А. Е. Гаврюшева
MORPHOLOGISCHE UND GRAPHISCH-PHONETISCHE VARIANZ DER ATHEMATISCHEN UND KONTRAHIERTEN VERBEN IN DER NÜRNBERGER SCHREIBSPRACHE DES 15. JAHRHUNDERTS
Статья посвящена исследованию некоторых морфологических и графико-фонетических особенностей письменного узуса Нюрнберга 15 века. На материале переводов трактата Давида Аугсбургского (|1272) «О формировании внешнего и внутреннего человека» осуществляется описание парадигм атематических и стяженных глаголов. Полученные результаты сопоставляются с данными о тенденциях в письменном узусе верхненемецкого ареала, а именно в восточно-франкском, северно-баварском языковых ландшафтах и письменном диалекте Нюрнберга.
Ключевые слова: ранненововерхненемецкий язык, морфологическая парадигма, стяженные глаголы, атематические глаголы.
Das Frühneuhochdeutsche ist als eine der morphologisch dynamischsten Perioden der Sprachgeschichte anerkannt (hierzu: Damaris, Dammel 2008: 177), dabei sind die für sie charakteristischen grammatischen Veränderungen von den jahrhundertelang wirksamen und akkumulierten phonologischen Entwicklungen affiziert (siehe Ibid.: 202; Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 524). Zu den wichtigsten frühneuhochdeutschen Vorgängen in der grammatischen Paradigmatik, die in der Schriftsprache der Periode widerspiegelt werden, gehören die Unifikation und die Aufbereitung der Nomen- und Verbparadigmen (hierzu: Guchman, Semenjuk 1983: 162f.; Weinhold 1967; Damaris, Dammel 2008: 177), die erst in der gesprochenen Sprache durchgeführt wurden. Direkt in der sich entwickelnden schriftlichen Literatursprache dieser Periode realisiert sich die Ausbildung der neuen Elemente der Verbparadigmen (wie z.B. frühneuhochdeutsche Reduktion des Spektrums an Flexionsklassen; siehe dazu Augst 1975: 263).
Die strukturelle Umgestaltung des Verbalsystems umfasst eine Vielzahl von Phänomenen, zu denen sich folgende Erscheinungen zuzählen lassen: die Verwendung der schwachen Flexion als Regelflexion, die Vereinheitlichung des Präteritalflexivsystems der schwachen Verben, die Nivellierung des Numerus- und Modusunterschiedes, die Profilierung der Tempuskategorie (Reichmann
2000: 1635). Zu den bedeutenden flexionsmorphologischen Phänomenen gehört unter anderem die Angleichung der athematischen und der kontrahierten Verben. In der Forschung gelten sie als Verbgruppen von besonderem Interesse hinsichtlich morphologischer Wandlungen der Periode (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 56). Erstens sind der Formenreichtum und die Variabilität innerhalb ihrer Paradigmen nicht nur durch die äußere oder innere Flexion bedingt, sondern auch durch die Suppletion (wie bei sein), durch mehrere gleichdeutende Infinitivformen (wie bei gehen und stehen) oder durch thematische und athematische Formen, die nebeneinander auftauchen können (wie bei tun). Die Ausgleichsversuche innerhalb jeder von diesen Verbgruppen lassen sich als eines der Hauptmerkmale der frühneuhochdeutschen morphologischen Veränderungen bezeichnen (Damaris, Dammel 2008: 182). Zweitens gehören die Verben zu den am häufigsten vorkommenden, sich damit zum repräsentativen Material ausweisend.
Im vorliegenden Beitrag wird die Paradigmenbeschreibung der athematischen Verben tun, gehen, stehen, sein und der kontrahierten Verben haben und lassen in der Nürnberger Schreibsprache des 15. Jahrhunderts anhand von drei Handschriften präsentiert, die am gleichen Ort und ungefähr gleichzeitig (um die Mitte des 15. Jahrhunderts) erstellt wurden. Die Manuskripte Ba (Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Patr. 65, früher Q.V.6)1, Nu (Stadtbibliothek Nürnberg, Cod. Cent. VI, 43h)2 und Be (Staatsbibliothek zu Berlin -Preußischer Kulturbesitz, mgq 1421) stammen aus den Skriptorien des Dominikanerinnenklosters St. Katharina und des Klarissenklosters St. Klara in Nürnberg. Sie enthalten Verdeutschungen des
1 Siehe eine Katalogbeschreibung in: Leitschuh, Fischer 1903: 437. Die Hs. ist erwähnt in: Ruh 1980: 49, nachträglich auch in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. v. K. Ruh, B. Wachinger u. a. Bd. 11. Nachträge und Korrekturen. Berlin; New York, 2004. Sp. 343.
2 Die aus drei selbständigen Bestandteilen in der Mitte des 15. Jh. zusammengebundene Hs. ist erwähnt von K. Ruh (Ruh 1980: 49), ausführlich beschrieben bei Schneider 1965: 102-105.
3 Die Hs. ist im Degerings Katalog verzeichnet: Degering 1926: 239. Zwei unveröffentlichte handschriftliche Beschreibungen der Hs. liegen vor: eine bibliotheksinterne (unterzeichnet: Harterich, 2.X.1913) und eine von Kurt Vogtherr (1936) (siehe: http://dtm.bbaw.de/HSA/berlini.html), aufbewahrt im Archiv der Arbeitsstelle Deutsche Texte des Mittelalters der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften (freundlicher Hinweis von N. Bondarko).
Traktats ,De exterioris et interioris homini compositione'4, der in den 1240-er Jahren vom franziskanischen Novizenmeister David von Augsburg geschrieben wurde (hierzu: Bohl 2000: 196-197, 203-208). Die ersten vollständigen Verdeutschungen erschienen erst im 15. Jahrhundert im Nürnberger Katharinenkloster5, obwohl die Einzelteile des Traktats seit ca. 1300 in verschiedene Dialekte des Deutschen und ins Mittelniederländische mehrmals übertragen wurden6.
