HORIZON 5 (i) 2016 : I. Research : M. Vajda : 54-69
ФЕНОМЕНОЛОГИЧЕСКИЕ ИССЛЕДОВАНИЯ • STUDIES IN PHENOMENOLOGY • STUDIEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE • ÉTUDES PHÉNOMÉNOLOGIQUES
Doi: 10.18199/2226-5260-2016-5-1-54-69
WIE ICH AUS DER MINDERJÄHRIGKEIT DES MARXISMUS MIT DER HILFE DER PHÄNOMENOLOGIE HERAUSWUCHS?
MIHÄLY VAJDA
Professor emeritus at the University of Debrecen in Hungary, Regular Member of the Hungarian Academy of Sciences, University of Debrecen, Faculty of Arts, 4032 Debrecen, Hungary.
E-mail: vajda.mihaly@arts.unideb.hu
MY EMERGENCE FROM THE IMMATURITY OF MARXISM IN VIRTUE OF PHENOMENOLOGY
In this paper the author reflects on the phenomenological motives in his departure from the Marxism of Georg Lukacs in the Hungary of the late 1960s and early 1970s. He first encountered phenomenology at the university during the classes of Ägnes Heller, another future dissident of Marxism, which led him to study the Logical Investigations when he became a research assistant at the Institute of Philosophy of the Hungarian Academy of Sciences in 1961. Following in the footsteps of other readers of Husserl's opus magnum, the author was confronted by Husserl's manifest Platonism in the first and equally manifest psychologism in the second volume of the same work. This apparent contradiction between atemporal objectivities and their life-world origins led him to the phenomenology of Max Scheler, to whom the author dedicated the fourth chapter of his second monograph on Husserl published in 1969. The thinker who radically overcame Husserl was, for the author, Martin Heidegger. Modern scholarship has meanwhile convinced him of the fundamental differences between these two phenomenologists, but one lesson remains: Phenomenology is characterized by evidence that originates from seeing, rather than mere words and argumentations.
Key words: Marxism, phenomenology, Husserl, Heidegger, Scheler, Hungarian reception of phenomenology, Lukacs.
© MIHÂLY VAJDA, 2016
КАК Я ВЫРОС ИЗ МАРКСИСТСКОГО МАЛОЛЕТСТВА ПРИ ПОМОЩИ ФЕНОМЕНОЛОГИИ?
МИХАЛИ ВАЙДА
Заслуженный профессор Университета Дебрецена (Венгрия), действительный член Венгерской Академии Наук, Университет Дебрецена, Факультет искусств, 4032 Дебрецен, Венгрия.
E-mail: vajda.mihaly@arts.unideb.hu
В данной статье автор размышляет о феноменологических мотивах своего отхода от марксизма в стиле Дъердя Лукача в конце шестидесятых — начале семидесятых годов. Впервые автор столкнулся с феноменологией в университете во время занятий Агнес Хеллер, впоследствии также отошедшей от марксизма. Это побудило его прочитать «Логические исследования», когда в 1961 году он стал научным сотрудником в Институте философии Венгерской академии наук. Вслед за другими читателями этого opus magnum Гуссерля, автор столкнулся с откровенным платонизмом первой части этого труда, и явным психологизмом второй его части. Видимое противоречие между атемпоральными объективностями и их истоками в жизненном мире привело автора к феноменологии Макса Шелера. Автор посвятил Шелеру четвертую главу своей второй монографии о Гуссерле, изданной в 1969 году. С точки зрения автора, мыслителем, который радикально превзошел Гуссерля, был Мартин Хайдеггер. Современные исследования убедили автора в фундаментальном различии между этими двумя феноменологами. Однако же налицо общий урок: феноменология зиждется на основаниях, почеренутых из видения, а не просто на словах и аргументах.
Ключевые слова: Феноменология, марксизм, Гуссерль, Хайдеггер, Шелер, рецепция феноменологии в Венгрии, Лукач.
