УДК 81'22 С. Обермайер
Ph.D., доцент кафедры немецкого языка университета им. И. Гутенберга в Майнце, Германия; e-mail: [email protected]
ПОВЕСТВОВАНИЕ О СОБАКАХ КАК ВЗАИМОДЕЙСТВИЕ МЕЖДУ ЛЮДЬМИ: ЧАСТЬ I. СРЕДНИЕ ВЕКА
Повествование о собаках в Средние века характеризуется строгой социальной дифференциацией и используется соответствующим образом в художественных текстах. В баснях о животных Стрикера повествование о собаках носит поучительный характер. В «Тристане» Готтфрида комнатная собачка по кличке Петиткре и охотничая собака Хьюдан воплощают различные аспекты любовной метафорики «Тристана». Таким образом, авторы, «говоря о собаках», во-первых, описывают действия людей, а, во-вторых, сами воздействуют на них.
Ключевые слова: кинологическая терминология; взаимоотношения людей и собак; метафоричность; социальная иерархия; Cредние века.
Obermaier S.
Ph.D., Associate Professor of Medieval German Literature in the German Department, Johannes Gutenberg University of Mainz; e-mail: [email protected]
TALKING ABOUT DOGS AS ACTING AMONG PEOPLE: PART I. THE MIDDLE AGES
The medieval «Talking about dogs» is strongly differentiated socially and therefore it is instumentalized in literary texts in the same way. In Stricker's animal fables «talking about dogs» is used for what we call «Ständedidaxe» (teaching on tasks and obligations of the different estates). In Gottfried's Tristan, the lap dog-artifact Petitcreiu and the hunting hound-reality Hiudan symbolize various aspects of the Tristan-Minne. Thus, the authors «talk on dogs» to discuss a) an «action among people» and b) to «act among people» themselves.
Key words: dog terminology; human-animal relation; imagery; social hierarchy; the Middle Ages.
Obermaier S.
Ph.D., Deutsches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland; e-mail: [email protected]
SPRECHEN ÜBER HUNDE ALS HANDELN UNTER MENSCHEN: TEIL I. MITTELALTER1
Das mittelalterliche «Sprechen über Hunde» ist stark sozial differenziert und wird entsprechend literarisch instrumentalisiert. In Strickers Tierfabeln dient das «Sprechen über Hunde» der Ständedidaxe, in Gottfrieds Tristan versinnbildlichen das Schoßhund-Artefakt Petitcreiu und die Jagdhund-Realität Hiudan verschiedene Aspekte der Tristan-Minne. Die Autoren «sprechen» also «über Hunde», um a) über ein «Handeln unter Menschen» zu sprechen und b) um selbst «unter Menschen zu handeln».
Schlüsselwörter: Hundeterminologie; Mensch-Tier-Beziehung; Metaphorik; soziale Hierarchie; Mittelalter
Will man Diskurse als soziales Handeln verstehen, bietet sich das «Sprechen über Hunde» gut als Untersuchungsgegenstand an: Als eines der ältesten und beliebtesten Haustiere des Menschen [19, Sp. 1317] (vgl. [1, S. 68; 2, S. 7]) ist der Hund schon immer Gegenstand verschiedener menschlicher Diskurse, und - insofern die Hund-Mensch-Beziehung historischem Wandel unterliegt - bildet das «Sprechen über Hunde» auch einen Spiegel für den Wandel sozialen Handelns.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist das mittelhochdeutsche Hunde-Vokabular, wobei hier die Hunde nicht - wie wir es heute tun -nach Hunderassen, sondern nach ihrer Funktion als Jagd-, Wach-, Hirten-und Schoßhund unterschieden werden (zur Entstehung der Hunderassen: [30], Rassismus-kritisch: [16]; zu den Hundearten im Mittelalter: [12, S. 27-31]; ausführlich: [6, Kap. 2]; vgl. die Illustrationen in [25]).
