УДК 821.112.2.01
DOI 10.36622/AQMPJ.2021.41.99.015
Геттингенский университет им. Георга-Августа философский факультет аспирант Оспальд Ингрид
Германия, г. Геттинген, тел. 49 177-4160115 e-mail: Ingrid.Ospald@gmx.de
Georg-August-University of Göttingen Faculty of philosophy Postgraduate student Ospald, Ingrid
Germany, Göttingen, tel.49 177-4160115 e-mail: Ingrid.Ospald@gmx.de
Ingrid Ospald
WEGZWEIGUNGEN (REZEPTION DES DAOISMUS DURCH ALFRED DÖBLIN)
The article presents a hermeneutical (in a philosophical sense) approach to the work of one of the most popular German writers of the XXth century. An attempt is made to identify the influence of Daoist philosophy on the work of Alfred Doblin in order to trace the ways of forming the basis of his worldview. At the beginning there is the question of the origin: the texture imagined by the Poststructuralists (Kristeva, Barthes) does not know any origin. She relies on the comparability of the textual signs and its weaving. After Barthes the eastern texture is characterized by eluding signification. Doblin speaks of primary-ego and primary-sense and it seems that he imitates idealistic diction. After Frege we can describe the commonality as follows: "sense" means a sort of mode of presentation which is also characteristic for the Daoist De. It is "sense" but without "meaning". Doblin's appropriation of the Wuwei-doctrine ranges between the paradoxical empowerment of the individual and the historical role of the active human being. According to Laozi there is no opposition of not-doing and doing, but being interlaced. Fichtes "I" and the Doblinian "I" differ in their imagination of empowerment and first set. First it is the way to the inside which enables the longed for epiphany. The way to sense is the infinite movement that does not get to its goal. One commonality: by going the way of the Dao, the human being realizes the De. This is the Daoistic consiliation of the abstract and the concrete. Setting and dissolving of the I -both a way to get to oneself. The goal is: perfecting of the I and obtaining the I. This is sense, there is meaning: it is sense and meaning which branches. As a result, it was found that the close interweaving of Western and Eastern philosophical thought, which defined Doblin's worldview, was united in his creative method.
Key words: Poststructuralism, origin, primary-sense, Wuwei, Fichte's "I", Dao and De.
В статье представлен герменевтический (в философском смысле) подход к творчеству одного из самых популярных немецких писателей XX века. Предпринята попытка выявить влияние философии даосизма на творчество Альфреда Дёблина с целью проследить пути формирования основы его мировоззрения. Прежде всего, ставится вопрос о происхождении: текстовая ткань, воображаемая постструктуралистами (в первую очередь Ю. Кристевой и Р. Бартом), не знает этого понятия. Она опирается на сопоставление текстовых знаков и их переплетение. После Барта «восточная» текстовая ткань характеризуется ускользающим значением. Дёблин говорит о первичном «эго» и первичном «чувстве», в результате может показаться, что он подражает идеалистической установке. После Фреге общность можно описать следующим образом: «смысл» означает своего рода способ представления, который характерен и для даосского «Дэ». Это «смысл», лишенный «значения». Утверждение Дёблином доктрины У-вэя колеблется между парадоксальным наделением человека полномочиями и исторической ролью активного человеческого существа. Согласно Лао-Цзы, нет противопоставления «не-делания» и «делания», но есть их переплетение, тесная взаимосвязь. Фихтеанское «я» и дёблинианское «я» различаются своими полномочиями и «первоисточником». Во-первых, это путь вовнутрь, который делает возможным желанное прозрение. Путь к «чувству» - это бесконечное движение, которое не достигает своей цели. Но, идя по пути «Дао», человек реализует «Дэ». В этом - даосское примирение абстрактного и конкретного. Формирование и растворение своего «я» - два способа добраться до самого себя. Цель такова: совершенствование «я» и
Ингрид Оспальд
«ОТВЕТВЛЕНИЯ ПУТИ» (РЕЦЕПЦИЯ ДАОСИЗМА В ТВОРЧЕСТВЕ АЛЬФРЕДА ДЁБЛИНА)
© Ospald Ingrid, 2021
обретение «я» - в этом и «смысл», и «значение», которые разветвляются. В результате установлено, что тесное переплетение западной и восточной философской мысли, которое определило мировоззрение Дёблина, соединилось и в его творческом методе.
