Научная статья на тему 'EIN NEUFUND DES "FLIEßENDEN LICHTS DER GOTTHEIT" AUS DER UNIVERSITäTSBIBLIOTHEK MOSKAU UND PROBLEME DER MECHTHILD-ÜBERLIEFERUNG'

EIN NEUFUND DES "FLIEßENDEN LICHTS DER GOTTHEIT" AUS DER UNIVERSITäTSBIBLIOTHEK MOSKAU UND PROBLEME DER MECHTHILD-ÜBERLIEFERUNG Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Ключевые слова
НЕМЕЦКИЕ СРЕДНЕВЕКОВЫЕ РУКОПИСИ / МЕХТИЛЬДА МАГДЕБУРГСКАЯ / "СТРУЯЩИЙСЯ СВЕТ БОЖЕСТВА" / "КОЛЛЕКЦИЯ ДОКУМЕНТОВ ГУСТАВА ШМИДТА" / НАУЧНАЯ БИБЛИОТЕКА МГУ ИМ. М.В.ЛОМОНОСОВА / НИЖНЕНЕМЕЦКИЙ / ВЕРХНЕНЕМЕЦКИЙ
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Текст научной работы на тему «EIN NEUFUND DES "FLIEßENDEN LICHTS DER GOTTHEIT" AUS DER UNIVERSITäTSBIBLIOTHEK MOSKAU UND PROBLEME DER MECHTHILD-ÜBERLIEFERUNG»

N. Ganina, C. Squires

Ein Neufund des «FLIEßENDEN Lichts der Gottheit» aus DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK MOSKAU und Probleme der Mechthild-Überlieferung

1. Einführende Bemerkungen zum Problem der MechthildÜberlieferung.

Das von Mechthild von Magdeburg geschriebene religiös-mystische Werk «Das fließende Licht der Gottheit» ist bekanntlich der Wissenschaft in einer dramatisch lückenhaften Überlieferung zugänglich. Alle bis heute bekannten handschriftlichen Quellen sind durch eine große Distanz zur originalen Niederschrift des Werks von der im ostelbischen Sprachraum geborenen und in den 1280-er oder 1290-er Jahren1 im Kloster Helfta verstorbenen Mystikerin charakterisiert:

1) Chronologisch trennen «mehrere dunklen Jahrzehnte zwischen ca. 1285 und 1345»2 die älteste bekannte Handschrift von der Zeit, in der Mechthild ihr Werk schöpfte.

2) Der geographische Aspekt des Problems besteht darin, dass die gesamte deutsche Mechthild-Überlieferung zwangsmäßig auf der alemannischen Übertragung der Gottesfreunde aus Basel basiert, und die bekannten deutschen Handschriften des «Fließenden Lichts» alle in den Süden und Süd-Westen gehören, während schriftliche Belege aus Mechthilds Magdeburger Heimat oder ihrem Lebensraum bei Halle und Helfta völlig fehlen.

3) Dieser geographisch beschränkten Provenienz der vorhandenen Mechthild-Überlieferung kommt erwartungsgemäß das sprachliche Problem zu Folge. Die Baseler Übertragung und die übrigen deutschen Handschriften sind alemannisch, bairisch (-österreichisch), west- und ostschwäbisch, oberrheinisch und rheinfränkisch3. Die

1 Die Angaben zu Mechthilds Todesjahr sind unterschiedlich, vgl. «1282 oder 1294» in Schmidt 1987: Sp. 225; «1283» bei Gisela Vollmann-Profe in: Prolegomena (Mechthild von Magdeburg Bd. I: XI).

2 So Gisela Vollmann-Profe, s.: Prolegomena (Mechthild von Magdeburg Bd. I: XII).

3 Eine kompakte Übersicht der Überlieferung ist einzusehen in: Gisela Vollmann-Profe, Prolegomena (Mechthild von Magdeburg Bd. I).

ostelbische sprachliche Herkunft Mechthilds und ihre niederdeutschmitteldeutsche Umgebung kommen in der Überlieferung nicht zur Geltung. Diese sprachlich-mundartliche Distanz bedeutet für die Forschung in den Worten von Hans Neumann: «Mechthilds Buch lesen wir heute nicht mehr in der Originalgestalt, das steht ausser Frage» (Neumann 1948/1950: 143-172, hier: S. 145). Das ehemalige Vorhandensein eines später verlorengegangenen niederdeutschen Originals scheint von allen Forschern als Selbstverständlichkeit angenommen zu sein4. Die Vermutungen sind jedoch eher von einer «mittelniederdeutschen, mit mitteldeutschen Elementen durchsetzten Sprachform»5.

