Научная статья на тему 'MEISTERWERK AN EMPATHIE BEI ALOIS HOTSCHNIG'

MEISTERWERK AN EMPATHIE BEI ALOIS HOTSCHNIG Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Текст научной работы на тему «MEISTERWERK AN EMPATHIE BEI ALOIS HOTSCHNIG»

ПРЕДСТАВЛЕНИЕ НАУЧНОЙ РАБОТЫ

MEISTERWERK AN EMPATHIE BEI ALOIS HOTSCHNIG

Холияров Лутфулла Ташкуватович, Узбекский государственный университет мировых языков, г. Ташкент, Узбекистан

E-mail: lutfullal972@mail.ru

Alois Hotschnig wurde am 3. Oktober 1959 in Berg im Drautal / Kärnten geboren. Er studierte Medizin, Germanistik und Anglistik in Innsbruck. Er schreibt Romane, Erzählungen und Theaterstücke. 1989 erschien die Erzählung Aus, für die Hotschnig den Förderpreis des Landes Kärnten erhielt, 1990 die Erzählung Eine Art Glück. 1992 wurde Alois Hotschnig beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt mit dem Preis des Landes Kärnten ausgezeichnet. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Seit 1989 freiberuflicher Schriftsteller.

Er lebt in Innsbruck / Tirol.

Hotschnigs Texte fordern Aufmerksamkeit, ja Hingabe, die eigenwillige Dynamik der Sprache zieht den Leser unwillkürlich und scheinbar wie selbstverständlich in ihren Bann. 1999 erhielt Alois Hotschnig das Robert-Musil-Stipendium, wenige Jahre vorher u. a. den Anna-Seghers-Preis für den Roman Leonardos Hände sowie den Preis des Landes Kärnten. Eine beachtliche Erfolgsserie. Fatalistisches weiß der in Innsbruck und Villach lebende Autor von der Literatur zu berichten: „Es gibt nichts Neues und nichts Neues an Auszusprechendem!" Und doch: Stets schafft er es, dieses Althergebrachte auf ganz persönliche Art neu aufzubereiten. Dem vorausgegangen ist der richtungweisende Schritt, zu sich selbst und seinem Weg zu stehen. Gefolgt sind eine sukzessive Aufbauarbeit und die Entwicklung einer eigenen Sprache. Dies gelang ihm über das Schreiben von Monologen. Nun wählt er für seine Handlungen Orte, wo viele Menschen zusammenkommen, um möglichst viele Sichtweisen aufzeigen und Themen ansprechen zu können, die viele Menschen betreffen.

Hotschnig versteht es dabei, sich derart in die unterschiedlichsten, komplexesten Charaktere hineinzufühlen, ja diese zu sein, dass seine Werke eine ungeheure Lebendigkeit erhalten. „Eine Art Glück" etwa ist ein Meisterwerk an Empathie. Wie ein Artist verbindet und verwebt er verschiedene Komponenten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben und zwingt dadurch, das Bewusstsein zu weiten. So schildert er alteingesessene gesellschaftliche Muster, die zwar einengen, an

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denen aber scheinbar trotzdem niemand rütteln darf. Und das in einer mutigen, in einer neuen Sprache, die sonst im Alltag nicht anzutreffen ist („Provinzialismus spielt sich im Kopf ab").

Hauptaugenmerk legt Alois Hotschnig auf den „unaufgewachten" Massenmenschen, der sich - oft krank, in sich gefangen und voller Angst - dem Schicksal ausgeliefert fühlt. Er wählt bewusst winzigste Details aus einem Geschehen, um diese zu analysieren. Den Blick auf das Umfeld lässt er dennoch offen. Er ist wie ein Arzt, der sich mit den Krankheitssymptomen der Menschen beschäftigt und deren oft hilflosen Umgang damit düster aber präzise darlegt. „Aus meiner Sicht sind die Texte so, dass sie nicht ins Dunkel führen sollen," meint Alois Hotschnig dazu. Und tatsächlich vermag die ausgereifte Schönheit seiner Sprache auch hier wieder den etwas mildernden Gegenpol abzugeben.

