ЛОЗУНГОВЫЙ АРСЕНАЛ ГЕРМАНИИ ХХ - НАЧАЛА ХХ1 в. АКТИВИЗАЦИЯ МОЛОДЕЖНОГО СЛЕНГА
LOSUNGEN UND BILDLOSUNGEN ALS TRÄGER EINES AKTUELLEN DISKURSES IN DER DEUTSCHEN ÖFFENTLICHKEIT 2015
Грайфсвальдский университет им. Эрнста Морица Арндта, Грайфсвальд,
jmbecker@uni-greifswald.de
Аннотация. В 2015 г. одна тема стала особенно актуальной, доминирующей в немецких СМИ и в личных и общественных беседах. Речь шла о прибытии людей из зон военных конфликтов, особенно с Ближнего Востока, и об отношении к людям, которые искали помощи и защиты в Германии. Все говорили о так называемой культуре гостеприимства, это было ключевое слово дискурса, которое маркировало как положительным, так и отрицательно-ироническим способом официальную немецкую политику иммиграции того времени. Для сопоставительного анализа автор статьи сделал выборку лозунгов и плакатов из интернет-ресурсов и телевизионных передач. Они отражают поддержку немецкой культуры гостеприимства 2015-го года или ее отрицание. В результате анализа можно обнаружить, что, несмотря на идеологическое содержание, носители лозунгов -положительных или отрицательных - употребляли одни и те же структуры и стратегии при формировании агитационных текстов. Лозунг - это особенная языковая единица, цель которой - политическое обращение к адресату. При помощи определенных стратегий можно создать удачный лозунг независимо от его идеологического содержания. Такими стратегиями являются прямое обращение к адресату, патетический стиль, экспрессия, генерализирование, распространение сведений о негативных фактах или преувеличение их опасности, применение хорошо знакомых моделей политических лозунгов, популярных цитат и устойчивых оборотов, игра слов и креативное изменение знакомых лозунгов, цитат или оборотов.
Бэккер Йорн-Мартин - доктор философии, сотрудник кафедры славянского языкознания университета им. Эрнста Морица Арндта. E-mail: jmbecker@uni-greifswald.de.
© IA RAS, NMSTU, JHPCS, 2016 | DOI 10.18503/1992-0431-2016-3-53-103-112
Problemy istorii, filologii, kul'tury 3 (2016), 103-112 © The Author(s) 2016
Проблемы истории, филологии, культуры 3 (2016), 103-112 ©Автор(ы) 2016
J.M. Becker
Ключевые слова: лозунг, плакат, политический дискурс, политическая лексика, устойчивый оборот, цитата, пословица, Willkommenskultur (культура гостеприимства)
Einleitung
Seit 2015 diskutiert die deutsche Politik und Gesellschaftler die Frage des Umgangs mit der Ankunft von Menschen, die in Deutschland Schutz und Hilfe suchen. Im Zentrum des Diskurses stehen die Flüchtenden aus Kriegs- und Krisengebieten des Vorderen Orients.Dabei wurde in sowohl positiver als auch negativ-ironischer Weise offizielle Politik und dienichtstaatliche Hilfe von Deutschen und deutschen Organisationen mit dem Schlagwort Willkommenskultur in Deutschland etikettiert. Dieses Wort, entnommen aus dem terminologischen Schatz der deutschen Behörden, wurde bereits Ende 2014 in die Liste des „Wortes des Jahres" der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gewählt. Die Begründung für die Wahl auf den sechsten Platz war, dass mit dem Wort etwas gefordert wird, das aber „noch nicht hinreichend vorhanden ist", und dass mit diesem Schlagwort sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden sind, „von der Bereitschaft, Flüchtlinge bedingungslos aufzunehmen bis hin zur Forderung nach bedingungsloser Integration"1.