Mit dieser Unvollkommenheit der Überlieferung waren einige in der Forschung akzeptierte Schlussfolgerungen verbunden.

Erstens wurde anhand der Überlieferungsgeographie und -chronologie geschlossen, dass Mechthilds Werk in ihrer Zeit und in ihrer Heimat keine große Anerkennung gewonnen hat und erst durch die Tätigkeit der Baseler Gottesfreunde berühmt geworden ist6, und zwar das nur im Süden und Süd-Westen. Die dramatische Quellenlage verschuf auf diese Art ein sehr einseitiges Bild für die wissenschaftliche Wahrnehmung der Geschichte und der Verbreitung der deutschen Frauenmystik.

Zweitens wird durch diese Lückenhaftigkeit der Überlieferung eine exakte Zuordnung der erhaltenen handschriftlichen Quellen schwierig. Die von Paul Gerhard Völker 1967 (Völker 1967 28-69; hier S. 47) und anschließend von Gisela Kornrumpf7 aufgestellten Stemmata lassen keine Zweifel daran, dass sogar die qualitätvollste Quelle - die vollständige Einsiedelner Handschrift - durch mehrere Zwischenstufen vom Archetyp getrennt ist8. Für die Erforschung dieser Zwischenstufen stehen den Texthistorikern nur indirekte Hinweise der lateinischen Übersetzungen zur Verfügung, die leider auch erst ab Mitte des 14. Jh. erhalten sind.

4 Vg. Schmidt 1987: Sp. 225; Gisela Vollmann-Profe in: Prolegomena (Mechthild von Magdeburg Bd. I: XI).

Vgl. beispielsweise die Übersicht von Gisela Vollmann-Profe in: Vorbemerkungen zur Überlieferung (Mechthild von Magdeburg Bd. II).

6 Gisela Vollmann-Profe, ebenda.

7 Das Stemma von G. Kornrumpf nach: Gisela Vollmann-Profe in: Prolegomena (Mechthild von Magdeburg Bd I: XIII).

8 S. die Übersicht der Probleme der stemmatischen Einordnung bei Gisela Vollmann-Profe, ebenda.

Drittens sind die Sprachhistoriker der deutschen MechthildQuellen in der Abwesenheit von deutschen Handschriften Magdeburger Provenienz ausschließlich auf rekonstruierende Forschungsmethoden angewiesen. Glücklicherweise soll die durch die Einsiedelner Handschrift repräsentierte alemannische Baseler Umschrift ihrer Vorlage mit «peinlicher Akribie» gefolgt haben, was der hohen Anerkennung der Offenbarungen Mechthilds als gottgesprochenen Worten entspricht. Auf dieser Genauigkeit in dem Umgang mit Mechthilds Text sind letzten Endes die niederdeutschen Züge in der alemannischen Überlieferung zurückzuführen (Neumann 1948/1950: 155ff.), die als Grundlage für eine Rekonstruktion dienen könnten. Dennoch sind als einziger direkter Hinweis auf eine niederdeutsche Provenienz der frühen Mechthild-Überlieferung zwei kurze niederdeutsche «FL»-Zitate an den Blatträndern einer lateinischen Version - der ,Revelationes Mechtildianae'-Handschrift aus der Universitätsbibliothek Basel -, zu nennen9. Die Handschrift selbst, mit ihrer späten Datierung in die Mitte des 14. Jh. (Mechthild von Magdeburg Bd. I: XVIIIf), legt leider einen recht jungen terminus post quem für die Enstehungszeit der Randglossen fest.

Eine neuentdeckte (2008 identifizierte) Handschrift des «Fließenden Lichts der Gottheit» von Mechthild von Magdeburg bietet neue Möglichkeiten zur Lösung dieser Probleme und ändert prinzipiell die Aussichten der Textkritik, der regionalen Sprachforschung und der Mechthild-Rezeptionsgeschichte.

