Natalija Ganina
ZUR SCHREIBSPRACHE DES BARDEWIKSCHEN CODEX
Открытие выдающейся рукописи любекского права - кодекса Бардевика 1294 г. (Юрьевец, «Музеи города Юрьевца», ЮКМ-2010) позволяет исследовать орфографию и неизученную систему диакритик, а также уточнить языковые характеристики. В статье прослеживаются основные показательные явления в области вокализма, консонантизма и морфологии данной версии любекского права и приводятся новые статистические данные.
Ключевые слова: средневековые немецкие рукописи, кодекс Бардевика, Любек, любекское право, средненижненемецкий.
Die Auffindung des i. J. 1294 im Auftrag des Lübecker Kanzlers Albrecht von Bardewik erstellten Codex des Lübischen Rechts (Jurjewetz, 'Museen der Stadt Jurjewetz', JuKM-2010; früher Lübeck, Stadtarchiv, Hs. 734) ließ diese herausragende Handschrift in den wissenschaftlichen Umlauf bringen (Ganina, Mokretsova 2016; Ganina 2016). Bisher war der Codex nur nach der Erstedition im bahnbrechenden Werk von Johann Friedrich Hach bekannt (Hach 1839), das jedoch durch den heutigen Forschungsstand weit überholt ist. Die vorliegenden Beobachtungen zur Schreibsprache des Bardewikschen Codex sind im Laufe der Arbeit an der Neuedition entstanden und haben zum Ziel, die Orthographie und die wichtigsten Merkmale der Schreibsprache nach der Handschrift vorläufig zu verfolgen.1 Für die Leitkriterien zur Analyse richte ich mich an den Untersuchungen der lübischen Schreibsprache, in denen auch der Bardewiksche Codex noch in Abwesenheit der Handschrift nach der Edition Hachs im Großen und Ganzen berücksichtigt wurde (Korlen 1951:44-80; Peters 2012). Außer des Bardewikschen Codex (B) werden folgende Handschriften des Lübischen Rechts herangezogen: der Kieler Codex (Ki; die 'Lübecker Ratshandchrift' oder der 'Lübecker Kanzleicodex', Kiel, Stadtarchiv, 79413, früher ohne Sign., um 1282), der Kopenhagener Codex (Kp; Kopenhagen, Danske Kongelige Bibliotek, Cod. Thott. 1003, 4o, i. J. 1294/1295)
1 Eine umfassende sprachliche Untersuchung des Bardewikschen Codex unter Berücksichtigung der Lübecker Rechtsüberlieferung bleibt ein Forschungsdesiderat und wird von Robert Peters in der Neuedition der Handschrift geboten.
und der erste 'Tidemann-Güstrowsche Codex' (T1; Kopenhagen, Danske Kongelige Bibliotek, Cod. Ledreborg 13, 2o, i. J. 1348 im Auftrag des Lübecker Bürgermeisters Tidemann Güstrow). Hand 8 im Kieler Codex wurde als Schreiberhand des Lübecker Domvikar Helmich Timmo identifiziert (Korlen 1951:23; Ganina 2016).
LAUTLEHRE
VOKALISMUS Längebezeichnungen und Umlaut
Längebezeichnungen und Umlautszeichen werden in B ab Art. 240 (Bl. 57ra) sporadisch verwendet, kommen regelmäßig in Art. 242-250 vor, auch im ersten (neuen) Register (Schreiber Helmich Timmo) und in einem Eintrag auf Bl. 5rb. In der Edition Hachs wurde diese bemerkenswerte Orthographie der späteren Artikeln außer Acht gelassen.
Längebezeichnungen <ü> für ü: büwe, hüde, hure (2x), hüs (8x), lübesch, nabüren,
rüme (2x mit Komparativ), üt (vt, 3x), vüllenkomen.2 Die Doppelschreibung <uu> für langes ü ist nicht belegt, weil diese Graphie häufig für w verwendet wird (z. B. suueren, beuuaren u.a., mehrmals belegt).
<ü>, <ee> für e unterschiedlicher Herkunft: bedende, besende,
del (2x in ordel, v erdendel), denest (2x), deue (2x), eghene (2x), en
(16x), (ghe)mene (2x), gheschen (3x), ghestlich/ghestlic (5x), hart ende, ketele, lenen (4x mit Ableitungen), mede (2x mit Ableitungen), mer, neghest, nen (5x), neten (1x), reten, sek, schepende, scheten, ver, v erdend el, vertighesten (2x). Doppelschreibung <ee>: eed (Abschrift des Ratseides), vees (2x).