Es ist schon mehr als 50 Jahre her, dass ich Husserl zu lesen begann. Als ich noch Student war, und Ägnes Hellers Vorlesungen über die existentialistischen Ethik besuchte, hat sie erwähnt, dass der Ausgangspunkt der Existentialisten die Phänomenologie von Edmund Husserl war. Sie empfahl mir mit ihm zu beschäftigen. In Ungarn kennt ihn praktisch niemand. Ich wollte ihrer Empfehlung folgen, ich kam aber damals noch nicht dazu: als ich meine Universitätsstudien beendete, als «Revisionist» oder so etwas bekam ich mit Müh und Not nur eine Stellung als Lehrer in einer Elementarschule, obwohl ein Professor von mir mich als seinen Assistenten anstellen wollte. «Wisenschaftliche» Arbeit kam für mich nicht in Frage. Nach drei Jahren habe ich aber im Institut für Philosophie an der Akademie doch eine Stelle bekommen, dann begann ich Husserls Logische Untersuchungen fleißig zu studieren.1 Ob ich sie wirklich verstanden habe? Was
eigentlich der Verfasser will, konnte ich, ehrlich gesagt, nicht verstehen. An Hand vom ersten Band, der Prolegomena, schien mir, dass Husserls Ziel nichts Anderes sei, als die Logik auf einer festen Basis aufzubauen, im Gegensatze zum Psychologismus, der sie als eine Wissenschaft der Gesetze des menschlichen Denkens auffasst. Das war für Husserl, wie man weiß ein gefährlicher Relativismus. Husserl meinte, dass jede Wahrheit, nicht nur so etwas, wie z. B. das Gesetz der Identität (A = A) unabhängig davon sei, wie ein Mensch denkt, sondern auch z. B. die Newtonsche Gesetze über die Bewegung der Himmelskörper vom jeglichen menschlichen Denken unabhängig seien. Mehr: Sie seien auch davon unabhängig, ob es überhaupt denkende Wesen gibt, sogar davon, ob es Himmelskörper, oder irgendeine materielle Welt überhaupt gibt. Dass A mit A immer identisch ist, konnte ich noch akzeptieren, damit aber, dass die Newtonschen Gesetzte auch in dem Falle ewige Wahrheiten seien, wenn es keine Welt gibt, konnte ich mich nicht versöhnen. Was heißt es eigentlich, dass diese Gesetze wahr seien (was bei Husserl übrigens damit identisch ist, dass sie für einen jeden wahr sind), wenn es gar nichts gibt, worauf sie sich beziehen könnten, und es kein Wesen gibt, für es sie wahr seien? Unabhängig davon, fand ich Husserls Text sehr spannend, ich fasste Husserl als einen modernen Platoniker auf, und so konnte ich für seine Behauptungen einen Sinn finden. Nehmen wir an, es gibt keine materielle Welt; im Reich der Ideen gibt es auch in diesem Fall Himmelskörper, deren Bewegungsgesetze nicht einfach anders sind, sie können sogar gar nicht anders sein, als die von niemandem, natürlich auch nicht von Newton registrierte Bewegungsgesetze. In der Welt der Schatten (der Phänomene?), wo wir leben, ist es möglich, dass man die Gesetze von Newton nicht kennt, es musste jemand kommen, der sie entdeckte; es gibt also eine Welt, die von eindeutigen, absolut gültigen Gesetzen beherrscht seien, und die Aufgabe des Philosophen wäre die Erkenntnisweise zu finden, die diese Welt mit absoluter Sicherheit «antrifft». Aller Wahrscheinlichkeit nach fand ich wegen meiner Lukacsschen Schulung nichts Problematischen darin: natürlich ist das die Aufgabe des Philosophen, nur der arme Bourgeois-Idealist, dieser Husserl konnte nicht verstehen, dass diese eindeutige Welt, die von absolut gültigen Gesetzen beherrscht ist,
Bibliothek des oben genannten Instituts ist im Besitz von Exemplaren dieser Erstausgaben (Signaturen: B3060, B3062), die reichliche Lesespuren aufweisen. — Anmerkung des Herausgebers des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
nichts anderes sei, als unsere materielle Welt, in der vor dem durch und durch materiellen Menschen, der irgendwie auch mit geistigen Fähigkeiten begnadet ist, die Geheimnisse und Gesetzte dieser Welt sich immer tiefer und tiefer erschlossen werden. Natürlich nur in dem Falle, wenn er seine Klassenvorurteile in Klammern setzt.
Ehrlich gesagt, könnte ich heute nicht mehr sagen, was für einen Eindruck der II. Band von den Logischen Untersuchungen auf mich übte; ob ich auch a la Heidegger geglaubt hätte: «Also doch eine Psychologie».2 Unwahrscheinlich. Ich wagte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so frech kritisch sein. Eins ist aber sicher: Verstehen, was Phänomenologie eigentlich heißt, was ist das Neue, das Husserl in der Philosophie vertritt, konnte ich nicht. Als ich dann die darauffolgende Werke des Meisters gelesen habe, die Ideen I,3 Die Idee der Phänomenologie (Husserl, 1950), die fünf Vorlesungen, die er 1907 in Göttingen hielte usw., kam ich immer mehr in Verlegenheit.4 Wie ist das nun eigentlich? Ich wollte den I. Band der Logischen Untersuchungen endlich mal verstehen: Woher weiß der Phänomenologe, dass die Gesetze von Newton ohne weiteres absolut gültig sind? Dass A = A, das ist in Ordnung. Wenn ich nicht beginne zu klügeln, ist dann das Gesetz der Identität auch mir sozusagen gegeben, mit absoluter Sicherheit sogar. Ist das zweite A mit dem ersten identisch, dann ist A natürlich mit A gleich; eine Tautologie. Ob das auch irgendwo anders gültig ist, als in der Welt der logischen und mathematischen Abstraktionen, das weiß ich nicht, genauer gesagt weiß ich ganz genau, dass es eben ungültig ist, mein Selbst von heute ist nicht identisch mit dem von Gestern; A = A ist ein logisches Gesetz d. h., das muss betont werden: eine Tautologie. Wieso sind aber Husserl die Gesetze von Newton mit einer absoluten und objektiven Sicherheit gegeben? In der intentionalen Korrelation des Bewusstseinsaktes von jemandem und