Am 4. September 2015 entschied die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, in Absprache mit den Regierungschefs von Österreich und Ungarn, den an der österreichisch-ungarischen Grenze und in Budapest festsitzenden Flüchtlingen vor allem aus Syrien und Afghanistan die Einreise nach Deutschland ohne Registrierung durch Ungarn und damit entgegen dem Dublin-Abkommen zu gestatten. Aufgrund dieser Entscheidung bildete sich ein heftiger in den Medien ausgetragener Diskurs. Insbesondere in den neuen Medien des Internets, aber auch auf der Straße bildeten zwei große entgegengesetzte Meinungsgruppen, die mit verbalen und nonverbalen Argumenten die Auseinandersetzung suchten. In dieser Auseinandersetzung erhielten neue politische Bewegungen, wie PEGIDA und deren regionale Ableger, z.B. KÖGIDA (Köln), LEGIDA (Leipzig), Bärgida (Berlin), Bagida (Bayern), Direkte Demokratie für Europa (DDfE) in Dresden u.v.a., Zulauf aus allen Schichten der Bevölkerung. Auf Demonstrationen auf der Straße und in Diskussionsforen im Netz verwendeten sie, aber auch Diskursgegner und Diskursbeobachter bestimmte Bilder, Symbole, Schlagwörter und Losungen, um in verkürzter, aber besonders eindringlicher Form die Meinung zu äußern und zu verbreiten. Das Internet hat sich in den letzten zwanzig Jahren als ein moderner und häufig genutzter Ort der Meinungsäußerung entwickelt. Hier funktionieren Internetzeitungen und Internet-Diskussionsforen, aber auch private Internetseiten sowie Filme und Filmausschnitte aus Fernsehen und Kino als Orte der politischen Auseinandersetzung.
Anhand von Losungen und Bildlosungen aus demInternet und aus Fernsehprogrammendes Jahres 2015, die das Für und Wider in den Meinungsäußerungen zur deutschen Willkommenskultur wiedergeben, soll dieser Diskurs im folgenden Beitrag analysiert werden. Als Quelle habe ich Texte und Fotos aus Internetzeitungen und den dazugehörigen Foren wie von BILD2, FOCUS3, Global Message eXchange
1 http://gfds.de/wort-des-jahres-2014/, zur Kategorie des „Unwort des Jahres" aus linguistischer Perspektive vgl. auch Becker 2005, 375f.
2 http://www.bild.de.
3 http://www.focus.de.
(GMX)4, Spiegel Online (SPON)5, Yahoo! (YAHOO)6, ZEIT ONLINE (ZEIT)7, parteinahe Internetseiten von Personen der politischen Öffentlichkeit wie Tatjana Festerling8, aber auch Bilder aus TV-Beiträgen, wie von ARD, WDR und ZDF verwendet. Diese Beispiele wurden auf ihre sprachliche Struktur, den Inhalt sowie bestimmte Diskurs-Strategien hin analysiert.Im Ergebnis wurden hierbei formale und inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen den Losungen der Befürworter und denen der Gegner der Willkommenskultur herausgearbeitet. Für diesen Zweck habe ich die Losungen gegen eine Willkommenskultur und die Losungen für eine Willkommenskultur unterschiedlich gekennzeichnet.
Strukturell unterscheiden sich die Beispiele zunächst in verbale und nonverbale Losungen, wobei es auch verbale Losungen gibt, die mit Symbolen arbeiten Merkel 9, i V immigration 10, und Symbole, die mit sprachlichen Äußerungen verbunden sind, wie die Darstellung eines Ortseingangsschildes mit der Aufschrift Refugeeswelcome 11. In meiner Sammlung befinden sich sowohl reine Bildlosungen auf Plakaten mit einfachen Symbolen wie zum Beispiel Bilder von Politikern in einem Verbotsschild (durchgestrichenes Bild von Angela Merkel)12 als auch reine Textlosungen wie Merkel muss weg 13 sowie Textausschnitte aus journalistischen Beiträgen und Kommentaren, die mit Losungen arbeiten, wie Mehr Schweiger, weniger Seehofer 14. Hier wird ein populärer Schauspieler als Vertreter der Seite für mehr Willkommenskultur einem Politiker als Vertreter der Gegenansicht gegenübergestellt.
Verbale Losungen lassen sich einteilen in Ein-Wort-Losungen wie Asylmafia 15 oder Liebe 16, Wortgruppen-Losungen wie Wahrheit statt Lügenpresse 17 oder Herz statt Hetze 18, Satz-Losungen wie Sachsen bleibt deutsch 19 oder kein mensch ist illegal 20 sowie Text-Losungen, die aus mehreren Sätzen bestehen wie US-Bomben auf Afrika und wir machen Willkommenskultur?! Bestraft die Verbrecher 21 oder Wir sind das Volk. N'Scheiss seid ihr! 22. Eine besondere Art der Losungen sind die Namen-Losungen bzw. deonymisierte Losungen wie z.B. PEGIDA auf einem Demonstrationsschild23. Sowohl die Wörter als auch die Wortgruppen und Sätze haben, wenn sie als Losung funktionieren, häufig die grammatische Form der Aufforderung, und als Signale werden
4 http://www.gmx.net.
