HORIZON 6 (2) 2017 : I. Research : A Pugliese : 46-65
ФЕНОМЕНОЛОГИЧЕСКИЕ ИССЛЕДОВАНИЯ • STUDIES IN PHENOMENOLOGY • STUDIEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE • ÉTUDES PHÉNOMÉNOLOGIQUES
LEBENSWELT ALS PRAKTISCHER HORIZONT
ALICE PUGLIESE
PhD in Philosophy, Assistant Professor. University of Palermo, Department of Human Studies. 90128 Palermo, Italy.
E-mail: [email protected]
THE LIFE-WORLD AS A PRACTICAL HORIZON
The paper presents an assessment of the Husserlian concept of Lebenswelt on the basis of the late manuscripts on genetic analysis. The reflection on the concept of the life-world intends to evaluate the contribution of phenomenology to the philosophical debate beyond the contention between realism, naturalism, and subjectivism. The paper starts by evaluating the idea of the "universal correlation", thereby stressing the egological figure of the "Ich-kann" (I-can) as the proper candidate to achieve the constitution of the life-world. The author claims that the constitutive activity of the I-can is based not only on intellectual and perceiving acts, but rather on a comprehensive praxis, which also bears ethical meaning. The sense-borrowing activity of the I-can is namely responsible for the inner articulation of the plural particular worlds (Sonderwelten) within the encompassing life-world. Such a relation between interest-centered worlds and the encompassing life-world is not merely empirical and cannot be explained in causal and factual terms. It rather points out a peculiar subjective responsibility intended as a specific access to the world that bears a significant moral meaning. Here appears a pre-predicative and pre-normative form of responsibility rooted in the temporal and intentional structure of experience, connected with the first forms of socialization and with the essential structure of the life-world as a world "for everybody".
Key words: Husserl, I-can, constitution, correlation, life-world, phenomenological ethics, particular world, tradition, responsibility.
ЖИЗНЕННЫЙ МИР КАК ПРАКТИЧЕСКИЙ ГОРИЗОНТ
АЛИЧЕ ПУЛЬЕЗЕ
Доктор философии, доцент.
Университет Палермо, департамент гуманитарных наук. 90128 Палермо, Италия.
E-mail: [email protected]
Статья представляет оценку гуссерлевского понятия Lebenswelt на основе его поздних рукописей, посвященных генетическому анализу. Размышление о понятии жизненного мира нацелено на то, чтобы оценить феноменологический вклад в философские споры за
© ALICE PUGLIESE, 2017
пределами разногласий реализма, натурализма и субъективизма. Статья начинается с рассмотрения идеи «универсальной корреляции», акцентируя тем самым эгологическую фигуру «Ich-kann» (Я-могу) как собственного кандидата на то, чтобы составить конституцию жизненного мира. В статье утверждается, что конститутивная активность «Я-могу» отвечает за внутреннюю артикуляцию множества частных миров (Sonderwelten) в пределах объемлющего жизненного мира. Такое отношение между мирами, центрированными интересом, и охватывающим жизненным миром не является всецело эмпирическим, оно не может быть объяснено в терминах причинности или фактичности. Более того, оно обнаруживает особенную субъективную ответственность, понятую как специфический доступ к миру, которая имеет особое моральное значение. Здесь заявляет о себе до-предикативная и до-нормативная форма ответственности, укорененная в темпоральной и интенциональной структуре опыта, которая связана с первичными формами социализации и сущностной структурой жизненного мира как мира «для всех».
Ключевые слова: Гуссерль, Я-могу, конституция, корреляция, жизненный мир, феноменологическая этика, особенный мир, традиция, ответственность.
1. EINLEITUNG
Der überwiegende Einfluss von naturalistischen Ansätzen in der aktuellen philosophischen Debatte könnte den Eindruck vermitteln, die Weltthematik sei saturiert; die Untersuchung der Struktur und des ontologischen Status der Welt scheint für die Phänomenologie verbaut zu sein. Der Glaube an und die Strenge der naturwissenschaftlichen Methodik, die auf den Erfolg der Wissenschaften (wie schon zu Husserl's Zeiten) und auf die wirkungsvolle Kooperation mit der Technik gründet, schränkt den Raum für andere Interpretationen ein und unterminiert die Möglichkeit selbst, Fragen zu stellen, die einen anderen Ursprung aufweisen1. Eine mögliche sinnvolle Antwort der Phänomenologie auf eine solche philosophische Situation geht auf die Entscheidung für eine Subjektivitätsphilosophie zurück. Es scheint sinnvoll zu sein, sich in einen Bereich zurückzuziehen, wo der phänomenologische Ansatz sich bewähren kann: In die umfassende und ausgebaute Theorie der Subjektivität, die ermöglicht, einzelne Leistungen und Funktionsweisen des Bewusstseins abzuwägen und zu analysieren . Hier lauert allerdings die nächste Gefahr. Der Erfolg der kognitivistischen Wende in der Subjektivitätsforschung zwingt zu einer
1 Für einen umfassenden und aktuellen Überblick zum Thema Lebenswelt in interdisziplinärem und breit ausgelegtem philosophischen Dialog vgl.: (Gethmann, 2011).
2 Vgl. dazu die Rekonstruktion von Dan Zahavi zum Verhältnis zwischen Phänomenologie und den zwei verschiedenen Formen von Naturalismus: ein radikaler Naturalismus, von einem reduktionistischen metaphysischen und methodologischen Monismus geprägt, bleibe als polemischer Pol der Phänomenologie übrig; eine bescheidenere Form des Naturalismus, die den wechselseitigen Austausch mit den empirischen Wissenschaften im Hinblick hat, lasse hingegen ein fruchtbares „mutual enlightment' mit der Phänomenologie erhoffen (Zahavi, 2010, 9).
folgenschweren Einschränkung in der Wahl der Phänomene, die für eine wissenschaftliche Auslegung der Subjektivität bedeutsam sind . Wie können wir dieser Tendenz entgegenwirken und die volle Bedeutsamkeit und Vielschichtigkeit der Subjektivität als privilegiertes Forschungsfeld der Phänomenologie behaupten, ohne zugleich auf die Welt als umfassenden Horizont der Analyse zu verzichten? Auf eine solche Frage könnte gerade der Begriff der Lebenswelt eine vielversprechende Antwort bieten. Die Lebensweltlehre fokussiert nämlich weder ausschließlich auf die Welt noch auf die Subjektivität als solche, sondern geht strukturell von ihrer unerschöpflichen Korrelation aus und behält die korrelative Struktur als permanenten Schwerpunkt der Untersuchung. Dadurch lässt sich einerseits verhindern, dass die Subjektivität zum bloßen leeren Pol, d.h. zum intelligenten aber passiven Spiegel der Welt reduziert wird; andererseits lassen sich Bedeutungen und Evidenzen der Welt erschließen, die aufgrund der Äquivalenz der Idee der Welt mit dem Begriff der Natur unsichtbar blieben.