<o>, <oe>, <oo> für die langen ö-Laute: dotslaghe (2x), klostervart, not, oc (3x), om, örslaghe,vredelos, vrowen, wo (2x),
wormede. Langes ö als <oe> kommt in B sporadisch vor, vgl. noet
(B 94 = Ki 181), doen, woert (B 235), regelmäßig in den zum Codex beigehefteten Urkundenabschriften (Bl. 2*r, Urkunde vom 1. Mai 1345 = 2. Abschrift derselben Urkunde, Bl. 2*rv): alsoet (2x), doen,
2
Hier und im Folgenden ist für Belege ohne statistische Angaben und sonstige Erläuterungen mit Frequenz (1x) zu rechnen.
te doene, goed (2x), Incarnacioen, vroeden, wysdoeme, zoe. Die Doppelschreibung <oo> ist ebenso sporadisch belegt: koop (B 117), loon (B 253), machtloos (3x, B 250, 251 und 1. Register).
<e> bzw. <o> für Dehnung in offener Silbe und vor r-Ver-bindung: beseten, ener, vorgheuende - boden, heue, vronen; swert, werdet, borgende, vort.
<o> für Dehnung von o vor Id, It: oldeme, olt.
<d>, <ä>, <ae>, <aa> für langes ä: detn (2x), Rdt (2x), tordde,
vorgatn (B 249, 250 = Ki 256, 257, Schreiber Helmich Timmo).
Dies lässt darauf schließen, dass diese Artikel in beiden Codizes parallel fortgesetzt wurden. Dasselbe gilt für B 245 (Schreiber Helmich Timmo). Die Schreibung <ä> erscheint im neuen Register:
klostervärt, Rät (2x), Rätman (9x). Die Schreibung <ae> für ä
taucht in B wie <oe> für о sporadisch auf, vgl. daer (2x; B 195), (closter)vaert (2x; B 240; 2. Register), während die Urkundenabschriften viele Belege derart bieten (Bl. 2*r, Urkunde vom 1. Mai 1345 = 2. Abschrift derselben Urkunde, Bl. 2*rv): betaelne, daer (3x), ghemaect (4x), haerlebeke, Jaer, naer, Raet, spaen, waerheiden (2x), waert (2x). Einmal kommt die Doppelschreibung <aa> für langes ä vor: raadmannen (B 251).
Die Umlautbezeichnungen kommen als ein einheitliches System in Ki und B vor, weil sie von einem und demselben Schreiber, und zwar vom Domvikar Helmich Timmo stammen. Obwohl die Belege aus zwei Codizes teilweise identisch sind, decken sie sich nicht
vollständig, z. B. seghelen, sele, sericheit, we, behof, brot, doch,
grot, kop nur in Ki. Für den Bardewikschen Codex gilt die Schlussfolgerung von Gustav Korlen zur Lübecker Ratshandschrift (Ki), dass die diakritischen Zeichen in doppelter Funktion verwendet werden, erstens als Längebezeichnungen, zweitens als Umlautbezeichnungen (H0jberg Christensen 1918: 99f., 131 f.; Korlen 1951: 45).
Umlautbezeichnungen
1. Substantive: ja-Stämme: ordel (ordel; 5x, 1. Register), orloghe; zu besonderer Bedeutung dieser Belege in der Lübecker
Kanzleiüberlieferung siehe (Korlén 1951:46); genauso wie Ki bietet B auch solche Gegenbeispiele wie orlof (die Schreibung erkunde
nur in Ki); jö- und F-Stämme: mären (2x), bacsâne, demgegenüber
hure (2x); /-Stämme: brâke (3x), s âne, s ânes kint (die in Ki vorkommenden Pluralformen vâghede, dâchtere, brâdere bzw. mâddere für jön-Stämme sind in B nicht belegt); jan-Stämme:
bârghe (3x mit Substantivableitungen), vârmânde (6x mit Ableitungen, 1. Register); Stämme mit umlautenden Suffixen: nur -ere: bârghere (11x mit Ableitungen), râuere, mäntere; Ortsnamen:
Wâkenisse. Der Vergleich zeigt, dass Ki mehr Belege derart enthält, was besonders für Wörter mit verschiedenen umlautenden Suffixen gilt.
