УДК 93/94
DIE DEUTSCHEN SOLDATENFRIEDHÖFE IN EUROPA ALS ORTE DES GEDÄCHTNISSES IN DIKTATUR UND DEMOKRATIE
Nina Janz, Universität Hamburg, e-mail: [email protected]
Abstract
The graves and cemeteries of the German fallen soldiers symbolize different meanings and messages during the time. In the Second World War, the Wehrmacht and the national socialists constructed the soldier cemeteries as holy places and places of German heroism. After the surrender the graves turned into symbols of a reminder of pain, suffer and war. Today the grave stones are used for educational projects, memory services, guided tours for students and young people all over Europe.
Keywords: Friedhof, Soldat, Zweiter Weltkrieg, Gedächtnis, Erinnerungsort Cemetery, Soldier, Second World War, Memory, Place of Remembrance.
Was ist geblieben nach fast 6 Jahren des grausamsten und leidvollsten Krieges in Europa? Die Städte sind 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder aufgebaut, die Schlachtfelder sind verschwunden oder von der Natur zurück erobert. Nur die Gräber sind als letzte Spuren des Krieges in Mitteleuropa verblieben. Diese zeugen noch heute vom millionenhaften Tod der Soldaten und Opfer.
1. Die Bedeutung der Kriegsgräber
Die Bedeutung eines Soldatengrabes oder eines Kriegsgrabes kann anhand der Besonderheit des Soldatentodes beschrieben werden: Der Tod eines Soldaten unterscheidet sich im Wesentlichen vom natürlichen Tod eines Zivilisten, der durch Alter oder Krankheit stirbt. Im Krieg zu fallen war stets eine Besonderheit.1 Der größte Teil der Soldaten starb während der Kampfhandlungen, also direkt auf dem Schlachtfeld, während nur ein geringer Teil - etwa sechs bis sieben Prozent - in den Lazaretten ihren Verwundungen erlag.2 Was führte also dazu, dass ein einzelner einfacher Soldat ein Einzelgrab erhielt? Wir alle kennen große Denkmäler für besondere Schlachten und für Feldherren, aber für einzelne Soldaten? Für den kleinen Mann? Die Individualisierung des Gedenkens3 an einzelne Soldaten lässt sich am deutlichsten an der Entwicklung der Erinnerungsform, wie etwa Denkmälern oder Gräbern einzelner Soldaten, ablesen. Seit den Demokratie- und Gleichheitsbestrebungen im Zuge der Französischen Revolution änderte sich das Gedenken von Schlachten, hin zu einer Würdigung des einzelnen Soldaten.4 Erstmals seit den Befreiungskriegen erinnerten Tafeln auch an die Namen von gemeinen Soldaten, unabhängig vom Rang oder Stand5.
Während so die Namen der Gefallenen „denkmalfähig" wurden,6 erhielten ihre Leichen und Gräber wenig oder keine Beachtung. Noch im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurden die Gefallenen auf den Schlachtfeldern der Verwesung überlassen, oder aus hygienischen Gründen, vor allem wegen des Gestanks, in Massengräbern beigesetzt.7 Der Erste Weltkrieg schuf neue Bedingungen und Praktiken des Umgangs mit den Gefallenen.8 Großangelegte Soldatenfriedhöfe entstanden erst im Ersten Weltkrieg des 20. Jahrhunderts in Europa, wohingegen in den USA bereits während des Bürgerkrieges (1861-65) eigene militärische Friedhöfe für die Gefallenen angelegt wurden.9
Ein Begräbnis von Soldaten in Einzelgräbern ist ein Phänomen des späten 19. Jahrhunderts und vor allem des 20. Jahrhunderts. Nicht nur durch die Fortschritte in der Hygiene,10 die ein zügiges Begräbnis von Leichen forderten, sondern auch die Gleichheitsvorstellungen der Französischen Revolution sahen es auch auf Friedhöfen vor, dass jedem Toten ein Einzelgrab gebührte. 11 Der Erste Weltkrieg machte aufgrund der hohen Verlustzahlen eine Reaktion auf den
Massentod in Form von strukturiert angelegten und geplanten Grabstätten für die Gefallenen erforderlich. So arbeiteten erstmals Kommissionen und Gremien bereits während des Krieges, die sich um die Bestattungsfragen der Gefallenen kümmerten.12 Auf den Erfahrungen des Großen Krieges 1914-1918 im Umgang mit den Kriegstoten konnte im Zweiten Weltkrieg aufgebaut werden.