2. VOM ICH-AKT ZUR KÖRPERBEWEGUNG: DAS POTENTIAL DER KONSTITUTION
In einem Text aus dem Anfang der 20er Jahren, heute veröffentlicht im Band XXXIX der Husserliana, bezeichnet Husserl die Welt als „ein[en] Titel für wirkliche und mögliche Ich-Akte" (Husserl, 2008, 4). Der Ausdruck scheint zunächst auf die reine Akt-Phänomenologie zurück zu verweisen, den Husserl in den Logischen Untersuchungen entwickelt hat. Doch der Kontext der Analyse, die den spezifischen Begriff der Lebenswelt zu präzisieren versucht, zusammen mit dem in diesen Jahren heranwachsenden Interesse Husserls für die konkreten, vorreflexiven, praktischen Dimensionen der Erfahrung, fordert eine genauere Auslegung4. Husserl selbst suggeriert im Folgenden, dass der Hintergrund von solchen Ich-Akten die „.freie Aktivität der Enthüllung der Horizonte" (Husserl, 2008, 4) sei. Es handelt sich also um eine Aktivität, die nur in der Korrelation mit
3 Vgl. die Anmerkungen von Shaun Gallagher, der sehr klar die Rolle der Phänomenologie und damit auch die Grenzen ihres Einsatzes in der kognitivistichen Debatte beschreibt und die Forderungen formuliert, die aus den Kognitionswissenschaften entstammen: "Scientists came to realize that they needed more precision in the description of the explanandum. That is, they needed more nuanced and detailed descriptions of the precise aspects of the mental states that were assumed to correlate with the neuronal states they were studying. This was especially the case with consciousness" (Gallagher, 2012, 575).
4 Die Entwicklung von der statischen Akt-Phänomenologie zur späten genetischen Phänomenologie hat Jagna Brudzinska in (Brudzinska, 2018) reconstruiert.
der Welt möglich und verständlich wird. Das Ich ist aktiv in der kontinuierlichen Interaktion mit der Welt, neue Horizonte enthüllend, die Landschaft verändernd, die Perspektive variierend. Husserl betont den Charakter von Freiheit dieser kontinuierlichen Tätigkeit, die auf ein kennzeichnendes Vermögen des Subjektes zurückzuführen ist: sein evidentes „Ich kann erfahrend fortgehen; Ich kann mir anschaulich machen" (Husserl, 2008, 4). Die Welt entwickelt sich, weil ich mir immer neue Profile und Perspektiven anschaulich machen kann, d.h. weil ich mein Anschauungsvermögen ins Spiel setze und nach und nach das Potential meiner Anschauungskraft realisiere, schliesslich weil das Subjekt kein bloß egologisches Pol ist, sondern ein konkretes, aktives, leistendes „Ich-kann".
Der Prozess der Lebensweltentfaltung lässt sich folglich nicht in einem reinen Schauen erschöpfen, d.h. er lässt sich nicht auf die bloß theoretische Intentionalität beschränken. Husserl verweist vielmehr in demselben Manuskript auf die körperliche Tätigkeit, die für die aktive Entdeckung der Welt und ihre Konstitution erforderlich ist: „Mein Leib als Wahrnehmungsorgan [muss] in Bewegung [gesetzt werden]" (Husserl, 2008, 4). Ich muss mich bewegen können, die Umgebung explorieren, meine Position selbst merken und dann ändern, um zu realisieren, welche Abschattungen der Welt mit solchen Veränderungen einhergehen. Ich muss mich spüren und meine aktuelle, konkrete Relation mit den umringenden Fakten nicht nur betrachten, sondern aktiv experimentieren können.
Diese Beschreibung setzt eine wesentlich subjektive Leistung voraus: das Bewusstsein der Selbstbezogenheit der Erfahrung, d.h. die Fähigkeit zu merken, inwiefern Dinge und Situationen der Umgebung konkret auf mich bezogen sind und welches Potential eine solche Beziehung beherbergt. Zu diesem Zweck ist eine besondere Form der Reflexion erforderlich, die auf die Korrelation und wechselseitige Transformation von Subjekt und Welt fokussiert. Eine solche Korrelation wurde von Husserl und in der Husserlsforschung immer wieder als Schlusselbegriff für das Verständnis der subjektiven intentionalen Leistungen zum Thema gemacht5. Doch innerhalb der Grenzen dieses Beitrags liegt es mir nur daran, darauf hinzudeuten, dass die Korrelation, fern davon, einer statischen Wiederspiegelung zu gleichen, vielmehr im Sinne der wechselseitigen
5 Neulich hat Sophie Loidolt in einem umfassenden Beitrag zum Problem des Transzendentalen verschiedene aktuelle Interpretationen der Idee der Korrelation rekonstruiert. Sie zeigt dadurch die entscheidende Rolle dieses husserlschen Begriffs in Bezug auf die Definition eines spezifisch phänomenologischen Idealismus (vgl. Loidolt 2015, 104-112, 117-126). Aufschlussreich ist auch die Interpretation von Sebastian Luft, der die Einheit von ich und Welt betont und beide als "one structure" bezeichnet (Luft, 2011, 11-12). Das reziproke Verhältnis von Ich und Welt und deren Transparenz wirken in seiner Interpretation als Ansatzpunkt, um das philosophische Projekt Husserls als eine erneute Form der Aufklärung darzulegen.
Aufdeckung des eigenen Potentials von Ich und Welt zu sehen ist. Das Potential, das aus der dynamischen Doppelbeziehung von Ich und Welt entspringt, erweist sich als ein wesentliches Veränderungspotential, das auch als umfassendes Lebenspotential bezeichnet werden kann. Das Ich und seine umgebende Welt leben aus diesem Potential heraus. Die mannigfaltige Aktivität des Subjektes sowie die Verwirklichung der verschiedenen Profile der Welt lassen sich als immer neue Aktualisierungen der gegenseitlichen Implikation von Ich und Welt verstehen. Ein lebendiges Ich gestaltet seine Welt um sich, erweitert und bereichert sie mit neuen Ansichten und Entdeckungen. Zugleich verlangt die lebendige Umwelt einen immer neu zu leistenden, subjektiven Blick, fordert diesen heraus und stellt vor Fragen und Rätseln. Der weite Horizont weckt meine Neugier, reizt mein Entdeckungspotential; umgekehrt meine Aufmerksamkeit und Experimentierlust lassen mich bislang ungesehene Aspekte der Welt entdecken. Das gemeinsame Potential von Ich und Welt wird fortlaufend weiter verwirklicht, nie jedoch ausgeschöpft, sondern als ein spezifisch relationales Potential konstant erneuert, transformiert und expandiert.
3. ICH-KANN: SUBJEKTPOTENTIAL UND WELTPOTENTIAL
Die Lebendigkeit und Fülle der Korrelation wird von Husserl mehrfach beschrieben und betrachtet. Diese Vielzahl von Beschreibungen zeigt, dass die Konstitution in einer Vielfalt von Akten, Prozessen und Umständen vollzogen wird, die nicht erfolgreich auf ein eindeutig einheitliches Modell zurückzuführen sind. Dennoch, besonders aus den späten Untersuchungen zur Lebenswelt geht unmissverständlich hervor, dass diese Mannigfaltigkeit von Prozessen unter dem Einfluss von Zwecken, Bedürfnissen und Interessen des Subjektes steht. Das, was wir als Weltpotential bezeichnet haben, entwickelt sich in Korrelation mit dem subjektiven Erfahrungs- und Handlungsvermögen des Subjektes. In der Krisis fasst Husserl diesen Zusammenhang als den Vorrang eines teleologischen Ansatzes über die physikalische Kausalität in der alltäglichen aber auch in der philosophischen Deutung der Lebenswelt auf. Die subjektive Exploration der Welt kann nicht auf eine schlichte und eindeutige Reaktion auf externe Reize reduziert werden. Deswegen, da, wo die Exploration der Welt eindeutig auf den physischen und körperlichen Abläufen beruht, greift Husserl auf den Begriff der Kinästhese zurück und beschreibt die physische Beweglichkeit des Körpers in Verbindung mit der empfindenden Sinnleistung als „ein praktisches Vermögen" und als „Motivationssystem" (Husserl, 2008, 12).
