Научная статья на тему 'Warum nicht?'

Warum nicht? Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Текст научной работы на тему «Warum nicht?»

A. Pogonyailo (Saint-Petersburg)

WARUM NICHT?

Den strukturellen Kern der antiken Philosophie bis hin zur Klassischen Deutschen Philosophie, also faktisch den Kern gesamter europaischen Metaphysik, bildete der Grundsatz der Identitat — ungeachtet aller Unterschiede im Einzelnen. Und jede Metaphysik, die zu dieser Tradition gehort, ist die Metaphysik der Identitat, oder, was dasselbe ist, die Metaphysik der Alleinheit. Jede Differenz verwurzelt sie in der Identitat — im „Seienden Eins” (Vernunft) als in ihrer Quelle. Jede Vielheit ist in der Einheit, die alles ist. «Alles/das Ganze als Eins zu erkennen» (Heraklit). «Gott ist in allem und uber allem auf unaussprechliche Weise» (G. Bruno). Nach Heidegger ist es Onto-theo-logie. Kues und Schelling sind leuchtende Beispeile fur dieses onto-theo-logische Denken, obgleich jeder von ihnen selbstverstandlich die Identitat auf verschiedene Weise deutet.

Drei Tubinger Freunde, Hegel, Schelling und Holderlin, — damals waren sie noch Freunde — schwarmten fur sv Kai nav.

Das Unklassische in der unklassischen Rationalitat besteht ausschliefilich darin, dafi die Identitat der Differenz untergeordnet ist, dass man die Identitat aus der Differenz heraus zu begreifen sucht. Eine andere „unklassische Philosophie” existiert nicht. Philosophen der Differenz sind Heidegger, Derrida, Deleuze, Foucault, Badiou, Horuji.

Meiner Ansicht nach ist Heidegger — in diesem Kontext und auch uberhaupt — der grundlichste Philosoph, der der traditionellen Differenz von Wesen und Existenz sein Verstandnis der ontologischen Differenz gegenuberstellt. Die gesamte zeitgenossische «Philosophie der Differenz» geht — klar/offensichtlich oder verborgen — auf Heideggers Differenz vom Sein und Seiendem zuruck.

Aufgrund der heutigen radikalen Neuordnung der Philosophie stellt sich die Frage nach der Ganzheit der Welt mit besonderer Scharfe. Diese Ganzheit ist jetzt nichts Selbstverstandliches mehr, nichts, was direkt der

Prioritat der Identitat entstammt. Der Mensch aber lebt nach wie vor in der ganzheitlichen Welt. Die Welt ist immer ganz, sei ihre Ganzheit auch so problematisch.

Ich glaube, dafi die Zuwendung zur klassischen Philosophie, inbesondere zur Philosophie von Kues und Schelling, uns helfen konnte, wenn nicht die Losung, so doch zumindest die richtige Frage nach der Ganzheit unserer heutigen, solch unganzen Welt zu finden, in der Zuwendung zur Geschichte eines wichtigen Begriffspaars, Denken und Anschauen, und zur Wandlung ihrer Bedeutungen in verschiedenen Konzeptionen.

Gleich zu Anfang der „De visione dei” schreibt Kues, dass er mit die-sem Werk seinen Klosterbrudern eine „Ubung in Gottseligkeit” anbietet. Daruber sprach ich bei unserem letzten Treffen. Die „Ubung” ist Ausfuh-rung einer Reihe von Handlungen, um das Ziel zu erreichen. In diesem Fall ist das Ziel die Einsicht in die gottliche Anwesenheit in jeder Sache und die Einsicht, dass man selbst Mit-Arbeiter Gottes ist: Ich sehe Gott „innerhalb” gottlichen Anschauens von mir und von allem Anderen, also in seinem Werk, und nur so bin ich wahr. Eine Ubung ist eine der Bedin-gungen der Einsicht im wahren Zusammenhang der Welt.

Wenn man Foucault („Hermeneutik des Subjekts”) Glauben schen-ken sollte, dann wurden fruher solche Ubungen als „meditatio” (gr. МєХєтгі) bezeichnet, und die Ziele oder Ergebnisse als „contemplatio” (gr. Yewpia), als Anschauung. Beide zusammen bilden die Kernstruktur davon, was als „Technik des Selbst” bezeichnet wird.

Im § 25 der „Kritik der reinen Vernunft” lesen wir: „In der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen uberhaupt, mithin in der synthetischen ursprunglichen Einheit der Apperzeption, werde ich mir meiner selbst bewusst, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur dass ich bin. Diese Vorstellung ist ein Denken nicht ein Anschauen”.1 Denken ist meditatio, Anschauung ist contemplatio.