5 http://www.spiegel.de.
6 https://de.yahoo.com.
7 http://www.zeit.de.
8 http://www.tatjanafesterling.de.
9 SPON 22.10.2015.
10 ZEIT 06.01.2015.
11 SPON 20.10.2015.
12 SPON 12.11.2015, Foto.
13 SPON 13.10.2015, Foto.
14 SPON 22.07.2015, Lobo, Kolumne.
15 SPON 13.10.2015, Foto.
16 GMX 20.10.2015, Foto.
17 SPON 23.12.2015, Foto.
18 ARD 20.10.2015, TV-Beitrag.
19 SPON 06.01.2015, Foto.
20 SPON 24.07.2015, Foto, Künstlergruppe „Dies irae"
21 SPON 22.10.2015, Foto.
22 GMX 20.10.2015, Foto.
23 SPON 28.07.2015, Foto.
Verben im Imperativ, Ausrufezeichen oder die besonders beliebten Code-Wörter „(an) statt" oder „kein" verwendet: Sorgen von Bundesbürgern ernst nehmen anstatt zu stigmatisieren 24, Kein Veedel für Rassimus 25.
Unter den verbalen Losungen befinden sich außerdem auffällig viele feste Wendungen wie [Das Leben ist ein] geben und nehmen 26 und aus der Vergangenheit lernen 27, geflügelte Worte wie Das Boot ist voll! 28, Dem Volk aufs Maul schauen ist gut, ihm nach dem Mund reden ist falsch 29, Zitate wie Der Schoß ist fruchtbar noch... [aus dem dies kroch]30 oder Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen (Heinrich Heine) 31 und bearbeitete Sprichwörter/Parömien wie Wer den deutschen Herbst verschläft wird im arabischen Frühling erwachen 32.
Losungen funktionieren besonders gut mit politischen und ideologischen Schlag- bzw. Schlüsselwörtern (Ideologismen)33. Hierbei kann unterschieden werden zwischen so genannten Fahnenwörtern als Symbolwörter der Identifikation34 wie Einwanderungsquote in der Losung Einwanderungsquote durch Volksentscheid (Ja oder Nein) 35 und Refugee in der Losung Refugeeswelcome 36 und Stigmawörtern als Symbolwörter der Diskreditierung wie Lügenpresse in der Losung Lügenpresse. (Halt die Fresse) 37 und Rassisten in der Losung Licht aus für Rassisten 38. Diese Losung wurde Anfang 2015 aktuell, als die PEGIDA-Demonstrationen in den Großstädten Deutschlands immer häufiger wurden und immer mehr Zulauf erhielten und als Kommunen, Energieversorger und andere Institutionen begannen, in bestimmten Städten die Bestrahlung von Kirchen, Plätze und Brücken abzuschalten39.
Zudem gibt es auch Wörter, die als ideologische Leerformel40 im Diskurs sowohl als Fahnen- wie auch als Stigmawort verwendet werden können, z.B. der als Schlagwort verwendete Name PEGIDA in den Losungen Im Herzen Pegida 41 bzw. Tu was gegen Rechts! und PEGIDA-Versteher 42. Die Schlagwörter wie auch Bild-Symbole dienen vor allem auch der plakativen und direkten Kennzeichnung des ideologischen Hintergrunds einer Losung. Hinter einer Losung mit einem solchen Schlagwort können sich die Anhänger bestimmter Meinungen wie hinter Fahnen oder Standarten versammeln.