In den zentralen mittelhochdeutschen Hunde-Vokabeln brache (für den Leit- und Spürhund bei der Pirschjagd), wint (für den Windhund bei der Hetzjagd) und hovewart (für den Hund, der Haus und Hof bewacht) wird die sozial-funktionale Differenzierung bereits deutlich. Darüber hinaus verfügt das Mittelhochdeutsche über sehr viele Komposita mit dem Grundwort -hunt (seltener -belle), die zeigen, dass man Hunde vorrangig nach Funktion, Einsatzart oder Einsatzort unterscheidet:
• Jagdtyp: beizhunt, birshunt, hessehunt, jagehunt
bzw. gejagtes Wild: piparhunt (,für Biber'), dahshunt, vogelhunt
• bewachtes Vieh: schafhunt
als pars pro toto: schal- / vleischhunt ,Metzgerhund'
1 Siehe dazu «Teil II. Neuzeit» von Elena Karpenko im gleichen Band.
• Tun / Funktion: leithunt, löuferhunt, schurpfehunt (zu ,bissig'), spürhunt, suochhunt, spilhunt (,Schoßhund'), tribhunt
• Ort: dorfhunt, hüshunt, klösterhunt, mistbelle
• Besitzer: vrouwenhunt (,Schoßhund')
• Eigenschaft: belhunt (,schöner Hund')
• Hunderasse: mülhunt (,Molosser')
Der Grad der Differenzierung variiert von Diskurs zu Diskurs: Im jagdpraktischen Diskurs werden verschiedene Jagdhundearten detailliert unterschieden (bzw. von Hundearten mit anderen Funktionen abgegrenzt), wie z.B. im Jagdtraktat von Heinrich Münsinger (entstanden 1440-1450):
Das ander Capitel, das da sagt von den edeln hunden, [...] ZV dem ersten vnder den jag hunden vnd vnder den leydhunden so ist der aller edelst, der diß nachgeschriben zeichen an jme hat. [...] Also sol man auch tun mit den winden, wann man edel winde ziehen vnde haben wil. [...] das er hasset das bellen vnd das gunen, das die hund tund, die da huten. [...] Vnd die großen hofwarten, die da sint als wolff, sol man auch verwaren mit sym gelichen [...] [17, 143,3-145,7]1.
Hunde von guter Qualität nennt man hier edel, man benutzt also Kategorien aus der Sozialwelt des Menschen.
Im theologisch-moraldidaktischen Diskurs - was ich hier an den Predigten Bertholds von Regensburg (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts) zeigen möchte (weitere Belege bei [20, S. 315-320]) - wird terminologisch nicht differenziert: hier ist nur vom hunt die Rede (obgleich man bisweilen ein bestimmtes Exemplar vor Augen hat, wie hier den Wachhund):
Der hunt ist guot unde nütze, und sprechent manige liute: ,dü lebest als ein hunt.' Also sprichet manic mensche zuo dem andern, swenne ez dünket daz ez unordenlichen lebet. Owe, wie wol ez danne lebte, swelch mensche als gar nach gotes ordenunge lebte als ein hunt! Wan der hunt lebet anders niht danne als in got geordent hat [...] [2, S. 551, 20-23].
Der naturkundliche Diskurs nimmt gleichsam eine Zwischenstellung ein. So gibt es im ,Buch der Natur' Konrads von Megenberg (entstanden 1348-1350) ein Kapitel Von den hunden (obgleich auch hier bestimmte Arten in den Blick kommen) sowie ein Kapitel Von dem ruden, womit hier die Jagdhunderasse Molosser gemeint ist, nicht der ,Rüde', also der ,männliche Hund' (diese Bedeutung erzählt das Wort erst im Neuhochdeutschen):
1 Hervorhebungen von mir. - S. O.
Von dem hunde
Jacobus fpricht, daz die hund gelernigiv tier fein zv allen fpiln, vnd wie daz fei, daz fie gern Haffen, jedoch behütend fie irr herren haüser wachend. Sie habent ir herren fo liep, daz fie oft vmb fie fterbent [13, III.A. 9, S. 149, 25-27].
Von dem ruden
Molo_us haizzt ein rud. Daz ift ein grozzer hunt, fam man fi gar grozz vint in Lamparten. [...] [13, III.A. 49, S. 176, 8f].