Die behandelten Handschriften entstanden zu der Zeit, als die frühneuhochdeutschen Wandlungsvorgänge ihren Niederschlag in Schriftdialekten fanden und neben den ursprünglichen Formen auftauchten, was die darin aufgeschriebenen Texte zum besonders wertvollen Material macht. Da es von der früheren Forschung festgestellt wurde, dass mittel- und frühneuhochdeutsche phono-logische Besonderheiten in Handschriften dieser Periode simultan vorkämen (hierzu: Mihm 2007: 4; Besch 1967: 15), gehört es zu den Aufgaben des vorliegenden Beitrags, die Paradigmen der athematischen und kontrahierten Verben zu beschreiben und mögliche Zusammenhänge mit Ausgleichsvorgängen im Oberdeutschen nachzuweisen. Zwar wird dabei keine vollständige Beschreibung aller begleitenden phonetisch-orthographischen Erscheinungen erzielt, trotzdem ist eine von dem phonologischen Hintergrund isolierte Untersuchung des morphologischen Ausgleichs kaum möglich. Insofern werden einige für die Paradigmenbeschreibung relevante morphographemische und graphische Merkmale thematisiert.
Im Weiteren werden nicht die Textfragmente behandelt, sondern die Befunde aus den vollständigen Texten dargestellt, denn jeder Text bildet ein eigenes Bezugssystem (Alberts 1977: 253), in dem die Beziehungen zwischen den Elementen offensichtlich werden.
4 Die letzte lateinische Ausgabe: Frater David ab Augusta, De exterioris et interioris compositione hominis libri tres. Quaracchi 1899 (ferner wird als Comp. zitiert).
5 Unter der Handschriften der Klosterbibliothek des Katharinenklosters gibt es noch zwei, in denen die deutschen Traktate Davids von Augsburg überliefert waren: der in Augsburg geschriebene Cgm 183 (Bayerische Staatsbibliothek München), dessen Aufbewahrungsort im 15. Jh. das Nürnberger Katharinenkloster war, und der aus dem Skriptorium des Klosters herkommende Cod. Cent. VII, 73 (Stadtbibliothek Nürnberg). Ausführlicher dazu: Bondarko 2009: 661-669.
6 Hierzu: Ruh 1955: 80-81; Ruh 1980: 49. Die Erforschung der Übertragungen von Davids ,De compositione' in verschiedene Dialekte des Mittel- und Frühneuhochdeutschen bleibt immer noch ein Desiderat.
Kontext und semantische Deutung müssen dabei weitgehend ausbleiben.
Tun
Beim Verb tun erscheint der Infinitiv in allen drei Handschriften in der Form tun/thun, die für diese Periode üblich ist (Greule, Meier, Ziegler 2012: 210). Bei allen Schreiberinnen taucht auch eine kurze Form auf (thu/tu). In allen behandelten Manuskripten herrschen athematische Formen vor (thu, thust, thut). Thematische Formen begegnen ausschließlich in Ba (thue, tuest, tuet).
Wie es fürs Bairische dieser Periode charakteristisch ist, kommt das -n in der 1. Person Singular Indikativ Präsens in einigen Belegen vor. In Be treten für die 1. Person auch tu und thu auf.
Das -n kommt auch in der 3. Person Singular Indikativ Präsens in Nu vor; die analogische Form thue taucht nur in Ba auf. Übergestelltes e über dem Stammvokal indiziert vermutlich den Übergang zur thematischen Flexion, nicht die Vokallänge. Die bei allen Schreiberinnen höchst belegten Formen für die 3. Person Singular Indikativ Präsens sind aber das apokopierte thu und die Variante mit der Flexionsendung thut/tut.
In der 1. und 3. Person Plural Indikativ Präsens kommen thun/thun und in wenigen Belegen thu (in Ba und Nu) und thut (in Be und Nu) vor. In der 2. Person Plural Indikativ Präsens begegnet bei allen Schreiberinnen die Form thut und in einigen Fällen tritt auch die nicht abgesonderte Form thun auf.
Die Grapheme <u> und <ü> zeigen einen Diphthong an7, wobei die monophthongierten Formen vorherrschen (Ba: thun 142, thün 9, Be: thun 94, thün 1, Nu: thun 93, thün 0).
Das Präteritum hat Reflexe des mittelhochdeutschen tete: du thest8. Das Plural Präteritum hat das neuhochdeutsche -a-. Das Partizip Präteritum wird bei allen Schreiberinnen mit ge- gebildet (gethan, getan, gethun, getun). In Be und Nu kommt auch die mittelhochdeutsche ge-lose Form vor.
Der schon in den 14.-15. Jahrhunderten in süd- und mitteldeutschen Schreibsprachen verbreitete Übergang a > o, der in ostfränkischen Handschriften dieser Periode im Partizip Präteritum
7
Bei dem Diphthong ist es aufgrund des beschränkten Materials nicht zu entscheiden, ob mhd. uo oder mda. au gemeint ist. Siehe dazu: Greule, Meier, Ziegler 2012: 210.
8 Zum 16. Jahrhundert nehmen auch im Ostmitteldeutschen unter dem oberdeutschen Einfluss die e-Formen gegenüber den ö-Formen zu (Greule, Meier, Ziegler 2012: 211).
belegt ist (gethan ~ gethon) (siehe: Guchman, Semenjuk 1983: 154), taucht in den behandelten Handschriften in dieser Position nicht auf9.
Imperativ tritt nur in der 2. Person Singular Präsens durch die Flexionsendung -(e) auf.