2 Heidegger schreibt in seinem Essay Mein Weg in die Phänomenologie das Folgende: «Der im Jahr 1900 erschienene erste Band des Werkes [es geht um die Logischen Untersuchungen] bringt die Widerlegung des Psychologismus in den Logik durch den Nachweis, dass sich die Lehre vom Denken und Erkennen nicht auf die Psychologie gründen lässt. Demgegenüber enthält aber der zweite im Jahre darauf erschienene, um ein dreifaches umfangreichere Band die Beschreibung der für den Aufbau der Erkenntnis wesentlichen Akte des Bewusstseins. Also doch eine Psychologie.» (Heidegger, 2007, 95)
3 Erstausgabe: Husserl, 1913; Ausgabe im Rahmen der kritischen Edition: Husserl, 1976. — Anmerkung des Herausgebers des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
4 Ob sich diese Verlegenheit in den zwei Büchern klar war, die ich damals über Husserl und die Phänomenologie schrieb, das weiß ich nicht. Erstausgaben: (Vajda, 1968; Vajda, 1969); Ausgabe im Rahmen der Gesammelten Schriften von Vajda (2013, 149-297, 229-610). — Zusatz des Herausgebers des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
des intentionalen Gegenstandes, wenn alle Reduktionen durchgeführt werden, kann jemandem eben auch dies eine absolute Gegebenheit sein, ob das aber auch für andere eine absolute Gegebenheit, eine unwiderlegbare Wahrheit wäre?
Ich habe inzwischen auch Scheler gelesen, ein Kapitel vom meinem zweiten Buch beschäftigt sogar mit ihm.5 Max Scheler sagt, was in der erwähnten Hinsicht helfen könnte. Er sagt nämlich, dass das Wesen des Gegenstandes und des Seins schließe gar nicht aus, dass nur ein Einziger sich in einem einzigen Akt etwas für sich selber zum Selbstgegebenheit bringt; es schließe sogar nicht einmal aus, dass ein bestimmter Gegenstand sich nur für einen einzigen in dieser Weise gegeben sein kann. Es schließe nicht aus, dass etwas nur für ein einziges Individuum wahr und gut ist: also schließt nicht einmal die nach ihrem Wesen nach individuell gültig und dennoch streng objektive und absolute Wahrheit und Einsicht aus.6 Alles ist in Ordnung. Scheler hat mich entschieden dabei geholfen auch im allgemeinen einzusehen: es gibt nicht so etwas, wie eine einzige Wahrheit, es ist oft so, dass eine Wahrheit einer anderen gegenübersteht, und in diesen Fällen gibt es kein Kriterium. Sowieso ist es überflüssig, sogar dumm, Kriterien zu suchen. Wir können tolerant sein, was die Wahrheit des Anderen betrifft, wir können uns damit auseinandersetzen um ihn über unsere Wahrheit zu überzeugen, oder wir können gegen seine Wahrheit auch kämpfen: mit edlen oder unedlen Mitteln. Mutatis mutandis ist das gültig auch für die sogenannten wissenschaftlichen Wahrheiten: Newton hätte ohne den um zweihundert Jahre älteren Kopernikus die Bewegungsgesetze der Himmelskörper nicht formulieren können, für ihn war das kopernikanische Weltbild eine absolute Wahrheit. Die «Weltbildern» von Ptolemäus und Kopernikus standen aber in einem scharfen Kampf miteinander. Wie das Thomas Kuhn «bewiesen hat», die Argumente von Kopernikus waren unleugbar überzeugend, deshalb waren die jüngeren, «moderneren» Wissenschaftler geneigt, das heliozentrische Weltbild zu akzeptieren. Die Entscheidung beruhte aber letztendlich nicht auf Vernunftgründen. Das Kopernikanische Weltbild war einfacher; und so starben langsam die Astronomen aus, die sich auf das geozentrische Bild beharrten. Wie wir wissen (ich weiß das von Kuhn, es ist aber wahrscheinlich so),
5 Vgl. Kap. III von Vajda (1969, 235-296); Ausgabe im Rahmen der Gesammelten Schriften von Vajda (2013, 299-610,
484-533). — Anmerkung des Herausgebers des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
Tycho Brache bewies, dass man die seltsame Bewegung der Monde des Jupiters auch auf Grund des geozentrischen Weltbildes erklären kann. So etwas zu akzeptieren wäre aber für Husserl einfach absurd. Er wollte seine Überzeugung nicht aufgeben, dass die Gesetze von Newton auch ohne Himmelskörper ebenso gültig wären, wie das Gesetz der Identität. Nach den Logischen Untersuchungen suchte er in seinem ganzen Leben nach der Begründung der Erkenntnis, mit deren Hilfe wir zum fundamentum absolutum inconcossum gelangen könnten. Die Gesetzte von Newton seien absolut gültig, denn sie sind für die phänomenologische Betrachtung absolute Gegebenheiten (d. h. evident). Um wessen Betrachtung geht es aber? Der interessenlose Betrachter sitzt auch selbst in der Ideenwelt von Plato? Ja, eindeutig. In der vervollständigten Form der transzendentalen Phänomenologie betrachtet nämlich nicht das empirische Ich das Gegebene, es ist auch in Klammern gesetzt,7 sondern das transzendentale Ego. Die Ursache meiner immer größeren Verlegenheit, besser gesagt Verwirrung war, dass ich mit dem Husserlschen transzendentalen Ego gar nichts anfangen konnte.8 Ich wusste damals schon, dass Heidegger über den Husserl nach der transzendentalen Wendung gar nichts hören wollte. Und obwohl ich kein echter Kenner von Heidegger war, war diese Tatsache für mich genug, mich mit dem transzendentalen Ego nicht zu beschäftigen. Heute scheint mir, dass für Husserl das transzendentale Ego einfach die Garantie dafür war, dass er trotz seiner Beschäftigung mit der Lebenswelt die radikale Zurückweisung jedweden Relativismus nicht aufgeben musste.