Ключевые слова: постструктурализм, происхождение, основной смысл, У-вэй, фихтеанское «Я», «Дао» и
«Дэ».
1) Vom Gewebe zum fiktionalen Gewand
In seinem frühen Werk Die Ordnung der Dinge liefert Foucault eine Bildbeschreibung des Bildes Las Meninas von Velazquez [3]. Indem er dies tut, macht er auf die Medialität von Bild und Schrift, sowie ihrer Verschränkung aufmerksam. Dabei erweist sich die Bildanalyse als ein einziger hermeneutischer Faden innerhalb des Diskurses, der ihre mediale Verfasstheit wahrnimmt und damit auch mit fiktionalen Texten [4] und anderen Formaten (man denke etwa an Reisebeschreibungen) vergleichbar macht. Da er von einem Textgewebe ausgeht, können Texte unterschiedlicher Verfasstheit miteinander verglichen werden, z.B. weil sie derselben Episteme angehören. Dabei tritt das Wie seltsamerweise hinter das Was zurück: es ist nicht die Fiktionalität, die im Vordergrund steht, sondern allein die Redeformation, die sich als einzelner Faden im Gewebe des Diskurses erweist. Indem Foucault dies tut, indem er sich an eine Interpretation wagt, macht er die Interpretation zum Gegenstand. Damit wird auch ein fiktionaler Text beschreibbar; es wird möglich ihn aufgrund des Diskurses seines fiktionalen Gewandes zu entkleiden. Der Diskurs sowie hermeneutische Beschreibung ermöglichen dies. Die Rede über einen Gegenstand wird selbst zum Gegenstand der Rede.
2) Ursprünge der Textur: Fragen zum Ursprung
Die Frage stellt sich, wie Döblin sich die daoistische Lehre des Wuwei aneignet. Entsteht eine neue Textur oder webt er die unendliche Textur der Texte einfach nur weiter unter einer anderen Signatur? Verbürgt allein die Signatur die Authentitzität des Textes? Stellt sich die Wuwei-Lehre auch diesen Fragen und wenn ja, wie beantwortet sie sie? Imaginiert der Daoismus auch eine Ursprünglichkeit oder ist das eine Europäische Krankheit? Wenn auch der Daoismus Ursprungsgedanken unterhält, wie geht Döblin mit diesen um? Wenn wir Foucault heranziehen, der jeden Ursprung nahezu leugnet, dann sind wir auf Fichtes "Ich" [2] zurückgeworfen.
Wie verhält sich das Ich zum Textgewebe? Steht es außerhalb des Textes? Geht es als Zeichen in das Gewebe des Textes ein? Ist das Ich, um mit Descartes zu sprechen, ein stabiler Referent?
3) Der Entzug der Zeichen: Daoismus
Lässt sich der Daoismus phänomenologisch einholen, oder ist es, um mit Barthes zu sprechen, gerade der Entzug der Zeichen, die charakteristisch ist für Chinesische Weisheit? Das Dao, der Urgrund, ist nicht im westlichen Sinne ein Urgrund, sondern vielmehr das, was sich immer wieder entzieht. Es wird also nicht zum Zeichen innerhalb einer Textur, sondern versucht eine Erfahrung zu beschreiben, die jenseits der Vereindeu-tigung anzusiedeln ist. Die Frage lautet, kann das Dao jemals Zeichen werden? Indem wir das Dao als metaphysischen Urgrund ansehen, wird künstlich eine Letztbegründung hergestellt. Der Daoismus scheint eine Letztbegründung zu liefern ohne wirklich Begründung sein zu wollen.
4) Fichtes Ich oder tatlosesWuwei?
"Ich bin Ich" ist bei Fichte ein Ausdruck einer Tathandlung, nicht so im Dao und Wuwei.