Aufgewachsen ist Alois Hotschnig in Oberdrauburg sowie Berg in Kärnten. Die Literatur war für ihn zuerst wie ein rotes Tuch. Erst bei Max Frisch hat er entdeckt, dass das, was dieser schreibt, ja etwas mit ihm zu tun hat - und damit war der Weg gebahnt. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Medizin hat er sich endgültig fürs Schreiben entschieden und seine eigene Welt konstruiert, denn: „Wenn man im Hauptberuf den Gesetzen anderer nachgibt, ist es fatal!" Und welche Vision verfolgt der Autor für die Zukunft? „Mir selber gerecht zu werden. Das Buch zu schreiben, jeweils, das nur ich für mich schreiben kann!" Alois Hotschnig, ein Artist auf der Ebene der Polarität und gerade dabei, weitere Ebenen zu entdecken und neues Terrain zu erschließen [1].

Die große Kunst von Alois Hotschnig besteht darin, seine Leser mit unwiderstehlicher Macht zu teilnehmenden Beobachtern zu machen und sie hinter scheinbar alltäglichen Vorgängen das Besondere sehen zu lassen.

Ludwigs Zimmer ist ein Roman über die Abwesenheit. Über den Rückzug, das Verschwindenwollen, Sich-Vergraben. Über das Auf-der-Welt-sein, das nicht bedeutet, in ihr zu sein, sondern irgendwie einfach nur da zu sein-ein Zuschauer des Schauspiels, das die anderes aufführen. Alois Hotschnigs zweiter Roman handelt von einem großen Unbehagen oder genauer: von der Abarbeitung dieses Gefühls, der allmählichen Verortung eines Schmerzes.

Kurt Weber erbt ein Haus, ein Haus am Ossiacher See. Von Anfang an ist er sich klar, dass er diese Erbschaft nicht hätte antreten sollen. Er weiß, dass sie ihn in Familienverhältnissen verstricken wird, die er einst hinter sich gelassen hat. Als ob eine längst durchtrennte Nabelschnur wieder anwüchse, bindet ihn das Haus an die Erdstenz von Menschen, die er sich niemals freiwillig ausgesucht hätte. Zänkisch umkreisen die Nachbarn das Haus, in dem vor kurzem die Tante gestorben ist, argwöhnisch versucht man dem neuen „Herrn Besitzer" klar zu machen, wer hier welche Rechte hat, und dass man nichts so wenig schätzt wie Veränderung. Da bleibt nur der Rückzug. Kurt Weber versteckt sich: nun nicht mehr nur vor seinem früheren Leben, sondern auch vor den Bewohnern Landskrons: „Endlich allein mit mir selbst, das war arg genug, und so wünschte ich es".

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Dann aber kommt schleichend, fast unmerklich die Veränderung. Zwei Menschen gelingt es, zu ihm durchzudringen, den Kokon immer wieder aufzuweichen, ganz allmählich, mit kleinen Tropfen der Säure Erinnerung.

Da klopft eines Nachts eine alte Frau an die Tür. Sie habe einmal hier gelebt und wolle nun zurück in dis Haus. Sie freundlich und bestimmt, und vor allem findet sie den richtigen Satt, um das Haus und seinen Bewohner zu öffnen. Er habe „schließlich keine Schuld, von Anfang an nicht. Das war mir neu und interessierte mich sehr, woran hatte ich keine Schuld, es war das erste Mal immerhin, dass ich an etwas nicht schuld war von vornherein." Die Frau kommt und geht wie sie will, und der Erzähler überlässt ihr mit großer Selbstverständlichkeit ein Zimmer.