Im Zuge der Etablierung des humanitären Kriegsvölkerrechts, der Genfer Konventionen und der Haager Landkriegsordnungen, wurde auch ein Verfahren für die Registrierung der Verwundeten und Toten notwendig.13 So forderte die Zweite Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907 die Einrichtung von Auskunftsstellen bei feindlichen Auseinandersetzungen,14 erstmal nur bezüglich der Kriegsgefangenen.15 Das Genfer Abkommen aus dem Jahr 1929 zum „Los der Verwundeten, Kranken und Gefallenen" regelte weitere Details zur Behandlung und Identifizierung der Toten und Verwundeten.16 Die Kriegsparteien waren demnach verpflichtet die im Felde aufgefundenen Verwundeten und Toten zu registrieren, zu versorgen und ggf. zu bestatten. Zu diesem Zweck war bei Beginn von Feindseligkeiten ein amtlicher Gräberdienst einzurichten. Bei Beendigung des Krieges hatten die Kriegsparteien die Listen über die Gräber und über die Friedhöfe auszutauschen.
Der Soldat, als Staatsbürger einer Nation oder als Untertan eines Königs, sollte „für" etwas kämpfen. Der Kriegsdienst wurde zu einer Bürgerpflicht.17 Der Kriegstod galt als Aufopferung für die Nation. Die Achtung der Gräber sollte sicherstellen, dass der Tod an der Front nicht gleichbedeutend mit anonymen Massensterben wurde. Dem Soldatentod wurde mithilfe der Errichtung eines Grabes eine Sinnstiftung und ein Gedenkort geschaffen.
Kriegsgräber und Friedhöfe als Erinnerungsorte - Eine Definition
Ein Grab erfüllt zwei wichtige Funktionen: es ist ein Ort der privaten Trauer und ein Ort des öffentlichen Gedenkens. Ein Grab oder ein Friedhof wird so als ein Erinnerungsort bezeichnet. Für die Definition eines Erinnerungsortes kann Aleida Assmann als Grundlage genommen werden. Viele Autoren beschäftigten sich bereits mit Gedächtnisorten, aber die meisten Wissenschaftler übernahmen Assmanns Definition. Ob überhaupt Gräber und Friedhöfe von Soldaten unter diese Bestimmungen fallen, erfordert eine Überprüfung in einer Einzelstudie.
Die besondere Aufgabe von Gedächtnisorten ist eine bestimmte Vergangenheit in die Gegenwart hineinzuholen und an einen Ort zu binden. Die Vergangenheit wird so vergegenwärtigt. Dieser Ort ist nicht mobil, sondern um diesen Ort zu erfahren muss man dorthin aktiv reisen.18 Ein Erinnerungsort kann ebenfalls nicht gelöscht werden, da es geographisch unmöglich ist.19 Nur das aktive Gedenken und die Kenntnis seiner Bedeutung machen aus einem Ort einen Erinnerungsort. Ohne diese Bedeutung oder seine Symbolkraft ist ein Ort ein herkömmlicher Ort. Die Bedeutung eines Gedächtnisortes muss erst durch Menschenhand und seine Interpretation wie durch seine Erinnerung geschaffen werden.20 Das Ereignis eines Ortes, wie eben ein Krieg oder ein Schlachtfeld muss gezielt und gewollt gesichert werden und die Spuren erfasst, und der Ort als solcher markiert werden.21
Gräber und Friedhöfe
Gräber sind eine Mischung aus Denkmälern und Überresten. Denkmäler beinhalten einen Imperativ in Erinnern (Kollektiver Imperativ zur Erinnerung des Traumas und damit zur Konservierung und Musealisierung einer Botschaft22) und Überreste sind Spuren von Ereignissen, also die Notwendigkeit einen Platz für die Beerdigung zu finden, wie auch eine Erinnerung an den Toten zu schaffen.