Bei Fichte erscheint das Ich als aktives Sich-Setzen. Aber ist es auch ein stabiler Referent im Anschluss an Descartes? Ist Döblins Ur-Ich ein Urgrund des Ich, ein idealistisches Ich? Indem er vom Urich und Ursinn spricht, scheint es, versucht er mit Westlicher Philosophie etwas einzuholen, für das es offenbar (noch) keine Begriffe gibt: was er möglicherweise übersehen hat, ist, dass die Idealistische Philosophie des Westens gerade für das Nicht-Handeln nur den Begriff des Handelns hat. Das heißt, die Philosophie des Daoismus mit westlichen Parametern zu beschreiben, führt zu einer Inkongruenz, zu einer nahezu oder auch oftmals tatsächlich statthabenden Paradoxie. Während im Verständnis des Daoismus Handeln und NichtHandeln eben nicht einander entgegengesetzt sind, wird in der Westlichen Philosophie ein Handeln da angesetzt, wo es gleichfalls nicht statthat. Die materielle Grundsubstanz wird nicht als empirische Realität imagi-niert, sondern als die Möglichkeit des Entstehenden. Bei Fichte ist es die Tathandlung, die eine empirische Realität herstellt und auf die Bezug genommen werden kann. Aus dem Gestaltlosen (und hier stimmen sowohl der Idealismus und Daoismus miteinander überein) wird Gestalt.
5) Ausweg: Freges Unterscheidung von "Sinn" und "Bedeutung"?
Erst wenn wir den "Sinn" mit Fichte als Gegebensein, als situativ und passiv beschreiben, könnte es zu einer Annäherung zwischen Westlicher und Östlicher Philosophie kommen. Wenn wir "Sinn" als situativ begreifen, als etwas, das in einer bestimmten Form gegeben ist, dann können wir dies mit dem "De" des
Daoismus kurzschließen. Das "De", die menschliche Form des Daoismus, ist ein Sich-Entziehen, wie wir gesehen haben, und unterläuft damit immer Bedeutung. Es ist in seiner schwachen, passiven Form gegeben und wahrnehmbar. Es ist "Sinn", aber ohne "Bedeutung", ohne jemals einen Referenten ausbilden zu können. Damit ist das "De" das Erscheinen und Wirken des Dao, der Sammelbegriff für das menschliche Verhalten. Lässt sich die Beziehung des De zum Dao über die Gegensätze von "konkret" und "abstrakt" begreifen oder greift dies zu kurz? Das De versucht das Dao zu verwirklichen, es konkret in der menschlichen Handlung zu verankern. Das Dao ist unerreichbar, aber gegenwärtig.
6) Döblins Aneignung der Wuwei-Lehre
Wenn die Wuwei-Lehre auf dem Qi aufruht, was bedeutet das für die Interpretation Döblins? Wie gestaltet sich die Aneignung? Zunächst erscheint Döblins Aneignung paradox, da er sowohl die Handlungsfähigkeit des Menschen mindert, als auch die historische Rolle des handelnden Menschen betont (ethische Dimension des Wuwei). Das Nichthandeln ist bei Laozi nicht dem Handeln gegenübergestellt, sondern in ihm bereits enthalten. Es ist die Taktik, die Seite des Schwächeren einzunehmen und die Veränderungen bis zur Wende abzuwarten, um in Verbindung mit dem Weltwesen zu bleiben. In diesem Sinne bedeutet Schwäche Stärke. Mir scheint, dass Döblin ganz bewusst seine eigene Interpretation des Daoismus setzt. Es geht ihm nicht um die einzige, richtige Interpretation, sondern darum, das eine im anderen wiederzufinden. Zu zeigen, wo es Parallelen und wo es Reibungsflächen gibt.
7) Das Selbst zwischen Behauptung und Negation: das Setzen des Ich
Während für den Daoismus die Befreiung von der Selbstbehauptung im Vordergrund steht, konzeptua-lisiert Döblin das Selbst als aktives, das eine Rolle in der Geschichte einnimmt; also keine gänzliche Negation des Egos. Spannend in diesem Zusammenhang ist, wie das dezentrierte Ich des Daoismus mit einem sich setzenden Ich des Westlichen Idealismus verbunden werden kann, ohne sie letztendlich als unversöhnbare Gegensätze zu begreifen. Darauf kommen wir an späterer Stelle noch einmal zurück.
8) Döblins "Urich" und "Ursinn": Lesarten
Outet sich Döblin als Idealist, idem er von "Urich" spricht? Was bedeutet seine Sprache von "Urich" und "Ursinn"? Dürfen wir annehmen, dass es sich um den stabilen Referenten des "Ich denke" im Anschluss an Descartes handelt? Ist der "Ursinn", wie ihn Döblin denkt, ein stabiler Referent?