Doch, das teleologische und motivierte Sich-Entfalten des Weltbezugspotentials soll nicht im Sinne eines unaufhörlichen Progresses missdeutet werden. Vielleicht gerade unsere von Widersprüchen geprägte Zeit offenbart, dass das lebendige Verhältnis zwischen Ich und Welt weder als eine prä-etablierte Harmonie noch als ein linearer und friedlicher Fortschritt verstanden werden kann. Das subjektive Erfahrungs- und Handlungsvermögen kann sich in der Entfaltung der Welt realisieren, kann aber genauso oft daran scheitern, verhindert sein, sich verlieren, verkümmern. Dem „Ich-kann" als Inbegriff des Lebens in der Welt, entspricht kein „Es-muss". Es besteht keine Garantie für die Realisierung des Ichpotentials in der Welt und dementsprechend untersteht die Erweiterung der Welt keinem deterministischen Gesetz.
Die Auslegung der Korrelation zwischen Ich und Welt erfordert also eine weitere Präzisierung. Wie wir schon gesehen haben, handelt es sich nicht um die Korrelation zwischen zwei vollkommen ausgebauten, selbstständigen Polen. Vielmehr gestaltet sich die „universale Korrelation" (Husserl, 1976, § 46) als die dynamische Beziehung zwischen zwei Potentialen: dem Vermögen des Subjektes einerseits und den Möglichkeiten der Welt, die sich in inneren und äußeren Horizonten strukturieren, andererseits. Es handelt sich nicht um ein statisches Korrespondieren zwischen Elementen, die als Dinge an sich außerhalb der Relation bestehen. Vielmehr impliziert jeder Pol in sich eine Dynamik zwischen einem aktuell realen Kern von Eigenschaften und Gegebenheitsweisen und weiten Horizonten von noch nicht realisierten Möglichkeiten. Denken wir an die noch nicht erblickten Talente eines Kindes sowie an die unendlichen Möglichkeiten, die durch die Entdeckung von neuen Kontinenten aufgeschlossen worden sind. Die gegenseitige Konstitution von Ich und Welt verändert inständig auch die innere Konstitution von jedem Pol, bringt neue Aspekte zur Realisierung während andere in die bloße Möglichkeit zurückgleiten. Jede Entdeckung ist zugleich die Verdeckung von anderen Profilen und Eigenschaften der Welt.
4. REALITÄT UND MÖGLICHKEIT: DIE INNERE DYNAMIK VON ICH UND WELT
In der Lebenswelt stellt die oben skizzierte Verflechtung von Realem und Möglichem nicht das zufällige Produkt einer okkasionellen Verhinderung dar. Eine solche Verflechtung und Verschmelzung zwischen realisierten und nicht-realisierten, bloß möglichen Momenten der Konstitution, macht vielmehr die Wesensstruktur unserer Welt aus. Landschaften entstehen aus der mehr oder weniger harmonischen Zusammensetzung von gesehenen und nicht-gesehenen
Elementen; menschliche Projekte im wissenschaftlichen, sozialen, politischen, existentiellen Bereich beruhen auf unserer Bereitschaft, einige Aspekte zu vernachlässigen, um andere entwickeln zu können; auch soziale Institutionen dienen dazu, soziale Interaktionen zu regulieren, indem sie einige Möglichkeiten zulassen und fördern, während andere verhindert und verboten werden6. Auf allen Niveaus unseres weltlichen Lebens umzingelt und durchdringt das bloß Mögliche all die Dinge, Fakten und Relationen, die sich als real durchsetzen.
Diese sind real, und dennoch sind sie nicht aus dem Nichts entstanden. Vielmehr werden Gegenstände und Sachverhalte im Laufe einer Genesis gebildet, eine Genesis, die sie prägt und die wiederum nur durch die unerschöpfliche Dynamik von voller Realisierung und leerer Vorzeichnung möglich ist. Husserl behauptet dazu: „Alles Seiende ist relativ. Es ist nur in Beziehung zu anderem" (Husserl, 2008, 5). Aufgrund derer Entstehungsdynamik in der Erfahrung sind die aktuell seienden Gegenstände und Sachverhalte nicht isoliert, sondern mit den unausgedrückten Möglichkeiten sowie mit den sie umgebenden Seienden wesentlich verflochten, die ihre Genesis mitbestimmen. Das Charakteristikum einer konkreten Erfahrung ist, dass in ihr der erblickte Gegenstand nicht auf einmal in seiner endgültigen Form gegeben ist. Der Baum, den ich „jetzt" sehe, konstituiert sich in einer langsamen Herausdifferenzierung von anderen Bäumen und Gegenständen in der Umgebung, in dem fortschreitenden Auffassen seiner Größe, in der Fokussierung auf die einzelnen Blätter, wodurch für einen Moment die gesamte Krone quasi aus dem wahrnehmenden Blick verschwindet usw. Das, was ich zunächst in der ersten perzeptiven Begegnung mit diesem Baum habe, ist nur eine Antizipation der Mannigfaltigkeit von Eindrücken und Entdeckungen, die in der ausgedehnten Konstitution desselben verborgen sind.
Das ist schon der Ertrag der Analysen zur passiven Synthesis von 1920/21, wo Husserl die Erfahrungsmöglichkeiten als eine ,Vorzeichnung', ,Vorweisung' und ,Vordeutung' der aktuellen, gebenden Gegenstandswahrnehmung beschreibt (Husserl, 1966a, 40). Die intentional-genetische Analyse zeigt, dass sowohl unser subjektiver Bewusstseinsstrom als auch die uns umgebende Gegenstandswelt auf der Dialektik zwischen der Selbstgegebenheit der Wirklichkeit in der Erfüllung und den vorausgehenden Möglichkeiten beruht. Die Wirklichkeit selbst erscheint dann nicht mehr als bloß dingliche Tatsache, sondern als ,Vollzug' und als
6 Der notwendige Zusammenhang zwischen Zulassung und Verbot in der Stiftung der gesellschaftlichen Institution wird u. A., teilweise auch mit phänomenologischer Sensibilität, bei Cornelius Castoriadis ausgelegt (vgl. Castoriadis, 1990, 239).
realisierende ,Zueignung' (vgl. Husserl, 1966a, 55). Erst vor dieser Einsicht erschließt sich der eigentliche Sinn des Ausdrucks „Ich-kann". Es geht hier nicht um bloß subjektive, willkürliche und zufällige Vermöglichkeiten, sondern um das Konstituieren-, Erfahren-, Auffassen-können eines Subjektes, das die Wirklichkeit als solche gestaltet. Nicht das faktische Dasein des Baumes, sondern seine konkrete Gegebenheit als aktuelle Wirklichkeit fordert das aktive Konstituieren seitens des Ich. Sollte dieses nicht stattfinden, bliebe der Baum selbst unbeachtet, würde dieser einfach zu dem dunklen Horizont der Wahrnehmung gehören, ohne zu der Fülle der Gegebenheit als aktuell wirklicher Gegenstand zu kommen.