24 ZEIT 29.07.2015, Kommentar im Forum.
25 ZEIT 06.01.2015, Beitrag, Guldner, „Veedel" ist in Köln die Bezeichnung für ein Stadtviertel.
26 SPON 22.07.2015, Kommentar im Forum.
27 SPON 22.07.2015, Kommentar im Forum.
28 SPON 22.10.2016, Foto.
29 ZEIT 19.02.2015, Beitrag, Winkler.
30 SPON 22.07.2015, Kommentar im Forum.
31 SPON 22.10.2015, Foto.
32 SPON 13.10.2015, Foto.
33 Vgl. dazu auch Becker 2005, 375-376; Biermann, Haase 2013, 15; Niehr 2012, 241-256.
34 Zum Konzept der Fahnenwörter vgl. Panagl 1998.
35 SPON 28.08.2015, Foto.
36 SPON 24.07.2015, Foto.
37 SPON 12.01.2015, Beitrag, Skrobala.
38 SPON 06.01.2015, Foto.
39 http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/pegida-baergida-koegida-dresden-berlin-koeln.
40 Vgl. dazu Dieckmann (1975, 72 und 1967, 154).
41 www.tatjanafesterling.de, 09.11.2015, Foto.
42 SPON 09.11.2015, Foto.
Jedem politisch Bewanderten ist sofort klar, wer hier spricht, in welche politische Gruppe er gehört, was seine Meinung zum aktuellen Thema ist und wie er diese Meinung rüberbringt (emotional, expressiv oder pathetisch), da diese Lexik über die politischen Gruppierungenhinweg in der Sprachgemeinschaft bekannt sind. Im Diskurs über den Umgang mit der Ankunft von Menschen, die in Deutschland Schutz und Hilfe suchen, markieren Symbole und Schlagwörter vor allem die Meinungen und Meinungsträger für die Willkommenskultur wie etwa ein durchgestrichenes Hakenkreuz43 und Fremdenhass in der Losung Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass. Ihre Semperoper 44 oder gegen die Willkommenskultur wie die durchgestrichene Moschee auf einem Schild45 und die Schlagwörter Volksverräter oder Asylmissbrauch in der Losung Schluß mit Asylmißbrauch und Überfremdung! Wehrt euch 46.
Der Inhalt einer Losung ist eng mit dem Meinungsbild und dem ideologischen Hintergrund ihres Absenders und Adressaten verbunden, er entsteht in der Zuordnung der Losung zum sprachlichen und außersprachlichen Kontext des Diskurses. Die semantische Eigenschaft der politischen Lexik vieler Losungen ist im Wesentlichen die Vagheit, d.h. sie haben eine weitgespannte Bedeutung. Die Unschärfe der Bedeutung, ihre Abstraktheit und Komplexität machen sie attraktiv für die unterschiedlichsten Diskurse und Ideologien47. Manche Graffitis wie etwa Widerstand, Widerstand48 und Seid dagegen49, die nicht von Demonstrationen oder aus bestimmten Internet-Kontexten stammen, lassen sich ohne den Kontext nicht einordnen und der Inhalt erklärt sich dem Adressaten ohne Kontext nur unvollständig.
Zum Inhalt gehören auch die Konnotationen eines Wortes, das die Losung stilistisch färbt und somit Emotionalität und Expressivität transportiert. Es gibt gerade in der aktuellen Auseinandersetzung viele Losungen, die Schimpfwörter enthalten und somit beleidigend sind, wie Lügenpresse... Halt die Fresse, Politikerpack50, Alle zusammen gegen die Dummen51 oder Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall. Rassisten sind Arschlöcher. Überall52. Vor allem im Netz, in dem der Urheber einer Losung anonym bleiben kann, aber immer häufiger auch auf Straßendemonstrationen nehmen die beleidigenden und offen Hass verbreitenden Losungen zu. Neben diesen expressiven Losungen stehen Losungen in einem sehr literarischen Stil mit bildungssprachlichen oder archaischen Wörtern. Dazu gehören insbesondere die Zitate, etwa aus der Bibel wie Was du tust bedenke das Ende53 oder von deutschen Dichtern wie das Brecht-Zitat Der Schoß ist fruchtbar noch. [, aus dem dies kroch]. Diese Losungen transportieren nicht nur die Aussage zur Politik, sondern verweisen auch wie nebenbei auf die Bildung des Losungsträgers. Natürlich sind die Herkunft eines Zitates oder die Bedeutung vieler Wörter dem Empfänger nicht immer bekannt. Doch der hohe Stil der Sprache und die