Das Gedenken auf Friedhof beinhaltet, wie bereits erwähnt, eine ortsfeste Gedenkpraxis. Die Präsenz der Toten ist an diesen Orten gewährleistet und der Ort selbst den Toten „geweiht", gewidmet oder vorbehalten.23
Gräber und Friedhöfe als Erinnerungsorte
Wie lassen sich diese Definitionen auf die Gräber der Soldaten übertragen?
Friedhöfe, als Raum der Toten, erfüllen die Funktion eines Gedenkortes, wie bereits erwähnt wurde. Vor allem Soldatenfriedhöfe und Gräber der Kriegstoten sind neben den zivilen und „normalen" Friedhöfen etwas Besonderes und nicht Alltägliches. Sie gelten als letzte Spuren des Krieges und zeigen die materielle Zahl der Kriegstoten. Man stelle sich die tatsächliche Zahl der Gräber für jeden einzelnen Kriegstoten vor - 55 Millionen Kreuze! Europa würde einem einzigen Friedhof gleichen.
Die Authentizität von Soldatengräbern und Kriegsgräbern
Die Authentizität und die Ursprünglichkeit von Kriegsgräbern sind nicht einfach zu definieren. Eigentlich entstehen Friedhöfe aus einer puren Notwendigkeit, Platz für die Toten zu schaffen. Aufgrund unserer christlichen Werte beerdigen wir die Toten, aus hygienischen Gründen lassen wir die Toten nicht einfach liegen oder werfen sie einfach in die Flüsse und Meere.
Dazu kommt natürlich der kulturelle Aspekt, den Toten einen Platz in unserer individuellen Erinnerung aber auch im gesellschaftlichen Gedächtnis zu geben. Der Ort des Grabes wird zu einem Gedenkplatz, der Tote wird je nach Bedeutung und Relevanz, zu einem Gedenkobjekt, in jeglicher Hinsicht, also aus religiösen, politischen, ideologischen oder persönlichen Gründen.
Das Grab kann ein authentischer Ort sein (der Tote braucht einen Raum), doch kann und wird dieser durch das Gedenken angepasst, je nach Notwendigkeit. Entweder ein Grab wird zerstört, z.B. das eines Mörders, oder ein Grab wird gepflegt, erhalten und sogar ausgebaut, wie Gräber von Königen oder weiteren wichtigen Persönlichkeiten.
Ein Grab eines Soldaten, kann authentisch sein, wenn es z.B. während der Kämpfe angelegt wurde, sich an Straßengräben befindet oder in Granattrichtern. So kann es viel über den Verstorbenen und seine Todesumstände zeigen (wurde die Leiche sorgsam beerdigt, oder schnell verscharrt, hat der Soldat noch seine Wertgegenstände bei sich, welche Verletzungen hat er erlitten, woran ist er gestorben, was stand auf seinem Grabkreuz? Etc.). Die heutigen Soldatenfriedhöfe sind jedoch später gewollt und absichtlich geschaffen, damit alle Soldaten auf einem Friedhof ruhen, aus pflegerischen und touristischen Aspekten vielleicht. Deren Lage und deren Gestaltung sind jedoch von der nationalen und gesellschaftlichen Praxis im Totengedenken und Umgang mit den Kriegstoten geschuldet. Die heutigen Soldatenfriedhöfe sind also ein Beweis für die nationalen Gefallenenkulte und Gedenkpraktiken, und können nicht als authentische, also ursprüngliche Orte des Soldatentodes gelten.
2. Die Soldatenfriedhöfe als orte des Heldentums im Dritten Reich
Die Wehrmacht schuf zu Beginn des Krieges, direkt nach dem Angriff auf Polen, ein groß umfassendes Gräber- und Verlustsystem, für die Registrierung des gefallenen Soldaten, die Erfassung seines Grabes und die Benachrichtigung der Familie.