Diese Betonung der Dynamik in der Gegebenheit der Welt stellt uns allerdings vor der Frage nach der Beständigkeit der Welt selbst. Welche Subsistenz, welche Kohärenz, welche Permanenz kann eine Welt aufweisen, deren Selbstgegebenheit in der Dynamik zwischen bloßer Möglichkeit und Streben nach Realisierung besteht? Laufen wir nicht die Gefahr, uns in einen vollständigen Relativismus zu verfangen? Das, was jetzt real ist, könnte genauso unverwirklicht bleiben. Jedes Ich-kann könnte sich verlieren. Die Konstitutionsmöglichkeiten des Ich-kann sind nicht deterministisch garantiert, ihnen haftet vielmehr eine unentbehrliche Kontingenz. Ist also jedes Ich-kann letztendlich willkürlich und insofern jedem anderen gleich?
Auf der faktischen Ebene der Tatsachenwelt lässt sich weder eine objektive Einheitlichkeit noch eine präetablierte Ordnung der Welt und der korrelierenden Ich-Leistungen aufweisen. Dennoch leben wir in einer Welt, die uns zwar manchmal überrascht, die jedoch einen weitgehend vertrauten Stil bewährt. Wir leben nach Erwartungen, die oft genug stillschweigend erfüllt werden, so dass wir überrascht oder sogar empört sind, wenn manche Erwartungen enttäuscht werden. Eine solche Kontinuität und Beständigkeit der Welt ist aber nicht bloß faktisch, sie entsteht nicht ,von selbst', mechanisch, aus dem zufälligen Aufeinanderfolgen von isolierten und okkasionellen Erfahrungen. Husserls Verweis auf die Struktur des Ich-kann deutet vielmehr auf eine bedeutsame Investition seitens des Ich. Das löst aber nicht unmittelbar das Problem der Ordnung und Beständigkeit der Welt, denn, wie schon gesagt, dem ,Ich-kann' folgt kein ,Es-muss'. Das fortschreitende Potential des Ich-kann enthält keine abgesicherte Entwicklung, keinen linearen Fortschritt. Zugleich erschöpft es sich nicht in neutralen Zufallserscheinungen, in zufällig nebeneinander stehenden oder reihenweise aufeinanderfolgenden Ereignissen. Schon im § 60 von Ideen II wird vielmehr das „Ich kann" ausdrücklich dem bloßen „Es wird kommen", „Es wird geschehen" entgegengesetzt (Husserl, 1952, 257).
Wie ist das also zu verstehen? Lässt sich eine Alternative zwischen einer idealistisch-deterministischen Interpretation, die die Welt als Produkt der IchLeistungen versteht, und der Verkennung der ichlichen Sinngebung als bloße Reaktion auf äußerliche Reize finden? Meine These, die mit Husserls Andeutungen in Ideen II übereinstimmt, ist, dass die subjektive Investition in die Weltkonstitution, die Husserl mit dem Ausdruck „Ich-kann" hervorhebt, verständlich wird, wenn dieses nicht als bloß theoretischer Akt interpretiert wird, sondern in Hinblick auf seine praktische Bedeutsamkeit und darüber hinaus auf seine ethische Bedeutung hinterfragt wird . Die Lebenswelt, die aus der unaufhörlichen Interaktion zwischen dem mannigfaltigen Ich-kann und den weltlichen Horizonten entsteht, erschließt sich als praktisch geladener und bedeutsamer Lebenshorizont dar. Die Welt erweist sich nicht erst in zweiter Instanz als möglicher Träger von Werten und ethischer Bedeutsamkeit, sondern gestaltet sich unmittelbar in den Formen der praktischen Intentionalität, d.h. sie wird durchgehend in den Modis des Wertnehmens (Husserl, 1952, 10) erfahren und konfrontiert uns von Anfang an mit praktischen Ansprüchen.
5. EINHEIT ALS AUFGABE: DIE SONDER WELTEN UND DIE EINE WELT
Das Ich exploriert die Welt und konstituiert sie, seinen Interessen folgend. Das Ich-kann, deren Leistung und Tätigkeit für die Gestaltung und Fortgestaltung der Welt zuständig sind, ist also zugleich ein Ich-will, oder besser ein Ich-bin-motiviert-zu. Die konstituierende Subjektivität ist nicht bloß eine Struktur von theoretischen Akten, sondern ein konkretes Vermögen, verankert in den Motivationsketten sowie in der leiblichen Bestimmung des Ich. Das zeigt seine Konsequenzen in einer speziellen Struktur, die Husserl in der Krisis als das System der Sonderwelten oder Zweckwelten bezeichnet (vgl. Husserl, 1976, 460).
Wir leben in Sonderwelten, die um das eigene Interesse herum zentriert sind und dadurch einen bestimmten Winkel der Welt uns zugänglich machen: die Welt, die uns zur Verfügung steht, die für uns erwartungsmäßig verständlich und für unsere Lebensweise mehr oder weniger adäquat ist. In einer Beilage zur Krisis aus dem Jahre 1936 schreibt Husserl: „Jede jener ,Welten' hat ihre durch den Berufszweck bestimmte besondere Universalität, jede den unendlichen Horizont einer gewissen ,Allheit'" (Husserl, 1976, 460). Die Sonderwelten sind keine
7 Jagna Brudzinska hat die These des Vorrangs der praktischen über die theoretische Intentionalität in (Brudzinska, 2014) mit Bezug auf den Begriff der Lebenswelt argumentiert.
Abstraktionen, sie weisen vielmehr eine eigene Form von Ganzheit auf. „Aber — so geht Husserl weiter — all diese Allheiten fügen sich der Welt ein, die alles Seiende und alle seienden Allheiten wie all ihre Zwecke und bezweckenden Menschen und Menschheiten umspannt. Alle fügen sich ein und — alle setzen sie voraus" (Husserl, 1976, 460). Die Struktur ist scheinbar ganz nachvollziehbar: die verschiedenen Sonderwelten fügen sich in die eine Lebenswelt ein, wie Teilaspekte eines komplexeren Zusammenhangs. Doch, Husserl selbst scheint hier zu spüren, dass dieses sich Einfügen, diese Konvergenz, die Bildung einer solchen Einheit, keinen Automatismus darstellt, sie kann nicht als selbstverständlich hingenommen werden . Vielmehr verbirgt sich hier ein Rätsel, der m.M.n. auf der theoretischen Ebene allein nicht zu lösen ist.