43 SPON 20.10.2015, Foto.
44 SPON 20.10.2015, Foto.
45 SPON 13.10.2015, Foto.
46 ZDF 21.10.2015, TV-Beitrag.
47 Dieckmann 1975, 61-70; S. dazu auch Greiffenhagen 1980, 28-31.
48 SPON 20.10.2015, Beitrag.
49 SPON 22.07.2015, Beitrag, Lobo.
50 SPON 13.10.2015, Foto.
51 ZEIT 06.01.2015, Beitrag, Guldner.
52 SPON 24.07.2015, Foto, Künstlergruppe „Dies irae"
53 SPON 22.10.2015, Foto.
unbekannten Wörter wirken auf ihre Art anziehend auf diejenigen Menschen, die die Losung erreichen soll.
Um den Inhalt der Losung möglichst erfolgreich an den Adressaten zu bringen und um außer den Anhängern der eigenen politischen Meinung auch das Interesse und Zustimmung die in der gesamten Bevölkerung zu gewinnen, muss die Losung mit den Mitteln der Werbung verpackt sein. Hier haben sich in der Geschichte der öffentlichen politischen Diskurse bestimmte Strategien bewährt, die auch heute noch Anwendung finden und die auch die Bildung der Beispiellosungen aus dem Diskurs um die Flüchtlinge bestimmt haben. Auf die Mittel folgender Strategien wurde bei der Auswahl der Losungen von beiden Meinungsgruppen zurückgegriffen:
1. die direkte Ansprache des Adressaten,
2. die Verwendung einer pathetischen Wortwahl oder,
3. einer expressiven Wortwahl,
4. die Pauschalierung von Fakten,
5. die Verbreitung falscher Tatsachen oder Übertreibung,
6. die Verwendung von vertrauten Mustern politischer Losungen, von populären Zitaten und Wendungen,
7. das Wortspiel und die kreative Veränderung der Muster, Zitate und Wendungen.
Die direkte Ansprache wird durch Ausrufe und Aufforderungen gefördert und findet
sich in Losungen wie Tu was gegen Rechts! Und PEGIDA-Versteher und Schluss mit Lug und Trug! Mut zur Wahrheit!54. Insbesondere die Vielzahl der Ausrufezeichen in Losungen und der verwendeten Imperativformen verstärken die symbolische Lautstärke der Ansprache. Angesprochen werden die potenziellen und realen Anhänger aber nicht nur direkt, sondern auch über den Umweg der Ansprache an den politischen Gegner: Merkel gohome55 oder Hirn einschalten Rassismus ausschalten56.
Pathos wird mit den Losungen durch einen gehobenen Stil, wie in Dem deutschen Volke57 und Wehre(t) den Anfängen58, aber auch durch das Stilmittel der Übertreibung in der Wortwahl - durch die so genannte Hyperbel - wie in Überfremdung ist Völkermord59 und Grenzenlose Solidarität statt Nationalismus und rassistische Hetze!60 verbreitet. Das erste Beispiel zitiert die Aufschrift auf dem Deutschen Reichstag und verwendet veraltete grammatische Formen. Dem Urheber der Losung aber geht es hier darum, dass die Politik nur den ethnisch Deutschen dienen solle. Sehr pathetisch klingt auch das zweite Beispiel. Das Ovid-Zitat wurde vor allem nach dem zweiten Weltkrieg zu einem geflügelten Wort im deutschsprachigen politischen Diskurs.
Immer häufiger lässt sich auf den Losungen aller Parteien - sowohl im Netz wie auch auf Straßendemonstrationen - eine expressive, d.h. meist beleidigende und offen hetzende Wortwahl beobachten, wie in der Losung Stop Asylbetrüger! Jeder ist einer zuviel! Go home! Nowelcome! Abschieben! Schnauze voll61 oder in den Losungen Wir
54 SPON 22.10.2015, Foto.
55 GMX 21.10.2015, Foto.
56 SPON 24.07.2015, Foto, Künstlergruppe „Dies irae"
57 GMX 26.08.2015, Foto.
58 SPON 22.07.2015, Kommentar im Forum.
59 SPON 12.11.2015, Foto.
60 SPON 28.07.2015, Foto.
61 SPON 13.10.2016, Foto.
sind das Volk. N'Scheiss seid ihr!! und Ihr seid alle Moppelkotze62. Mittlerweile versucht der Staat auch mit rechtlichen Mitteln gegen verbale Gewalt vorzugehen, etwa in Fällen der offenen Gewaltandrohung wie in der Losung No Asyl OB Jung wir kriegen dich63 oder in der Losung Reserviert Siegmar „das Pack" Gabrielneben dem Symbol eines Galgens64. Während die eine Losung den Leipziger Oberbürgermeister Jung bedroht, spielt die andere Losung auf die Beschimpfung der Gegner der Willkommenskultur mit dem Ausdruck „Pack" durch den Bundesminister und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel an.
