GRUNDPRINZIPIEN DER DISPERSOIDEN SYNTHESE NACH MEINEN UNTERSUCHUNGEN AUS DEN JAHREN 1906-191G1).
Von P. P. von Weimar«.
A. Allgemeine Prinzipien.
1. Jede beliebige Substanz kann erhalten werden in beliebigen Dis-persitätsgradc, weswegen der dispersoide Zustand (dispersoide Lösungen und dispersoide Niederschläge) allen Substanzen ohne Ausnahme zukommt.
2. Von dem endgültigen Auflösen der festen, flüssigen oder gasförmigen Phase einer beliebigen Substanz im beliebigen Dispersionsmittel, geht die Substanz durch das dispersoide Stadium [Typus ІГ) der dispersen Systeme], genau ebenso geht jede beliebige Substanz im Augenblicke Auftretens [Typus I der dispersen Systeme) der neuen Phase durch das dispersoide Stadium, [z. B. bei Verflüssigung und bei Kristallisation].
In der Nähe der Übergangspunkte [z. B. der Sättigungspunkt] befindet sich jede beliebige Substanz ebenfalls im dispersoiden Zustande [die gemischten Typen I-J-III, II—]—III]. In den Übergangspunkt aber charakterisiert sich das dispersoide Stadium jeder beliebigen Substanz durch den Typus III der dispersen Systeme, welcher auch den Zustand der echten Lösungen umfasst.
H. Prinzipien über den temperatur-irreversiblen dispersoiden Zustand (der dispersoide Zustand von Substanzen, die sich in Bedingungen geringer Löslichkeit befinden).
I. Über dispersoide Losungen geringer Konzentration.
Beim Realisieren der Reaktion der Bildung einer beliebigen Substanz in einem Dispersionsmittel, welches diese Substanz wenig löst, entsteht eine dispersoide Lösung dieser Substanz, welche genügend beständig ist bei geringer Konzentration der reagierenden Lösungen; wie gering auch die Löslichkeit dieser Substanz im gewählten Dispersionsmittcl wäre, und wie indifferent letzteres zu dieser Substanz auch nicht wäre, bei genügend
ij Aus Jom russischen übersetzt von Л. Janok,
geringer (manchmal äusserst geringer) Konzentration des reagierenden Lösungen ist es doch möglich eine genügend beständige Lösung dieser Substanz zu erhalten,
II. Über dispersolde Lösungen beträchtlicher Konzentration.
1. Dispersoide Lösung beträchtlicher Konzentration koagulieren sofort in Dispersionsmitteln, welche praktisch vollständig indifferent zur dispersen Phase sind.
2. Für die Herstellung dispersoider Lösungen beträchtlicher Konzentration ist notwendig die Anwesenheit der Bedingungen der Dispergation*) (Peptisation) und des disporsoiden Parasitismus3).
Bei Anwesenheit dieser Bedingungen, kann jede beliebige Substanz erhalten werden im Zustande äusserst beständiger (Jahre, Jahrzente und villeicht Jahrhunderte) dispersoiden Lösungen (z. B. der Typus der dispersen Systeme I + III, II + III), wobei die Konzentration dieser Lösungen (natürlich im gewisser Masse mit Stabilitätsverringerung) einige Prozente und Zehnte von Prozenten betragen kann.
Я. Homochemische Verbindungen4), die für jede Substanz existieren, geben die Möglichkeit für eine jede Substanz die notwendigen und zureichenden Bedingungen Dispergation (Peptisation) und des dispersoiden Parasitismus zu realisieren und stabile dispersoide Lösungen hoher Konzentrationen zu erhalten.
Zu diesem Zwecke muss ein solches Dispersionsmittel und müssen solche Temperaturbedingungen gewählt werden, dass die Dissoziation dieser homochemischen Verbindungen leicht zu regulieren wäre.
Eine Mischung von Wasser und den Alkoholen der Fettreihe ist ein besonders geeignetes Dispersionsmittel für die Herstellung von dispersoiden Lösungen auf Kosten der Dissoziation der homochemischen Verbindungen und der Anwesenheit des dispersoiden Parasitismus: die Elemente (z. B. Ag, Au u. a.), Hydroxyde (Si, AI, Fe u. a.), Salze (Sulphate, Chromate, Karbonate, Phosphate, Arsenate, Phosphite, Arsenitc, Wolframate, Molybdate, Silikate, Sulphide, Fluoride, Chloride, Bromide, Jodide, Borate, Oxalate, weinsaure und zitronensaure Salze) der Erdalkali-Metallc und der Schwermetalle sind leicht zu erhalten im Zustande stabiler dispersoider Lösungen in Alkohol-Wasser Medien
[Hierbei kann man diese Lösungen erhalten vermittelst der Kondensation oder der Dispergation (Peptisation) der Niederschlage]. III.