Husserl definiert im Folgenden die Lebenswelt als „das ,Gebiet', das allen Zwecken [... ] vorangeht als das, wofür sie bezweckt, das sie behandelt, das sie vorweg einheitlich ins Auge fasst, um dafür, in Beziehung darauf zwecktätig zu wirken und Werkgebilde zu schaffen" (Husserl, 1976, 461, m. H.). Die Lebenswelt ist weder der bloß statische Hintergrund neutraler, faktischer Tätigkeiten noch eine passive, materielle Voraussetzung, wie rohes, formloses Stoff, das beliebig verwandelt werden kann. Sie ist vielmehr „das Wofür", der letzte finale Bezugspunkt des praktischen Handelns der Subjekte. Husserls Wortwahl macht hier deutlich, dass es sich um ein praktisches Machen, ein zweckmäßiges Wirken, handelt, das aus der Quelle der praktischen Interessen und Zielen des Ich entspringt. Diesen haftet wesensmäßig die Einseitigkeit, die sie zu konkreten Eigeninteressen eines Ich macht. Doch, die Sonderinteressen des Ich-kann bestehen und rechtfertigen sich nicht allein und für sich selbst. Sie setzen sicherlich das Ich als Motivationsquelle voraus, dabei verweisen sie dennoch über
8 In eine ähnliche Richtung scheint mir die Reflexion von James Dodd zum Begriff des „Einströmens" des Transzendentalen in das natürliche Leben zu führen (vgl. Dodd, 2004, 217218). Beim Hervorheben des besonderen Verhältnisses der natürlichen Welt mit der transzendentalen Dimension scheint mir nämlich Dodd, die Schwierigkeit und die nicht-Faktizität der Beziehung zwischen den eigenen, empirischen Welten und der einen Welt aufzuspüren. In einem andren Beitrag, der der Interpretation des Politischen bei Schmitt, Husserl und Scheler gewidmet ist, erwähnt außerdem Dodd einen wesentlichen Unterschied zwischen der Weltinterpretation Schelers und der Rolle der Lebenswelt bei Husserl, der im Rahmen unserer Argumentation eine hohe Bedeutung erlangt. Dodd bemerkt nämlich, dass die eine Welt bei Scheler die Bedeutung einer gegebenen Ordnung annimmt, die durch die Verwandlung in eine Umwelt umwälzt werden muss. Der individuellen Dimension der Umwelt wird dann erst die positive Bedeutung einer Gestalt schöpferischer Aktivität beigemessen. Wie wir sehen, findet hier eine Umkehrung der Bedeutung von Welt und Umwelt statt, deren moralische Auswirkung in Dodds Beitrag ausführlich dokumentiert wird (vgl. Dodd 2007, 95).
sich und über die eigene Sonderwelt hinaus auf den umfassenden Horizont der Lebenswelt als ihr „Wofür".
Die Beziehung der interessenzentrierten Sonderwelt zur Lebenswelt ist weder mechanisch-kausal noch bloß faktisch-materiell zu erklären. Sie entwickelt sich vielmehr auf der Ebene der Praxis und der in ihr verankerten Sinnleistung. Es handelt sich um ein wechselseitiges Verhältnis, das nicht einfach besteht, sondern aktiv geschaffen werden muss. Das Verhältnis zwischen Sonderwelten und der umfassenden und letztbegründenden Lebenswelt lässt sich so als ein Scharnier beschreiben, als ein empfindlicher und mobiler Artikulationsmoment, das in sich eine offensichtliche Fragilität birgt und dennoch zugleich den Ansatz für moralische Verantwortung bieten kann.
Fragil und stetig in Frage ist das Zusammenhalten der mannigfaltigen Interessenwelten, weil die Lebenswelt, die ihren gemeinsamen Horizont darstellt, keine bloße Tatsachenwelt ist. Deswegen lassen sich ihre Einheitlichkeit und Persistenz, sowie die innere Kohärenz der in sie zusammenführenden Welten nicht als bloße Fakte verstehen. Die Einheit der Lebenswelt ist nicht einfach gegeben. Vielmehr beruht sie auf den stetigen und mannigfaltigen Sinnleistungen und auf dem praktischen Handeln der Subjekte. Die Integration und Osmose zwischen den Sonderwelten gründet auf der subjektiven Fähigkeit und Bereitschaft, den impliziten Horizont der einzelnen Tätigkeiten aufzuspüren und damit die inneren Verweise meiner aktuellen Interessen über meine Eigensphäre hinaus auf für mich jetzt unbestimmte, nur dunkel gegebene Realisierungsmöglichkeiten, auf unbekannte Welten und fremde Erfahrungen anzuerkennen. Die erfolgreiche und voll bedeutsame Konstitution der eigenen Sonderwelt fordert also das Bewusstsein der Partialität derselben, also ein Gespür für die Einseitigkeit und Unselbstständigkeit der einzelnen Sonderwelt und damit zugleich das Bewusstsein ihrer letzten Referenz auf die gemeinsame, umfassende Lebenswelt. Hier kann der Appell an die personale Verantwortung ansetzen; hier wurzelt die konstitutive ethische Bedeutsamkeit der Lebenswelt als letzter Horizont der partiellen Sonderwelten.
Denn die vereinheitlichende Funktion der Lebenswelt erschließt sich nicht aus dem Bereich der faktischen, physikalischen Sachverhalte, sondern beruht auf der Korrelation mit den konstituierenden Subjekten9. An ihre Verantwortung wird
9 Bernhard Waldenfels hat seine raffinierte und komplexe phänomenologische Ethik im Ausgang vom Phänomen des Ansprechens und des Anspruchs des Anderen entwickelt. Der „Appell an jemanden" stellt in diesem Rahmen einen Aspekt des Anspruchs dar, zusammen mit der
appelliert, um die Einseitigkeit der eigenen Sonderwelt anzuerkennen und damit den lebendigen Bezug auf die einheitliche Welt zu bewahren. Neben der Möglichkeit einer fortschreitenden Bereicherung der Welt durch die Integration von immer neuen partikulären Welten offenbart sich hier nämlich auch das entgegengesetzte Risiko: wenn die Forderung nach Integration unerfüllt bleibt und die Einheit und innere Vervollkommnung der Lebenswelt im Hintergrund bleiben, droht der Zusammenbruch der bestehenden Welt, ihr Schrumpfen zu einem abstrakten, uniformen Modell, ihre Einschränkung auf schon bekannte und erschöpfte Möglichkeiten. Es ist die Verabsolutierung eines partiellen Interesses, wie das der Naturwissenschaften, die nach Husserl für die umfassende Krise und die fortschreitende Sinnlosigkeit der Welt verantwortlich ist. Aber das sind auch die defensiven Reaktionen der Gesellschaft gegen fremde Kulturen und unterschiedliche Lebensweisen, die die Verabsolutierung der etablierten Normalität voraussetzen und diese implizite als selbstgenügsam setzen. Diese wohl bekannte Gefahr zeigt noch einmal, dass der Prozess der Konstitution keinen von Natur aus garantierten Resultat verspricht. Wie wir schon gesehen haben, setzt das Ich-kann, das die Verantwortung für die Konstitution der Sonderwelt in innerer intentionaler Beziehung mit der Lebenswelt trägt, kein objektives, in der Natur begründetes Es-muss voraus.