Gehen
Bei gehen begegnen ausnahmslos Formen mit dem Wurzelvokal -e- (Ba: gen 38, geen 35, Be: gen 48, geen 0, Nu: gen 22, geen 3). Bei keiner Schreiberin werden Formen mit -ehe- benutzt, die für das 16. Jahrhundert charakteristisch sind und die den vollen Übergang zur thematischen Flexion anzeigen könnten (Suchsland 1968: 212). Die h-losen Formen sind als jüngere Kontraktion der neuen thematischen Formen zu werten (vgl. Suchsland 1968).
In der 1. Person Singular Indikativ Präsens wird gehen nur in Ba nicht apokopiert (Ba: gee 2, Be: ge 1, Nu: ge 1). In der 2./3. Person Singular Indikativ Präsens kommt es in Ba manchmal zur Synkope (geest 7, gest 2, geet 11, get 9). In Nu und Be taucht dagegen die kurze Form in meisten Fällen auf (Be: ge 7, gest 7, get 17, Nu: gest 7, geest 1, get 19, geet 4).
Für die 1. und 3. Person Singular Indikativ Präsens werden die Formen gee und ge benutzt. Die höchst belegten Formen in der 3. Person Singular Indikativ Präsens sind bei allen Schreiberinnen get und geet.
In der 1. und 3. Person Plural Indikativ Präsens werden gen/geen wie auch die n-losen Formen ge/gee verwendet. In Ba taucht die Flexionsendung -ent in der 3. Person Plural Indikativ Präsens in Einzelbelegen auf (geent).
Im Präteritum überwiegt der Kurzvokal bei allen Schreiberinnen, die ie-Schreibung kommt nur in Ba vor (ging 6, gieng 1, gingen 2, giengen 1).
Beim Partizip Präteritum überwiegen die neuhochdeutschen geFormen in Ba, die ge-losen Formen tauchen bei allen Schreiberinnen auf und sind die einzig belegten Formen in Be und Nu mit der Ausnahme von der Variante mit einem trennbaren Präfix (Ba: gegangen 6, gangen 2, vergangen 1, eingangen 1, Be: gangen 1, eingangen 1, vorgegangen 1, Nu: gangen 4, vergangen 8, eingangen 2).
9 Die von dieser Variation umfassten Wortgruppen differieren in verschiedenen Schreibdialekten und Sprachdenkmälern nach der Belegzahl (Guchman, Semenjuk 1983: 154).
Das Verb signalisiert deutlich das Präteritum, in Bezug auf den Modus bleibt es aber indifferent10. Die meisten Belege sind jedenfalls als Indikativ zu interpretieren.
Imperativ tritt nur in der 2. Person Singular Präsens durch die Flexionsendung -(e) auf (Be: ge 1, Ba: gee 4, Nu: ge 2, gee 2).
Stehen
Bei stehen ist auch nur die Infinitiv-Form mit dem e-Wurzel-vokal belegt, die Kurzform des Infinitivs überwiegt bei allen Schreiberinnen, in Be ist das dabei die einzig belegte Form (Ba: sten 20, steen 3, Be: sten 18, steen 0, Nu: sten 16, steen 1).
In Singular und Plural Indikativ Präsens überwiegt die Langform in Ba, in Be ist sie aber nicht belegt (Ba: ste 1, stee 8, stest 1, steest 1, stet 90, steet 11, Be: ste 4, stee 0, stest 6, steest 0, stet 40, steet 0, Nu: ste 4, stee 4, stest 4, steest 0, stet 57, steett 1).
In der 1. und 3. Person Plural Indikativ Präsens kommt bei allen Schreiberinnen die Form sten vor, in Nu wird auch die n-lose Form stee in Einzelbelegen benutzt.
In Nu und Be taucht in der 2. Person Plural Imperativ die Form stet auf, in Be wird diese Form auch für die 2. Person Plural Indikativ Präsens verwendet. In der 2. Person Singular Imperativ kommt die Form ste in Nu und Be und die Variante stee in Ba vor.
In Plural Präteritum begegnet die -u- Form (< mhd. -uo-) konsequent (vgl. Greule, Meier, Ziegler 2012: 211), im Singular kommt bei allen Schreiberinnen die neuhochdeutsche Form mit -a- vor (Ba: stand 1, stunden 1, vnterstunden 59, widerstunden 1, Be: stand 1, stunden 22, Nu: stand 2, stunden 30).
Das Partizip ist in Nu und Ba immer gestanden, in Be taucht auch ein ge-loser Beleg auf (standen).
Die mittelhochdeutsche Form stein ist in keiner der drei Handschriften vertreten.
Sein
Das unter allen Verben am häufigsten vorkommende sein zeichnet sich durch den Formenreichtum aus. Das ist durch die Variantenverwendung verkompliziert, die sich von Handschrift zu
10 Die Formen können als modal indifferent bezeichnet werden, wenn sie sich nicht aufgrund stammvokalischer Differenzen oder auch syntagmati-scher Kriterien als indikativisch oder konjunktivisch identifizieren lassen (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 69). Siehe zum Problem der Modusidentifizierung: Graser 1977, § 2.5 und §§ 21ff, zu der Beschreibung der modal neutralen Verben: Alberts 1977: 42.
Handschrift ändert. Wie Fertig aufgrund seiner Untersuchungen von Nürnberger Texten bestätigt (siehe: Fertig 2000:43-47, Müller 2002: 64), ist die Verteilung der Varianten von der sein-Konjugation ab Ende des 15. bis Mitte des 16. Jahrhunderts sehr unterschiedlich11.
Der Infinitiv kommt in Be als sein und seyn, in Nu und Ba nur als sein vor. Bei allen Schreiberinnen ist die Form gesein verbreitet12 (Ba: sein 253, gesein 19, Be: sein 127, gesein 16, seyn 1, Nu: sein 150, gesein 17). Die mittelhochdeutsche Form wesen13 tritt in den behandelten Handschriften nicht auf.