Das Militär im Dritten Reich begann früh mit den Planungen für Friedhöfe und ewige Ruhestätten für ihre Gefallenen. Gestaltungsrichtlinien und Anordnungen für die Anlagen der sogenannten „Kriegerfriedhöfe" gingen an die kämpfenden Verbände in allen Teilen Europas und Nordafrikas.24 Nach länger währenden Gefechten legten Divisionen und Armeen für ihre Toten große Sammelanlagen an.25 Die Gestaltung der Gräber und Anlagen regelten Richtlinien und Befehle, vom Grabzeichen bis hin zur Pflanzung während den verschiedenen Jahreszeiten.26 Die endgültige Genehmigung eines dauerhaften Soldatenfriedhofes oblag Hitler persönlich, die Friedhöfe wurden, so bereits auch im Ersten Weltkrieg als „Ehrenhaine" und „Heldenfriedhöfe" bezeichnet. Die Gefallenen sollten „[...] gemeinsam dort ruhen, wo sie ihr Leben für Deutschlands Größe, Ehre und Freiheit opferten."27
Friedhöfe als besondere Weiheorte deutschen Heldentums
Die Anlagen instrumentalisierte die Wehrmacht als Wallfahrtorte. Das Militär betrieb einen großen Aufwand für die Planung und den Bau; Soldaten wurden zum Ausbau abgestellt, Zeit, Materialien und Anstrengungen investiert, um aus diesen Orten Ehrenhaine zu schaffen. Das Oberkommando der Wehrmacht beharrte bei diesen zukünftigen Weihestätten auf einfache
Gestaltung. Diese Begräbnisstätten galten nicht nur als letzter Ruheort für die Toten, die Reichswehr nutzte die Soldatenfriedhöfe für Aufmärsche und Gedenkfeierlichkeiten an Volkstrauertagen oder den kirchlichen Totengedenktagen im November.28 Während des Krieges legten Einheiten der Wehrmacht auf allen Ehrenfriedhöfen im besetzten Ausland wie im Operationsgebiet Kränze nieder und hissten dort die Reichskriegsflagge. 29
In Reih und Glied
Die Wehrmachtfriedhöfe bildeten einen besonderen Ort, einen abgegrenzten militärischen Raum. So waren Soldatengräber, die z.T. auf zivilen Friedhöfen angelegt werden, von Zäunen und Mauern von den anderen Grabanlagen abgegrenzt.30 Änderungen oder gar fremder Schmuck, die die vorgegebene Gestaltung der Anlagen störten, waren von der Wehrmacht untersagt. Eine persönliche oder gar individuelle Note (bis auf Kränze) durch Angehörige war für die Friedhöfe nicht vorgesehen.31 Eine Zerstörung oder Schändung dieser Ruhestätten war mit dem Tode zu bestrafen.32
Grundsätzlich sollten die Soldaten auf gemeinsamen (temporären und dauerhaften) Anlagen beigesetzt werden oder zumindest auf christlichen Friedhöfen ruhen. Eine Unterscheidung zwischen den Diensträngen war nicht vorgesehen.33 Die Toten sollten nebeneinander ruhen, mit denen sie auch gekämpft haben, so das Argument.34 Selbstmörder und Hingerichtete wurden am Rande von Friedhöfen bestattet und mit Absicht nicht in die Reihen der anderen Gefallenen genommen.35 Überführungen von Leichen während des Krieges in die Heimat verbot die Wehrmacht.