Eine solche strukturelle Offenheit des Prozesses könnte auf eine radikale Kontingenz und Willkür hin schließen lassen. Doch, meine These ist, dass genau dieselbe Offenheit und Prekarität der Konstitution, die vom Ich-kann her geleistet wird, den Raum für seine Verantwortungsübernahme vorzeichnet. Die Fragilität des inneren Zusammenhaltens der Sonderwelten innerhalb der einen Lebenswelt enthält eine immanente Forderung, einen vorprädikativen Appell, der vor jeder Normsetzung, vor jeder ausformulierten Ethik, in der schlichten Erfahrung der Welt schon impliziert ist, wenn diese als vorprädikative Leistung eines Ich verstanden wird. Dem Ich-kann entspricht dann ein fungierendes, vorprädikatives
„Prätention" als Anspruch „auf etwas" (vgl. Waldenfels, 1998, 43). Doch, meine Überlegungen divergieren von Waldenfels zum Punkt der Korrelation. Waldenfels betont: „Der fremde Anspruch, auf den wir antworten, und das Antwortereignis selbst bilden keine Korrelation wie Sinn und Intention, wie Noema und Noesis bei Husserl. Sie sind in keiner Einheit oder Ganzeitaufgehoben". Die responsive Phänomenologie geht also „über eine Phänomenologie der Intentionalität ebenso wie über eine Hermeneutik der Texte hinaus" (Waldenfels, 1998, 35). Ich glaube, hingegen, dass gerade das Phänomen der Verantwortung zusammen mit dem Begriff der Lebenswelt dazu führen, die Idee der Korrelation nicht zu verwerfen, sondern sie zu erweitern. Die phänomenologische Ethik zeigt somit ihre Wurzel in derselben intentionalen Struktur auf, die Husserl im epistemologischen Sinn entwickelt hat, und zugleich enthüllt die theoretische Intentionalität selbst ihre Kontinuität mit der lebensweltlichen Praxis.
Ich-soll. Wenn wir, mit Husserl, die Konstitution der Welt dezidiert von den kausalen und physikalischen Naturprozessen unterscheiden und diese als die Sinnleistung des Ich verstehen wollen, können wir zugleich nicht die praktische Bedeutung des subjektiven Leistens ignorieren. Eine vorprädikative Form der Verantwortung hat hier ihre Quelle, eine Verantwortung, die nicht mit einer ausgesprochenen, historischen Norm gleichzusetzen ist, sondern primär die nichtNeutralität und die nicht-Faktizität des subjektiven Konstituierens bedeutet.
6. ZEIT, TRADITION UND DIE VERANTWORTUNG FÜR DIE WELT
Wie ist allerdings der Appell an die in der konstitutiven Leistung enthaltene Verantwortung zu verstehen? Wie wir schon gesehen haben, handelt es sich nicht um eine ausformulierte Forderung oder um eine explizite Norm oder Regel. Die erfahrungsmäßige Konstitution der Welt findet nämlich vor jeder Bestimmung einer normativen Ethik statt und wird von dieser vorausgesetzt. Um die Frage nach dieser vor-normativen Verantwortung zu verstehen, soll vielmehr die spezifische Gegebenheitsweise der Lebenswelt als solche erläutert werden. Aus den Untersuchungen zum Lebensweltbegriff geht es hervor, dass der Hauptgegebenheitsmodus der Lebenswelt in einer dunklen und doch prägenden Form von Vorgegebenheit besteht10. Die Welt gibt sich in einer typischen und durchhaltenden Gegebenheit, deren undurchdringliche Persistenz die paradoxe Nebenwirkung der Unsichtbarkeit der Welt als Ganzes mit sich bringt. Es handelt sich um eine Gegebenheitsweise, die die Möglichkeit jeder Abhebung gewährt und gerade deswegen für sich selbst keine Abhebung zulässt. Erleuchtend ist in dieser Hinsicht eine Bemerkung von 1920: „Konkrete Einheit eines Empfindungsdatums = Einheit einer Abhebung" und ergänzend „Abhebung macht im Hintergrund geschlossene Einheit" (Husserl, 2008, 7). Die Abhebung von einzelnen Empfindungsdaten und weiter von einzelnen Gegenständen ist nur vor einem Hintergrund möglich, erleuchtet jedoch nicht den Hintergrund als solchen.
Die Gegebenheit der Welt artikuliert sich also nicht nach Relevanzen, wie im Fall von Gegenständen und bestimmten Tatsachen, sondern verweist auf eine allgemeine „bleibende Form [des] Universums" (Husserl, 2008, 50), die Husserl mit dem Begriff der Zeit und erst in zweiter Instanz des Raums identifiziert. Die Typik der Zeitlichkeit ist die eigentliche Form der Welt. Doch, eine solche
10 Vgl. den ersten Abschnitt des Husserliana Bandes zur Lebenswelt (Texte 1-8), der die Mannigfaltigkeit Husserls Untersuchungen zum Thema der Vorgegebenheit der Welt ab den 20er Jahren wiedergibt (vgl. Husserl 2008, I. Abschnitt).
formgebende, konstituierende Zeit kann nicht mit der quantitativen, objektiven Zeit gleichgesetzt werden. Die letzte kann nämlich schwer als vereinheitlichende, Einheitsgebende Dimension fungieren, da ihre unaufhörliche Iteration, das sich Wiederholen von identischen, undifferenzierten Momenten, vielmehr eine Funktion der Dispersion, der Streuung ausübt, als dass es der kohärenten Harmonisierung und dem Zusammenführen der Weltmomente und Weltprofile dienen könnte. In der faktischen, objektiven Zeit wird jedes Ereignis vom Folgenden vertrieben und verwischt, jeder Moment wird ohne Rücksicht auf die verschiedenen Qualitäten und Bedeutungen der Erfahrung ersetzt und durchstrichen. Wäre die Welt nur nach der objektiven Zeit geordnet, würde diese einem leeren Gebäude ähneln, das Momente der Trauer und Momente des Feierns nacheinander, beliebig und ohne jeden Zusammenhang oder Interaktion beherbergt. Als bloßer Haufen von Gegenständen und Tatsachen zersplittert dann die Welt in unendliche Abschnitte und Teilperspektiven, die voneinander losgelöst bleiben.
Doch, im Ausgang von unserer alltäglichen Erfahrung, in „einer" Welt zu leben, entdeckt die phänomenologische Intentionalanalyse die Zeit als erlebte Dimension, als Dimension des Vorher und Nachher, der Konsequenz, und der Gegenwart als Zuwendung und Aufmerksamkeit. Husserl beschreibt sie nicht nur als Struktur des individuellen Bewusstseins (vgl. Husserl, 1966b), sondern interpretiert sie auch in einem kollektiven, gemeinschaftlichen Sinn in den späten Manuskripten zur Lebenswelt unter dem Begriff der „Tradition". Hier verbindet sich das Thema der Zeitlichkeit mit dem Problem der Vorgegebenheit der Welt und ihres vertrauten Stils. Hier finden wir zudem einen möglichen Ansatz, um das Problem der Einheitlichkeit der Welt in Zusammenhang mit der Idee einer vorprädikativen Verantwortung auszulegen.
Der erfahrungsmäßige Stil der Lebenswelt und ihre eigentümliche zeitliche Kontinuität beruhen auf dem menschlichen Tradieren: „Dazu gehört, dass im Konnex der fortschreitenden Erfahrung eines jeden und einer jeden vergemeinschafteten Menschheit sich durch zunächst einseitiges, dann wechselseitiges Tradieren eine fortschreitend einheitliche, reichere, erweiterte Vorgegebenheit herstellt und so die Welt für alle, die immer das schon ist, die Bereicherungen der Einzelnen und Gruppen auf immer weitere Einzelne und Gruppen tradiert" (Husserl, 2008, 54). Kurz vorher hatte Husserl ebenfalls notiert: „Aus meinem Leben hat Welt (im Konnex mit den anderen) eine Struktur der Vorgegebenheit; und sie war in meiner Kindheit eine andere als jetzt, und sie wandelt sich als bestimmte Vorgegebenheitsstruktur ständig" (Husserl, 2008, 53).