2. Der Neufund.

In der «Dokumentensammlung Gustav Schmidt»10, die sich in der Universitätsbibliothek Moskau befindet, werden zahlreiche Handschriften- und Druckfragmente aus der Zeit zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert aufbewahrt, die ursprünglich aus der Bibliothek des Halberstädter Königlichen Domgymnasiums stammen. Manche von diesen mittelalterlichen Materialen erwiesen sich bei der seit 1998 in der Moskauer Universität unternommenen Erforschung und

9 S. Gisela Vollmann-Profe. Vorbemerkungen zur Überlieferung (Mechthild von Magdeburg Bd. II).

10 Der Katalog ist in Moskau in einer kyrillischen Ausgabe erschienen: Сквайрс, Ганина, Антонец 2008: 27-128.

Systematisierung als der Wissenschaft noch unbekannte11. Eine Reihe von diesen Neufunden wurde identifiziert und beschrieben12, einige mussten jedoch bei dem Redaktionsschluss in 2006 unter vorläufigen Bezeichnungen und Datierungen in den Katalog aufgenommen werden.

Unter diesen nicht identifizierten Stücken war eine Pergamenthandschrift als GEISTLICHES FRAGMENT eingetragen und vorläufig ins XIV.-XV. Jh. datiert13. Diese Handschrift wurde wenige Monate nach der Veröffentlichung des Katalogs in 2008 als Fragment des «Fließenden Lichts der Gottheit» von Mechthild von Magdeburg identifiziert14.

Die Pergamentblätter aus der Halberstädter Fragmentensammlung beinhalten Textteile aus den Büchern I (§ 29, 32, 36), II (§ 11-14, 21, 23), III (§ 6) und VII (§ 65), die in einer Abfolge dargestellt sind, die mit keiner anderen bekannten Quelle übereinstimmt. Zusammen mit diesen Mechthild-Kapiteln befinden sich Textteile, deren Inhalt und Wortlaut mit keinen bekannten Mechthild-Quellen identisch ist und für die bis heute keine Abstammung von bekannten Mystikern nachzuweisen ist. Die beiden Textkomplexe sind von zwei unterschiedlichen Händen geschrieben.

3. Der Textinhalt des Moskauer Fragments.

Das Moskauer (ursprünglich Halberstädter) Mechthild-Fragment überliefert folgende Textteile des «Fließenden Lichts der Gottheit»:

Buch I, 29 (<wer>den mit mir... - von dem cruce geloset in) auf fol. 3r und Anfang von fol. IIIv;

Buch I, 32 (so solt du... - betrübet was) auf fol. 2v;

Buch I, 36 (Mit der bosheit... - w(u)nd(er)) auf fol. 2v;

11 Weitere interessante Statistiken zum Verhältnis der Sammlung zu dem Thema der kriegsbedingt verbrachten Beständen sind zu finden in: Сквайрс 2008: 7-27. Hier: S. 20-21.

12 Die interessanten Ergebnisse dieser Arbeit und die Neufunde wurden 2000-2008 in deutsch- und russischsprachigen Veröffentlichungen in Rußland, Deutschland und Österreich publiziert. Eine Übersicht der Sammlung s. in: Skvairs 2004: 472-478. Weitere bibliographischen Angaben sind dem Katalog (wie Anm. 14) zu entnehmen.

13 Im Katalog unter der Signatur: Verz. II, Nr. 47, s. Katalog (wie Anm. 14), S. 80.

14 Eine bis auf den heutigen Forschungsstand ergänzte Beschreibung der Handschrift ist einzusehen in: Ganina, Squires (in Vorbereitung).

Buch II, 21 auf fol. Iv mit Fortsetzung auf 2r;

Buch II, 11; 13-14 auf fol. 1r und Anfang von fol. 1v;

Buch II, 23 (enminnest dinen... -) auf fol. 5v, Fortsetzung auf fol. 6r und 6v;

Buch III, 6 (Sw(er) got volge(n)... - dikke) auf fol. 2r;

Buch VII, 65 (Die gehorsami... - mit gutem willen) auf fol. 3v.