Die Gefallenen gehörten weiterhin zur Wehrmacht, auch über den Tod hinaus. So kann auch das Überführungsverbot des Leichnams in das Heimatgebiet zu den Familien als Eigentumsanspruch der Wehrmacht an den toten Soldaten betrachtet werden, neben den nachvollziehbaren logistischen Gründen bei einer Rückführung der Leiche. Außerdem ist der Wunsch nach des „Soldat-seins" und Soldat-bleibens auch im Tod, aus Berichten von kämpfenden Soldaten bekannt.36 Begründen lässt sich dieser Wunsch mit einer Art Zwangsgemeinschaft oder Schicksalsgemeinschaft mit den Kameraden an der Front, die Erlebnisse und die Todesgefahren ließen Soldaten enger zusammen rücken und das Militär als „Ersatzfamilie" betrachten.37
Die Friedhöfe sollten auch im Tod die Einheit und die militärische Ordnung bewahren, die Gräber sollten in Reih und Glied angeordnet werden, wie etwa bei Paraden oder Aufmärschen. Eine Unterscheidung zwischen den Diensträngen war nicht vorgesehen. Die Wehrmacht nahm den Gefallenen ihre Individualität, die Soldaten wurden gedrillt, um im Militärverband zu gehorchen, zu leben und auch zu sterben.38
3. Deutsche Soldatenfriedhöfe in der Bundesrepublik - Soldatenfriedhöfe als Orte zur Mahnung für den Frieden
Die Sinnsuche
Nach dem Krieg begann neben den Wiederaufbauarbeiten die Suche nach vermissten und toten Angehörigen. Während andere am Krieg beteiligte Länder schnell einen Grund oder einen Sinn für den Einsatz ihrer Soldaten fanden, wie etwa die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus oder die Verteidigung des Vaterlandes, gestaltete sich die Sinnsuche für die Deutschen schwieriger. Die Bekanntmachung der deutschen Verbrechen in den Konzentrationslagern, die Tatsache, dass der Krieg vom deutschen Boden aus begonnen wurde und die Anklage durch die Alliierten in den Nürnberger Prozessen, machten einen guten oder ehrhaften Sinn für den Tod und den Einsatz deutscher Soldaten unmöglich. Ein Heldengedenken, wie zu Zeiten des Dritten Reiches, war nicht mehr durchführbar.
Wie findet man dennoch einen Sinn für den Tod des Vaters oder Bruders? Da es bis 1949 keine Regierung und somit keine einheitlichen nationalen Rechtfertigungsversuche gab, wurden die Familien in ihrer Sinnsuche und in ihrer Trauer alleine gelassen.39 Das Gefallenengedächtnis trat aus der öffentlichen Inszenierung hin zum privaten Gedenken und Trauern.
Deutsche Vergangenheitsbewältigung
Die Toten wurden betrauert, ohne nach dem Sinn für ihren Tod zu suchen, oder gar die Schuld bei sich zu finden.40 Das kollektive Gedächtnis um die toten Soldaten kann auch als kollektives Trauern bezeichnet werden. Das Leiden der Soldaten an der Front und in Kriegsgefangenschaft, nahm einen zentralen Platz in Berichten und Erinnerung ein, als etwa die nationalsozialistischen Verbrechen.41 Die Deutschen verglichen die Barbarei in Osteuropa im Krieg durch die Wehrmacht mit ihren eigenen Leiden, wie den Luftangriffen sowie der Flucht und Vertreibung.42 Das Bewusstsein des eigenen Leidens führte zu einer Abwehrreaktion der eigenen Schuld.43 Es gab sogar Stimmen, die den Holocaust an den Juden, mit dem Tod der Millionen von Deutschen (inklusive der Soldaten) verglichen.44 Die Soldaten als Opfer: die Deutschen drehten die private Tragödie (wie Tod des Vaters, Verlust des Hauses durch Luftangriff oder Flucht, Hunger, ungewisse Zukunft.) in eine universelle oder nationale Tragödie um.45
Der Schwerpunkt des kollektiven Gedächtnisses lag bei den gefallenen Soldaten. Die größte Personengruppe, die im Krieg den Tod fand, diente in der Wehrmacht, ca. 5 Millionen deutsche Soldaten sind im Krieg gefallen oder galten als vermisst, während „nur" 400 000 Zivilisten umgekommen sind.46 Die Schuld am Kriege wurde teilweise akzeptiert, doch die Schuldigen wurden bei Hitler und seiner Elite sowie bei der SS und des SD gesucht. Die Wehrmacht dagegen galt lange als „sauber", also als unschuldig.47
Das Opferbild auf den Friedhöfen
Auf den Soldatenfriedhöfen und den Gräbern verschwanden die nationalsozialistischen Symbole und Farben, wie das Hakenkreuz und die Reichskriegsflagge. Die gesamte Gestaltung und Architektur orientierte sich nach dem kollektiven Opferbild.