In den sechziger Jahren beschäftigte ich mich im Grunde genommen nur mit Husserl und Scheler. Dennoch würde ich nicht sagen, dass ich eine genaue Antwort auf die Frage hätte geben können: Was ist das eigentlich diese Phänomenologie? Die Methode der neusten Philosophie, ein neuartigen Standpunkt in der Philosophie? Ist sie eine Methode, worin besteht dann diese Methode? Die Frage konnte ich natürlich
7 Das Problem von Husserl mit Descartes im Grunde genommen war, dass er diesen Schritt verfehlte.
8 Ich möchte nicht sagen, dass diese Verwirrung damit zusammenhing, dass ich damals, als ich mich Husserl systematisch beschäftigte, von Husserl nichts Anderes kannte, als die Schriften, die er schon in seiner Lebenszeit herausgab, bzw. noch einige, damals schon erschienene Bände von Husserliana. Nein. Hätte ich die Beschäftigung mit dem transzendentalen Ego damals nicht abgelehnt, hätte ich verstehen können, dass dies Ego nichts Anderes ist, als der unsterbliche Teil unseres Ich, der allein fähig ist, zur «verstandesmäßigen Liebe Gottes» zu gelangen, und der in uns allen gemeinsam ist. Siehe darüber das ausgezeichnete Buch von meinem Kollegen und Freund Tibor Schwendtner Husserl und Heidegger. Die Analyse einer philosophischen Auseinandersetzung (Schwendtner, 2008). Viele Gedanken dieses Textes stammen davon.
auf Grund von Husserl ohne weiteres beantworten, dennoch habe ich klar gesehen, dass obwohl Scheler die Methode (die er aber nicht als Methode, sondern als ein geistiges Sehen betrachtete) von Husserl übernahm, bzw. zu übernehmen dachte, die Vorstellung von den beiden (auch) in dieser Hinsicht ganz unterschiedlich war. Dennoch: obwohl er die phänomenologische Betrachtung anders interpretiert, ist er letzten Endes ein Phänomenologe im Husserlschen Sinne. An Hand meiner damals noch sehr oberflächlichen Kenntnisse von Sein und Zeit, vor allem an Hand des §7 des Buches (1977) mein Eindruck war, dass Heidegger unter Phänomenologie etwas radikal Anderes versteht, als Husserl.
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Bei Husserl ist die Phänomenologie, wie Schwendtner sagt, «kritisch handelnde Erfahrungsanalyse».9 Sie untersucht die Bewusstseinsakte — in Husserl vor allem die Erkenntnisakte — als gegebene, und die in den Bewusstseinsakten intentionierte, gegebene Sachlichkeit in ihrer Korrelation. Da nach Husserl ein jeder Bewusstseinsakt notwendigerweise auf ein Objekt gerichtet, d. h. intentional ist, hält die Phänomenologie die notwendige Korrelation des Aktes und des Objektes vor Augen: d.h., sie ist eine intentionale Erfahrungsanalyse, die von ihrem Interessenkreis jedwede reale Transzendenz ausschließt. So fasst sie das in dem wahrnehmenden Bewusstseinsakt als transzendent gesetztes Objekt, nur als Objekt dieses Aktes auf, während sie die Frage, ob das Objekt auch von dem Bewusstseinsakt, von Erkenntnisakt unabhängig existiert oder eben nicht, in Klammern setzt. Der Phantasieakt, der dasselbe Objekt intendiert, unterscheidet sich von dem Wahrnehmungsakt darin, dass der Wahrnehmungsakt das Objekt als transzendent setzt, der Phantasieakt aber nicht. Die Erkenntnis wird von jedweder Ablagerung, von jedweder Transzendenz-Setzung gereinigt, damit wir sie selbst untersuchen können; das erweist sich in der sogenannten natürlichen Einstellung als unmöglich, denn wir sind unfähig uns zu erklären, wie der Erkenntnisakt sein transzendentes Objekt trifft.