Möglicherweise kommt die Setzungshandlung (wie sie Fichte imaginiert) einer Sinngebung gleich? Indem ich mich zum Urgrund setze, stelle ich Sinn her, so eine mögliche Lesart. Sinn, wie ihn Frege in seiner Unterscheidung annimmt. Der deutsche Missionar Richard Willhelm nimmt in seiner Übersetzung des Daodejing eine Lesart vorweg, indem er die religöse Konnotation der Bezeichnung "Sinn" in seine Übersetzung einfließen lässt: "Im Anfang war der Sinn". Sinn also als Wort Gottes, als erster und letzter Ursprung. Hier also eindeutig metaphysisch gedacht, während die Interpretation Freges dezidiert antimetaphysisch ist, gerade weil es die konkreter Situation beschreibt, also wie mir etwas gegeben erscheint. Darim mit eingeschlossen ist das Zur-Erscheinung-gelangen und ist daher möglicherweise identisch mit dem tätig untätigen "De". Es bringt das Dao zur menschlichen Erscheinung.
9) Gegenlesen
Welche Relevanz hat dieses Ergebnis? Indem wir wissen, welche Rolle der Religiosität bei Döblin zukommt, können wir weitere Annahmen daran anschließen. Eine autorzentriert Schlussfolgerung könnte lauten, dass Döblin die Chinesische Tradition des Dao durch die Europäische Brille sieht.
Wir können jedoch einen anderen Weg gehen: kann eine Bedeutung unabhängig vom Autor (und seinen Intentionen) angenommen werden? Eine Bedeutung, die der Autor möglicherweise übersehen hat, die dennoch in seinen Texten angelegt ist. Indem wir mit Frege den "Sinn" als wahrnehmbare Situation, als Erscheinungsweise interpretieren, können wir anhand der Parameter von "konkret" und "abstrakt" folgende Schlussfolgerung ziehen: der "Sinn" ist die konkrete Erscheinung, vielleicht sogar das In-Erscheinung-Treten (also das De), während die Bedeutung "abstrakt" ist und damit Ähnlichkeiten mit dem "Dao" aufweist.
10) Nocheinmal: Ursituationen
Geht es möglicherweise beiden, sowohl Döblin als auch den Daoisten darum, eine Ursituation anzunehmen, in denen Bedeutung (im Fregeanischen Sinne) erzeugt wurde? Hat Bedeutung immer etwas mit Ursprung und Anfang zu tun? Für die Europäische Metaphysik können wir dies bejahen.
Aber Frege ist, wie wir gesehen haben, Antimetaphysiker. Bei ihm ist die gegebene Situation mit all ihren Parametern anders aufgestellt als die Bedeutung. Sinn sagt zunächst einmal nichts über die Bedeutung aus: er steht für sich und ist mit einer Beschreibung identisch. Die Bedeutung ist eine Art Zuschreibung; wie ordne ich einem Phänomen eine Bedeutung zu? Ist "Sinn" nicht phänomenologisch? Indem es die Art des
Gegebenseins beschreibt, also wie das Phänomen uns erscheint. Dabei ist viel auf den Sehsinn ausgerichtet. Wie nehmen wir ein Phänomen wahr? Unsere Wahrnehmung ist auf den Sehnerv abgerichtet.
11) Handeln und Sinn
Wie wir gesehen haben, hat bei Döblin die menschliche Handlung relative Bedeutung, da er von der Vorstellung einer synthetischen Einheit von Mensch und Umwelt ausgeht. Anders im Daoismus: dieser ist selbstgeregelt und eigenmächtig: die Denker versuchen sich durch Nichthandeln mit dem Urgrund zu vereinigen. Geht es beiden möglicherweise darum, dem Handeln den Sinn zurückzugeben? Geht es ihnen darum, wieder zur Natur zurückzukehren? In der Europäischen Moderne gibt es ähnliche Ansätze: Rousseau. Bei Rousseau wird "Natur" zum "Sinn" im Fregeanischen Sinne. Es soll zu einer Ursprungssituation, zum Anfang zurückgekehrt werden. Dass dies unmöglich ist, ist seit kulturalistischen Ansätzen bekannt: es ist unmöglich hinter die eigene kulturelle Situation zurückzugehen. Dennoch: der Wunsch besteht, wieder dort zu beginnen, wo alles begann. Handelt es sich nun um ein Verlangen nach "Sinn" oder nach "Bedeutung"? Ist es ein Verlangen nach einem Zustand, in dem die Bedeutungen (oder auch der Sinn?) noch nicht verteilt sind, sondern erst noch herzustellen sind: ein Zustand der Arbitrarität (ist dies eine Episteme im Foucaultschen Sinne?). Ist es ein Nebeneinander der Phänomen: sind sie also nach dem Prinzip der Ähnlichkeit angeordnet? Die Foucaultschen Episteme beschreiben verschieden Anordnungsarten und damit auch wie Sinn und Bedeutung hergestellt werden. Wir wissen, es war das Projekt Foucaults die verschiedenen Episteme voneinander zu scheiden.