Die Trauer, und vielleicht auch der Schock um die Toten, ließ ihre Gräber zu einem Symbol, ja sogar zu einem Sinn aufsteigen. Und zwar der Mahnung. Eine Mahnung zum Frieden, eine Mahnung zur Verständigung, eine Mahnung für die Zukunft und eine Mahnung für die nächsten Generationen. So erhielten die Toten nachträglich doch einen Sinn. Nach dem Motto: ihr Tod war leidvoll, sie fehlen, aber ihre Gräber mahnen uns. Als wäre ihr Tod erst notwendig, für eine Umkehr in der internationalen Politik und im Denken der Völker, für ein friedliches Miteinander.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg blieb das Soldatengrab noch ein Ort der Trauer. Eltern, Kinder und Ehefrauen suchten die Gräber der Gefallenen auf, um persönlich zu trauern und nach jahrelanger Ungewissheit Abschied nehmen zu können. Hier erfüllten die Militärfriedhöfe weiterhin die eigentliche Funktion, ein Ort der Trauer zu sein. Als selbst die Hinterbliebenen starben, was sollte dann aus den Gräbern der Soldaten werden? Die Pflege und die Erhaltung der Anlagen sind gesetzlich im sogenannten Gräbergesetz von 1952 gesichert48 und sind auch in der Zukunft geschützt. Was passiert mit den Gräbern, die ihre ursprüngliche Funktion als Trauerort verlieren? Die Friedhöfe wurden zu Gedenkstätten und Gedenkorten umfunktioniert, mit dem Ziel der Erinnerung an den Krieg und als Mahnung zum Frieden und zur Demokratie. Von der persönlichen Trauer um den Vater, zum kollektiven Gedächtnis an Krieg und Gewalt. Den Gräbern wurde eine neue Botschaft übergestülpt, die der Mahnung und die des Gedächtnisses.
Friedhöfe als Orte des Lernens und der Mahnung
Gemäß dieser Mahnbotschaft werden die Soldatengräber auch zu Lern-, Bildungs- und Friedenszwecken eingesetzt. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (und auch andere nationale und internationale Vereine) veranstaltet internationale Jugendbegegnungen auf Kriegsgräberstätten in ganz Europa.49 Die Friedhöfe sind wichtige Lernorte für eine Generation, die die Weltkriege selbst nicht erlebt hat. Indem sie bei der Instandsetzung und Pflege mithelfen, haben junge Menschen die Möglichkeit, den Wert des Friedens auf eine Weise zu verinnerlichen, wie ihn kein Geschichtsunterricht vermitteln kann. Jeder Grabstein und jeder Name steht für das Schicksal eines Menschen, so ist ein persönlicher Zugang zu der Vergangenheit möglich. Die Kriegsgräberstätten sind Gedenkstätten, an denen Geschichte vor Ort erlebt und Einzelschicksale
nachvollzogen werden können. Auch die ehemaligen Schlachtfelder, auf denen die Friedhöfe teilweise liegen, sind ebenfalls als Erinnerungsorte zu betrachten. So kann Wolgograd auch als Lernort genutzt werden. Diese Erinnerungsorte können wie eine Art „Museum" fungieren, aber mit dem Unterschied, dass ein Museum mit Absicht und einem gewissen Ziel entstanden ist. Die Friedhöfe dagegen sind aus dem Umstand und der Notwendigkeit entstanden, die Kriegstoten bestatten zu müssen und ihnen einen Ort für ihre ewige Ruhe zu geben.
Fazit
Ihr Tod als Mahnung - so ist auch die heutige Sinnstiftung. Es wurde also doch noch ein Sinn für das Sterben im Krieg für die gefallenen Soldaten gefunden. Der Tod der Soldaten, der ja eigentlich umsonst war, wird hinter der Friedensmahnung und dem Völkerverständigungswunsch
versteckt.50
Die Soldatengräber im Dritten Reich wurden als Weihestätten für das deutsche Heldentum zelebriert und als ein Denkmal für das Opfer, für den Kampf, den Mut und die Treue der deutschen Soldaten verehrt. Die Wehrmacht beharrte gemäß dem nationalsozialistischen Totenkult auf die Anlage von großen Friedhöfen, als letzte und würdige Ruhestätten ihrer Soldaten, die für Führer, Volk und Vaterland starben.