Ich habe Husserls Grundstellung so verstanden, im Grunde genommen verstehe
ich sie so auch heute noch, und wenn ich mich nicht irre — ich will aber mir keine frühe Verdienste vindizieren, — habe ich schon damals dies deshalb für wichtig gehalten, denn sie setzte der dualistischen Betrachtung der Welt ein Ende. Sie behauptete: das Objekt ist das intentionale Objekt der Bewusstseinsakte, den Baum, der vor mir steht gibt es nicht einmal außer mir, und als zweites in meinem Bewusstsein: es gibt nur einen einzigen Baum. Die phänomenologische Analyse soll den wahrnehmenden Akt, der sich auf den vor mir stehenden Baum richtet und dessen Objekt, den vor mir stehenden Baum, zusammen analysieren.
Natürlich war ich im Klaren mit den schwierigen Problemen, die Husserls Vorstellung mit sich brachte, ich hielte aber für ihn den Daum, damit er sich von der Falle des Solipsismus befreien kann. Ich wusste aber, was er will, und wusste auch, dass er alles was er will, durch die Analyse des Gegebenen, des clare und distincte Gegebenen erreichen möchte. Es wird aber immer ein großes Problem bleiben — fährt er fort — bei der Durchführung der Evidenz klar festzustellen, was eigentlich in ihr wirklich gegeben ist, und was nicht, was von dem nicht-eigentlichen Denken nur hineinprojiziert wird.
Die Existenz der natürlichen Einstellung, zu der Husserl auch die Einstellung der positiven Wissenschaften zurechnet, nimmt er natürlich zur Kenntnis, dafür interessiert er sich aber nicht. Für ihn ist nichts Anderes wichtig, wie man das wirklich Gegebene erreicht, d. h., wie der Philosoph in das Reich der reinen Phänomene gelangt, während man die Welt der natürlichen Einstellung hinter sich lässt. Wie das transzendentale Ego sich die Eventualitäten des empirischen Ich abschüttelt. Bei Heidegger ist das bestimmt nicht der Fall, ich beziehe mich auf nichts anderes, als auf die Struktur der Sorge. Der zentrale Gedanke des ganzen Lebenswerkes von Heidegger konnte sich in Sein und Zeit nicht entfalten, er konnte sich nämlich mit dem Gedanken der Geschichtlichkeit des Seins nicht fertig werden. Er hielt für absurd den Gedanken von Husserl, dass das Sein von dem ewig einen, mit sich ewig identischen transzendentalen Ego konstituiert wäre, er weiß aber noch nicht, wie die Geschichtlichkeit des Daseins als Sorge aussieht. Er weiß es noch nicht, seine Geschichtlichkeit selbst steht aber für ihn fest. Aus der Sorge-Struktur nicht austilgbare, dazu notwendigerweise dazugehörige durchschnittliche Alltäglichkeit — die Heidegger nicht übertreten will, er möchte nur die Art und Weise aufzeigen, wie kann das Dasein (auch) seine anderen, «eigentlichen» Seinsmöglichkeiten, auf die es sich entwerfen kann, verwirklichen — ist in Heideggers Auffassung nicht etwas
Nebensächliches. Und erst recht nicht der Zustand der menschlichen Existenz, den das Dasein überwinden sollte. Der Unterschied der Auffassung des Meisters und des Jüngers war von vornherein in den Unterschied ihres Interesses reinkodiert. Als Heidegger als die Grundbestrebung in Husserls Logischen Untersuchungen den Gedanken «zu den Sachen selbst» annimmt, nimmt er noch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wahr, dass «die Sache selbst» für ihn etwas ganz anderes darstellt, als für Husserl. Als er aber später mit der transzendentalen Wendung von Husserl konfrontiert wird — die natürlich eine notwendige Folge der Auffassung von der Logischen Untersuchungen war: Husserl war genötigt die Welt der reinen Phänomene mit der des empirischen Subjekts verbinden, er musste sich irgendwie doch in der «Höhle» wieder einrichten — , Heidegger weiß schon genau, wo der Unterschied zu finden ist. Die letzte Einsicht in den Unterschied seiner eigenen Phänomenologie und die von Husserl, dass Heidegger in dem Essay «Mein Weg in die Phänomenologie» (Heidegger, 2007, 91-102) formuliert, steckt schon im §7 von Sein und Zeit drin, wo er mit Husserl explizit nicht polemisiert. Aber nicht nur in seinem späten Essay, sondern schon in seinen Universitäts-Vorlesungen Grundprobleme der Phänomenologie (Heidegger, 1997), die Heidegger im Jahre der Erscheinung von Sein und Zeit hielt, zeigt er aber ihren Unterschied klar.