Die Blätter 4rv und der lesbare Teil1 von fol. 5r enthalten einen unbekannten Text. Der letzte ist in einer anderen Hand ausgeführt (Hand 2), als die identifizierten Mechthild-Teile auf den übrigen Blättern, die von Hand 1 niedergeschrieben sind. Beide Teile gehören zur selben Handschrift, was dadurch deutlich wird, dass beide Schreiber und Texte (die Mechthild-Stücke und die nicht identifizierten Teile) auf den selben Doppelblättern (Bll. 2-5 und 34) bzw. sogar auf der recto- und der verso-Seite desselben Blatts (5r-v) vorkommen.

4. Datierung.

Die im obenerwähnten Katalog angegebene vorläufige Datierung musste nach einer genaueren Betrachtung der Schrift auf eine wesentlich ältere Zeit korrigiert werden. Der Charakter der Schrift weist auf eine Zeit um den Beginn des 14. Jahrhunderts. Eine ,veralterte' Entstehungszeit der Handschrift ist anzunehmen mit Bezug auf die Beurteilung und Bestätigung von führenden deutschen Experten16. So ist für die 1. Hand das Ende des 13. oder

15 Die Handschrift gehört, wie Vieles in der «Dokumentensammlung Gustav Schmidt», zu Makulaturfunden. Die typischen Beschädigungen und Verschmutzungen durch Reste einer Klebstoffschicht zeigen deutlich, dass die Stücke als Einband-Material gedient haben. Das Pergament hat mechanische Beschädigungen unterschiedlicher Herkunft. Infolge der Beschneidung und Textbeschädigung durch Leimflecken sind 2-3 Zeilen in zwei Doppelblättern und bis jeweils 7 Zeilen im dritten verlorengegangen. Das Lesen des Textes ist zusätzlich durch die Leimverschmutzung erschwert.

16 In dieser wichtigen Frage, die eine zentrale Bedeutung für die Einordnung des Moskauer Funds in die Mechthild-Überlieferung hat, hatten die Verfasserinnen die glückliche Möglichkeit, die hohe Expertise und Erfahrung von Frau Prof. Karin Schneider (Herrsching) und Herrn Dr. Klaus Klein (Institut für Deutsche Philologie des Mittelalters der Universität Marburg) in Anspruch nehmen zu können. Für die wertvollen Auskünfte zur Datierung der Handschrift sind die Verfasserinnen ihren Beratern herzlich dankbar.

der Anfang 14. Jh. zu nennen (Kl. Klein; so auch Karin Schneider: «kaum später als um 1300/Anfang des 14. Jhs.»). Die von der 2. Hand geschriebenen Teile dürften auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts - spätestens auf das letzte Drittel - deuten; sogar ganz vorsichtig formuliert, könne man sich auf das letzte Viertel des Jahrhunderts getrost festlegen (Karin Schneider).

Diese anhand des Charakters der Schrift bestätigte chronologische Einschätzung bedeutet, dass das Moskauer (ursprünglich Halberstädter) Fragment der älteste heute bekannte Textzeuge von Mechthilds «Fließendem Licht der Gottheit» ist und - in Gegensatz zu den erst ab Mitte des 14. Jh. datierten und durch mehrere Zwischenstufen von dem Original entfernten Handschriften, die bis jetzt der Wissenschaft zur Verfügung standen -, möglicherweise sogar als zeitgenössische Abschrift des berühmten Werks der in den 1280-er oder sogar 1290-er Jahren verstorbenen Mystikerin anzusehen ist. Eine nahe Beziehung des Moskauer (Halberstädter) Fragments zum Archetyp (dem Original) könnte nicht nur in ihren chronologischen Charakteristiken liegen, sondern auch aus ihrer räumlichen Provenienz und Herkunft aus dem niederdeutschen Halberstadt hervorgehen.

Das hohe Alter des Moskauer Fragments und seine geographische Herkunft aus dem zu Mechthilds Heimat und Lebensraum nahen und niederdeutschsprachigen Halberstadt dürften wohl dem Fund einen besonderen Platz in der MechthildÜberlieferung verleihen. Er schließt eine bedeutungsvolle Lücke in der Überlieferung, indem er die Rezeption von Mechthilds Werk in dem ostelbischen Raum belegt und beweist, dass die Verbreitung des «Fließenden Lichts» unmittelbar nach seiner Verfassung stattfand und den ältesten (leider nicht mehr vorhandenen) lateinischen Abschriften zeitgenössisch ist.