Und da ist der Herr Gärtner, ein kranker Nachbar, der ihn mit einem Zettel zu sich ans Bett zitiert. Er grantelt in gut Thomas-Bernhardscher Manier, zieht über die Menschen her, über die Welt, die ganze Schöpfung und die Krankheit Tod, auf die alle, ein ganzes Leben lang zusteuern. In Kurt findet er zum ersten Mal einen Zuhörer, der es mit ihm aufnehmen kann. Und so lässt er plötzlich mehr heraus, macht ihn zum Zeugen seiner Schuld. Sein Freund Georg und er haben während des Nationalsozialismus einen Menschen getötet. Auch Georg, Karls Onkel, wollte sich eines Tages dem Neffen anvertrauen. Der Tod kam ihm zuvor.

Alois Hotschnig spinnt seinen Protagonisten förmlich ein in die Geschichten der anderen. Eine mehrfach wiederholte Bewegung des Verpuppens und Entpuppens treibt den Roman voran und stellt ihn zugleich still. Dieser qualvolle Stillstand ist fast körperlich spürbar. Er gleicht sich jenem Zustand au, den Freud als Todestrieb charakterisiert hat (also die Annahme, es müsse eine Triebkraft geben, die das Lebende zu seinem Ausgangszustand zurückzieht, zur absoluten Ruhe des Anorganischen). Karl, der aus seiner Geschichte heraus wollte, ohne in eine andere einzutauchen, gerät in ein Netz aus Schuld und Versagen, wird gleichsam, eingespeichelt und frei geleckt, immer wieder. Seine Träume sprechen Bände, Angstträume und Hoffnungsträume, auf der Suche nach einer Heimat, die es nie gab: Kindheit.

Es treibt ihn zurück zu den Eltern, um mehr zu erfahren von der unheimlichen Geschichte, die mit dem Haus verbunden ist, das ihm nun gehört. Und nach und nach setzt sich das Mosaik zusammen. Herr Gärtner und jene alte Frau namens Inge gehörten einmal zum gleichen Freundeskreis, dem auch Anna und Georg sowie Paul und jener Ludwig angehörten, dem der Roman seinen Titel verdankt. Ludwig und Inge waren ein Paar, beide im Widerstand aktiv, die anderen Nazis. Immerhin versteckte man Ludwig in einer Kammer des Hauses. Georg wollte das Freundespaar anscheinend nur warnen, als er den Spitzel ins Haus holte. Der aber fand das Versteck, denn Inge besuchte den Freund ausgerechnet an diesem Tag. So wurden alle schuldig. Ludwig kam ins KZ Mauthausen. Obwohl er überlebte, nahm er nie wieder Kontakt zu den anderen auf.

Ludwigs Zimmer hat es in sich. Der Roman ist überaus genau und zugleich wortkarg gearbeitet. Tod und Schuld sind die großen Themen Hotschnigs, der zu den

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besten Autoren seiner Generation gehört. Sein Werk, das thematische und stilistische Verbindungslinien zu Kafka, Bernhard, Bachmann und Haushafer pflegt, ist schmal und konsequent [2].

Das Beeindruckende der Erzählweise Hotschnigs liegt darin, dass bei der „äußeren Wahrheit" geblieben wird, dass das Phantastische, das über die so genannte Realität Hinausgehende nur in der Lust des Erzählers liegt, genau zu sein, Lupe und Zeitlupe einzusetzen und dabei das eine oder andere Mal eine Zuspitzung zu wagen. Großartig sind jene Texte, die bei Letzterem nicht zu weit gehen, die nicht zu weit von jenem schmalen Grat abweichen, der die bloße Wahrnehmung mit der inneren Schraube verknüpft. Die Sprache entspricht dem Verfahren, sie ist so präzise, wie Sprache nur sein kann, doch ist sie nicht kühl, auch nie manieriert, sie kreist nicht in sich, sondern steht dem zu Erzählenden zur Verfügung.