Die Aussagen, die durch die Losungen getroffen werden, sind oft generalisierend und lassen keinen Raum für die Kompliziertheit der Wirklichkeit. Sie bieten dementsprechend nur halbe oder oberflächliche Wahrheiten bzw. Allgemeinplätze statt Lösungen an. Vor allem Bildlosungen und die Verwendung von Symbolen wie durchgestrichene Hakenkreuze, Moscheen und Politikerinnen65 oder Politikerinnen mit dem islamischen Kopftuch66 lassen diese Eindimensionalität erkennen. Aber auch verbale Losungen wie Deutschland den Deutschen 67, Köln ist für alle und Köln - eine Heimat für jeden68, Dresden für alle69, Dresden ist nicht friedlich70, Gegen Medien-Hetze71, Verräterin72, Überfremdung73 oder Kartoffeln statt Döner74 machen pauschale Aussagen, die weder verifizierbar sind, noch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden sollen. Diese Pauschalisierungen stehen selbst als Symbol für ganz andere Aussagen wie etwa „Ich bin gegen die Flüchtlingspolitik" oder „Ich bin für die Flüchtlingspolitik".
Durch die oben angesprochene Übertreibung und die Generalisierung von Aussagen werden als Pseudoargumentationen in Losungsform offensichtlich falsche Tatsachen verbreitet. Diese Strategie, die eigene Meinung für oder gegen das Gewähren von Asyl, möglichst effektiv an die Adressaten zu bringen, nutzen ebenfalls beide Seiten der Auseinandersetzung. In der Losung Bundesregierung u[nd]. Justiz kriechen ISLAM in den A[rsch]75. wird suggeriert, der Staat fördere den Islam als Religion oder den Islamismus als militante Bewegung, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Asylflut stoppen76 und An Merkel und Co.! Wieviel ISIS und Terror stecken in 1.500.00 Schein-Asylanten77 malen das Bild der Überflutung Deutschlands mit Flüchtlingen und/oder Terroristen. Elisabeth Wehling schreibt dazu, dass die Debatte durch Schlagwörter einer Weltsicht dominiert wird, die Werte wie Eigeninteresse, Selbstdisziplin und Wettbewerb betont und Werte wie Empathie, Kooperation und Gemeinschaftssinn ablehnt. Durch
62 ZEIT 06.01.2015, Foto.
63 ARD 20.10.2016, TV-Beitrag.
64 SPON 13.10.2015, Foto.
65 SPON 12.11.2016, Foto: Angela Merkel.
66 SPON 22.10.2016, Foto: Angela Merkel
67 SPON 22.07.2015, Kommentar im Forum.
68 Beide ZEIT 06.01.2015, Beitrag, Guldner.
69 ARD 21.10.2015, TV-Beitrag.
70 SPON 22.08.2015, Foto, Graffiti.
71 SPON 12.11.2015, Foto.
72 SPON 27.08.2015, Foto.
73 SPON 12.01.2015, Beitrag, Skrobala.
74 ZEIT 06.01.2015, Beitrag, Guldner.
75 SPON 23.12.2015, Foto.
76 SPON 22.08.2015, Foto.
77 SPON 23.10.2015, Foto.
Losungswörter wie Flüchtlingsstrom sind Flüchtende „keine Opfer, sondern eine Bedrohung. Opfer der Situation sind Deutschland und Europa - ihnen droht, überflutet zu werden. Und sie sind somit aufgerufen, zugleich Helden zu sein. Und zwar Helden der Selbstrettung"78. Auf der anderen Seite wird durch Losungen wie Nazis essen heimlich Falafel 79 der Gegner lächerlich gemacht, indem behauptet wird, er würde sich scheinheilig verhalten, Wasser predigen und heimlich Wein trinken.