Bekanntermaßen werden die Personen- und NumerusKategorien bei sein lexikalisch-suppletiv realisiert: bin vs. bist vs. ist vs. sind14, alle Formen sind in den drei Handschriften durch mittel- und frühneuhochdeutsche Varianten dargestellt.
In der 2. Person Singular Indikativ Präsens ist die Konjunktion bistu in Be und Nu verbreitet (Be: bist 16, bistu 10, Nu; bist 18, pist 10, bistu 10).
In der 1. Person Plural Indikativ Präsens kommen die Varianten sein 34, sent 1, seint 1 vor. In der 2. Person Plural Indikativ Präsens tauchen die mittelhochdeutschen Formen sein 1 und sint 1 auf. In der 3. Person Plural Indikativ Präsens konkurrieren in Be die neuhochdeutsche Form sint/sind, die ursprüngliche KonjunktivForm (sein) sowie die aus den beiden kombinierte und der Mundart entsprechende seint, die diphthongierten Formen herrschen dabei vor (Be: sind 10, sint 24, sein 182, seint 8). Die mittelhochdeutsche Form sent 15 ist in Be auch belegt. Die schwache Vertretung von sind/sint fällt auf.
In der 1. Person Plural Indikativ Präsens sind die mittelhochdeutschen Formen sein 30, sin 2, die kombinierten Formen seint 5, seind 1, sent 14 und die neuhochdeutschen Formen sind 9, sint 12 belegt. In der 2. Person Plural Indikativ Präsens kommen nur die nicht abgesonderten Formen sind 3 und sint 1 auf. In Nu konkurrieren in der 3. Person Plural Indikativ Präsens wie im Mittelhochdeutschen des mitteldeutschen Sprachgebiets sein 70, sin 3,
11 Besonders klar lässt es sich am Beispiel der Varianten für die 1./3. Person Plural Präsens Indikativ sehen.
12 Die Form gesein/gesin ist für das Bairische des 15. Jahrhunderts nicht charakteristisch (siehe hierzu Stopp 1977: 5, 11), eine bedeutende Verbreitung dieser Form weisen westoberdeutsche Mundarten auf.
13 Die Infinitivform wesen taucht bis ins 16. Jahrhundert neben sin/sein auf, in den südlichen Mundarten ist sie aber gegenüber diesen Formen schon früh zurückgetreten. Siehe hierzu: Stopp 1977: 4.
14 Personensuppletion. Siehe dazu: Damaris, Dammel 2008: 182.
neuere Formen sind 136, sint 156 und Kontaminationsformen seint 78, seind 115, sent 9716.
In Ba wird die 1. Person Plural Indikativ Präsens mithilfe sein 48 und sind 25 widergegeben. In der 2. Person Plural Indikativ Präsens sind sein 4 und sind 7 belegt. Für die 3. Person Plural Indikativ Präsens benutzt man die mittelhochdeutsche Form sein 206 und die mehr verbreitete neuhochdeutsche Form sind 462/sint 17.
Die Tempussuppletion liegt bei ist vs. war, bei sein ist der merkmalhafte Präteritumausdruck schon im Germanischen suppletiv organisiert. Die Präteritum-Form war kommt in Enzelbelegen wie was vor. Flektive Verbformen tauchen bei allen Schreiberinnen auf (Ba: war 29, wart 1, waren 28, Be: war 20, wart 13, Nu: war 31, wart 17, waren 5).
Schwaches und starkes Partizip Präteritum konkurrieren, die Formen gewest und gewesen treten nebeneinander auf17, und zwar als Teil des Verbalkomplexes und in adjektivischer Verwendung. Die Form gewest, die für die Ususbesonderheiten charakteristisch ist18, herrscht bei allen Schreiberinnen vor (Ba: gewest 24, gewesen 20, Be: gewest 23, gewesen 3, Nu: gewest 26, gewesen 4).
Die Modussuppletion liegt bei ist vs. sei vor. In allen Handschriften wird die Form sei in drei Schreibvarianten verwendet: sey/sey/sei.
15 Mit Dental sind diese Formen im mitteldeutschen Sprachgebiet seit etwa 1430 durchgesetzt. Siehe dazu: Greule, Meier, Ziegler 2012: 211.
16 Die Handschrift Nu wurde von drei Schreiberinnen verfasst, die Vertretung verschiedener Formen in den von ihnen geschriebenen Teilen ist nicht immer gleichmäßig. Die Formen sint und sent tauchen zum Beispiel fast ausgesprochen im Textteil auf, der von der 2. Hand geschrieben wurde.
Laut Weinhold (1967: § 365) herrscht die Form gewesen im Bairischen und im Mitteldeutschen der Periode ab dem 12. bis zum 14. Jahrhundert vor, gesin/gesein ist für das Alemannische charakteristisch, gewest ist aber die „Nebenform", die im Bairischen und im Mitteldeutschen erscheint. Wie Stopp (1977: 10) feststellt, weisen das Mittelfränkische und das Ostmitteldeutsche des 14. und 15. Jahrhunderts einen hohen Anteil an gewest-Formen auf. Dabei gilt gewest in diesen Mundarten als fast die einzige Partizipform von sein. Gewest wird durch die bairische Form gewesen nur am Ende des 18. Jahrhunderts endgültig durchgesetzt. Siehe hierzu: Besch1967: 326
18 In der Periode vom Ende des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ist gewest in 80 bis 90% der Belege in Nürnberger Handschriften vertreten. Siehe dazu: Fertig 2000: 118ff.
Haben
Der thematische Infinitiv von haben hat sich in allen Handschriften beinahe vollständig durchgesetzt. Zu den anderen InfinitivFormen, die in den behandelten Texten vorkommen, gehören han (Be 1), habe (Be 2, Ba 1) und hab (Be 2, Nu 4).