Je nach Diskurs erfährt der Hund unterschiedliche Bewertungen: Im klerikalen Diskurs ist der Hund - wie schon in der Bibel - oft negativ konnotiert: Er gilt als unrein (weil er zu dem, was er erbrochen hat, zurückkehrt - so Prv 26, 11), gierig (so Is 56, 10f.; vgl. die Fabel «Hund am Wasser») und gefährlich (so Ps 21 [22], 17; 58, 7; aber auch: Apc 22, 15; Phil 3, 2; Mt 7, 6; vgl. das antike Cave canem). Im aristokratisch-höfischen Kontext dagegen überwiegt die positive Wertschätzung des Tiers, dem vor allem Treue, Gehorsam und Wachsamkeit attribuiert werden [15, S. 92f.]; vgl. [6, Kap. 3.1]. Überdies werden Hunde - auf der Basis von Lk 16, 21 -als Symbol der Prediger verstanden.
Beispiel 1: Strickers Hundfabeln
Der (in diesem Kontext in der Regel negativ bewertete) Hund ist ein beliebter Protagonist der äsopischen Fabel. Wie für den moraldidaktischen Diskurs üblich, spricht man auch in der Fabel meist nur vom hunt. Deshalb verdienen Fabeln, die die Differenzierung zwischen den verschiedenen Hundearten narrativ nutzen, hier unsere Aufmerksamkeit. Dazu gehört Strickers Fabel «Der Hofhund und die Jagdhunde» [22, Nr. XIV], eine vom Stricker vermutlich erfundene Fabel ohne lateinische Vorlage [10, S. 17, 109]). Protagonist der Fabel ist ein hovewart, der von seinem armen Herrn nicht mehr versorgt werden kann. Auf der Burg eines reichen Herrn gelingt es dem Hund, an die höfische Tafel zu kommen, nur bemerkt von den Jagdhunden, die versuchen, die neue Konkurrenz zu verjagen. Er kann sich behaupten, indem er sich ergeben zeigt. Als er etwas kräftiger ist, besticht er die Hetzhunde mit Knochen. Als er noch kräftiger ist, wehrt er sich; und schließlich wird er so stark, dass sich die Hetzhunde nicht mehr gegen ihn wehren können. So erlangt der Hofhund schließlich die Herrschaft über die Jagdhunde. Diese Herrschaftsposition unterstreicht der Stricker noch dadurch, dass der Hofhund in vermeintliche Löwennähe rückt [22]: XIV, 56-58: der wart er so vermezzen / hwt in ein lewe bestan, / er wolt ez im
niht vertragen han; XIV, 67-71: und muosen in vermiden / als er ein lewe wwre).
Im ausführlichen Epimythion (zur Auslegungspraxis des Strickers siehe [10, Kap. IV]) deutet der Stricker den Hofhund als gebur, als Bauern, und setzt die Jagdhunde mit den edelen, den Adligen, gleich:
Nu gelichet disem m^re:
swa ein gebur ze hove gat, [...]
unz er in gewonet bi, daz er ze hove wirt erkant, so muoz er sich iesa zehant den edelen gelichen
und wil den niht entwichen [22, XIV, 72-82].
Stricker nutzt demnach die sozial-funktionale Differenz zwischen den Hundearten zur Markierung des Standesunterschiedes und zur Ständedidaxe: Das Aufstreben des Bauerntums brandmarkt der Stricker als einen Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung [24, S. 94], mit Verweisen auf ältere Literatur).
In der Fabel «Von einem Hofhund» [22, Nr. XIII] dagegen erzählt der Stricker von einem hovewart, der hoch springen kann und sich damit sein Futter verdient, dass er über jeden ihm dargebotenen Arm springt. Eines Tages wird seine Gutmütigkeit jedoch ausgenutzt: Er wird gezwungen zu springen, obgleich er müde ist. Dies führt dazu, dass ihn niemand mehr dazu bringen kann zu springen, auch wenn er dadurch Not leiden muss.
Diesen Hofhund vergleicht der Stricker mit einem freigebigen Mann, den man so lange ausnutzt, bis ihm die Freigebigkeit verleidet wird.
Recht also tuot ein milter man: swie milte er iemer werden kan, wil man in ze harte varen, in muoz diu milte swaren. [... ]
daz er tuot sam der hovewart,
den man ze springene twanc
so lange, unz er durch niemen spranc [22, XIII, 27-42].
Die soziale Differenz, die in «Der Hofhund und die Jagdhunde» zentral war, erscheint hier eingeebnet; der Hofhund repräsentiert hier den freigebigen Hausherrn. Auch in Strickers Fabel «Der Wolf und der Hund»
[22, Nr. VIII] steht der im Verlauf der Fabel als hovewart bestimmte hunt für den Hausherrn. Auffällig ist in dieser Fabel die Positivwertung des Wolfes gegenüber der Negativwertung des Hundes als dem schlechten Gastgeber [9, S. 156f.]; zur Deutung [10, S. 147-149].