5. Textbeispiel.

Der dargestellte Textauszug17 befindet sich auf Bl. 1 der Handschrift des Moskauer Mechthild-Fragments und entspricht den Kapiteln 11, 13 und 14 des zweiten Buches des «Fließenden Lichts» und dem fol. 22v der einzigen vollkommenen und der zuverlässigsten Einsiedelner Handschrift.

17 Ein voller Textabdruck wird erscheinen in: Ganina, Squires.

Der Textabdruck ist buchstabengetreu. Nasalstriche, erKontraktionen sind in runden Klammern aufgelöst18. Der nicht differenzierte Gebrauch von u und v wird mit der überlieferten Form wiedergegeben, auf originalgetreue Widergabe des in der Handschrift vorwiegenden ,langen' s wurde jedoch verzichtet. Rote Rubriken bzw. Initialen und rot durchstrichene Buchstaben erscheinen im Fettdruck. In den Fällen, wenn für ein vorhandenes Graphem keine eindeutige Lesart bestimmt werden konnte, sind die Varianten durch Schrägstrich angeführt. Im Apparat sind die wichtigsten Abweichungen der Einsiedelner (E) und der Colmarer (C) Handschriften angegeben und die von den Herausgebern der Einsiedelner Handschrift vorgeschlagenen Konjekturen (Nach: Mechthild von Magdeburg Bd. I; Bd. II).

fol. Text-

1r nachweis

1 D[i] rechte g[otis] mi(n)ne di hat siben anegin II, 11

ne. Di vroliche mi(n)ne di trit i(n) den weg. Di vorchtende mi(n)ne di vntfeit di erbeit. Di starke mi(n)ne di mach vil tvn. Di min= 5 nende mi(n)ne vntfeit nicheinen rvm. Di wise mi(n)ne hat bekanheit. Di vrie mi(n)ne lebit svnd(er) h(er)zeleit. Di weldige mi(n)ne ist i(m)merm(er) gemeit. Wo man sich halde(n)

sal.

Zwische goti vn(de) dich sal i(m)merm(er) die II, 13-14

10 mi(n)ne sin. Zwischen erdischen dingen

vn(de) dich sal angist vn(de) vorchte sin. Zwis= chen svnden vn(de) dich sal haz vn(de) strit sin. Zwischen hi(m)melriche vn(de) dich sal stete hofenunge sin. War vo(n) itliche ding kom[en] 15 Bittericheit des h(er)zen kumt von d(er) mens= heit. Swarheit des licham(en) kumt von dem vleische alleine. Swinde gemute kumt von d(er) edelicheit d(er) sele.

18 Dasselbe gilt auch den Parallelstellen der Einsiedelner Handschrift im Apparat.

1 Du E g[otis] steht auf einem Riss im Pergament di fehlt E het E

2 ange(n)ge E, anegenge C; a n e g i n n e (Mechthild von Magdeburg Bd. I: 47) Du E vroliche E

di fehlt E Die E

3 vorhte(n)de E di fehlt E enpfat E die E arbeit E

4 du E di fehlt E mag E tun E du E

5 enpfat E enkeinen E rum E

6 du E bekantheit E du E

7 lebet E sunder E, one C Verb. mit derselben Hand: h(er)zel (weiter ist das Blatt abgeschnitten) du E gewaltige E.

8 iemer me E Wo - halde(n) ] Zw(u)sche(n) got vn(de) der sele sol die minne sin E

9 Zw(u)schent E got E, gotte C dir E sol E iemer mere E du E

10 zw(u)schent E irde(n)sche(n) E

11 dir E sol E angest E vorhte E

12 zw(u)schent E sunden E, svnde C; sünde (Mechthild von Magdeburg Bd. I : 48) dir E sol E

has E

13 zw(u)schent E dir E sol E

14 hoffen E, hoffenvnge C; hoffen (Mechthild von Magdeburg Bd. I : 48) War - kom[en] ] Wa von kumt lut(er)keit swarheit kra(n)kh(eit) eisu(n)ge ] verb. aus visu(n)ge swi(n)dek(eit) note elle(n)de selte(n) getröstet E; auch C. komen nur teilweise auf dem abgeschnittenen Rande erhalten