12) Natur und Kultur: das Konkrete transzendieren
Döblin interessiert sich für die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Der Mensch sei durch die Naturkräfte determiniert. Das sagt noch nichts darüber aus, ob der Mensch nicht vielmehr durch die Kultur determiniert ist. Gezeigt wurde, dass es ein Zurück zur Natur nicht geben kann, aufgrund der kulturellen Ver-fasstheit unserer Wahrnehmung. Wir können hinter unsere kulturelle Bedingtheit nicht zurück. Welches Konzept hat nur Döblin von Natur oder Vorgängigkeit? Ist Natur und Natürlichkeit genau das, was wir heute als Kultur betrachten? Worin liegt der Ursprung unserer Handlungen bzw. unserer Handlungsfähigkeit? Lässt sich diese benennen? Das Denken des Ursprungs setzt bei der Natur an, aber wie wird diese konzeptua-lisiert? Ist es die Natur, von der Rousseau spricht? Also ein wünschenswerter Urzustand? Ist der Rousseauistische Ursprung mit dem Döblinschen "Urich" und "Ursinn" identisch? Sind die beiden "natürlich"? Ist der Sinn nur in der Natur auffindbar? Ist Natur etwas vor jeder Sinngebung? Mir scheint, Rousseau imaginiert die Natur bzw. den Naturzustand als etwas das jeder kulturellen Sinngebung vorausgeht. Ist Sinn etwas vor jeder kulturellen Sinngebung? Unsere Antwort muss lauten: Sinn ist immer schon kulturell verformt! Sinn entsteht durch Kultur, durch kulturelle Zuschreibungen, indem die Arbitrarität genutzt wird, um Zuschreibungen vorzunehmen.
13) Handeln und Ich
Während im Daoismus Handeln und Nichthandeln einander nicht gegenübergestellt werden, sondern einander bedingen, ist dies im Deutschen Idealismus nicht der Fall. Bei Fichte ist das Handeln gleich dem "Ich", denn das Ich setzt sich und stellt damit Sinn her. So ist möglicherweise auch Döblin zu verstehen: dieser Sinn, den er durch die Setzung erzeugt, ist er bereits Teil der Kultur oder dieser vorgängig? Oder ist er in gewisser Weise "natürlich"? Das sogenannte Natürliche verschleiert oftmals seine Kulturabhängigkeit. Im Daoismus ist Schwäche in der Stärke miteingeschlossen: die Infragestellung der gesellschaftlichen Verantwortung des Menschen wird bei Döblin anders gewendet: in die geschichtliche Verantwortung des Menschen, sein Handeln muss Konsequenzen haben. Warum haben sozialistische Autoren ein so starkes Interesse am Daoismus, obwohl er doch eine gewisse Handlungsunfähigkeit zum Ziel setzt? Die marxistischen Auroren entkleiden den Daoismus konsequent seiner Passivität. Ein Grund könnte sein, dass für diese Autoren Passivität gleichzusetzen ist mit Antimetaphysik? Auf diese Weise ließe sich der Passivität etwas Positives abgewinnen.