Für die 1. Person Singular Indikativ Präsens ist meist nur hab und habe in Ba belegt. Die mittelhochdeutsche Form han kommt in Be (13) und Nu (13) vor.
Für die 2. Person Singular Indikativ Präsens wird in allen Handschriften die Form hast benutzt, in Einzelbelegen tauchen habst und die Konjunktion hastu auf.
Für die 3. Person Singular Indikativ Präsens kommen die Formen habe (Be 1, Ba 2, Nu 3), hab (Be 24, Ba 47, Nu 40), habt (Nu 1) und die frühneuhochdeutsche Form hat (Be 207, Ba 472, Nu 402) vor.
Für die 1. Person Plural Indikativ Präsens gelten die kurzen Formen hab (Ba 5, Nu 4), habe (Ba 2, Nu 2) und die volle Form haben (Be 33, Ba 55, Nu 2).
In der 2. Person Plural Indikativ Präsens kommt die Form habt vor (Be 1, Ba 8, Nu 5), in Ba wird für die 2. Person Plural Indikativ Präsens auch die Variante haben 2 benutzt.
Für die 3. Person Plural Indikativ Präsens verwendet man wie auch bei der 1. Person Plural Indikativ Präsens die kurzen Formen han (Be 1), habe (Be 3, Ba 4, Nu 8), hab (Be 4, Ba 7, Nu 5) und die volle Form haben (Be 63, Ba 177, Nu 8)
Die Konjunktiv-Formen sind bei allen Schreiberinnen vertreten. Die Formen het/hett, hette, hetten werden für die Bezeichnung sowohl des Präteritums als auch des Konjunktivs benutzt. In Nu taucht auch eine besondere Form für die 2. Person Singular auf (hettest). Für Pluralformen benutzt man beide volle und apokopierte Formen (sie hett). Nur in Ba kommt die überregionale frühneuhochdeutsche Präteritumform hatt 4 vor.
In allen Handschriften ist nur die volle Form des Partizips Präteritum verwendet (gehabt), in Nu taucht einmal auch gehaben auf.
Imperativ tritt nur in der 2. Person Singular Präsens durch die Flexionsendung -(e) auf.
Lassen
Alle Handschriften enthalten die neuhochdeutschen Formen von lassen mit ss/sz-Schreibvariation.
Für Singular Präsens benutzt man meist lasz (auch lasze für die 1. Person), nur in Ba erscheint eine besondere Form für die 2. und 3. Person Singular Indikativ Präsens (laszt).
Das Partizip Präteritum ist nur gelassen/gelaszen. In allen Handschriften tauchen die Präteritum-Formen liesz/lisz auf.
Ausgleichsvorgänge in den behandelten Handschriften
Für die Entwicklung der regionalen Sprachvarianten in der frühneuhochdeutschen Periode sind neben der Instabilität des Sprachsystems und der Beweglichkeit seiner Strukturmerkmale die Ausgleichsvorgänge auf allen Sprachebenen charakteristisch. Auf der phonologischen Ebene nennen Guchman, Semenjuk (1983: 149) das Nebeneinanderbestehen der neuen Monophthonge (statt alter Diphthonge ie, uo, üe) und der alten Langvokalen als eines der markantesten Merkmale der frühneuhochdeutschen Veränderungen. Diese Tendenz lässt sich in Ba bei der Schreibung von gieng und ging konstatieren.
Zu den morphographemischen Besonderheiten der behandelten Handschriften gehört die Variation bei der Längebezeichnung in Infinitiv und Indikativ Präsens von gehen und stehen (get/geet, gen/geen, sten/steen) mit dem Vorherrschen der Langformen in Ba.
Hinsichtlich der morphologischen Wandlungen hat die Entwicklung der Flexionsmorphologie einen bedeutenden Beitrag zur Ausformung der frühneuhochdeutschen Schriftsprache geliefert. Unter den Ausgleichsvorgängen, die in den behandelten Handschriften widerspiegelt werden, sind folgende zu beachten:
1. Die Vereinfachung des Formensystems durch Numerus-nivellierung in Präteritumformen. Dadurch wird die Tempusprofilie-rung der Formen erreicht19, womit der im Frühneuhochdeutschen verschärften Tempusopposition beigetragen wird.
Die Tempusprofilierung ist bei sein wie bei ziehen, leiden und schneiden in den behandelten Handschriften zu konstatieren, wo sie durch die selektive Beibehaltung grammatischen Wechsels entsteht (Damaris, Dammel 2008: 197).
2. Der Prozess der Unifikation der Singularparadigmen, der in mehreren Phasen abläuft, wobei die regionalen Varianten durch die
19 Tempusprofilierungen können durch den Erhalt der Null-Endungen in der 1. oder 3. Singular Präteritum Indikativ bei den starken Verben oder durch den den Ablaut temporalisierenden präteritalen Numerusausgleich, also indirekt durch einige Kategoriennivellierungen entstehen (Damaris, Dammel 2008: 182, 186). Die Profilierung der Tempuskategorie bedingt neue Klassenbildungen, siehe hierzu: Reichmann 2000: 1635.
überregional geltenden abgelöst werden (siehe: Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 41). Für die Periode ab 14. bis zum 16. Jahrhundert ist die Konkurrenz der Flexionsendungen -(e)n und -(e) in der 1. Person Singular Indikativ Präsens charakteristisch (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 66), was auch in den behandelten Handschriften in den Formen han und hab/habe zu beobachten ist.