15 Bitterkeit E

16 monscheit E lichame(n) E

17 vleisch E gemut E

18 edelkeit E Disvn fehlt E

6. Aspekte der Einordnung der entdeckten MechthildHandschrift.

Weitere wichtige Hinweise zur stemmatischen Stellung des entdeckten Fragments sind der Sprache und den textologischen (textstrukturellen) Besonderheiten der Handschrift zu entnehmen. Wenn die Datierung ins Ende des 13. Jh. dem neuentdeckten Fragment eine höhere stemmatische Stellung in der Mechthild-Überlieferung sichern soll, dann wären auch besondere Züge im Wortlaut und Dialekt zu erwarten, die auf eine Nähe zu dem Original hindeuten. Eine Erforschung der textgeschichtlichen, textgrammatischen und stilistischen Besonderheiten und eine Auseinandersetzung mit den sprachlich-mundartlichen Einflüssen in der gemischten Sprachform des Fragments stehen noch vor. Hier könnten jedoch vorläufig einige Beobachtungen und Überlegungen dargestellt werden.

6.1. Textunterschiede.

Einige Textunterschiede zeugen zugunsten einer höheren Einordnung des Moskauer Fragments. Zum Beispiel, die Überschrift in Zeile 14 (War vo(n) itliche ding kom[en]) wiederholt nicht den fehlerhaften Wortlaut, der in E und C auf Verderbnisse in einer gemeinsamen älteren Überlieferungsstufe zurückgehen soll (Mechthild von Magdeburg Bd II: 33). Der Fehler in der Überschrift Wa von kumt lut(er)keit swarheit kra(n)kh(eit) eisu(n)ge, swi(n)dek(eit) note elle(n)de) besteht in der falschen Anordnung der Substantiva, die dem Text des Kapitels nicht entspricht. Die Moskauer Handschrift mit ihrer kurzen Formulierung itliche ding gehört in eine ältere Stufe oder in den anderen Zweig des Stemmas.

Auf die Nähe zu einem mittelniederdeutsch-mitteldeutschen Urtext deuten die besser erhaltenen niederdeutschen Besonderheiten der Sprache, dem Feder der Magdeburger Mystikerin dürfen vielleicht manche genauere Reime und Assonanzen gehören, die das vorliegende Fragment auszeichnen.

6.2. Zur Sprache.

Mittelniederdeutsche Züge sind in der Einsiedelner Handschrift zu finden, was, wie oben gesagt wurde (s. Anmerkung 11), durch den vorsichtigen und respektvollen Umgang mit dem Text der berühmten Visionärin erklärt wird. Ein noch größerer niederdeutscher Anteil wäre logischerweise in der Nähe des Originals zu erwarten. Das Moskauer Fragment (Mo) ist hochdeutsch ausgeführt, es enthält aber niederdeutsche Formen, die in den späteren südlichen Handschriften verlorengegangen sind (im Apparat sind Varianten aus E und C angegeben).

Manche phonetischen Züge sind im zitierten Textbeispiel zu beobachten, im übrigen Text sind natürlich weitere zusätzliche Belege zu finden. So steht in Hs. Mo das unverschobene d in weldige (Zeile 7) der Form gewaltige in E gegenüber. Weitere Beispiele in Mo sind konde, gelden, selden, vnthalden, heldit, wolde in den Mechthild-Teilen und lichtverdicheit und uirde in dem nicht identifizierten Text. Dagegen hat E an denselben Stellen selten, gelten, ei(n)ualtigen, C hat enthaltent. Unverschobenes p ist in Hs. Mo in Di stu(m)pe sele zu finden an Stelle von der Affrikate in Die stu(m)pfe sele (E). In den Belegen sweuen / sweben, Sterven / Sterben, begeue / begebe hat Mo den Reibelaut, während Hs. E b hat.