2. Adjektive: Umlaut für ja-Stämme ist nicht belegt; Stämme mit umlautenden Suffixen: âuele, mändich; Komparativ und Superlativ: grâtter, âlderen (4x). Auch hier bietet Ki wesentlich mehr Belege derart als B.
3. Verben. Starke Konjugation. Inf.: vâren; nâmen (4x,
verschiedene Formen); 3 Pers. Sg. Präs. Ind.: bät, dät, kämpt, scät
(zu schen), vârt; Prät. Konj.: vâre (späterer Nachtrag, Bl. 5va), vârent; Prät. Ind. wârven; âuer ün drâghen; Part. Prät. ghesprâken, vârlâren (je ein Beleg im 1. Register gegenüber zahlreiche Belege in Ki). Schwache Konjugation: vp to bârende (2x), ghewilkâret (4x),
lâsen (4x, verschiedene Formen), schäldeghen (2x, verschiedenene
Formen), vârderen, tâ vârkâpende, wrâghende. Erklärung zu kopen und seinen Ableitungen, vgl. (Korlén 1951:48). Präterito-Präsentia: scâlen (2x), mâghen (1. Register). Unregelmäßige Konjugation: wâlden (vgl. aber wülde ohne Umlautszeichen); von 'tun': dân (3x), dâit (5x), dânde.
4. Adverbien, Präpositionen (Präfixe) und Konjunktionen: âder (3x), âfte (14x), âuer, tâ vâren, vâr- (unbetont, 50x), vâr (Präp., 21x).
5. Fälle mit <ä> ohne Umlaut: säluen, sälf(mändich), sälueres
(B 250; dagegen sülueres B 240), sästere - vrände, läde (5x).
Ausnahmen bilden die Umlautzeichen in den Fällen, wo es keine Umlautbedingungen gibt. Von den für Ki verzeichneten Fällen, z. B.
godeshusen, van stovene, vredelos, boven, gut u.a. (Korlen
1951: 47) finden sich in B nur stouenen (1x) und to (43x). Der Fall to wird bei Korlen als eine abgeschwächte Vokalvariante von to erklärt (Korlen 1951: 48). Es sei hervorgehoben, dass diese Schreibung für B ausgesprochen fakultativ ist und erst ab Art. 242 erscheint (vorwiegend im 1. Register). Solche Wörter wie vredelos und gut erscheinen in B im Gegensatz zu Ki ohne Umlautschreibungen. Der aus dem Lübecker Kanzleigebrauch bekannter Fall vrowe (H0jberg Christensen 1918:100, 116; Korlen 1951: 48) ist auch in B belegt (7x), während sporadisch auch die Varianten
vroüwe/vröwe auftauchen (je 1x, B 240 und 1. Register). Die
Hauptvariante für B ist allerdings vruwe/fruwe (siehe unten).
Der Gebrauch von <y> für ü wie z. B. tygen, vorsymet (Ki 242) findet keine Parallelen in B, weil diese Schreibweise in Ki von Hand 3 stammt und als eine Spur der nordisch beeinflussten Orthographie interpretiert wird (Korlen 1951: 48). Der Parallelartikel B 232 hat tugen und vorsumet. In späteren Artikeln erscheinen auch die Formen tüghen/ tvge (4x) mit <ü>/< v> für langes ü ohne Umlaut.
Der Umlaut von a und ä: gheste (B 111, 120, 210, 1. und 2. Register in entsprechenden Artikelüberscriften) = Ki (in Parallelartikeln); varet/uaret (4x) zu veret/ueret (4x) in Parallelartikeln zu Ki und in beiden Registern; manegh/manech (4x): menegh (1x) in Parallelartikeln zu Ki; ausschließlich kleghere; negher/neger (8x) zu nagher (2x) in Parallelartikeln zu Ki, ohne Übereinstimmungen mit Kp, dabei durchgängig neghest/negest.
Die Rundung von Umlauts-e: vromede (2x) zu vrömede (3x) in Parallelartikeln von Ki (die Überschrift von Ki 218 mit vrömede hat keine Entsprechung in B), uremede (B 211) = vremede (Ki 219).
Lange Vokale
Lange w-Laute: <u> im Hauptteil (z. B. hus, nu durchgängig), <u> ab Art. 240 in Übereinstimmung mit Ki.