III. Über dispersoide Niederschläge.
1. Jede Miebigc Substanz kann erhalten werden in Form von dispesroiden Niederschlägen, wenn die Reaktion der Bildung dieser Sub-
stanit realisiert wird in solchen Dispersionsmitteln, die die Substanz äusserst wenig losen.
2. Je weniger das gewühlte Dispersionsmittel die betreflcndc Substanz löst und je indifferenter letztere zu ihm ist, desto länger existieren die hohen Dispersitätsgradc der dispersoiden Niederschläge.
ü. Die homo-und heterochemische Kohäsion des Dispcrsionsmittels und der Substanzen, dio in dem Dispcrsionsmittel «kolloid» oder «cclit» — gelöst sind, zur dispersen Phase, verzögert, bei entsprechenden Bedingungen, den Prozess der Vereinigung der dispersen Teilchen (z. B. in dem Kristallen, Tropfen, Aggregaten, Flocken) und vermindert die Schnelligkeit des Umkristallisationsprozesses.
Diese Kohäsion vergrössert, bei entsprechenden Bedingungen (s. oben), wie die Stabilität der kolloiden Lösungen bei beträchtlichen Konzentrationen, so auch die Stabilität der übersättigten echten Lösungen bei grosser absoluten Übersättigung, z. B. die übersättigten Lösungen gut löslicher Stoffe im Wasser und anderen Lösungsmitteln [über diese Übersättigung «zweiter» Art s. «Anmerkungen»-'')].
G. Die Prinzipien über den temperatur-reversiblen dispersoiden
Zustand. 1 2 * 4
1. Jode beliebige Substanz kann erhalten werden bei entsprechend schnellem Abkühlen ihrer Lösung im Zustande einer hochdispersen Gallerte oder eines hochdispersen Glasses, welches bei entsprechendem schnellen Erwärmen reversibel in die anfängliche echte oder dispersoide Lösung übergeht, ohne Ausscheidung der Substanz in grobdispersera Zustande.
2. Die Schnelligkeit der Abkühlung und die Schnelligkeit der Erwärmung der genannten Prozesse, bei entsprechender Wahl des Dis-persionsmittcls, kann so gering gemacht werden, dass es praktisch unmöglich wird aus einem solchen Dispersionsmittel die Substanz im grob-dispersen Zustande zu erhalten.
!t. Die wichtigsten Faktoren, die eine beliebige Substanz im typischen reversibeln dispersoiden Zustande zu erhalten gestatten sind: die Solvatation, die Solvatolyse, der dispersoide Parasitismus und die Fähigkeit des Dispersionsmittels in ein Glass oder eine Gallerte zu erstarren. |Z. B. in der Rubrik В. II, 3 angeführten Alkohol-Wasser dispersoiden Iiösungen erstarren reversibel, bei entsprechenden Bedingungen, in Gallerten oder Gläser].
4. In solchen Dispersionsmitteln, wo mit wachsender Temperatur die Löslichkeit der Substanz fallt, ist es möglich den reversiblen dispersoiden Zustand zu realisieren mit Hilfe von Prozessen, die, im Vergleiche mit den Systemen, wo mit wachsender Temperatur die Löslichkeit der Substanz wächst, in umgekehrter Reihenfolge verlaufen. (Vgl. 1).
1) Uber diese «rfpimwhsc/ic» Systematik der dispersen Systeme siehe: I*. Г. von Wei-marn. «Beiträge zur Kenntnis der Natur der dispersen Systeme». Zeitschr. für plivsik. Chemie. I.XXVJ. 212. (1911).
2) Bmtnlhedingtingen der Pispergatinn (Poptkiition). Die Bedingungen dor Dispcrgation sind folgende: [Vgl. z. B 1*. 1*. v. \\ eimarn. Koll-Zeitsch. IV. 127 (1909); Grundzüg« der Dispersoidchomie. 70.(1911); Kolloidchein. Beihefte. I. I0ö. (1910)].
A. Der Dispergator, d. h. die Substanz, die ins Dispersionsmittel eingefiihrt ist um eine stabile dispersnide Lösung erhalten, muss bei genügend hoher Konzentration mit der betreffenden dispersen Phase eine lösliche chemische Verbindung geben; bei kleiner Konzentration des Dispergators darf sieh eine solche Verbindung nicht bilden, oder sic muss stark dissoziiert sein, so dass die disperse Phase dio sättigende Substanz ist.