Im Moskauer Fragment werden die Präpositionen boven und svnder verwendet in Gegensatz zu über in E und ane E / one C in den selben Textstellen (es gibt allerdings in E an anderen Stellen auch Belege mit sunder). Das niederdeutsche Personalpronomen he

ist in Hs. Mo konsequent verwendet (von der zweiten Hand allerdings in Abwechselung mit her) in Gegensatz zum hochdeutschen er in Hs. E.

Die Distribution der Adverbien wo und war im zitierten Textbeispiel entspricht dem Niederdeutschen: Sie sind auf niederdeutsche Art als «wie» und «wo» verwendet an Stelle der hochdeutschen Formen mhd. wa, wo für «wo» und wie in der Bedeutung «wie».

Die Verwechselung von Akkusativ- und Dativformen - wie beispielsweise mit dich in Mo gegen mit dir in E. -, ist ein zuverlässiges grammatisches Merkmal des Niederdeutschen, das zwischen den beiden Kasusformen nicht unterscheidet. In der im Beispieltext mehrmals wiederholten Konstruktion Zwischen goti vnde dich ist die fehlerhafte Akkusativform (gegenüber der richtigen Form dir in E) möglicherweise als ein Fehlversuch einer solchen Differenzierung anzusehen von Seiten eines Schreibers, der die beiden Formen nicht beherrscht. Solche Belege wären von der error-analysis-Methode als Indizien dafür interpretiert, das es sich hier um einen niederdeutsch-sprachigen Kopist handelt, oder sogar - um einen Übersetzer (DEN Übersetzer?) vom Niederdeutschen ins Hochdeutsche, der unter niederdeutschem oder gemischtem mitteldeutsch-niederdeutschem Einfluss stand.

6.3. Zum Reim.

Das Moskauer Fragment hat den ursprünglichen Mechthild-Reim erhalten. Schon die erste Zeile läßt die geistreiche Rekonstruktion der Herausgeber des «Fließenden Lichts» bestätigen, nach der für das Paar «minne - anegenge» von E und C die Konjektur a n e g i n n e vorgeschlagen wird (Mechthild von Magdeburg Bd I: 47). Im Neufund sehen wir diese längst vergangenen «aneginne», die das Moskauer (Halberstädter) Fragment als eine frühere Stufe der Mechthild-Überlieferung bestimmen lassen.

Man kann auch die feinen Assonanzen der betonten und unbetonten Vokale beobachten, die in der Einsiedelner Fassung verlorengegangen sind: in den weg - die erbeit (1r 2-3; E: arbeit), note borgen (2r 3-5; E: Note burge(n), Konjektur borgen nach W: borgin). Der letztere Kontext in Mo gewinnt auch an allgemeinem Bau und nun beweist sich erst als Vers mit einem ungenauen (und dennoch einem genaueren als in E-Fassung) Endreim: note borgen vn(de) gerne gelden. vn(de) nicht vnthalden an dich selben (E: Note burge(n) gerne gelten. vn(de) nit halten an im selber). Einmal entdeckt sich sogar ein dreifacher ursprünglicher, in E schon aufgelöster Reim: reinen - meinen - neigen (6v 14-16; E: reine -

meine(n)t, neigen; Konjektur reinen). Es ist dabei wichtig, dass die ureigene Textrhythmik, die am schwierigsten zu rekonstruieren ist, in Mo ans Licht kommt: Vgl. 1r 1-4, wo das viermal hervorgehobene «di» in E fehlt: D[i] rechte g[otis] mi(n)ne di hat siben aneginne. Di vroliche mi(n)ne di trit i(n) den weg. Di vorchtende mi(n)ne di vntfeit di erbeit. Di starke mi(n)ne di mach vil tvn.

Es stellt sich aber heraus, dass nicht alle Konjekturen und Umstellungen «des Reims wegen» berechtigt waren. So findet die in der jüngsten Mechthild-Ausgabe angenommene Endreimkonjektur und getrüwe wider den has und minnenklich wider die vreislicheit, luter an der schulde und rgegen der enpfengnisse bereit1 (Mechthild von Magdeburg Bd I: 55) keine Stütze in Mo: vn(de) getrue wid(er) deme hazze. vn(de) mi(n)nichlich. wider d(er) vreislicheit. vn(de) luter an d(er) scult. vn(de) bereite gegen d(er) vntfengnisse (2r 5-8). Anhand des Beispiels kann man begreifen, dass der Reim in didaktischen Kontexten Mechthilds unverbindlich gewesen ist, während dieser lyrische Abschnitte ständig gestaltet und hervorgehoben hat.