Wunderbar ist zum Beispiel ein Text („Morgens, mittags, abends"), in dem einer durch die Straßen geht, um einen Arzt aufzusuchen und das dabei Registrierte aufzeichnet, den gewöhnlichsten Dingen durch genaues Hinsehen zu Recht verhilft. Der Arztbesuch kommt zunächst so beiläufig daher wie nur was, er ist nur der Anlass zum Gehen und darum nicht wichtig. Tabletten gegen Halsweh werden abgeholt, und nun geht es den gleichen Weg wieder zurück, nun werden die (durch die vergangene Zeit logisch folgernden) Verschiebungen des zuvor Wahrgenommenen protokolliert. In diesen Verschiebungen oder, so könnte man auch sagen, Entwicklungen liegt die Spannung in der (nicht ausgesprochenen) Erkenntnis: alles ist noch da, aber schon hat es sich verändert. Am Ende eine Überraschung: Der beiläufige Anlass für den Spaziergang rückt plötzlich in den Mittelpunkt, der Arztbesuch wird durch ein nur angedeutetes, späteres Ereignis doch noch ganz wichtig. Drei Kreuze hat der Arzt auf die Medikamenten-Packung für die empfohlene Einnahme (morgens, mittags, abends) gekritzelt. Und dann stirbt er bei einem Autounfall, seine Mutter und seine Frau saßen bei ihm im Wagen.

So ist es, das Leben, doch ohne Alois Hotschnig hätten wir es so nicht gesehen. Nicht so magisch, nicht so verstrickt, nicht so ausgesetzt, nicht so sehr dem Unbegreiflichen unterworfen, gleichzeitig in allem auch nicht so liebens - und lebenswert. Denn in der Unterschicht liegen die eigentlichen Beweggründe.

Überall in Hotschnigs neuen Erzählungen lauern unter der Alltäglichkeit unbegreifliche Unruhe, untergründige Bedrohung, Aufruhr und Frage - der Erzähler schiebt den Schleier zur Seite, manchmal benennt er die Unrast, doch nie wertet er sie. In der Irritation scheint der Motor für die Veränderung zu liegen, nach der das Lebendige immer strebt. Beruhigen lässt sich da nichts. Und so ist auch die Titelerzählung vielleicht zu verstehen: Was die Kinder, die noch unmittelbarer fühlen, nicht beruhigt, das sollte auch den Lebensgewohnten nicht beruhigen. Geht man direkt auf die Beunruhigung zu, so zeigt uns die Titelgeschichte, geht man sogar geradewegs in die Beunruhigung hinein und lässt sich auf sie ein, so erfährt man etwas über sich, so lässt man Entwicklung zu und lebt darum intensiv [3].

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Bei Die Kinder beruhigte das nicht handelt es sich um eine Sammlung von zumeist kurzen Prosastücken, die plötzlich einsetzen, zumeist ebenso plötzlich wieder abbrechen, und in der Regel von unspektakulären Alltäglichkeiten handeln.

Fast könnte man von „short stories" nach dem Vorbild der angloamerikanischen Literatur sprechen, gäbe es da nicht überraschende Elemente und Wendungen, mit denen Hotschnig die Verbindlichkeiten realistischen Erzählens aufbricht: Eine Familie wartet jahrelang auf einen mysteriösen Verwandten, der seinen Besuch zwar ankündigt, dann aber wie Godot nie erscheint, während in einer anderen Geschichte der Ich-Erzähler in der Puppensammlung einer alten Dame Unheimlicherweise eine Puppe findet, in der er sich selbst erkennt.

Mustergültig für Hotschnigs Technik der Verrückung des Realismus ist der letzte Text, in der dem Erzähler in quasi-schizophrener Weise seine Identität immer dann entgleitet, wenn er glaubt, sie gefunden zu haben.

Die Kinder beruhigte das nicht ist ein Band mit Erzählungen, den man am ehesten mit einem wunderlichen Fotoalbum vergleichen kann, das dem Betrachter Bilder zeigt, die vertraut wirken - und es dennoch nicht sind. Das macht die Faszination dieser neun Prosavignetten aus, die am Ende zu erneuter Lektüre einladen, will man ihrem Geheimnis auf die Spur kommen.