B. Das Dispersionsmittel, vor dem Einfuhren des Dispergators, davf die disperse Pliaso praktisch nicht lösen.
Wenn man bei Herstellung einer dispersoiden Lösung von Niederschlage ausgeht, so ist cs notwendig, das der Dispersitätsgrad dieses Niederschlags nah dem dispersoiden ist.
Ich halte für nötig besonders hervorzuhrhen dass die obenangeführten Prinzipien der Dispcrgation fPertisation] nicht Schlussfolgerungen irgend einer «reinen» Theorie sind [wie leider einige von meinen Kollegen des Auslandes sich sie fälschlich erklärten], sondern dass sind aus experimentellem Wege festgestelltc Bedingungen der Dispcrgation (Peptisation) des Niederschläge der verschiedensten Substanzen.
Das experimentelle Material, aus welchem diese Bedingungen abgeleitet sind, kt sehr umfangreich: ich habe wiederholt nicht nur die Versuche von Л. Lottermoser mit Silher-salzen in wässrigen .Medien, sondern habe ausserdem erforscht die Peptisation der Niederschläge dieser Silbersalze in Mischungen von Wasser mit den Alkoholen der Fettreihe und noch verschiedene andere Salze [Siehe oben ] der Erdalkalimetalle und der Schwermetallc, desgleichen auch elementare Substanzen (wie Ag. Au) und Hydroxyde (z. B. des Fe, Al, Si). ITigcachtet der Mannigfaltigkeit der Substanzen, sind doch die allgemeinen Resultate überaus egal. Dank '1er progressiv abnehmenden Itissoziationsfahigkeit der Alkohol-Wasser Medien, war es möglich die Prozesse, die sich auf den Obertiächen der dispersen Teilchen abspielen, leicht zu regulieren; hierbei wurde von mir festgcstellt, dass die «Dispergationsfähigkeit» sich in direkter Abhängigkeit befindet von dor Encrgio, mit welcher die löslichen chemischen Verbindungen. die sieb bei entsprechenden liedingungcn bilden, von dem Dispersionsmittel festgehalten werden; diese Energie verändert, sich in deu meisten Fällen in erster Annäherung in derselben Richtung, wie die Löslichkeit des Dispergators, wobei man Reihen erhält, dio die Hofmeister’ sehen Reihen erinnern, eng verbunden mit der Löslirhkcit und der Solva-tationsfähigkeit.
Die dispersoiden I.ösngen, die vermittelst dor Dispergationsmethodo erhalten worden, sind überaus stabil und ihre Konzentration kann sehr hoch sein; so z. B. das disporsoido Ba.SU« im Alkohol-Wasser Medium hat noch nicht koaguliert, ungeachtet dessen, dass es von mir im Jahre 1997 vorbereitet wurde.
Das genaue experimentelle Material zur Dkprrgationsmethode sollte von mir schon laugst veröffentlicht werden in meinen <Dispursuidologischcn Mitteilungen» in der «Kolloid-Zeitschrift», aber der Krieg hat das verhindert.
Ich zweifle nicht, dass die Veröffentlichung dieses experimentellen Materials vollständig ausschliessen würde jede falsche Deutung meiner «experimentellen» Dispergatiunsthcorio (Peptisat ionst lieoric).
3) Her disporsoido Parasit isimm. [Vgl, z. В. P. P. v. Weimarn. Kulloido.hcm. Beihefte IV. 125. 1.48 (1912—1913)] besteht in der Erhöhung der Stabilität dispersoider Lösungen auf Kosten der Verkettung der Teilchen der dispeiseu Phase mit den Molekülen, odor, allgemeiner, mit den Teichen solcher Substaiizeu, die löslicher sind oder fester mit dem Dispcrsions-nultcl verbunden sind, als die reiue disperse Phase. Diese Verkettung hat öfters nicht deu statischen Charakter, sondern deu dynamischen.
Bei Anwesenheit dor oben angeführten Bedingungen der Dispergation in den dispersen Systemen findet iu grösserem oder geringerem Masse der dispersoide Parasitismus statt.