Es hängt also vom Fabelkontext ab, welche ständische Markierung der hovewart erhält. In allen drei Fabeln aber dient das «Sprechen über Hunde» dazu, eine Form des «Handelns unter Menschen» vorzuführen und zu kritisieren (nämlich: ständische inordinatio und Habgier). Und: Indem der Stricker «über Hunde spricht», «handelt er unter Menschen», indem er sie über standesgemäßes Handeln belehrt.
Beispiel 2: Hunde in den Tristan-Romanen
Die höfische Epik bevorzugt eher die Jagd- und Schoßhunde als Wach-und Hirtenhunde: Besonderer Beliebtheit erfreut sich vor allem der bracke. Prominente Beispiele sind Didos buntgescheckter bracke in Veldekes Eneasroman oder der bracke Gardevias in Wolframs Titurel (weitere Beispiele bei [4]). Am berühmtesten sind aber doch wohl die Hundefiguren aus den Tristan-Romanen: In Eilharts Tristrant (um 1170) ist es Tristrants Lieblings-bracke Utant, der den Liebenden in das Waldleben folgt und der in der Dornbusch-Episode die Rolle des von Isolde verhätschelten Schoßhundes übernehmen darf. Gottfried von Straßburg (oder schon seine Quelle) spaltet in seinem Tristan-Roman (um 1210) diese beiden HundeRollen markant auf: Tristan erwirbt für Isolde das hundelin Petitcreiu, das in den Gottfried-Fortsetzungen Ulrichs von Türheim und Heinrichs von Freiberg die genannte Funktion in der Dornbusch-Episode übernehmen wird. Dagegen ist es der bracke Hiudan, Tristans Lieblingsjagdhund, der die Liebenden in die Minnegrotte begleiten darf.
Petitcreiu und Hiudan sind bei Gottfried auf mehreren Ebenen stark differenziert: Das hundelin Petitcreiu ist ein magisches SchoßhündchenArtefakt, das Herzog Gilan als Minnegeschenk von einer Göttin aus Avalon erhalten hat (Tristan 15806-15810; zitierte Ausgabe: [10]) und das ihm Tristan mit List abgewinnt (Tristan 15905-15914, 16225-16262). In seiner Farbe ist das Hündchen unbestimmbar, genauer gesagt: eine optische Täuschung (Tristan 15811-15844). Es ist eigentlich kein richtiger Hund (vgl. [29, S. 115]: «looks like a dog, is called a dog, but is not a dog»), denn es bellt und knurrt nicht, es ist unverdrießlich und völlig bedürfnislos, braucht also weder Fressen noch Trinken (Tristan 15886-15890). Es hat ein Glöckchen um den Hals, das Leid zu vertreiben vermag (Tristan
15845-15859). Dagegen ist Hiudan ein Bracke aus einer ganzen Meute von Bracken, von Tristan (neben Harfe, Schwert, Armbrust und Horn) ausgewählt als Utensil, das mit in die Minnegrotte darf (Tristan 1664616650), und es wird betont: Hiudanen, niht Petitcreiu (Tristan 16659). Hiudan ist ein richtiger Hund, der erst noch lernen muss, lautlos zu jagen, das heißt: er bellt (Tristan 17251-17260).
Die beiden Hunde treten überdies in unterschiedlichen Situationen auf: Petitcreiu kommt ins Spiel, als Tristan und Isolde voneinander getrennt sind. Als Isoldes ständiger Begleiter erinnert er sie stets an Tristan (Tristan 16336-16358). Hiudan dagegen begleitet die Liebenden an den Ort, an dem sie vereint sind und ihre Liebe leben können: in die Minnegrotte (Tristan 16657-16659). Während Petitcreiu (obgleich Geschenk Tristans) also eher Isolde zugeordnet werden kann, ist Hiudan (obgleich Begleiter beider Liebender) als Lieblingsbracke Tristans eher Tristan zugeordnet.