Während in der Diktatur der Tod der Soldaten und ihre Gräber mit einem Sinn für etwas belegt werden konnte, begann nach der Kapitulation die Sinnsuche für den Grund ihres Sterbens. Nach der Schuldzuweisung am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und unter den Augen der Alliierten war eine Heldenverehrung nicht mehr möglich. Stattdessen änderte sich die Sinndeutung des Soldatentodes, erkennbar auch anhand der neu errichteten Denkmälern: statt den nationalistischen Kriegerehrenmälern, wurden Mahnmale errichtet.57 Der verlorene Krieg lieferte keinen positiven Sinn mehr, die Toten waren weder Sieger noch Helden - sie wurden nun zu Opfern, des sinnlosen Krieges. Und ihre Gräber? Orte deutschen Heldentums, oder Helden- und Ehrengräber, Zeichen des Sieges usw. - diese Bezeichnungen besaßen keine Gültigkeit mehr. Diese Worte wurden durch Begriffe wie Mahnstätten und Orte der Trauer ersetzt.
Das „kollektives Opferbild"52 der Bundesrepublik schuf neue Symbole für die Begräbnisstätten der Gefallenen: statt Hakenkreuze und Kriegsflaggen entstanden Sühnekreuze und Kappellen auf den Friedhofsanlagen.
Dieser kurze Überblick über den Sinnwechsel von öffentlichen gewöhnlichen Orten, wie Friedhöfe und Gräber von Soldaten, unter der nationalsozialistischen Diktatur und der bundesrepublikanischen Demokratie, soll aufzeigen, wie wandelbar und wie abhängig die Bedeutung und die Symbolik vom Tod des Soldaten von politischen und gesellschaftlichen Konstrukten und Epochen ist. Welchen Sinn werden diese Orte der Erinnerung in den nächsten zehn oder hundert Jahren erleben?
Anmerkungen
:Klaus Latzel beschäftigt sich eingehend mit dem besonderen Tod im Krieg und dem Begriff „Fallen", vgl. Klaus Latzel, Deutsche Soldaten - nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis - Kriegserfahrung 1939-1945, Paderborn 1998, 233ff. 2Ebd., 162.
3Manfred Hettling, Nationale Weichenstellungen und Individualisierung der Erinnerung. Politischer Totenkult im Vergleich, in: ders. (Hrsg.), Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, 40.
4Insa Eschbach, Öffentliches Gedenken. Deutsche Erinnerungskulturen seit der Weimarer Republik, Frankfurt/Main 2005, 29. Weiter hierzu vgl. Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Otto Marquard/Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, Politik und Hermeneutik, Arbeitsergebnisse einer Forschungsgruppe VIII, München 1979, 258ff
51792 stiftete der preußische König Friedrich Wilhelm II. (1744-1797) nach dem Sieg während den Koalitionskriegen in Frankfurt/Main ein Denkmal, wo zum ersten Mal die Namen aller Soldaten (aber noch rangmäßig getrennt) aufgeführt wurden, vgl. Koselleck, Totenkult, 12. 6Eschbach, Öffentliches Gedenken, 29.
7George Mosse, Soldatenfriedhöfe und nationale Wiedergeburt. Der Gefallenenkult in Deutschland, in: Klaus Vondung (Hrsg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, 241-261, hier: 249.
8 Hierzu vor allem Mosse, Soldatenfriedhöfe, 241ff. sowie zur Kulturgeschichte der Friedhöfe vgl. Norbert Fischer, Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung, Braunschweig 2003.
9 Vgl. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel (Hrsg.), Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Volkskundlich-kulturgeschichtlicher, Teil: Abdankung bis Zweitbestattung, bearbeitet von Reiner Sörries, Braunschweig 2002, 284.
10 Mosse, Soldatenfriedhöfe, 249.
"George Mosse, Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993, 48. 12 Ebd., 13. Siehe weiter zum Umgang mit den Toten im Ersten Weltkrieg: Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. 3: Erster Weltkrieg, Heidelberg 1985.
13Zur „Humanisierung des Kriegsrechtes" siehe: Andreas Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940, München 2008
14Haager Abkommen von 1899 „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs", 1907 nochmals angenommen. 15Haager Landkriegsordnung, Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, 18.10.1907 vgl. RGBl. 1910, 107. 16Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen, 27.7.1929, vgl. RGBl. II 1934, 227.
17 Jakob Böttcher, Heldenkult, Opfermythos und Aussöhnung - Zum Bedeutungswandel deutscher Kriegsgräber nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Deutschland Archiv Online, 07.02.2014, Link: http://www.bpb.de/178572 18Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, 217.