3. Die Unifikation betrifft auch die Pluralparadigmen. Sie wird durch die Vereinfachung der Endungen, die Personen-Nivellierung und den intraparadigmatischen Ausgleich20 in der Schriftsprache durchgeführt. In den behandelten Handschriften tauchen beide die alte Endung -ent und die neue Form -en21, wobei das homogeneres Pluralparadigma in Nu und Be zu konstatieren ist22. Dabei wird die Numerus-Opposition verschärft, die Endung -en kommt für Singular Indikativ Präsens bei keiner Schreiberin vor: das neuhochdeutsche Einheitsparadigma (-en/-(e)t/-en) wurde bekanntlich am ehesten (zu 1450-1500) im Ostmitteldeutschen erreicht (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 75).
Die Bereinigung des Endungskonsonanten -dt in Pluralformen von sein, die für die Periode charakteristisch ist (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 69), ist in den behandelten Handschriften nicht zu konstatieren.
4. Die Auflösung der athematischen Sonderformen (gän, stän), die in keiner der behandelten Handschriften vorkommen, gehört zu den frühneuhochdeutschen Ausgleichsvorgängen.
5. Frühneuhochdeutsche modale Indifferenz der Flexionsendungen des Plurals ist für alle Schreiberinnen charakteristisch, flexionsmorphologisch sind sie nur bei haben/hetten dank dem Umlaut des Stammvokals zu identifizieren.
Ausgleichsvorgänge im Oberdeutschen
Bei dem Ausgleich in regionalen Schreibsprachen wird die Reduktion der Formenvielfalt nicht immer konsequent durchgeführt (hierzu: Tauber 1993: 161). In der frühneuhochdeutschen Periode treten in ihnen überregionale Ausgleichstendenzen neben den
20
Nach dem Synkretismus-Muster des Präteritums Indikativ und Konjunktiv: 1. = 3. Pers. Pl. = -en. Siehe dazu: Damaris, Dammel 2008: 188; Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 75.
21 Solche Schwankungen bei der Pluralbildung sind laut O. Reichmann Reichmann 2000: 1635) für das Westoberdeutsche charakteristisch. 2 Mit der Ausnahme vom Einzelbeleg stent enthält Nu keine Formen mit
der Flexionsendung -(e)nt, in Be treten solche Varianten nicht auf.
mittelhochdeutschen Formen auf, die nur in dieser Region aufbewahrt bleiben.
Dabei ist die idiolektale und individuell-sprachliche Variation für die Schreibsprache der frühneuhochdeutschen Handschriften charakteristisch. Letztere hängt von solchen Faktoren wie territoriale Interferenz oder Geburts- und Ausbildungsort von Autoren bzw. Schreibern ab. Der Schreibusus ist deswegen nicht als ein starres Gefüge anzusehen, sondern es ist vielmehr mit sehr heterogenen Verhältnissen zu rechnen23.
Die Paradigmenbeschreibung von athematischen und kontrahierten Verben lässt es trotzdem, einige Besonderheiten hervorzuheben, die für regionale Schreibsprachen charakteristisch sind.
1. Die für die südwestliche Schreibsprache typische Bewahrung der mittelhochdeutschen Flexionsendung -ent24, wie auch apokopierte Personalformen von gehen und stehen sind in Ba zu konstatieren. Andere Besonderheiten dieser Dialektgruppe hinsichtlich der Flexionsmorphologie (z. B. die Aufbewahrung von alten Formen gan/stan, synkopierte Präfixe in Partizipformen wie in gsin, der alemannische Übergang /a/>/o/ wie in thon; hierzu: Guchman, Semenjuk 1983: 154; Dubinin 2003: 70, 75) ist bei keiner Schreiberin nachzuweisen.
2. Einige für das Oberbairische charakteristische morphologische Tendenzen sind in den behandelten Handschriften zu beobachten. Dazu gehört der Gebrauch der Mischform seind/seindt (vgl. Tauber 1993: 160), die aber auch den Nürnberger Sprachgepflogenheiten nicht widerspricht. Einige Züge des oberbairischen Ausgleichs - wie z. B. die synkopierten Affixe in Infinitiv- und Partizipformen (habn, gsein) - tauchen in den Texten nicht auf (vgl.: Guchman, Semenjuk 1983: 154).
Das Oberbairische, wie auch das Ostfränkische und das Nürnbergische, schließt Pluralformen mit den dentalhaltigen Endungen nicht aus, aber hat schon eine klare Tendenz zum frühneuhochdeutschen Pluralparadigma -en/-et/-en (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 199).
23
Die verschiedenen Beeinflussungsmöglichkeiten, mit denen im Bereich der Schriftlichkeit gerechnet werden muss, bedeuten, dass nicht nur literatursprachliche Varianten, sondern auch mundartliche Formen eines Gebiets in die Schriftlichkeit eines anderen Gebiets entlehnt werden konnten. Siehe hierzu: Stopp 1977: 16.
24 In Ba kommt die Flexionsendung -ent in den Formen der besonderen Verben (geent) sowie der anderen Verben vor (gaistlichen p[er]sonen... durchechtent, beraubent sie).
Für das Bairische dieser Periode ist die Bevorzugung von -n in der 1. Person Singular Indikativ Präsens charakteristisch (Greule, Meier, Ziegler 2012: 210), was bei thun und haben in Nu und Be widerspiegelt ist.
3. Fast alle in den behandelten Handschriften vorhandenen Besonderheiten entsprechen den Ausgleichstendenzen im Ostfränkischen. Zu solchen Tendenzen gehört die Verteilung von e-und 0-Flexionsendungen in der 1. Person Singular Präsens (hierzu: Lindgren 1953) und Präteritum Indikativ. Die apokopierten Formen dominieren bei Präsensformen von haben in allen Handschriften und bei Präteritumformen in Ba.
Im Ostfränkischen wie im Oberbairischen ist die Flexionsendung -(e)st in der 2. Person Singular Indikativ Präteritum besonders verbreitet, die mitteldeutsche Variante -(e)s (Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 66) kommt in Einzelbelegen vor.