Gottfried nutzt nun diese - im Rahmen des Üblichen auch gender-markierte - Differenzierung zwischen Jagd- und Schoßhund (siehe [6, S. 39]; vgl. [22] zur gender-bestimmten Schoßhund-Ikonographie) für unterschiedliche Akzentuierungen der liebesmetaphorischen Semantik der Hunde.
Durch seine magische Herkunft als Liebesgöttinnen-Geschenk symbolisiert das Feenhündchen Petitcreiu den zauberhaften Ursprung der Tristan-Minne, die durch den Minnetrank entsteht, dann aber von den Liebenden aktiv angenommen wird. Es ist damit weit mehr als ein «representative of the absent lover» [26, S. 90]. Die Unverdrießlichkeit und Bedürfnislosigkeit des Hündchens weist bereits auf das MinnegrottenLeben von Tristan und Isolde voraus, die dort ebenfalls nichts zu essen brauchen [8, S. 39], weshalb FRANZISKA WESSEL in Petitcreiu eine «Präfiguration» des Minnegrottenereignisses sieht [27, S. 446f.]; vgl. [7, S. 134]. Die irritierende Färbung des Hündchens deutet auf die Notwendigkeit von Trug und Täuschung hin, die dieser Ausnahme-Minne, die zugleich Ehebruchs-Minne ist, eigen ist (vgl. [13, S. 163]; anders [28, S. 511]: Hier wird das Oszillieren der Farbe «als visualisierte Kommentierung» der die hövescheit bedrohenden Minnekonzeption gedeutet). Das heilende Glöckchen, das vorübergehend die Rolle eines remedium amoris zu spielen vermag, verweist dagegen auf die Gefährdung der Minne «von innen", nämlich durch die Möglichkeit des Vergessens während des GetrenntSeins - doch für beide Liebenden ist das keine Option: Tristan wird zwar durch den Hund vorübergehend aufgeheitert, erwirbt ihn aber nicht für
sich, sondern gibt das Hündchen an Isolde weiter. Isolde aber zerstört das Glöckchen (Tristan 16359-16402) und verwandelt damit Petitcreiu vom «Instrument leidaufhebender Freude» in ein Zeichen «leidbejahender Liebe» [7, S. 131], in Anschluss an [21]. Für LOUISE GNÄDINGER wird Petitcreiu damit «zum Sinnbild nicht nur der gegenseitigen Minne, vielmehr auch zum Inbegriff der beidseitigen Selbstlosigkeit und zu einem Bild der steten Vermischung von Minne und Leid. [...]» [8, S. 27]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt DIRK GLOGAU, der in dem Hündchen eine «komplexe Metapher» sieht: «Petitcreiu ist in mehrfacher Hinsicht Zeichen der Tristanminne; das Hündchen zeigt die Liebe als höfisches Geschenk, konnotiert aber auch die Leidbedingtheit dieser Minne [...]. Schließlich ist das Hündchen noch Zeichen der Leidbereitschaft der Liebenden sowie deren beständiger und reiner triuwe über alle Entfernung hinweg» [7, S. 129].
Gegen die in der Forschung weitläufig vertretene Auffassung, die Petitcreiu-Episode sei ein «Beleg für die Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft der Liebe zwischen Tristan und Isolde» hat jüngst [KATHARINA-] SILKE PHILIPOWSKI [17] Front gemacht. Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist die unterschiedliche Wirkung, die der Hund ihrer Ansicht nach bei den Liebenden auslöst: Vergessen bei Tristan, Erinnern bei Isolde; für PHILIPOWSKI wird der Hund damit zum Indikator einer Brechung der Tristan-Minne, ein Hinweis auf das Scheitern der Tristan-Minne sowie als Vorausdeutung auf die Isolde-Weißhand-Episode, in der sich Tristan einer anderen Isolde zuwendet. Diese nicht unintelligente Interpretation setzt m.E. jedoch an einer falschen Beobachtung an: a) Tristan vergisst Isolde nur temporär in Gegenwart des Tieres (und übrigens: auch das Vergessen Isoldes mittels Isolde Weißhand gelingt eigentlich nicht wirklich); ist das Tier fortgetragen, ist Tristans Liebesschmerz lebendig wie eh und je, und damit auch die Erinnerung an Isolde (Tristan 15891-15904), für die er das Tier - unter Einsatz seines Lebens und mit Hilfe einer List - erwirbt. b) Auch auf Isolde wirkt der Vergessenszauber, sonst müsste sie ihn nicht brechen; es heißt explizit: und si die schellen vernam, / von ders ir triure vergäz (Tristan 16366f.). Beide Liebenden verzichten auf die Freude, Tristan, indem er das Hunde-Zauber-Kunstwerk verschenkt; Isolde, indem sie es zerstört. Zum Medium der Minneleid-Erinnerung kann das Tier erst ohne Glöckchen werden.