Bevor ich aber die erwähnten Texte zu interpretieren beginne, möchte ich einige Worte auch über die Phänomenologie von Max Scheler sagen. Scheler hielt die Phänomenologie — das habe ich schon erwähnt — nicht für eine Methode, erst recht nicht für einen Standpunkt, sondern eine Art Einstellung des geistigen Sehens. Dadurch erblickt oder erlebt man etwas, das ohne diese Einstellung versteckt geblieben wäre: man nimmt wahr, bzw. erlebt ein Reich von seltsamen «Tatsachen» (Scheler, 1957, 380).10 Wenn ich mich nicht irre, in der Zeit, als ich mein zweites Buch über Phänomenologie schrieb, habe ich keine große Aufmerksamkeit den Unterschied gewidmet, der in dieser Behauptung zu den Standpunkten von Husserl und Heidegger drin steckt. Für Husserl wäre absurd zu denken, dass seine Phänomenologie seltsame Tatsachen aufzeigt; Heidegger, der damit einverstanden gewesen wäre, dass die Phänomenologie, wenn sie zu den Sachen selbst zurückgeht, kommt bei etwas an,
10 Siehe Schelers Essay Phänomenologie und Erkenntnistheorie (Scheler, 1957, 377-430). — Zusatz des Herausgebers des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
das ohne diese geistige Einstellung versteckt geblieben wäre; dieses etwas wäre aber für ihn bestimmt kein «etwas»; wenn auch nicht das Nichts selbst, bestimmt kein etwas aber, das ist, sondern etwas, das es gibt.11 Als Scheler dann über die ständigen Desymbolisation der Welt spricht, schien ihm doch nicht das Erblicken von neuen Tatsachen vor dem Auge vorzuschweben, sondern das Erblicken der Tatsachen der Welt ohne Symbole, die man in der Tat nur erblicken kann, besprechen aber nicht, denn die sprachliche Symbole sind von ihnen abgetrennt. Wir können immer nur sagen, dass etwas nicht dies oder das ist, weil was dieses etwas als absolute Selbstgegebenheit ist, ist nicht zu sagen. Wir gehen es herum, und dann plötzlich sind wir genötigt zu sagen: «Jetzt sollst du hinschauen, jetzt kannst du es erblicken!»
Scheler betont ausdrücklich, dass die natürliche Weltanschauung viel reicher sei, als die Weltsicht der Wissenschaft. Für ihn sei die Aufgabe der Philosophie nicht, die natürliche Weltanschauung zu übertreten. Die Philosophie, das phänomenologische Sehen soll daneben, wie auch neben der Wissenschaft das Gegebene selbst erreichen; dadurch bricht sie gleichzeitig die Macht der Sprache und deren Gewalt, die ausschließt und zergliedert. Dieser Gedanke des Ankommens bei dem Gegebenen selbst, wo die Philosophie die Welt nicht ordnen, sondern erkennen will, scheint mir die viel spätere Gegenüberstellung von Philosophie, Wissenschaft, die denkerische Arten von
Seinsvergessenheit einerseits und Denken andererseits bei Heidegger vorzuzeichnen.
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Aber zurück zu den zwei erwähnten Heidegger-Text. Zunächst der spätere:
Was die phänomenologischen Untersuchungen als die tragende Haltung des Denkens neu gefunden haben, erweist sich als der Grundzug des griechischen Denkens, wenn nicht gar der Philosophie als solcher. Je entscheidender sich mir diese Einsicht klärte, um so bedrängender wurde die Frage: Woher und wie bestimmt sich, was nach dem Prinzip der Phänomenologie als «die Sache selbst» erfahren werden muss? Ist es das Bewusstsein und seine Gegenständlichkeit, oder ist es das Sein in seiner Unverborgenheit und Verbergung? (Heidegger, 2007, 99)
11 «...außer der Seienden gibt es nichts. Vielleicht ist es kein anderes Seiendes da, als die Aufgezählten [Natur, Geschichte, Gott, Raum, Zahl], es gibt aber vielleicht doch etwas, das wohl nicht ist, das es sich aber in einem bestimmten Sinne gibt», — sagt er in den Grundproblemen der Phänomenologie (Heidegger, 1997, 13).