Lange e-Laute: <e> im Hauptteil (z. B. edh, del durchgängig), <ü> bei Helmich Timmo. Für <ie/i> statt <e> (we/wi, def/dief, dif, verdunc/virding) gelten allgemeine Schlussfolgerungen Korlens zu B und Kp (Korlen 1951: 49). Vgl. aber verding (4x) zu virdunc (1x, B 83 = virdunc Ki 177, dagegen verdunc Kp 175).
Die Varianz <e/ei>: beide/beyde (10x/6x), bescheiden, beyeren (Ratswahlordnung), deit (2x), eigen, ein (15x), gesereiden, gheistlic/ (des hileghen) gheystes, gheit, auch mit Präfixen an-, vnt-/gheyt (17x/1x), gheseit/gheseid/vorseid (Urkundenabschrift, Bl. 2*r, 4x/14x), heyden, heyligh, leide, gheleiden/ leyde, gheleydet (3x/8x), heydebu (eingeheftete Urkundenabschrift aus dem Jahre 1357), leye (3x), keiser, Meye (Urkundenabschrift, Bl. 2*r), negein (3x), reise (9x), seich, sleit/besleyt (3x/1x), steit/besteit (4x), tein/achtein/ vertein, auch teyn/achteyn/sesteyn (14x/3x/4x zu 2x/1x/1x), unt veit/vntfeit (3x), vntwei, ueil, auch im Suffix der Abstrakta -heit: clocheit, dreuoldigheit (Kolophon des Albrecht von Bardewik), hemelicheit/hemelicheyt (1x/1x), moghelicheit (Abschrift des Ratseides), serecheit, vriheit (2x), werdegheit, wisheit. Diese Erscheinung entspricht Ki (dort wird in solchen Fällen durchgängig ey geschrieben) und ist mit Korlen durch "gelegentliche Beeinflussung durch hochdeutsche Orthographie" zu erklären (Korlen 1951: 50).
Lange ö-Laute: für ö werden <o> im Hauptteil, <o> in späteren
Artikeln mit Umlautbezeichnungen, sporadisch auch <oe> und <oo> benutzt (vgl. oben), was der Situation in Ki entspricht, vgl. (Korlen 1951:51). Die Varianz von ghod/ghud (ghut) (Subst.), ghode/ghude (Adj.) spricht in B zugunsten der Variante mit Hebung, und zwar ghut/ghud (74x/49x) gegen ghod (4x), während ab Art. 246 auch die Bezeichnungen mit Supraskript o belegt sind, und zwar güt/güde.
Lange ä-Laute: für langes ä werden <a> im Hauppteil (vgl.
rat/rade, strate durchgängig), < aa > in späteren Artikeln, sporadisch auch <ae> und <aa> benutzt (siehe oben).
Kurze Vokale
Vormnd. Kürzen in offener Silbe: vormnd. i/u sind überall als <e> und <o> belegt. Zu vormnd. i/u nur kurt (B 105, Bl 24vb = Ki 186) Dieser Fall kann als eine gemeinsame Restform aus früherer Überlieferung gedeutet werden. Belege mit <i> sind nicht vorhanden.
weder/wedder: in B kommen nur beneden, beteren, neder usw. vor. Nach Korlen ist die Masse der Fälle mit Doppelkonsonant (benedden, bedderve, nedder, togaddere, wedder) erst in T belegt (Korlen 1951: 52). Die Form wedder ist jedoch in B 10x ab Bl.
58va (B 245, 248, 249) belegt. Da diese Artikel in B und Ti vom Schreiber Helmich Timmo stammen, kann die Variante wedder als Merkmal seiner Orthographie interpretiert werden.
'offenbar': ausschließlich openbar ohne Doppelkonsonanz, vgl. (Korlen 1951: 52). Der Übergang von o zu a in offener Silbe (Korlen 1951: 52f.) ist in B ebenfalls nicht belegt.
Die Hebung e > i vor Nasalverbindung:
'Mensch': mensche (2x), minsche (4x, ab Art. 126), die Variante munsche (vgl. 2x in Kp) ist nicht belegt. Korlen unterstreicht, dass die Form minsche in Stade-Hamburg von Anfang an ausnahmslos ist und in Lübeck nur allmählich vordringt (Korlen 1951: 53). In T1 wird minsche durchgängig gebraucht. Dementsprechend kann in B die Tendenz beobachtet werden, die später in T1 (im Jahre 1354) zur Norm wird.