Reizvoll wäre darüber hinaus der Gedanke, das Hunde-ZauberKunstwerk Petitcreiu, als eine poetologische Metapher zu verstehen,
also als ein Bild für das süß klingende, besänftigend wirkende und mit den colores rhetorici aufwändig ausgestattete senemaere [29, S. 116]: Petitcreiu «is a poem»; bekräftigt bei [5, S. 179]: hier wird der Hund als «(literarisches) Gedächtnis» apostrophiert. Doch dies auszuführen, würde hier zu weit führen.
Hiudan, der die Liebenden bei ihrer Jagd begleitet, die sie allerdings nur zum Zeitvertreib, nicht zum Nahrungserwerb unternehmen (Tristan 17242-17251), führt demnach die völlige Zweckfreiheit dieser Liebe vor Augen Wenn Petitcreiu als «Präfiguration» der Grottenminne gesehen werden kann, dann verkörpert Hiudan, der Minnegrotten-Hund, ihre «Erfüllung», die allerdings eine utopische bleibt. Dass der Hund - obwohl man an Beutewild gar nicht interessiert ist - lernen muss, lautlos zu jagen, ist ein Bild für die Notwendigkeit zur Wachsamkeit, die für heimlich Liebende überlebenswichtig ist - denn sinnvoll wird diese Maßnahme nur, wenn wir sie zugleich als «Tarnungsmanöver» verstehen, «das die exilierten Tristan und Isolde vor Entdeckung schützen sollte» [8, S. 25]. Schließlich ist diese Minne auch «von außen» gefährdet: So leben die Liebenden stets in der Gefahr, entdeckt zu werden. Nach DIRK GLOGAU verkörpert Hiudan gleichzeitig die vom Paar in der Minnegrotte gelebte zweckfreie Lustbarkeit sowie ihre ständige Bedrohung, womit auch Tristans «Ambivalenz als Jäger und Gejagter» erfasst ist [7, S. 135]. In Hiudan wird damit nach LOUISE GNÄDINGER die Untrennbarkeit von Liebe und Leid versinnbildlicht, die wesentlich zum Programm von Gottfrieds Tristan gehört [8, S. 25].
Wir sehen: Gottfried nutzt das «Sprechen über Hunde», um über eine bestimmte Form des «Handelns unter Menschen» zu sprechen, nämlich: über das Lieben, genauer: über ein ebenso außerordentliches wie illegitimes Lieben. Und: Indem Gottfried «über Hunde spricht», «handelt er unter Menschen»: Er vermittelt seinen Rezipienten damit die Komplexität seiner Minne-Konzeption.
Fazit
Literarisches «Sprechen über Hunde» - das heißt im Mittelalter:
1. «sozial-funktionales Sprechen über Hunde»: Die mittelalterliche Hunde-Terminologie spiegelt die soziale Hierarchie der mittelalterlichen Gesellschaft wider, welche auch die Beziehung zwischen Hund und Mensch prägt.
2. «diskurs-differentes Sprechen über Hunde»: Wie differenziert ein Mensch die mittelalterliche Hunde-Terminologie einsetzt und wie er Hunde bewertet, hängt ab vom Diskurs, indem er sich bewegt.
3. «Handeln unter Menschen»: Man spricht nicht über Hunde um der Hunde willen, es geht immer nur um den Menschen und sein «Handeln unter Menschen». Das hier untersuchte literarische «Sprechen über Hunde» kann - wie wir gesehen haben - in zweifacher Hinsicht als «Handeln unter Menschen» begriffen werden:
a) Der Autor nutzt das «Sprechen über Hunde», um über ein «Handeln unter Menschen» zu sprechen: In der Fabel stehen die Hunde für bestimmte Menschentypen, die miteinander sozial agieren. Im Tristan stehen die Hunde zwar nicht stellvertretend für die liebenden Menschen, aber sie verkörpern wesentliche Eigenschaften der Tristan-Minne, die das Handeln der Liebenden bestimmen.
b) Der Autor «spricht über Hunde», um selbst «unter Menschen zu handeln»: Der Fabel-Autorwill seine Rezipienten über standesgemäßes Handeln belehren, weshalb er das Verhalten von Hunden mit dem Handeln von Menschen direkt vergleicht. Der Tristan-Autor will seine Rezipienten für sein ambigues Konzept von Minne gewinnen, weshalb er von Hunden erzählt, deren Eigenschaften indirekt auf die Eigenschaften der Tristan-Minne verweisen.
