innern der Kulturkreise und Staaten selbst. Die Migrationen sind sogar in der Lage, das Fremde zu verstärken, nämlich dann, wenn das Fremde sich in der Fremde in sich selbst verfestigt, um seine Identität zu wahren und sich als überlebensfähig zu verstehen. Desintegrative Prozesse sind so in allen Zuwanderungsgesellschaften zu beobachten, sie können sich zum Stachel in der Gemeinsamkeit der Kulturen entwickeln. Die Betrachtung von Konflikten zwischen den Kulturen, ihres Aufstiegs und Niedergangs, hat seit der Antike zudem die Frage aufgeworfen, welche Bedeutung inneren Entwicklungen in den Kulturen zukommt. Über Jahrtausende hinweg bestimmten seit der Antike kulturphilosophisch begründete Dekadenztheorien die Diskussion, die sich in verschiedenen Varianten biologischer Metaphern bedienten -Wachsen-Blütezeit-Niedergang -, so von einer Zyklentheorie ausgehen und zu einer moralischen Bewertung von Kulturentwicklungen kamen: Kulturen verfremden sich gleichsam in sich selbst, so die Kernhypothese, und steuern so ihrem Untergang entgegen. Andere Theorien verfolgen im Sinne der Moderne und auch in der Nachfolge von Karl Marx einen linearen Ansatz eines auf die Zukunft hin grundsätzlich offenen Prozesses, der im Wesentlichen von makroökonomischen Indikatoren, nicht von kulturalen, gesteuert wird.

Einen Zugang in diesem Sinne wählte zuletzt die weithin bekannte NASA-Studie von 2014. Die Forscher aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen fügten die be-

kannten Veränderungsindikatoren in einen Algorithmus ein: soziale, ökonomische, ökologische, politische, wissenschaftliche, kulturale Indikatoren. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass hoch entwickelte, fortschrittliche, komplexe und kreative Zivilisationen fragil und aufgrund ihres Komplexitätsgrades nicht von Dauer sind. Dies gelte für alle bislang untergangenen Kulturen. Für unsere Gegenwart benennen sie fünf Entwicklungsstränge, die für das Ende unserer Zivilisation verantwortlich sein könnten: weltweites Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Wasserversorgung, Landwirtschaftsentwicklung und Energieverbrauch. Die aktuelle Überlastung der Ökosysteme und die zunehmenden Spaltungen aller Gesellschaften in arm und reich seien ernstzunehmende Störungsprozesse, die zum Untergang unserer Zivilisation führen können. An diesen Theorien sind zwei Aspekte bedeutsam: Zum einen gehen sie davon aus, dass es global wirksame Grundlagen der Zivilgesellschaften gibt, die das Überleben der Menschheit sichern, und zwar unabhängig von den jeweiligen Kulturkreisen. Zum anderen, dass die kulturalen Ausformungen der Zivilisationen, keinen wesentlichen Indikator für deren Fortbestand darstellen. Die oft gehörte Annahme, die westlichen Gesellschaften seien aufgrund ihres charakterbildenden Individualismus und Hedo-nismus zum Untergang bestimmt, verweist offenbar absichtlich oder unabsichtlich auf falsche Begründungszusammenhänge.

Man könnte demnach die Kulturkreise als Kommunikationssysteme verstehen, die über lange Zeit und in großen Regionen das Zusammenleben der Menschen organisieren, prägen und ausformen. Begegnen wir dem Fremden einer anderen Kultur, bleibt jeweils

zu fragen, ob wir uns einem Kommunikations- und Verständnisproblem nähern oder ob wir hinter der Fassade des Fremden einem Grundbedürfnis des Überlebens oder einem Willen zur Sicherung politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Macht begegnen. Schließlich könnten kulturelle Phänomene in all ihren Erscheinungsformen auch als Verdeckung von Wirklichkeit im Sinne von Ideologie präsentiert und benutzt werden.

Quellenliste

1 Adorno T.W. The authoritarian personality. Harper&Row,1950. 990 p.

2 Huntingston Samuel P. The clask of civilizations. The debate. Simon&Schuster, 1997.

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