'bringen': ausschließlich bringen. Der Form brenget in Ki 176, die als eine westfälische Spur hervorgehoben wird (Korlen 1951: 53), entspricht bringhet in B 130.
'Rente': rente (4x), die Form rinte ist nicht belegt.
Die Senkung u > o vor Nasalverbindung: in Ki und Kp kommen sporadische Fälle vor, vgl. begonde (Ki 106), dagegen begunde (B 202), vuonden (Kp 61), dagegen wnden/wunden (B 84). Dazu erscheint in B nur die Form ghewont (B 85 = Ki 204). Daraus wird ersichtlich, dass B im Vergleich mit Ki diese Spuren der westlichen Färbung verliert.
Die Verdumpfung von a > o: halden/behalden (4x) gegen holden/beholden u.a. (29x), alt (B 203 = Ki 203), ansonsten überall olt/olderen und ausschließlich sakewolde. Vormnd. a vor ld, lt ist nur selten erhalten und stammt aus der Vorlage. Im Fall 'brachte', 'gebracht' erscheinen Prät. brachte und Part. II gebracht, während die Form ghebrocht nur einmal belegt ist (B 21 = Ki 14) und offensichtlich aus der Vorlage stammt, vgl. (Korlen 1951: 55) zu weiteren Rechtscodizes.
Die Senkung von i nach r: für 'richten', 'Richter', 'Gericht' hat B durchgängig richten, richter, richte (auch in den Fällen, wo in Ki sporadisch rechte vorkommt). Vgl. rechte 'richte' im Nachtrag zu B 19 (Bl. 5va).
KONSONANTISMUS
Die Schreibung <dh> für germ. p wird als Merkmal der Lübecker Frühorthographie interpretiert (Korlen 1951: 63). In B kommt
<dh> sowohl in Vollwörtern (buwedhe, dodhe, edh, dhenen und Ableitungen, dhese, dheue, radh/radhe, perdh) als auch im bestimmten Artikel (dhe, dhes, dheme) noch ziemlich häufig vor, auch in späteren Artikeln und Nachträgen (insgesamt 154x), während in vielen Belegen auch <d> eindringt, vgl. z. B. radh (4x) zu rad (58x). Wichtige Erwägungen Korlens zu verschiedener Frequenz von <dh> in B und Kp und seine Hypothese zur Ableitung von Kp aus einer anderer Vorlage als B (*L2 gegen Ki) können jetzt angesichts der Handschrift bestätigt werden. Auch seine Übersicht zur Orthographie für germ. g (auch gg infolge der westgermanischen Gemination), k und sk > [/] bleibt relevant, vgl. (Korlen 1951: 64-66).
s/z: sweren und use im Haupptext von B, dagegen zweren und vze in der Abschrift des Ratseides; vgl. Erwägungen zur Schreibssprache des Ratseides bei (Korlen 1945: 159f.).
Kennzeichnende Fälle auf dem Gebiet des Konsonantismus: Der Übergang ft zu ht <cht>: zu den bei (Korlen 1951: 67) verzeichneten üblichen Wörtern wie achter, echte, hechte, rucht u.a.
kommt in B (vn)beruchtede (4x) hinzu. Die Form eghaftig wird
einmal belegt (1. Register).
Der Ausfall von t in nich und lich ist je einmal belegt (B 102 gegenüber nicht in Ki 207; B 198 = Kp 36).
Zum Ausfall von n vor s in use 'unser' siehe unten. Assimilationen: sime (14x) gegenüber sineme (27x) und tome (1x in B 148 = Ki 51, dagegen Kp 50 to deme); eme anstatt eneme (vgl. Ki 95) ist nicht belegt.