19Aleida Assmann, Erinnerungsorte und Gedächtnislandschaft, in: Hanno Loewy/Bernhard Moltmann (Hrsg.), ErlebnisGedächtnis-Sinn. Authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt/Main 1996, 25.
20 Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, 326.
21 Assmann, Erinnerungsräume, 327. 22Assmann, Schatten der Vergangenheit, 221 23 Assmann, Erinnerungsräume, 325.
24Ausführungsbestimmungen zum Erlass des Führers über die Gestaltung deutscher Kriegerfriedhöfe, Kommentierte Fassung, 18.9.1942, BArch RW 6/182, fol. 73.
25Zubettungen von neuen Gefallenen auf den Friedhöfen des Ersten Weltkrieges waren nicht vorgesehen, da diese „vom deutschen Volke errichteten Ehrenstätten (...) ehrenvoll zu respektieren und zu erhalten" waren, vgl. Richtlinien Nr. 31 von WVW, 27.09.1944, BArch RW 6/519, fol. 81.
26Richtlinien für Sammelanlagen, Neufassung April 1944, BArch RW 6/182. 27Merkblatt WVW, 1.10.1941, BArch RW 6/182, fol. 8.
28Weiter zu Gefallenengedenken und Volkstrauertag, siehe Alexandra Kaiser, Von Opfern und Helden. Eine Geschichte des Volkstrauertages, Frankfurt/Main 2010.
29Bekanntgabe Heldengedenktag in „Kölnische Zeitung", 12.3.1942, BArch NS 5-VI/1306, fol 15. 30Mosse, Soldatenfriedhöfe, 248.
31WVW, an Wehrkreiskommandos, 12.2.1943, BArch RW 6/518, fol. 93.
32Merkblatt für die Erfassung, Sicherstellung und Betreuung der Soldatengräber (Abschrift), o. Dat., BArch RW 6/522. 33Die Standesgleichheit, die Kameradschaft und die Botschaft im Tode sind alle gleich muss angezweifelt werden. Generalen oder Offizieren im Generalsrang, die im Reich verstarben (durch Alter, Krankheit, Unfall oder Selbstmord) gewährte man ein besonderes Staatsbegräbnis, wie bei Eduard Dietl (1892-1944), Rudolf Schmundt (1896-1944), Erwin Rommel (1891-1944) u.a., vgl. Volker Ackermann, Nationale Totenfeiern in Deutschland. Von Wilhelm I. bis Franz Josef Strauß. Eine Studie zur politischen Semiotik, Stuttgart 1990, 21. Ausgenommen waren Juden.
34WVW an WGO zu Ausführungsbestimmungen zum Führer-Erlass, 18.9.1942 BArch RW 6/182. ^Dienstanweisung Wehrmacht-Gräberoffiziere, 1944, BArch RDW 12/37.
36Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, 148. Kühne geht in seiner Analyse von Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg ein. 37Ebd., 23.
38Ulrich Bröckling, Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamproduktion, München 1997, 260. 39Sabine Behrenbeck, Between pain and silence. Remembering the victims of violence in Germany after 1949, in: Richard Bessel/Dirk Schuman, Life after Death. Approaches to a Cultural and Social History of Europe during the 1940s and 1950s, Washington/D.C. 2003, 34-67, hier: 41. 40Ebd, 60.
41Gilad Margalit, Guilt, Suffering, and Memory. Germany Remembers its Dead of World War II, Bloomington 2010, 53.
42Ebd.
43Ebd.
44Ebd, 54.
45Ebd, 4.
46Ebd., 5.
47Ebd., 35.
48„Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft",27. Mai 1952, BGBl. I, 320. Neue Fassung vom 1. Juli 1965, BGBl. I, 589.
49Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. wurde 1919 als ein privater Verein gegründet. Im staatlichen Auftrag übernimmt die Organisation die Pflege und den Bau der deutschen Kriegsgräberstätten im Ausland wahr. 50Margalit, Guilt, Suffering and Memory, 118. 51Herzog, Trauerkultur, 218. 52Reichel, Helden und Opfer, 177.