Dabei nutzen die Autoren die sozial-funktionale Differenzierung der Hunde-Bezeichnungen für Differenzierungen im «Handeln unter Menschen», die auf anderen Ebenen angesiedelt sind: Der Stricker nutzt die Differenz zwischen bäuerischem Hofhund und den höfischen Jagdhunden zur Markierung von Standesunterschieden (wobei in anderem Kontext der Hofhund auch den freigebigen Adligen symbolisieren kann). Gottfried nutzt die Differenz zwischen dem Schoßhund-Artefakt Petitcreiu und der Jagdhund-Realität Hiudan, um verschiedene Aspekte der Tristan-Minne zu akzentuieren, z.B. die Gefahr «von innen» (dem Lebensraum von Frau und Schoßhund) versus die Gefahr «von außen» (dem Lebensraum des Mannes und des Jagdhundes). Schoßhund wie Jagdhund verweisen auf den Adel dieser Minne wie der Liebenden. Beide Hunde werden aber ihrer natürlichen Eigenschaften enthoben, womit diese Minne als etwas Besonderes gekennzeichnet wird. In beiden Fällen aber, beim Stricker wie bei Gottfried, dient das «Sprechen über Hunde» dem «Handeln unter Menschen», einmal im Dienste einer Stände-Ethik, einmal im Dienste einer Minne-Theorie.
LITERATURVERZEICHNIS
1. Benecke N. Der Mensch und seine Haustiere. Die Geschichte einer jahrtausendealten Beziehung. - Stuttgart : Theiss, 1994. - 470 S.
2. Berthold von Regensburg. Predigt Nr. XXXV // Vollständige Ausgabe seiner Predigten mit Anmerkungen und Wörterbuch / Ed. F. Pfeiffer. - Bd. 1. - Wien : Wilhelm Braumüller, 1862-1880. - Nachdruck. - Berlin : Walter de Gruyter, 1965, S. 549- 565.
3. Beteille R. Histoire du chien. - Paris : Presses Universitaires de France 1997. -125 p.
4. Classen A. The dog in German courtly literature. The mystical, the magical and the loyal animal // S. Hartmann (Hg.) Fauna and Flora in the Middle Ages. Studies of the Medieval Environment and its Impact on the Human Mind. -Frankfurt a. M. : Peter Lang. - S. 67-86.
5. Fritsch-Rößler W. Multiple Memorialisierung in Gottfrieds von Straßburg <Tristan> // U. Ernst, K. Ridder (Hg.) Kunst und Erinnerung. Memoriale Konzepte in der Erzählliteratur des Mittelalters. - Köln u.a. : Böhlau, 2003. -S. 159-197.
6. Frömmel M. Aspekte der sozialen Funktion von Hunden im Mittelalter: Magisterarbeit. - Wien, 1999 [Masch.].
7. Glogau D. R. Petitcreiu und Hiudan, die Hunde // Untersuchungen zu einer konstruktivistischen Mediävistik. Tiere und Pflanzen im «Tristan» Gottfrieds von Straßburg und im «Nibelungenlied». - Essen : Item-Verlag, 1993. - S. 129-136.
8. Gnädinger L. Hiudan und Petitcreiu. Gestalt und Figur eines Hundes in der mittelalterlichen Tristandichtung. - Zürich u. a. : Atlantis, 1971. - 107 S.
9. Gonzales E. Die Figur des lupus poenitens im Tierbispel «Der Wolf und sein Sohn» // E. Gonzales, V. Millet (Hg.) Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme. - Berlin : Erich Schmidt, 2006. - S. 155-172.
10. Gottfried von Straßburg. Tristan / ed. Walter Haug. - 2 Bde. - Berlin : Deutscher Klassiker-Verlag, 2011.
11. Hagby M. man hat uns für die warheit... geseit. Die Strickersche Kurzerzählung im Kontext mittellateinischer «narrationens» des 12. und 13. Jahrhunderts. -Münster : Waxmann, 2001. - 360 S.