14) Der Weg nach Innen
Welt und Ich werden bei Döblin und den Daoisten unterschiedlich verhandelt. Bei den Daoisten gibt es kein Ich-Ego: das Ich ist ausschließlich durch die Selbstreflexion charakterisiert (und damit nicht der Rede wert). Das daoistische Weltmodell besteht aus "Mitte" und "Außenbezirk": dabei bildet das Ich-Ego nicht den Mittelpunkt, sondern ist im Außenbezirk lokalisiert. Die innere Mitte ist egofrei, wo die "Ablenkungen durch die Außenwelt" verworfen werden und man damit "in einen Raum höherer Dimension [gelangt], der sich nach Höhe und Tiefe ins Unendliche verliert" [5]. Um zur transzendentalen Vereinigung mit dem Dao zu gelangen, muss das Ich aufgegeben werden, weil es der Außenwelt angehört und somit voller Gegensätze
ist, die überwunden werden müssen. Zur Wahrheit gelangt man nur, wenn man eine Position jenseits der Gegensätze einnimmt. Zugang zum Verständnis von Mensch und Natur erhält man erst, wenn man sich vom äußeren Geschehen absondert und das persönliche Ich ablegt. Erst der Weg nach Innen ermöglicht Erleuchtung. Um sich vom Ich zu befreien, muss man entweder über das Äußere gehen, aslo ein Leben ohne Begierden leben oder aus der Welt gehen, indem man den Weg des Dao geht.
15) Der Weg zum Sinn
In einer Fichteanischen Lesart kann der Urgrund nicht der Sinn und das Ich sein, wie es der Daoismus annimmt. Dennoch: könnte es auf einer höheren Ebene eine Übewindung und Versöhnung der Gegensätze kommen. "Das Wort kann sich nicht im Sinn erschöpfen, aber es führt zum Sinn" [5; S. 62]. Ließe sich das Dao so interpretieren, dass es zum Sinn führt, also zu dem, was es selbst sein soll? Es ist nicht dieser Sinn, es ist die unendliche Bewegung, dorthin zu führen, die sich nie erschöpft und nie zum Ziel gelangt: das Dao ist das Ganze, das zu erreichen die menschliche Aufgabe ist. Diese Aufgabe bleibt unerreichbar. Auf dieser Ebene werden die Gegensätze zwischen Döblin und den Daoisten überbrückt und versöhnt. Es kann nur einen Weg zum Sinn geben und dieser heißt Dao. Indem der Mensch es auf sich nimmt, diesen Weg des Erlebnisses des Dao zu gehen, verwirklicht er das De. Indem er so Konkretes mit Abstraktem versöhnt, wird auf einer höheren Ebene Harmonie erzeugt, die dem Dao am nächsten kommt. Dieses ist ein Zu-sich-selbst-Kommen. Die Kreisbewegung ist zwar im Daoismus nicht vorgesehen, steht ihm aber auch nicht konträr gegenüber, da die Selbstreflexion im Daoismus eine Schlüsselstellung einnimmt. Indem wir mit Fichte annehmen, dass der Mensch sich selbst durch ein Ich setzt, dann bezeichnet der Weg eine Rückwärtsbewegung, ein ewiges Auf-sich-selbst-Bezugnehmen. Diese Kreisbewegung sieht dem Daoismus ähnlich, der ja vom Außenbezirk zum Ich zurückfindet. Erst die Bewegung nach Innen ermöglicht den Bezug auf ein Ich, das aber nicht Fichteanisch gedacht ist, sondern jenseits eines zentrierten Egos. Setzen und Auflösen des Ichs - beides ein Weg, zu sich selbst zu kommen. Damit beschreiben beide unterschiedliche Wege, mit demselben Ziel: Ich-Vervollkommnung und Ich-Einholen, ein Zurückkehren zum Ich (ob zentriert oder nicht). Hier ist es Sinn, dort ist es Bedeutung, um mit Frege zu sprechen. Frei nach Jorge Borges [1] sind es die Wege von Sinn und Bedeutung, die sich verzweigen.
References
1. Borges, Jorge. Fiktionen. Erzählungen 1939-1944. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag. 1992.
2. Fichte, Johann Gottlieb. Selbstverhältnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie. Stuttgart: Reclam. 1993.
3. Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 2012.
4. Kristeva, Julia. Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1978.
5. Ma, Jia. Döblin und China. Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens in seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". Frankfurt am Main [u.a.]: Lang. 1993.
Библиографический список
1. Borges, Jorge. Fiktionen. Erzählungen 1939-1944. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag. 1992.
2. Fichte, Johann Gottlieb. Selbstverhältnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie. Stuttgart: Reclam. 1993.
3. Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 2012.
4. Kristeva, Julia. Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1978.
5. Ma, Jia. Döblin und China. Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens in seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". Frankfurt am Main [u.a.]: Lang. 1993.