Besonders wirkungsmächtig ist die Verwendung und Transformation von vertrauten sprachlichen Mustern im politischen Losungskrieg und der Rückgriff auf erfolgreiche Losungen vergangener Diskurse. Refugeesgohome80 verwendet z.B. das in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts häufig gegen die US-Amerikaner verwendete gohome im Sinne von „haut ab". Auch Deutschland den Deutschen,„Multi-Kulti" Nein danke!81 und vor allem Wir sind das Volk82 zitieren bekannte Losungen aus den Diskursen des zwanzigsten Jahrhunderts, Herz statt Hetze , Leipzig bleibt rot83 und Licht aus für Rassistendagegen nutzen nur die in der Vergangenheit beliebten Modelle mit statt, bleibt oder Licht aus für. Eine Besonderheit ist dabei die Verwendung oder Umwandlung von populären Zitaten wie z.B. des Titels eines in der rechten Szene beliebten Buches: Wer von der Lüge lebt, muß die Wahrheit fürchten84. Auch das berühmte Merkel-Zitat vom 31. August 2015, ein von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Bundespressekonferenz in Hinblick auf die Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 -wahrscheinlich in Anlehnung an Barack Obamas „Yes wecan!" - geäußerter Ausspruch, findet sich in einer Losung wieder: Wir schaffen das!85. Die Losungkein Mensch ist illegal erinnert an den Artikel 1 der Menschenrechtsdeklaration der UNO von 1948, in der es heißt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."
Interessant ist auch die Strategie, mit der Losung Fahnenwörter und Losungsmuster des politischen Gegners aufzugreifen und umzuwandeln wie Diktatur in der Losung Keine 3. Diktatur in Deutschland86, Respekt, Toleranz in der Losung Respekt und Toleranz auch unserem Volk87, welcome in der Losung Nowelcome88, Multikulti in der Losung Mutti Multikulti89, Leitkultur in der Losung So geht sächsisch. Neue deutsche Leitkultur90 oder Nationalbewusstsein in der Losung Wer kein Selbstbewusstsein hat, braucht ein Nationalbewusstsein91. Entweder werden diese Fahnenwörter verneint, gegen den politischen Gegner verwendet oder in einer satirisch umgeformten Losung des vorherigen Inhalts beraubt. Dabei möchte ich noch einmal auf den semantischen Leerformel-Charakter vieler politischer Schlagwörter und Ideologismen verweisen, wie
78 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/das-falsche-reden-ueber-fluechtlinge-gastbeitrag-a-1082396.html.
79 SPON 24.07.2015, Foto, Künstlergruppe „Dies irae"
80 SPON 13.10.2015, Foto.
81 ZDF 20.10.2015, TV-Beitrag.
82 SPON 12.01.2015, Beitrag, Skrobala.
83 SPON 12.12.2015, Foto.
84 www.tatjanafesterling.de 09.11.2015, Foto.
85 WDR 12.11.2015, TV-Beitrag.
86 SPON 22.10.2015, Foto.
87 SPON 06.01.2015, Foto.
88 SPON 13.10.2015, Foto.
89 SPON 22.10.2015, Foto.
90 SPON 28.07.2015, Foto.
91 SPON 24.07.2015, Foto, Künstlergruppe „Dies irae".
z.B. Diktatur oder Toleranz, deren semantischer Kern ohne Kontext keine eindeutige ideologische Zuordnung zulässt.
Und schließlich begegnen dem Beobachter viele Wortspiele unter den verbalen Losungen, aber auch Verse und sprachliche Muster aus der vertrauten TV-Werbung. Um ein Wortspiel handelt es sich etwa bei der Losung Es ist deutsch in Kaltland92, die auf die emotionale Kälte und die vielen Gegner der Willkommenskultur in Deutschland anspielt. Die Losung Dresden braucht nichts von der „Stange"93 nutzt die Homonymie des Wortes Stange in der festen Wendung von der Stange „Konfektionsware, Vorgefertigtes und Durchschnittliches" und des Namens der Kandidatin mehrerer linker Parteien zur Dresdner Oberbürgermeisterwahl 2015, Eva-Maria Stange. Die Losung Mutter Terroresia alias Hells Angela. in dem epochalen Flüchtlingsdrama: Kinderlein kommet! Kinder ich komme!94 spielt ebenfalls mit der formalen Ähnlichkeit von Wörtern und Namen, zudem wird hier die Ankündigung von einem Filmdrama parodiert. Die Losung National Stasi Agency in Amerika wetrust95 stellt durch die Transformation des Namens den US-amerikanischen Nachrichtendienst in die Nähe der in Deutschland sehr negativ bewerteten ehemaligen DDR-Geheimpolizei.