Ob solches Verlangen jedoch in einem aufkommt, ist freilich eine andere Frage. Denn in der Fragilität der kurzen Prosastücke steckt auch einiges an literarischer Fingerübung, und nur wenig an ästhetischem Gewicht. Hotschnig verbindet auf durchaus stimmige Weise kafkaeske Elemente und surrealistische oder expressionistische Einflüsse mit der Form der Kurzgeschichte [4].

Alois Hotschnigs Embleme des Unheimlichen entstammen einem scheinbar harmlosen Milieu. Ein sommerliches Seegrundstück mit Steg und Liegestühlen genügt, um die Einbildung in Gang zu bringen. Im Text „Dieselbe Stille, dasselbe Geschrei" beobachtet der Erzähler die Nachbarn, die tagaus, tagein unbeweglich am Wasser liegen. Schweigend schaut das ältere Paar in die Landschaft. Ein Kind vergnügt sich im See, sonst geschieht nahezu nichts. Doch aus der Neugier wird eine Obsession. Jede Regung in dieser düster dräuenden Ereignislosigkeit wird penibel verzeichnet, und die Erzählung gewinnt daraus beträchtliche Spannung. „Ruhe hatte ich gesucht und Distanz, und diese Ruhe fand ich hier vor, und diese Ruhe tat gut. Und sie war schrecklich, denn ich war nicht daran gewöhnt, merkte ich, und so kehrte sie sich gegen mich in Gestalt dieser Menschen, die in Wahrheit doch auch nur in Ruhe und Frieden gelassen werden wollten wie ich."

Das Tableau mit dem Titel „Dieselbe Stille, dasselbe Geschrei" ist der Höhepunkt in Alois Hotschnigs Prosaband. Seine poetische Ruhe, in der die Wellen des Sees ans Ufer schwappen und dicke Fliegen durch die heißen Tage brummen, macht die entleerte Absurdität dieser Sommertage erst spürbar. Nur wenige Seiten braucht der österreichische Schriftsteller, um zu zeigen, was Literatur kann, wenn sie es denn kann.

Wer sich von Trugbildern verfolgt fühlt, der findet die rationalsten Wege, um das Irrationale zu verwalten. Und weil Alois Hotschnig diesen klandestinen

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Zusammenhang nicht zerredet, hat auch seine Sprache eine äußerst wirksame Ökonomie. Mit seinen lakonischen, jedes Detail verzeichnenden Sätzen lenkt Alois Hotschnig den Blick. In seinem Zentrum werden die Dinge des Alltags monströs. Das Schilf am See oder die Risse einer Mauer verlieren ihr beruhigend Vertrautes. Alois Hotschnigs Prosa lebt von virtuos eingesetzten Kippeffekten. Das Ferne wird bedrohlich nah, und man wird sich selbst fremd. Was man ist, oder je zu sein glaubte, lässt sich nicht mehr sagen. Am Ende bleibt das Türschild mit einem Namen. Die Möbel, in denen die, Figur des Textes „Der Anfang von etwas" wohnt, sind mit Laken verhängt. Das Leben ist aus dem Zimmer entwichen.

Etwas weniger surreal geht es in einem anderen Prosastück zu. Da gibt es einen Onkel namens Walter, auf den die Familie seit Jahrzehnten wartet und der dennoch niemals kommt. Walter ist ein Godot zäher Sonntagnachmittage, eine Leerstelle der Verwandtschaft, gefüllt mit Projektionen. „Er lässt uns grüssen: Für jeden von uns hat er ein gutes Wort. Er verspricht, bei der nächsten Begegnung mit dabei sein zu wollen, und er freut sich darauf, uns kennen zu lernen, jeden von uns, wie es heißt [8]". Da will zum Beispiel Karl Freunde besuchen, aber landet bei deren Nachbarin, weil sie ihn, so meint er zunächst, verwechselt hat. Sie lädt ihn in ihr Heim ein. „Sie hielt eine Puppe im Arm, wie ein Kind, damit ging sie auf mich zu und nahm mich an der Hand und sah mir verlegen und nicht ohne Stolz in die Augen, dann führte sie mich zum Sofa, auf das sie sich setzte, und bat mich, dasselbe zu tun. Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber und wusste nicht, wie ich jemals wieder wegkommen sollte von dort. Das ist Karl, sagte sie und fuhr der Puppe behutsam durchs Haar, und unwillkürlich strich ich mir mit derselben Bewegung die Haare aus der Stirn."