FORMENLEHRE UND KENNZEICHEN DER SCHREIBSPRACHE
Eine ausführliche Übersicht der Formenlehre für die Lübecker Rechtsüberlieferung wird bei (Korlen 1951: 58-62, 68-80) geboten. Zur allgemeinen Auswertung der frühen lübischen Schreibsprache siehe (Peters 1988: 162; Peters 2012: 353f.) Die wichtigsten Merkmale lassen sich folgendermaßen darstellen:
Verba Pluralendung Präs. Ind. <-et>/<-en>: <-et> (68x, darunter 1x -it in willit B 13) gegenüber <-en> (37x); dreimal kommt die Varianz innerhalb derselben Artikel vor, vgl. willen/willet (B 29 = Ki 26), hebben/hebbet (B 56 = Ki 189), hebbet/hebben (B 119 gegenüber hebben in Ki 60). Tatsächlich ist mit wesentlich höherer Anzahl der <-en>-Formen zu rechnen, weil die im Lübischen Recht
häufig vorkommenden Präterito-Präsentia ausschließlich <-en> haben, vgl. z. B. scholen (45x). Bemerkenswert sind zwei Belege mit <-ent>, und zwar scholent (B 71) und moghent (B 208). Die Schwankung zwischen <-en> und <-et> ist für die frühe lübische Kanzleisprache von Anfang an typisch (H0jberg Christensen 1918: 325f.; Korlen 1951: 73; Peters 2012: 353f.). Die vorläufigen statistischen Angaben zu <-en>/<-et> in B lassen allgemeine Schlussfolgerung Korlens über „das zähe Festhalten" der Überlieferung an <-et> (Korlen 1951:73) bestätigen.
Die Substantivflexion: Gen. der stades (21x) und der stat (60x) gegenüber des stades (17x); zur Lübecker Überlieferung vgl. (Korlen 1951: 68).
Personal- und Possessivpronomina: ausschließlich eme, ene, ere, vgl. (Korlen 1951: 69); unse/vnse (43x) gegenüber use/vse (9x) und vze (3x, Abschrift des Ratseids). In der beigehefteten Urkundenabschrift erscheint ons/onser (5x), dagegen vnse (1x). In den Aufzeichnungen von Lübecker Ereignissen aus den Jahren 1316/1320 ist die Form vnse belegt (1x).
Sonstige Pronomina: dese/dhese (7x/2x, darunter in der Ratswahlordnung und im Kolophon des Albrecht von Bardewik), desse (10x, ohne Schreibung <dh->); Urkundenabschrift dese (2x), Aufzeichnungen von Lübecker Ereignissen dese (3x). Zu dese/desse in der Lübecker Rechtsüberlieferung siehe (Peters 2012: 354).
'selbst', 'der-, die-, dasselbe': sülf, sülues, süluen (14x); silf, silues, siluen (5x, silf- 2x in Zusammensetzungen), self (in self twelfte B 91), zur Kanzleiüberlieferung vgl. (H0jberg Christensen
1918: 377f.) Vgl. auch süluen, sülf (mändich) (je 1x). Zu 'Silber'
siehe unten.
'jeder': iewelic (15x), der Gebrauch entspricht dem von Ki. Zu diesem nordniedersächsischen Zug siehe (Peters 2012:354).
'was', 'wo, wohin': die Hauptvarianten sind wat und war (durchgängig in B) gegenüber wot (2x) und wor (19x), was der Gesamtüberlieferung entspricht (Korlen 1951: 54; Peters 2012: 354).
Zahlwörter: 'dritte' dridde (in B ohne Varianten), vgl. (Peters 2012: 354); für 'zwölf' ist sowohl die älteste Form twelef (2x) als auch tuelf/twelfte (2x/1x) belegt.
Präpositionen: 'auf' als up/uppe gegenüber op (B 227, ebd. auch tu gegenüber to/to), 'von' ausschließlich van, 'zwischen': twischen
(5x) gegenüber tüschen (5x), 'ohne' sunder (35x) zu ane (26x); zur Lübecker Kanzleiüberlieferung vgl. (Korlen 1951: 57; Peters 2012: 354).
Die Negation 'kein': ostfäl. nene (54x) zu nine (6x), dazu negein/neghein (2x/1x), was mit allgemeinen Schlussfolgerungen zur Stadtüberlieferung (Peters 2012: 354) völlig übereinstimmt.
Konjunktionen: 'oder': ofte (109x) gegenüber oder (127x), öder in späteren Artikeln (3x), eder (13x), vgl. die Angaben zu Ki (Korlen 1951: 72).