Die charakteristische Vor-Gegebenheit der Welt begegnet uns schon in der Kindheit. Sie wird uns weitergegeben, sie wird also für uns vorbereitet, vorbestimmt. Ihr Stil ist zwar „gemacht", also durch subjektive Sinnleistungen geprägt und fortgehend konstituiert, nicht jedoch von jedem Subjekt, von mir, von Anfang an, in seiner Ganzheit konstituiert. Das Subjekt begegnet der Welt während es zwar nicht passiv, doch aber beeindruckbar, verletzlich und bedürftig, abhängig ist. Hier setzt die erste Verantwortung an. Indem sie nicht ein automatischer Vorgang, sondern ein zielgerichteter Prozess ist, impliziert die Konstitution der Welt die Verantwortung künftigen Generationen gegenüber. Diese glückliche Formulierung wurde von Hans Jonas als Schlüsselbegriff einer modernen Ethik verwendet (Jonas, 1979). Doch, mir scheint, dass es fruchtbar sein kann, diese ethische Position durch die phänomenologische Erfahrungsanalyse auf den Boden der ersten Konstitution der Lebenswelt zurückzuführen. Die Orientierung der Konstitution, die Tragweite der Exploration und der Sinngebung, die die Subjekte stetig vollziehen, erweisen sich dann als nicht neutrale Tatsachen. Husserl erläutert diesen Zusammenhang durch den Verweis auf die „Orientierungspraxis" der Subjekte und versteht darunter sowohl die somatischen, leiblichen Bewegungen des erfahrenden Ich als auch das „praktisch Sich-Entscheiden und dann <im> sogleich oder im vorgesetzten Nachher Verwirklichen" der Person (Husserl, 2008, 146). Die Konstitution wird also sowohl in bloß leiblichen Aktivitäten als auch in dem eigentlichen subjektiven sich-Entscheiden und Realisieren vollzogen. Der kontinuierliche „Wechsel der Orientierungen" (Husserl, 2008, 146) findet nicht im Reich des indifferenten Naturablaufs statt und kann nicht unmittelbar als physikalischer Vorgang abgelesen werden11. Es bedingt vielmehr die Vorbestimmung der Welt, die für das Ich gültig ist, die an Andere als selbstverständlich geltend tradiert wird und daher für sie und für die künftige Konstitution bindend sein wird. Jeder konstituiert und gestaltet die Welt in erster Person, doch jeder tut das nicht nur für sich selbst und für die Nächsten. Vielmehr trägt jeder die Verantwortung für die Welt, die als Ganze tradiert, weitergegeben, für die Zukunft bewahrt wird.
11 Diese These wird heute in der Debatte um die vollkommene Naturalisierung des menschlichen Geistes und seiner moralischen Eigenschaften aufgrund der Fortschritte im neurobiologischen Forschungsbereich erneut aufgegriffen. Insbesondre vgl. den von Fuchs und Schwarzkopf herausgegeben umfassenden Band, der sich als eine vielfältige Auseinandersetzung mit dem „Manifest" zur Zukunft der Hirnforschung von Elger et al. (Elger et al., 2004) lesen lässt. In diesem Band betont u. A. Elisabeth Gräb-Schmidt den anthropologisch wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Orientierung, der strukturellen Weltoffenheit des Menschen und der Forderung nach Verantwortlichkeit (vgl. Gräb-Schmidt, 2010, 277).
Wie schon erwähnt, wurde diese Gedankenrichtung umfassend in der Ethik der Verantwortung von Hans Jonas entwickelt. Seine Perspektive geht allerdings unmittelbar von der zeitgenössischen Funktion der Technik aus und greift damit hauptsächlich auf Heideggers Kritik der Technik zurück. Ich glaube, dass eine solche Kritik besser begründet wäre, wenn die Technik als ein späterer und relativ hohestufiger Bestandteil des umfassenderen Lebensweltbegriffs anerkannt wäre und in die dahinterstehenden Erfahrungs- und Motivationszusammenhänge hineingeforscht würde. Der Anspruch auf Verantwortung lässt sich nämlich nicht nur aus den Drohungen einer unkontrollierten und immer mehr unmenschlichen Technik ableiten. Sollten die Bewegungen, die für Wachstumrücknahme und für eine Rückkehr zu natürlicheren Lebensweisen plädieren, stärker werden oder sogar sich durchsetzen, sollten wir einen Schritt zurück von der Technikübermacht machen können, hätten wir unsere Aufgabe der Verantwortung der Zukunft gegenüber nicht absolviert. Wie ich zu zeigen versucht habe, setzt ein umfassendes Verständnis der Struktur der Lebenswelt, sowohl in ihrer zeitlichen Anordnung als auch in ihrer Vorgegebenheit, den Bezug auf ein praktisch fungierendes Ich-kann voraus. Dieses wiederum lässt sich nicht als ein anonymer und neutraler Träger von bloß sinnlichen Empfindungen und intellektiven Akten verstehen, sondern erschließt seine volle Bedeutung als verantwortliches Subjekt einer Orientierungschaffenden Praxis.
7. DIE VORNORMATIVE VERANTWORTUNG: EINE WELT FÜR ALLE
Das Manuskript aus dem Jahre 1920, der uns bislang als Textgrundlage gedient hat, fordert allerdings einen letzten Schritt der Interpretation. Hier wird die Lebenswelt wie folgt weiter definiert: „Welt als Welt für alle Menschen — füreinander als Menschen schon verständlich, aber in einer nur beschränkt bestimmten Vorgegebenheitsstruktur — ist immer schon konstituiert und eben für alle." (Husserl, 2008, 54). Die Lebenswelt, die das „Wofür" aller Sonderpraktiken und Sonderwelten darstellt, ist näher definiert als ein „für alle". Diese Bezeichnung verweist im Rahmen der phänomenologischen Erkenntnistheorie und der Theorie der Wahrnehmung auf die intersubjektiv-begründete Objektivität der Welt (vgl. Husserl, 1950, 121). Dennoch lässt diese Definition auch eine weitere Interpretation zu, die den praktischen Aspekt des universalen Zusammenhangs in den Vordergrund stellt. Die Welt als Welt für alle ist nicht nur ein Sammelsorium von Gegenständen, die für alle sichtbar und insofern möglicherweise objektiv sind. In Husserls Worten: „Wir leben in dieser Welt nicht als Haufen von Realitäten, sondern als Subjekte, die füreinander da sind, als
Menschen, die man ansprechen, von denen man Mitteilungen empfangen, mit denen man verhandeln und überhaupt handeln kann, zu Gemeinzwecken sich verbindend, oder die man bekämpfen muss als Feinde, deren Zwecke den unseren im Wege sind" (Husserl, 2008, 197, m. H.). Eine Welt, die als umfassendes Ziel aller Sonderinteressen wirksam sein soll, kann sich nicht mit einem bestimmten Zweck identifizieren. Sie deutet vielmehr auf die umfassende Zielsetzung eines Gemeinzwecks, eines vollkommeneren Seins „für-Alle" hin, d.h. auf die vollkommene Realisierung der Inklusion der Sonderinteressen in einem Horizont, der adäquaten Möglichkeiten der Realisierung und Bewährung, aber auch der Korrektur und Ablehnung für alle beherbergt. Implizit hier ist die gegenseitige Verantwortungsübernahme der Subjekte der einzelnen Sonderwelten, diese nicht als ab-solute zu verstehen und ihre faktisch aktuelle Relation nicht als endgültig und unveränderbar vorauszusetzen.