4. Die Nürnberger Schreibsprache kann morphologische Züge der mittel- und der süddeutschen Mundarten verbinden. Am Beispiel von den Verbformen des athematischen Verbs sein ist es in den behandelten Handschriften ausdrücklich zu konstatieren: in der 1. Person Plural Indikativ Präsens treten beide die süddeutsche Form sein und die mitteldeutsche Variante sind auf. Im Falle von Partizipformen, kommt die süddeutsche Variante gewesen neben der mitteldeutschen Variante gewest vor (siehe: Guchman, Semenjuk 1983: 156). Dabei herrscht die Form gewest in allen Handschriften vor, was den Besonderheiten des Nürnbergischen entspricht (hierzu: Müller 2002: 63).
Das Singular-Paradigma im Nürnbergischen stellt sich deutlich zum Oberbairischen (hierzu: Dammers, Hoffmann, Solms 1988: 175), was auch von den Befunden in den Handschriften belegt wurde.
Die mittelhochdeutschen Präteritumformen hetten und thetten statt hatten und taten sind in vielen Nürnberger Handschriften nachzuweisen und lassen sich als morphologische Züge des Stadtdialekts bezeichnen (vgl.: van der Elst 1989: 207). In den behandelten Handschriften kommen fast durchaus hett/hettest/hetten und thest vor, mit der Ausnahme von Ba, in der die neuere Form hatt auftaucht. Bei Pluralformen von tun taucht auch das neuhochdeutsche -a- auf.
Fazit
1. In allen behandelten Handschriften kommen mittelhochdeutsche Züge vor:
a. die Flexionsendung -(e)n in der 1. Person Singular Indikativ Präsens;
b. der Endungskonsonant -dt in Pluralformen von sein.
Daneben sind frühneuhochdeutsche Varianten vorhanden:
a. die Tempusprofilierung bei allen besonderen Verben;
b. die Verwendung der Flexionsendung -(e) in der 1. Person Singular Indikativ Präsens;
c. die Verschärfung der Numerus-Opposition bei Indikativ Präsens;
d. die Auflösung der athematischen Sonderformen (gan, stan);
e. die modale Indifferenz der Flexionsendungen des Plurals;
f. die Verwendung des Stammvokals -a- bei Pluralformen von
tun.
2. In Be und Nu treten einige Ausgleichstendenzen auf, die für das Oberbairische charakteristisch sind:
a. die Verwendung der Mischform seind/seindt;
b. die Inklination zum frühneuhochdeutschen Pluralparadigma -en/-et/-en;
c. das Vorkommen von -n in der 1. Person Singular Indikativ Präsens.
3. Ostfränkische Besonderheiten, die in der Ausgleichsperiode zu konstatieren sind, finden sich in vielen Belegen in Ba:
a. die Verteilung von e- und 0-Flexionsendungen in der 1. Person Singular Präsens und Präteritum Indikativ mit dem Vorzug von 0-Flexionsendungen;
b. die Verwendung der Flexionsendung -(e)st für die 2. Person Singular Indikativ Präteritum.
4. Alle behandelten Handschriften demonstrieren die für die Nürnberger Schreibsprache charakteristischen Züge:
a. die Verwendung von athematischen Formen von thun;
b. der Einsatz der Kontaminationsform seint für Plural Indikativ Präsens (wie auch bei dem Oberbairischen);
c. das Nebeneinanderbestehen von süddeutschen und mitteldeutschen Varianten (sein/sind in der 1. Person Plural Indikativ Präsens; gewesen/gewest);
d. das Vorherrschen der Partizipform gewest;
e. die Verwendung von Präteritumformen hetten und thetten (Be) statt hatten und taten.
5. Die von Be und Nu demonstrierten Besonderheiten sind eher einzigartig und homogen (z. B. die überwiegende Verwendung der Kurzformen in Plural Indikativ Präsens und Infinitiv bei gehen und stehen, Benutzung von ge-losen Partizipformen); sie enthalten eine
große Belegzahl von mittelhocheutschen Formen (z.B. die Infinitivformen sin und han).
6. In Ba kommen abweichende Eigenschaften in vielen Fällen vor, was teilweise durch den Einfluss eines anderen Usus erklärt sein könnte. Die Belegzahl von den fürs Frühneuhochdeutsche charakteristischen Zügen ist in Ba größer als in den anderen behandelten Handschriften (überwiegende Verwendung von frühneuhochdeutschen ge-Formen von Partizipien, Langformen von Infinitiven bei gehen und stehen). In Ba tauchen auch Formen auf, die für die Nürnberger Schreibsprache nicht charakteristisch sind (unorganisches t in geent, was vom schwäbischen Einfluss bedingt sein könnte; thematische Formen von tun; Langvokal in der Präteritumform gieng, apokopierte Personalformen von gehen).
Die behandelten Handschriften weisen demgemäß die für das Oberdeutsche der Periode charakteristischen Merkmale auf, mit deutlicher Neigung zu den südwestlichen und ostfränkischen Schreibsprachen in Ba, zu dem Oberbairischen in Nu und Be und zu dem Nürnbergischen in allen drei Handschriften. Obwohl die frühneuhochdeutschen Züge bei allen Schreiberinnen und insbesondere in Ba schon tendenziell vorkommen, wird der morphologische und graphisch-phonetische Ausgleich nur teilweise und unregelmäßig durchgeführt.
Anhang
Im Anhang werden die Paradigmenbesonderheiten der behandelten Verben systematisiert. Hier wird Bezug nur auf die Besonderheiten genommen, die sich als Merkmale des Mittel- oder Frühneuhochdeutschen, einer bestimmten Mundart oder einer der Handschriften charakterisieren lassen. Imperativformen in Singular bei allen Verben, Konjunktivformen bei den in Bezug auf den Modus neutralen Verben bleiben weitgehend aus.