Manche Losungen transformieren bekannte und verbreitete Aphorismen in Versform: Der größte Lump im ganzen Land das ist und bleibt der Denunziant!96, Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm. Der Nazi macht es andersrum97.AuchSprüche und Slogans aus der Werbung bzw. deren Modelle werden in der politischen Auseinandersetzung wiederverwertet, wie NPD Natürlich deutsch98, NPD Verboten gut99, Open yourmindStopRacism!100.
Fazit
Die Losung ist eine besondere sprachliche Einheit, die vor allem die direkte Ansprache des Adressaten zum Ziel hat. Bei der Analyse von Losungen aus dem Internet und von Demonstrationen auf der Straße im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zu einem Thema ist zubeobachten, dass die sprachlichen Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, sich unabhängig vom ideologischen Kontext und vom speziellen politischen Inhalt einer Losung gleichen. Bei der Bildung einer erfolgreichen Losung - egal welcher Partei - werden dieselben sprachlichen und stilistischen Strategien verfolgt. Als Ergebnis der Gegenüberstellung von Losungen für und gegen die deutsche Willkommenskultur aus dem Jahre 2015 lässt sich feststellen, dass ihre Befürworter und Gegner auf gleiche Weise versuchen, die Adressaten in der direkten Ansprache, mit pathetischer oder expressiver Wortwahl, mit Allgemeinplätzen, oberflächlichen, pauschalen und übertriebenen Aussagen, falschen Tatsachen, mit vertrauten Mustern, populären Zitaten und Wendungen, aber auch mit kreativen Wortspielen und Transformationen von Zitaten und Wendungen zu erreichen.
92 SPON 25.08.2015, Foto.
93 www.tatjanafesterling.de 09.11.2015, Foto.
94 ARD 21.10.2015, TV-Beitrag.
95 SPON 13.10.2015, Foto.
96 www.tatjanafesterling.de 09.11.2015, Foto.
97 SPON 24.07.2015, Foto, Künstlergruppe „Dies irae"
98 ZDF 21.10.2015, TV-Beitrag.
99 ZDF 21.10.2015, TV-Beitrag.
100 SPON 28.07.2015, Foto.
LITERATURE
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Jahrhundert. Slavistische Beiträge 404. München. Becker, J.M. 2005: Unwörter und Wörter des Krieges - Politik, Kritik und Wissenschaft. In: M. Alekseenko (hg.), Grani slova. Sbornik naucnych statej k 65-letiju prof. V.M. Mokienko. Moskau, 370-377.
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SLOGANS AND POSTERS FROM AN ACTUAL PUBLIC DISCOURSE IN
GERMANY IN 2015
Joern-Martin Becker
Ernst-Moritz-Arndt-University of Greifswald, Germany, jmbecker@uni-greifswald.de
Abstract. In 2015, just one topic was highly current and predominant in German media and public and private discussions. People were talking about how to handle the arriving of people from war and crisis zones in the Near and Middle East as well as the attempts to find refuge in Germany. On the one hand, the discussion was on the official German refugee politics and, on the other hand, on the private help by a large number of Germans and German organizations, which was marked, in a positive as well as in a negatively ironic way, as welcoming culture in Germany. For the current study I have collected slogans and symbols from the internet, e-papers and public TV in 2015, which express the supportive and opposed opinion about the German welcoming culture in this discourse. A comparative analysis of internet slogans on a political topic and demonstrations in public shows that language tools, if seen independently from the ideological context and political content, are equal. They represent a special linguistic unit, which directly address people. Successful slogans from all political camps are created by particular strategies to reach the right audience. These are mainly: direct address, pathetic or expressive vocabulary, generalizations, use of wrong facts and known patterns of slogans, use of popular citations, idioms and winged words, creative puns and transformations of citations and idioms.
Key words: slogan, poster, political discourse, political vocabulary, chunk of language, citation, proverb, Willkommenskultur (welcoming culture)