Kennzeichnende Wörter:
'Frau': vruwe/-fruwe als Hauptvariante (die letztere Form in Zusammensetzungen wie juncfruwe, husfruwe; insgesamt 42x), was für die älteste Lübecker Kanzleiüberlieferung im Unterschied von vrouwe in Stade-Hamburger Rechtsquellen typisch ist (Korlen 1951:
58). Daneben vrowe (4x), zu den Varianten vröwe (7x) und vrowe/
vrouwe (je 1x) siehe oben.
'Freund': Belege in den Lübecker Rechtscodizes sind bei (Korlen 1951: 56) zusammengefasst. Für B ist mit folgender Varianz zu rechenen: vrünt mit Ableitungen (10x) gegenüber vrint/
vrinde (3x) und vruende, vrende, uerint (je 1x).
'Herr': here, silfhere/sulfhere (9x), herre (10x mit Zusammensetzungen), har Albrecht uan Bardewich (im Kolophon); zum ostfäl. Übergang e > a siehe (Lasch 1914:16).
'Silber': ausschließlich süluer, in späteren Artikeln auch
sulueres (1x, B 250; dagegen sulueres 1x, B 240). Vgl. oben
'selbst'.
FAZIT
Für den Bardewikschen Codex gilt völlig die These von Robert Peters über das Durchsetzen des entweder vom Westfälischen oder vom Ostfälischen unterstützten nordniedersächsischen Schreibusus in Lübeck, in dem ostfälische und westfälische Einschläge vereinigt sind (Peters 2012: 354). Das System der Länge- und Umlautbezeichnungen des Bardewikschen Codex entspricht dem Kieler Codex, was durch die Beteiligung des Schreibers Helmich Timmo an späteren Artikeln beider Codizes zu erklären ist (Abweichungen betreffen andere spätere Schreiberhände). Die Analyse lässt eine ganze Reihe von feinen Übereinstimmungen von B und Ki
enthüllen, die zugunsten des Codex der Lübecker Kanzlei (Ki) als wahrscheinlicher Vorlage des Bardewikschen Codex sprechen.
Literatur
Ganina, N., 2016: Bardewikscher Codex: Problemstellungen und Perspektiven der Forschung. Индоевропейское языкознание и классическая филология [Indoevropeyskoe yazykoznanie i klassicheskaya filologiya = Indoeuropäische Sprachwissenschaft und klassische Philologie ] 20, 194-203. Ganina, N., Mokretsova, I. 2016: Verschollener 'Bardewikscher Codex' aufgefunden. Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 145, 49-69. Hach, J. F. 1839: Das alte lübische Recht. Lübeck (Neudruck Aalen 1969). H0jberg Christensen, A. C., 1918: Studier over Lyboks Kancellisprog fra
c. 1300 -1470. Kopenhagen. Korlen, G. 1945: Die mittelniederdeutschen Texte des 13. Jahrhunderts. Beiträge zur Quellenkunde und Grammatik des Frühmittelniederdeutschen. Lund/Kopenhagen (Lunder Germanistische Forschungen 19).
Korlen, G., 1951: Norddeutsche Stadtrechte. Bd. II: Das mittelniederdeutsche Stadtrecht von Lübeck nach seinen ältesten Formen. Lund/Kopenhagen (Lunder Germanistische Forschungen 23). Lasch, A., 1914: Mittelniederdeutsche Grammatik. Halle a. S. Peters, R. 1988: Zur Entstehung der Lübischen Schreibsprache. Bauer, G. (Hg.) Stadtsprachenforschung unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Straßburg in Mittelalter und frühen Neuzeit. Vorträge des Symposiums vom 30. März bis 3. April 1987 an der Universität Mannheim. Göppingen (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 488), 149-167.
Peters, R., 2012: Die Kanzleisprache Lübecks. Kanzleisprachenforschung. Ein internationales Handbuch. Hg. von A. Greule, J. Meier und A. Ziegler [u.a.]. Berlin, 347-365.
Natalija Ganina. Zur Schreibsprache des Bardewikschen Codex
The discovery of an outstanding manuscript of the Lübeck law, the Bardewik codex, dated from 1294 (Yuryevets, 'Museums of Yuryevets town', YuKM-2010) gives an opportunity to study its orthography, especially regarding its diacritical system that has been remained unexplored until now, and to refine its principal linguistic characteristics. The article offers an analysis of main features of the vowel and the consonant system of the manuscript as well of its morphology, supplied by new statistics.
Key words: medieval German manuscripts, 'Bardewik Codex', Lübeck, Lübeck law, Middle Low German.