Der konstante Verweis auf die Lebenswelt als gemeinsames Wofür, als letzten Zielhorizont, dient der Inklusion, verbietet die Verabsolutierung der Sonderinteressen und ermöglicht damit eine letzte Überwindung des Solipsismus. Und zwar nicht nur des Solipsismus als Hindernisses für die objektive Erkenntnis der Welt, sondern auch als der erfahrungsfernen Einschränkung der existentiellen und ethischen Position des Subjekts auf ein abstraktes Eigeninteresse. Wie die zitierte Passage klarmacht, eine unmittelbare, gegenseitige Verständlichkeit der Menschen füreinander begleitet, gründet und durchdringt die Vorgegebenheit der Welt und zeigt somit die Unhaltbarkeit des Modells eines selbstständigen, selbstgenügsamen, isolierten Subjektes, das erst im Nachhinein und aufgrund einer thematischen Stellungnahme den Weg zu den Anderen finden muss. Im Horizont der Lebenswelt erfolgt vielmehr das gegenseitige Anerkennen und sich Verstehen der Menschen nicht primär kognitiv, sondern in Ausgang von einem
gegenseitigen commitment und vom gemeinsamen commitment der Lebenswelt
12
gegenüber . Diese bietet, nach Husserl, den Boden aller Evidenzen, also den Boden für die Evidenzen, die für die Erfüllung aller Interessen nötig sind und die den Erkenntniswert aller Praktiken mitbegründet. Die ethische Bedeutung dieser Einsicht wird von Husserl in einem Manuskript aus dem Jahr 1931 ausgelegt,
12 Der englische Begriff verweist auf eine einverleibte Verantwortungsübernahme, auf eine vornormative soziale Intentionalität, die noch nicht als thematische Verpflichtung verstanden werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine vorprädikative Form des Engagements (vgl. Gilbert, 2014) und die Untersuchungen zur shared intentionality in (Szanto & Moran, 2016) und scheint mir deshalb angemessen zu sein.
dessen Konvolut den Titel Universale Ethik trägt . Hier bemerkt Husserl, dass die Ethik und die damit verbundene „letztmögliche Verantwortungsmöglichkeit [...] die gesamte Welt, die für die Menschheit Feld ihrer Praxis ist und sein kann" umfasst (Husserl, 2014, 477) und betont dabei, dass das nicht nur die Welt als soziale und kulturelle Welt betrifft, sondern die Natur selbst „sofern in dieser, in ihrer ganzen Seinsstruktur Bedingungen der Möglichkeit einer überhaupt praktisch zu gestaltenden Welt liegen" (Husserl, 2014, 477). Die Welt in ihrer sozialen, aber auch physisch-natürlichen Verfassung, bietet nicht nur einen statischen Horizont, sondern einen lebendigen Boden für das praktische und ethisch relevante Leben der Subjekte.
Dieser Boden ist nicht festgelegt, nicht eins für allemal gestiftet, sondern er befindet sich in konstanter Entwicklung und Verwandlung. Er ,ist' nicht, sondern wird und wird kontinuierlich gemacht. In einem 1936 verfassten Text verweist Husserl auf die Lebenswelt als „in beständiger Bewegung dadurch, dass jede neue Tätigkeit neue Sinnbestände schafft, die der bisher in einem Seinssinn vorgegebenen Welt schlicht apperzeptiv zuwachsen" (Husserl, 2008, 516). Doch, damit dieser Boden nicht ausdorrt, d.h. damit er nicht eingeschränkt, nicht verunstaltet wird, damit die Evidenzquelle nicht versperrt wird, ist das Engagement und die Verantwortung jedes Subjektes gefragt. In dieser praktischen Perspektive erscheint die Lebenswelt weniger als ein gegebener Horizont, als als eine gemeinsame Aufgabe, die die verantwortlichen Subjekte zueinander und zu einem letzten Ideal der Integration, der Fürsorge und der Bereicherung verpflichtet. Die Bereicherung der Lebenswelt als Evidenzquelle erschöpft sich nicht in der Ansammlung von Erkenntnissen und Informationen innerhalb der einzelnen Wissenschaften und derer partikulären Methoden. Die ständige Bereicherung der Lebenswelt impliziert vielmehr die Möglichkeit, über die disziplinären Grenzen und über die etablierten Erkenntnisse hinaus immer neue Fragen zu stellen. Der Boden der Evidenz ist der Boden aller möglichen In-Frage-Stellungen, aller möglichen Fragen, die als Leitfaden verschiedener Explorationen der Welt dienen. Die Lebenswelt als Möglichkeitsbedingung einer so vielfältigen und unaufhörlichen Hinterfragung zu bewahren, stellt eine im Wesentlichen gemeinsame Aufgabe dar. Damit gründet die gemeinsame Verantwortung der — Husserls Definition gemäß — „Allmenschheit" (Husserl, 1976, 275). So lässt sich die Behauptung Husserls genauer einordnen: „In der Welt leben ist auf eine
13 Das Manuskript ist heute im Band XLII der Husserliana mit dem Redaktionstitel <Universale ethische Besinnung auf Menschheit und Welt. Welt als Feld menschlicher Praxis und die Aufgabe der Entwicklung einer universalen ethischen Menschheit> veröffentlich (Husserl, 2014, 472-483).
wertvolle Welt hin leben" und die folgende Erläuterung, „Hinleben ist aber aktiv sein, verändern, und zwar verändernd [...] eingreifen, aus Wertlosem in dem doppelten Sinne positiv Wertes, aus Niederem Höherwertes schaffen" (Husserl, 2008, 315). Das Leben in der Welt ist kein passives, bloß räumliches Dasein, sondern von Anfang an ein Streben, das eine Orientierung voraussetzt und damit eine Verantwortung dem angestrebten Ziel gegenüber impliziert. Es geht darum, „aus [n]iederem [Wert] Höherwertes [zu] schaffen" (Husserl, 2008, 315). Es klärt sich dadurch, inwiefern der Begriff der Verantwortung sich nicht auf einen bestimmten Wert bezieht, sondern als ein praktisch geprägter Gegebenheitsmodus zu verstehen ist, der einen bedeutungsvollen Zugang zur Lebenswelt ermöglicht und diese nicht als eine Tatsache höherer Ordnung, sondern als eine Aufgabe erscheinen lässt. Es handelt sich um die Aufgabe der Selbstbesinnung, die die Welt als Wofür der einzelnen Praktiken und zugleich als Welt für alle erfasst. Dafür ist nicht das Aufgeben der eigenen Interessen erforderlich, sondern die Entdeckung des untrennbaren Zusammenspiels jener Interessen, das eine sinnvolle Realisierung nur im umfassenderen Horizont der Lebenswelt möglich macht.
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