1 Kantl. Gesammelte Werke in 6 Banden. Bd. III. M., 1964. S. 208. Im Unterschied zum griechischen 9ewpia bedeutet das Eidos-Schauen bei Kant «Wahrnehmung», doch diese Sinnverschiebungen lassen sich erklaren. Kant schaffi eine neue Metaphysik, die Metaphysik der Vorstellungen, im Unterschied zur Metaphysik

Im Rahmen der von ihm herausgearbeiteten Ontologie der Vorstellungen verandert Kant radikal den Sinn der traditionellen Termini. Die Spur des alten Sinns bleibt aber. Die Platonische „Kunst der Zuwendung” nimmt bei Kant die Gestalt der „Vorstellung, die sich selbst sich selbst vorstellt” (das Cartesische cogito) an, und diese ursprungliche Vorstellung ist keine „Vorstellung im Kopf”, sondern Denken, also nicht Anschauen. Das heisst Kant spricht uber die Vorstellung wie uber ein Ereignis der Selbstuberwindung, in dem ich mich selbst vorstelle als jemanden, der sich all das vorstellt.

Die deutschen Idealisten, die allzusehr von der Kritik des Kantschen Kritizismus mitgerissen worden sind, haben diese Wende im Gedankengang Kants nicht bemerkt. Hegel musste die Substanz „gleichermafien als ein Subjekt” (Phanomenologie, Einleitung) begreifen; Schelling, als Philosoph der Identitat, war um die eigene Version der Uberwindung des Dualismus von Ich und Natur bemuht. „Ich” wird aber auch hier, d.h. im System des transzendentalen Idealismus, als „Tatigkeit” und nur „Tatigkeit” begriffen, und dabei als „unendliche Tatigkeit”, die fur sich selbst zum Objekt wird, das heisst zur begrenzten und endlichen Tatigkeit. Ich ist die Uberwindung aller Grenzen, eine Schrankenlosigkeit, die, indem sie ihre eigene Grenzen hinter sich lasst, sich selbst begrenzt!

In diesem Kontext begegnen wir — durchaus nicht unerwartet — demjenigen Begriffspaar, das uns interessiert: „Die Einheit des idealen und des realen Grundes” wird im Dialog „Bruno” als „Einheit von Denken und Anschauen” erklart.2

Das Paradox von dem, der alles ist, oder die Frage nach dem Sein (in der Ganzheit der Welt) nimmt zu verschiedenen Epochen verschiedene Gestalten an. Das begrundet ja geradezu epochale Unterschiede. Der Idealismus ist es (er ist namlich unsere philosophische Heimat) der uns

der Wesenheiten, und deutet dabei nicht blofi die aristotelischen Kategorien um, sondern erbaut ein neues Kategoriensystem, indem er von den Urteilsfunktionen ausgeht. In diesem neuen Kontext kann und muss das (transzendentale) ego als Substanz gedacht werden, was jedoch nicht bedeutet, dass es Substanz ist.

2 Bruno oder Uber den gottlichen und naturlichen Ursprung von Dingen // Schelling F. W. Werke in 2 Banden, Bd. 1. M., 1987. S. 509.

dazu erzogen hat, dieses Paradox unter dem Gesichtswinkel von „Sein und Denken” zu betrachten. Daher kommen auch alle Umkehrungen und Kopfstande.

Die Philosophie der Identitat ist die Frage nach der Einheit von Subjekt und Objekt (Geist und Natur, Subjekt und Substanz, in ihrem neueuropaischen Sinne). Das heisst die Welt ist ein Bild. Bei Kues ist die Welt kein Bild, sondern eine durchaus traditionalistische (eigentlich aber nur besser erfasste) Hierarchie (...) der Seienden.

Ist die Welt, unsere zeitgenossische Welt, immer noch ein Bild? Oder bereits nicht ganz?

Verliert etwa die „Erfahrung des Selbst” vollig ihren Sinn als Einheit von Denken und Anschauen aufierhalb des neueuropaischen Paradigmas von Subjekt und Objekt?

Wenn diese Erfahrung aber alter ist als das Paradigma, dann ist sie vielleicht — von Dauer?

Wenn es so ist, dann hat es einen Sinn, diese „Kunst des Selbst” zu begreifen und sich dabei der „vollkommenen Bewegung”3 von Aristoteles zuzuwenden, die, wenn sie beginnt und dauert, bereits vollendet und daher vollkommen ist. Es sieht alles danach aus, dass diese fur uns einzig zugangliche Vollkommenheit Selbstbeherrschung ist, die es uns erlaubt, wir selbst zu sein und uns irgendwie in dieser fragilen und instabilen Welt, die in demselben Mafie auseinanderfallt wie auch sonst, doch in dieser ganzen Welt zu verhalten.

3 Metaph. IX, 1041

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