•1) llonmcheinischen Verbindungen, d. h. Verbindungen zwischen gleichartigen Atomen oder Atomgruppeu: z. B. Baryumsuifat wird homochemische Verbindungen geben mit allen anderen Huryumvcrbiitdungcn:' Baryuinhydroxyd, Haloidverbindungcu des Baryums, essigsauren rhodansauren u. a. Baryumzalze. Da aber im Baryumsuifat ausser dem Baryumatom noch der Rest der Schwefelsäure anwesend ist- so gibt Baryumsuifat noch homochemischc Verbindungen mit allen .Sulfaten beliebiger Metalle.
Das was über Baryumsuifat gesagt ist gilt auch fiir beliebiges Salz oder eine beliebige zusammengesetzte oder elementare Substanz (Näherer über homoehemisebe Verbindungen siehe P. P. von Weimarn «Eine neue Welt der chemischen \eriindungrn>).
5) Diese Übersättigung «zweiter» Art,—welche, wie ich mehrfach hmgewiesmi habe zYergl. z. В. P. P. von V\ eimarn. Knll.-Zeitsehr. II. 237 und Fussnote 17. (1908). Grund-[ügo der Dispersoidchomie. 47. (1911). Kelloidchcm-Beihefte IV, 111 und Fussnote 1 (1912)].
notwendig zu unterscheiden ist von der Übersättigung, die bedingt ist durch die Veränderung der Löslichkeit mit dem Dispersitätsgrado (ich nenne diesen Fall die Übersättigung «ersten Art).—wurde von mir studiert zunächst in wässrigen Lösungen von Kliodanidpn im Jalirn 11)02—1007. [S. P. P. von Wo int am. Journ. d. russ. phys.-ehem. Ges. XX XIX. 1117.(1007)] später aber an vielen Stoffen im Alkohol-Wasser Medium, besonders bei sehr niedrigen Temperaturen (Vgl. z. IL P. P. von Weint am. Koll.-Zeitschr. XII. 303 und Fussnote 10 und 17 (1013) vergl. hierzu Koll.-Z.oitschr. II. 201 (1008)]. Die Grundsehliisse sind folgende:
I. Die Übersättigung «erster» Art und «zweiter» Art ist eigen jedem beliebigen Stoffe (z. I). die Übersättigung, «erster» Art für NaCI ist leicht zu beobachten in Gemischen des Alkohols mit Aether, die Übersättigung «zweiter» Art für XaCI—im Wasser-Alkohol Medium bei niedrigen Temperaturen). Für jeden Stoff, unabhängig von seiner chemischen Zusammensetzung, ist es möglich, durch entsprechende Wahl des Dispersionsmittcls und dor Temperaturbedingungen, die sehr stabilen übersättigten Lösungen «erster» und «zweiter» Art zu realisieren.
II. Wenn die Bildung der Stoffe in Mitteln stattfindet, von welchen die Stoffe sein wenig gelöst werden (z. lL-NaCl im Alkohol-Aether Medium u. a.), so kann die rolativo Übersättigung sehr hoho Werte erreichen.
Die Existenz grosser relativer Übersättigungen wird in solchen Fällen horvorgevufen durch die Langsamkeit, bei extrem kleinen Konzentrationen, dos kinetisch-molekularen Kondensationsprozesses der Moleküle von Substanzen, die das gewählte Dispersionsmittel äusserst gering löst, zu grosseren dispersen Teilchen. Die Existenz dieses grossen relativen Übersättigungen würdo i’latz haben unabhängig von dem Einflüsse der Korngrösso auf die Löslichkeit (Vergl. z. IL P. P. von Wcimarn. KolL-Zcitschr. VIII. 25. 1911).
III. /.wischen äussorst. stabilen und äusserst unstabilen übersättigten Lösungen (gleichgültig für die Übersättigungen «erster» und «zweiter» Art) bofiudot sich das Gebiet dor übersättigten Lösungen von mittlerem Stahilitütsgrade und deshalb existiert auch keine scharfe «metastabile Grenze» der Übersättigung.
Praktisch aber ist eine Einteilung der übersättigten Lösungen in stabile und instabile möglich, wegen dem entsprechenden Verlaufe der Stabilitätskurve. (Auf Grund der oi»-n-angefnhrtcn Schlussfolgerungen, kann ich mich nicht, als einverstanden erklären mit den theoretischen Deutungen einiger Seiten der Erscheinungen der Übersättigung und den Einwendungen gegen meine Ühersättigungsthcorie die von W. M. Fischer getlian wurden in seiner, in experimenteller Hinsicht, ausgezeichneten Arbeit: «Studien über übersättigte Lösungen» • Kiga 1913).
St. Pdcrshu rg-Kkaleri nburg. 1Ш- J'JJö.