7. Zusammenfassende Bemerkungen.

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Der Moskauer Neufund bietet einen zu Mechthilds Lebzeiten entstandenen Text dar, dessen Provenienz mit ihrer Heimat verbunden ist und eine wesentliche Lücke in der «FL»-Überlieferung ausfüllt. So werden die obengenannten Aspekte des Problems von Mechthild-Überlieferung gelöst, nämlich:

1) der chronologische Abstand der ältesten bekannten Handschrift von der Entstehungszeit des «FL»;

2) das völlige Fehlen schriftlicher Belege aus Mechthilds Heimat oder Lebensraum (obwohl der Text von «FL» zahlreiche Äußerungen der Autorin über die Niederschrift des Buches, von einem Freundeskreis und sogar von einer Rezeption enthält);

3) das sprachliche Problem der Überlieferung, das ohne ältere schriftliche Belege ein «Ding-an-sich» blieb.

Natürlich entstehen in diesem Zusammenhang weitere, schon unmittelbar durch Mo bedingte theoretische Probleme, und zwar: ob die Bedeutung des Neufunds ihn als Mechthild-Fragment oder als Teilüberlieferung bezeichnen lässt und ob es sich hier um eine für das «FL» übliche lockere Überlieferung oder um frühe MechthildExzerpte im Bestande von einem Exzerptenbuch handelt. Im praktischen Aspekt sei es erwünscht, die konkrete Provenienz der Moskauer (früher Halberstädter) Handschrift klarzustellen, d.h. das Handschriftenwesen im Bistum Magdeburg mit dieser Absicht zu

erforschen, zu welchem sowohl Mechthilds Heimatstadt, als auch

Helfta (Eisleben) und Halberstadt gehören.

LITERATUR

Ganina, Squires (in Vorbereitung) - Ganina N., Squires C. Eine ältere Halberstädter Mechthild-Handschrift aus der Universitätsbibliothek Moskau // ZfdA.

Mechthild von Magdeburg Bd. I; Bd. II - Mechthild von Magdeburg. «Das fließende Licht der Gottheit.» Nach der Einsiedelner Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung / hrg. von Hans Neumann. Band I. Text (besorgt von Gisela Vollmann-Profe). München und Zürich: 1990. Band II. Untersuchungen, ergänzt und zum Druck eingerichtet von Gisela Vollmann-Profe. Tübingen 1993.

Neumann 1948/1950 - Neumann H. Problemata Mechtildiana // ZfdA, Bd. 82. S. 143-172.

Schmidt 1987 - Schmidt M. Mechthild von Magdeburg // Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, Hrg. Kurt Ruh. Berlin. Bd. VI. Sp. 225.

Skvairs 2004 - Skvairs E. Die «Dokumentensammlung Gustav Schmidt»: Deutsche Sprach- und Literaturdenkmäler in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Lomonossow Universität Moskau // ZfdA, Bd. 133, Hft. 4. S. 472-478.

Völker 1967 - Völker, Paul-Gerhard. Neues zur Überlieferung des 'Fließenden Lichts der Gottheit' // ZfdA 96, S. 28-69.

Сквайрс 2008 - Сквайрс Е. Р. «Коллекция документов Густава Шмидта» из собрания Отдела редких книг и рукописей Научной Библиотеки Московского университета: Итоги изучения в 19972005 г. и перспективы дальнейших исследований // Рукописи. Редкие издания. Архивы. Из фондов Отдела редких книг и рукописей Научной библиотеки МГУ / Отв. ред. И. Л. Великодная, А. Л. Лифшиц. М. С. 7-27.

Сквайрс, Ганина, Антонец 2008 - Сквайрс Е. Р., Ганина Н. А., Антонец Е. В. «Коллекция документов Густава Шмидта» (Фонд № 40). Каталог // Сквайрс Е. Р., Ганина Н. А. Немецкие средневековые рукописи и старопечатные фрагменты в «Коллекции документов Густава Шмидта» из собрания Научной библиотеки Московского университета. Каталог. Материалы и исследования. М. С. 27-128.

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