Das Prinzip der Phänomenologie ist also nichts anderes, als «zu den Sachen selbst!» und damit basta. Das hat er freilich im Jahre 1963 geschrieben, und er war selbst ganz bestimmt im Klaren darüber, dass er bestimmte Vorstellungen von den zwanziger Jahren in vielem korrigieren musste. Aber auch in dieser Hinsicht? In der Hinsicht, was eigentlich Phänomenologie ist? In dieser Zeit, 1963 schreibt er:
Und heute? Die Zeit der phänomenologischen Philosophie scheint vorbei zu sein. Sie gilt schon als etwas Vergangenes, das nur noch historisch neben anderen Richtungen der Philosophie verzeichnet wird. Allein die Phänomenologie ist in ihrem Eigensten keine Richtung. Die ist die zu Zeiten sich wandelnde und nur dadurch bleibende Möglichkeit des Denkens, dem Anspruch des zu Denkenden zu entsprechen. Wird die Phänomenologie so erfahren und behalten, dann kann sie als Titel verschwinden zugunsten der Sache des Denkens, deren Offenbarkeit ein Geheimnis bleibt. (Heidegger, 2007, 101)
Der arme Husserl, er dreht sich jedes Mal in seinem Grab um, wenn dies jemand zitiert. Meine Frage war, ob Heidegger noch in der Lebenszeit von Husserl darüber etwas anderes dachte. In den Grundproblemen der Phänomenologie (1927) schreibt er das Folgende:
Es gibt sowas wie die Phänomenologie nicht, und wenn es sie eben gebe, sie könnte nicht so etwas werden wie eine Art philosophische Technik. Im Wesen einer jeden wahren Methode, und d.h. in einem Weg, der zur Erschließung der Gegenstände führt, steckt nämlich drin, dass sie sich zu dem richtet, das sie selbst erschließt. (Heidegger, 1997, 467)
Es geht eben darum. In diesem Werk erklärt Heidegger, dass er anderswo ankommen möchte, als Husserl, und er sagt auch, worin der Unterschied besteht.
Das grundsätzliche Moment der phänomenologischen Methode, die darin besteht, dass man den suchenden Blick vom naiv erfassten Seienden zum Sein zurückführt, nennt man phänomenologische Reduktion. Damit dass wir das Wort übernehmen, schließen wir zum zentralen Termin der Phänomenologie von Husserl an; obwohl es um etwas Anderes geht. Für Husserl ist die phänomenologische Methode, die er das erste Mal ausdrücklich in seinem Werk Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (1913)12 ausgearbeitet hat, ist eine Methode für die Rückführung des phänomenologischen Blickes von der natürlichen Einstellung des Menschen, der sich in die Welt der Sachen und Personen hineinlebt zum transzendentalen Bewusstseinsleben und dessen noetisch-noematischen Erlebnissen, in denen sich die Objekte als die Korrelaten des Bewusstseins konstituieren. Für uns ist die phänomenologische Reduktion die Zurückführung des
12 Also in einem Werk, das Heidegger als die Rückkehr zur philosophischen Tradition auffasste, und deshalb zurückwies.
phänomenologischen Blickes von der Auffassung des Seienden, sei diese Auffassung wie
auch immer, zum Verstehen des Seins des Seienden. (Heidegger, 1997, 29)
Wenn jemand an Hand des §7 von Sein und Zeit nicht wahrnahm, dass es nur das Wort identisch, es geht aber um etwas Anderes (Husserl selbst nahm das natürlich gleich war), der musste dies an der Vorlesungen, gleichzeitig mit der Herausgabe des Werkes gehalten, zur Kenntnis nehmen. Natürlich kannten diese Vorlesungen im Jahre 1927 nur die Studenten von Heidegger. Tibor Schwendtner zitiert einen Brief von ihm an Jaspers, wo er sagt, dass Husserl in der Mission der Begründer der Phänomenologie lebe. Es gebe aber keinen Menschen, sagt er, der wüsste, was sie eigentlich sei.13 In seinen Vorlesungen vom Jahre 1930 kommt er dann zur Einsicht, dass es richtig wäre, in der Zukunft ausschließlich das Phänomenologie zu nennen, was Husserl selbst zustande gebracht hat, und noch zustande bringen wird. Daneben wollen wir nach wie vor anerkennen — sagt er — , dass wir alle von ihm gelernt haben, und auch lernen werden. Dennoch würde ich nicht glauben, was Pöggeler sagt, nämlich das der Vortrag «Was ist Metaphysik?» als Abschied von der Phänomenologie aufgefasst werden sollte.14 Entweder war Heidegger nie ein Phänomenologe, oder er ist bis zu seinem Tode einer geblieben — meine ich. Gibt es so etwas nicht, wie die Phänomenologie, dann Heidegger, der Husserl folgend die Last der philosophischen Tradition abschütteln wollte, sich vor allem vom lebensfremden kategorialen Apparat, der sich auf die ursprünglichen griechischen Begriffe ansetzte trennen, und das Gegebene ohne Ansetzungen anzuschauen wollte, war bestimmt ein Phänomenologe, und er ist auch einer geblieben, auch wenn er bald wusste, dass Husserl zu der Tradition zurückgekehrt war, oder konnte er sich vielleicht davon nie richtig befreien. «Zu den Sachen selbst», das war und ist für Heidegger immer sehr wichtig geblieben. Schon ziemlich früh wusste er aber, dass er etwas anderes «erschauen» will: nicht die reinen, evidenten Gegebenheiten, sondern den Sinn des Seins. Damit hatte sich das grundlegende Ziel der Phänomenologie gleich verändert. Ihr Ziel bei Heidegger war nicht die Kritik der Erkenntnis, und dadurch deren absolute Begründung; durch seine Bestrebungen hatte sie Schritte gemacht, die Seinsvergessenheit
13 Vgl. Heidegger, & Jaspers (1990, 42), zitiert von (Schwendtner, 2008, 23, Anm. 43). — Anmerkung des Herausgebers
des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
des Denkens zu überwinden. Die intentionale Erfahrungsanalyse hat bei den beiden ganz unterschiedliche Zielsetzungen. Scheler wollte vielleicht beide Ziele auf einmal erreichen, m. E. ist er aber damit nicht zu weit gekommen.