Bei allen Schreiberinnen:
1. Tun.
- Infinitiv tun/thun; thu/tu;
- athematische Formen von tun;
- monophthongierte Formen von thun;
- 1.P.Sing.Ind.Präs. thun;
- 3.P.Sing.Ind.Präs. thut;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. thun;
- 2.P.Pl.Ind.Präs. thut;
- Partizip Präteritum gethan/getan; gethun/getun.
2. Gehen.
- Infinitiv mit dem Wurzelvokal -e-;
- h-lose Infinitivformen;
- 1./3.P.Sing.Ind.Präs. ge/gee;
- 3.P.Sing.Ind.Präs. get/geet;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. gen/geen und ge/gee;
- ge-lose Formen vom Partizip Präteritum;
- modale Indifferenz des Verbs.
3. Stehen.
- Infinitiv mit dem Wurzelvokal -e- die 1./3.P.Pl.Ind.Präs. sten;
- a-Form Sing.Prät.: bei allen Schreiberinnen; -u-Form Pl.Prät.: bei allen Schreiberinnen.
4. Sein.
- Infinitivformen sein und gesein;
- Personen-, Tempus- und Modussuppletion;
- Partizip Präteritum gewest (die überwiegende Form), gewesen.
5. Haben.
- 1.P.Sing.Ind.Präs. habe/hab;
- 2.P.Sing.Ind.Präs. habst und hastu;
- 3.P.Sing.Ind.Präs. habe/hab und hat;
- 1.P.Pl.Ind.Präs. haben;
- 2.P.Pl.Ind.Präs. habt;
- 3.P.Pl.Ind.Präs habe und haben;
- Konjunktiv- und Präteritum-Formen het/hett (-e, -est, -en) ;
- Partizip Präteritum gehabt.
6. Lassen.
- Infinitiv lassen;
- lasz für Sing.Ind.Präs. ;
- Präteritumform liesz/lisz;
- Partizip Präteritum gelassen/gelaszen.
Be:
1. Tun.
- Diphthongierte Form von thun (thün) in einem Einzelbeleg;
- Singular Präteritumform thest;
- 1.P.Sing.Ind.Präs. thu/tu;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. thut;
- ge-lose Partizip-Form.
2. Gehen.
- Infinitiv gen;
- Kurze Form Sing. und Pl.Ind.Präs. ;
- Präteritumform ging.
3. Stehen.
- Infinitiv sten;
- Kurze Form Sing. und Pl.Ind.Präs. ;
- 2.P.Pl.Ind.Präs. stet;
- Partizip Präteritum standen;
- 2.P.Pl.Imp. stet.
4. Sein.
- Infinitiv sein/seyn;
- bistu in der 2.P.Sing.Ind.Präs. ;
- 1.P.Pl.Ind.Präs. sein, sent, seint;
- 2.P.Pl.Ind.Präs. sein, sint;
- 3.P.Pl.Ind.Präs. sind/sint, sein, seint, sent.
5. Haben.
- Infinitiv han;
- l.P.Sing.Ind.Präs. han;
- 3.P.Sing.Ind.Präs. han.
Nu:
1. Tun.
- 3.P.Sing.Ind.Präs. thun;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. thu, thut;
- ge-lose Partizip-Form.
2. Gehen.
- Infinitiv geen/gen;
- Lange und kurze Formen Sing. und Pl. Ind. Präs. (die kurze Form dominiert) ;
- Präteritumform ging.
3. Stehen.
- Infinitiv steen/sten;
- Lange und kurze Formen Sing. und Pl.Ind.Präs. ;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. stee;
- Partizip Präteritum gestanden;
- 2.P.Pl.Imp. stet.
4. Sein.
- Infinitiv sein;
- 2.P.Sing.Ind.Präs. bistu;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. sind/sint, seint/seind, sein, sin, sent;
- 2.P.Pl.Ind.Präs. sind/sint.
5. Haben.
- Infinitiv hab;
- 1.P.Sing.Ind.Präs. han;
- 3.P.Sing.Ind.Präs. habt;
- 1.P.Pl.Ind.Präs. hab, habe;
- Partizip Präteritum gehaben.
Ba:
1. Tun.
- Thematische Formen von tun (thue für die 3.P.Sing.Ind.Präs.);
- Diphthongierte Formen von thun (thün) ;
- 1./3.P.Pl.Ind.Präs. thu.
2. Gehen.
- Infinitiv geen/gen;
- Lange und kurze Formen Sing. und Pl.Ind.Präs. ;
- Flexionsendung -ent für 3.P.Pl.Ind.Präs. ;
- Präteritumform gieng;
- ge-Formen vom Partizip Präteritum.
3. Stehen.
- Infinitiv steen/sten;
- Lange und kurze Formen Sing. und Pl.Ind.Präs. (die lange Form dominiert) ;
- Partizip Präteritum gestanden.
4. Sein.
- Infinitiv sein;
- 1./2.P.Pl.Ind.Präs. sind, sein;
- 3.P.Pl.Ind.Präs. sind/sint, sein.
5. Haben.
- Infinitiv habe;
- l.P.Sing.Ind.Präs. und l.P.Pl.Ind.Präs. hab/habe;
- 2.P.Pl.Ind.Präs. haben;
- Präteritum-Form hatt.
6. Lassen.
- laszt für die 2.,3.P. Sing.Ind.Präs.
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The article is dedicated to the study of morphological, graphic and phonetic aspects of the written language usage of Nuremberg in the 15th century. The description of the inflectional paradigms of the athematic and contracted verbs is performed on the basis of the translations of David's of Augsburg (|1272) treatise «De exterioris et interioris hominis compositione». The obtained results are collated with the data on the tendencies in the written language usage of the High German area, especially in the East Franconian and Northern Bavarian language landscapes and in the written dialect of Nuremberg.
Keywords: Early New High German, inflectional paradigm, contracted verbs, athematic verbs.