Die alte Dame hat aber nicht nur eine Karl-Puppe, sie beherbergt ganze Puppenregimenter. Elly befindet sich da, und Gerda, und Anny, und noch viele andere in unterschiedlichen Erhaltungszuständen. In diesem Falle erzählt Karl die Geschichte der Puppenfee, soweit er sie miterlebt. Irgendwann beginnt er dann, mit den Puppen, ihren Kindern, wie die Nachbarin sie nennt zu verschmelzen.

„Eine Tür geht dann auf und fällt zu" ist nur eine von neun Kurzgeschichten aus Alois Hotschnigs Sammlung Die Kinder beruhigte das nicht. Allen gemeinsam ist ein verstörender Grundton, ein leichtes Abdriften ins Irreale. Aus scheinbar Alltäglichem entwickelt Hotschnig hier Situationen, die seine Protagonisten, aber auch den Leser in Unruhe versetzen. Es wird nie ganz klar, ob sich die Welt in Verwerfungen wieder findet oder ob die Helden seiner Schilderungen den Verstand verlieren [9].

Literatur:

1. URL: http://www.tour-literatur.de/Autoren_texte/hotschnig.htm

2. Fessmann, Meike: Suche nach einer Heimat, die es nie gab. In Alois Hotschnigs zweitem Roman „Ludwigs Zimmer" erbt der Protagonist Kurt Weber ein Haus mit schwerer Hypothek. München: Süddeutsche Zeitung 23 Dez. 2000, Beil. S. IV.

3. URL: http://www.uibk.ac.at/brenner-archiv/literatur/tirol/rez_06/ wimmer diekind.html

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4. Schütte, Uwe: Die verrückten Kinder. Neue Erzählungen von Alois Hotschnig. Wien: Wiener Zeitung 18 März 2006, Beil. Extra, S. 9.

5. Grohotolsky, Ernst: Mit avanciertem Kunstanspruch erzählen In: Stolz: S. 305-316.

6. Holiyarov, Lutfulla u.a.: Einblicke in die österreichische Literatur nach 1945. Taschkent: Verlag San'at 2004, 152 S.

7. Holiyarov, Lutfulla: Österreichische Literatur der Gegenwart. Taschkent. Verlag „Fan Technologie" 2007, 400 S.

8. Jandl, Paul: Misstraue der Idylle. Alois Hotschnigs glasklare Prosa „Die Kinder beruhigte das nicht". Zürich: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Zeitung 19 Apr. 2006, S. 27.

9. Lhotzky, Martin: Das Regiment der Puppen. Drift ins Irreale: Erzählungen des Österreichers Alois Hotschnig. Frankfurt/M: Frankfurter Allgemeine Zeitung 27 Feb. 2006, S. 38.

10. Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990. Salzburg, Wien: Residenz 1995, S. 532.

11. Schmidt-Dengler, Wendelin: Einige Bemerkungen zu Robert Menasse. In: Arbeiter Zeitung, 19.05.1990, S.40.

12. Schwab, Werner: endlich tot endlich keine Luft mehr. Graz: Literaturverlag Droschl 1994, S. 83.

13. Wille, Franz: Kein Akt ohne Nachspiel. Bemerkungen zur vergangenen Spielzeit. In: Theater heute. Sonderheft (1992), S.85.

14. Zeyringer, Klaus: Österreichische Literatur seit 1945. Innsbruck: Haymon, 2001, S. 201-202; 485-488; und 489-490.

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