Ich persönlich konnte das alles in den sechziger und siebziger Jahren nicht durchschauen. Ich habe eher nur geahnt, dass sich Wege der Begründer der Phänomenologie voneinander trennten. Das natürlich machte mir schwierig zu verstehen, was Phänomenologie eigentlich ist.
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Warum bestand dann Heidegger überhaupt auf die Phänomenologie? Denn es war Husserl, der ihn zum Bewusstsein brachte, dass die Philosophie sich, wenn sie weitergehen möchte, auf die Erfahrung bauen muss. Er war dafür seinem Meister ein Leben lang dankbar, auch wenn ihn seine Feigheit, und vielleicht auch sein damals schon zur offiziellen Ideologie gewordene Antisemitismus zum bekannten Schritt veranlasste, in der zweiten Ausgabe von Sein und Zeit die Widmung an Husserl zu streichen. Er hat sich bestimmt damit beruhigt, dass Husserl dieses «AnthropologieBuch» sowieso hasste.15
Zurück also zur Erfahrung, das bei ihnen beiden, sogar bei ihnen drei wiederum bedeutete, dass sich die Philosophie keinesfalls auf die Ergebnisse der Wissenschaften bauen soll. Zu welchen Erfahrungen aber? Da waren sie aber gar nicht einig. Schwendtner analysiert ausgezeichnet, welche waren die Grunderfahrungen, die bestimmenden Erfahrungen im Auge von Husserl, und welche im Auge von Heidegger. Bei Husserl die sinnliche Wahrnehmung, bei Heidegger wiederum die Angst, das Sein zum Tode, das Gewissen, die bisher ebenso wenig zur Beute des philosophischen Denkens geworden sind, wie die geschichtliche Erfahrungen. Heidegger übertritt in der Tat das Gebiet der traditionellen Philosophie. Wenn wir Reiner Schürmann glauben können, dann müssen wir denken, dass Heidegger in seiner letzten Epoche gemeint hatte: die einzigen Phasen der Seinsgeschichte, bestimmt vom «ersten Anfang», waren immer auf eine bestimmte arche, auf ein bestimmtes Prinzip gegründet; die haben in einer gegebenen Epoche die
Seh- und Handlungsweise des Menschen16 geformt: denken wir nur daran, dass nach Heidegger in der heutigen Phase der Senisgeschichte dies arche nichts anderes sei, als das Wesen der Technik17; während nach dem zu erwartenden neuen, zweiten Anfang keine arche oder Prinzip mit gewaltsamer Kraft unser Sehen und Handeln in eine bestimmte Richtung zwingen werde. Unsere Welt wird an-ache-ist sein (Schürmann, 1987). Heidegger entfernte sich grundsätzlich von seinem Meister, der — wenn ich ihn richtig verstehe — bis zum Ende seines Lebens das absolute Sein erfassen wollte. Heidegger hat sich damit aber auch von der philosophischen Tradition entfernt. Mich hat bestimmt er, und nicht Husserl dazu geholfen, aus der Minderjährigkeit des Marxismus, und damit der Philosophie herauszuwachsen.
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Was wäre dann die Phänomenologie? Ich kann das auch nach mehr als fünfzig Jahren nicht sagen. «Der nicht sieht, oder nicht sehen will, der spricht und selbst immerfort nur argumentiert, während dessen aber alle Widersprüche akzeptiert, und sie dennoch leugnet, mit dem können wir nichts anfangen», — hat Husserl gesagt.18 Der sieht und einsieht, der ist Phänomenologe. Der nur spricht und argumentiert, der ist keiner. Das reicht auch aber.
REFERENCES
Heidegger, M. (1977). Sein und Zeit. Unveränderter Text mit Randbemerkungen des Autors
aus dem "Hüttenexemplar" (GA 2). Frankfurt a. Main; Vittorio Klostermann. Heidegger, M. (1997). Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24). Frankfurt
a. Main: Vittorio Klostermann. Heidegger, M. (2005). Bremer und Freiburger Vorträge (GA 79). Frankfurt a. Main: Vittorio Klostermann.
16 Ähnelt dies nicht an die Gedanken des späten Foucault über die dispositiven?
17 Siehe: Einblick in das was ist, Bremer Vorträge (Heidegger, 2005, 1-77).
18 Vgl. Husserl (1950, 61). — Anmerkung des Herausgebers des Zeitschriftenheftes (Peter Andras Varga).
Heidegger, M. (2007). Zur Sache des Denkens (GA 14). Frankfurt a. Main: Vittorio Klostermann.
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