12. Janotta Ch. E. Der Hund im Mittelalter // Innsbrucker Historische Studien. -14/15. - 1994. - S. 13-32.
13. Konrad von Megenberg. Das «Buch der Natur». Bd II: Kritischer Text nach den Handschriften / Hg. von R. Luff und G. Steer. - Tübingen : Niemeyer, 2003. - 529 S.
14. Lewis G. J. Das Tier und seine dichterische Funktion in Erec, Iwein, Parzival und Tristan. - Bern-Frankfurt/M. : Herbert Lang, 1974. - 199 S.
15. MiquelP. Chien // Dictionnaire symbolique des animaux. Zoologie mystique. -Paris : Le Léopart d'Or, 1992. - S. 91-96.
16. Miramon Ch. de. Noble dogs, noble blood: the invention of the concept of race in the late Middle Ages // M. Eliav-Feldon, B. Issac, J. Ziegler (Hg.) The Origins of Racism in the West. - Cambridge : University Press, 2009. - P. 200-216.
17. Münsinger Heinrich. Büch von den falcken, hebchen, sperbern, pferden und hünden // Von Falken, Hunden und Pferden. Deutsche Albertus-MagnusÜbersetzungen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. - Teil II. / Ed. K. Lindner. - Berlin : Walter de Gruyter, 1962. - S. 9-150. - (Kapitel über die Hunde: S. 141-150).
18. Philipowski [K.-]S. Mittelbare und unmittelbare Gegenwärtigkeit oder: Erinnern und Vergessen in der Petitcriu-Episode des <Tristan> Gottfrieds von Straßburg // Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur [PBB]. - № 120. - 1998. - S. 29-35.
19. SchendaR. Hund // Enzyklopädie des Märchens. - Bd. 6. - 1990. - Sp. 1317-1340.
20. Schmidtke D. Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters (1100-1500): Diss. - Berlin, 1968. - 671 S.
21. Schröder W. Das Hündchen Petitcreiu im Tristan Gottfrieds von Straßburg // R. Schönhaar (Hg.) Dialog. Literatur und Literaturwissenschaft im Zeichen deutsch-französischer Begegnung. Festgabe für Josef Kunz. - Berlin : Erich Schmidt, 1973. - S. 32-42.
22. Der Stricker. Tierbispel / Ed. U. Schwab. - Tübingen : Max Niemeyer, 1983. -88 S.
23. Unzeitig M. Der Schoßhund der Dame. Notizen zu einer Spurensuche in der mittelhochdeutschen Literatur und ihren handschriftlichen Illustrationen // H. W. Jäger, H. Böning, G. Sautermeister (Hg.) Genußmittel und Literatur. -Bremen : Edition Lumière, 2002. - S. 65-73.
24. Vogt D. Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker und im sog. Seifried Helbling. - Frankfurt a. M. u.a. : Peter Lang 1985. - 224 S.
25. Walker-Meikle K. Medieval dogs. - L. : The British Library, 2013. - 89 S.
26. Walker-Meikle K. Medieval pets. - Woodbridge : The Boydell Press, 2012. -179 S.
27. Wessel F. Petitcreiu als Symbol der sich selbst betrachtenden Tristan-Minne. -Exkurs VIII // Probleme der Metaphorik und die Minnemetaphorik in Gottfrieds von Straßburg «Tristan und Isolde». - München : Fink, 1984. - S. 444-453.
28. Wittmann V. Bunte Hunde. Zur narrativen Funktion tierischer Farbexoten im Mittelalter / I. Bennewitz, K. Hanauska, P. Hinkelmanns, B. M. Becker (Hg.) // Farbe im Mittelalter. Materialität, Medialität, Semantik. - Berlin : Akademie-Verlag, 2011. - S. 505-519.
29. Wright A. E. Petitcreiu. A Text-Critical Note on the «Tristan» of Gottfried von Strassburg // Colloquia Germanica. - 1992. - № 25. - S. 112-121.
30. Zimen E. Vom Hofhund zum Rassehund // Der Hund. Abstammung -Verhalten - Mensch und Hund. - München : Bertelsmann, 1989. - S. 99-141.