M. M. Pozdnev
«DIESE SAGE WAR EINMAL SEHR BERÜHMT»: EIN LITERATURGESCHICHTLICHES HAPAX BEI
HOMER
«Сказание, прославленное в те времена»: литературная ретроспектива в «Одиссее»
С интерпретацией стихов 73-75 восьмой песни «Одиссеи» связан рад проблем: нетипично, прежде всего, хоте как указание на время рассказа; трудность вызывает синтаксис oip,n?; необычность gen. totius при к^еа dvSpwv заставляет трактовать o'ipn как некий массив древних сказаний, что также трудно принять. Есть и другие несообразности. Странна, кроме того, сама история о конфликте Ахилла и Одиссея: ни о времени, ни о предмете их спора ничего не сообщается. Вместо этого повествуется об оракуле, который был дан Агамемнону в Дельфах. Анализируемый пассаж обнаруживает близкое сходство с другим упоминанием Дельфов в гомеровском эпосе (11. 9, 404-405), которое признано в науке интерполяцией, принадлежащей одному из рапсодов. Напрашивается вывод о том, что история о посещении Агамемноном Дельфов того же происхождения. Это объясняет и указанные трудности: рапсодам - профессиональным исполнителям «Илиады», «Одиссеи» и других поэм троянского цикла - эпическая традиция представлялась непрерывным рядом сказаний о «славных делах мужей» (o'i^n, частью которой становятся к^еа dvSpwv), ведущим свое начало от троянских времен и выстроенным в хронологическом порядке. Изначальный вариант сказания о velko? Ахилла и Одиссея был, предположительно, изменен, или вовсе исчез; его заменили стихи о дельфийском пророчестве, сочиненные рапсодом в угоду или по заказу Дельфов.
Ключевые слова: Гомер, Дельфы, рапсоды, эпическая традиция, раннегреческая поэтика.
Paolo Vivante hat treffend bemerkt, dass in der homerischen Erzählung ein Hinweis auf abstrakte Vergangenheit - „such as that of a tale which begins once upon a time" - niemals vorkommt (Vivante 1985: 40). Es gibt jedoch ein Passus, welcher der Märcheneinleitung wenn nicht buchstäblich so doch seinem Pathos nach gleichartig ist, Od. 8, 73-5:
Moüa' ap' äoiSöv üv^kev äsi5sp,svai K^sa ävSpöv, oi'^ns, tot' apa K^soq oüpavöv süpw iKavs, vsiKoq 'OSuaoqoc; Kai n-q^siSsra 'Axi^oq...
'Die Muse regte den Sänger an, über die ruhmvollen Taten der Menschen zu singen, aus der Sage, deren Ruhm damals den breiten Himmel erreichte, den Streit zwischen Odysseus und dem Peleiden Achilles...'
Demodokos berichtet über den Streit, welcher laut Scholien nach dem Tode Hektors geschah. Die Erzählung (Vv. 75-82) ist etwas ausführlicher als in der Phämios-Szene im ersten Gesang (vgl. 1, 326-7) zusammengefasst, ohne allerdings das Wesentliche mitzuteilen: Dass es sich darum handelte, ob Troja durch Kraft (Achilles) oder durch List (Odysseus) zu erobern sei, erkennt man wiederum aus den Scholien.
Eine nahezu literaturgeschichtliche, gleichsam aber auf die ungenaue entfernte Vergangenheit hinweisende Bemerkung, wie etwa „diese Geschichten waren einst beliebt", mutet sonderbar an: Scheinbar ist sie mit der bekannten in Od. 1, 353-4 anzutreffenden Ansicht, das populärste Lied wäre das neuste (x^v yap äoiS^v ^a^ov emK^eiouo' avöpronoi, / ^ tig aiovxeooi veroxaxn ä^ine^ntai), konform, jedoch macht das xoxe einen wesentlichen Unterschied aus: Eine derart geprägte Verfremdung von dem erzählten Stoff ist sonst dem homerischen Usus fremd.
Irene de Jong bemerkt zur Stelle: „The narrator's use of xoxe in an absolute sense 'in that time (in the past)' is exceptional; the only two parallels are II. 6, 314 and 14, 287" (de Jong 2001: 197). Jedoch in der Beschreibung des Haus von Paris, welches Hektor einst selber „mit denjenigen, die damals die besten Zimmermänner in Troja waren" (ouv ävSpdoiv o'i xöx' apioxoi ^oav evi Tpoi^ epißro^aKi xeKxove^ avSpe^: Il. 6, 314), gebaut hatte, weist xoxe auf die Zeit hin, die der Erzählungszeit, nicht dem Moment des Vortrags, vorausging. Ein solches xoxe ist auch Il. 9, 551, in der kurzen Erinnerung an Idas anzutreffen, ö^ Kapxioxo^ em%0ovirov yevex' ävSpröv / xröv xoxe. Besser taugt als Parallele die Schilderung des Baums, auf den sich Hypnos setzte, einer Tanne, „welche damals, die höchste auf Ide gewachsene, durch den Nebel den Äther erreichte" (^ xöx' ev / ^aKpoxdxn ne^uuia Si '^epo^ aiöep "iKavev: 14, 287-8). Hier scheint xoxe dem Zweck der Ökonomie zu dienen, indem es im Rahmen eines Relativsatzes den Kurzausdruck für das „es war dort..." bildet (vgl. etwa Il. 2, 311; Od. 15, 556; 24, 208). Das Handlungsmoment ist aber auch hier nicht streng von der aktuellen Gegenwart getrennt: Man will doch nicht die Vergleichsgeschichte der idäischen Flora in die Ilias einlesen. Bei der Charakterisierung
von o'i^n Od. 8, 74 wird hingegen durch tot' apa hervorgehoben, dass die „Sage" in der Zeit, die von der des Erzählens entfernt ist, den Ruhm genoss. De Jong behauptet also zunächst mit Recht, dass ein solches tote einmalig ist.
Wodurch ist es aber berechtigt? Worauf will der Dichter mit diesem Hinweis hinaus? Die althergebrachte Antwort lautet: Der Autor der Odyssee pflegt seine eigene Erzählung an die „damaligen" anzureihen. In den H-Scholien liest man: aKpro^ t^v eauToß noi^öiv öyrooev o noi^T"^. „The narrator seems to be calling attention, in his usual oblique way, to his own song: at that time (of Odysseus) songs about the Trojan War (including the nostoi of the Greeks, cf. Phemius in 1, 325-7) were most famous, now that position is taken by his own song, which telling about the nostos of the last of the Greeks to come home, is the sequel to all earlier songs." So de Jong. Jedoch gerade das „damals" scheint dem zu widersprechen. Durch den Hinweis auf die einst vorhandene Popularität der Geschichten von den letzten Tagen Trojas und der Rückkehrgeschichten ist die zeitliche Distanz zwischen diesen und der Odyssee deutlich zu spüren: Anstatt auf die Ähnlichkeit hinzudeuten, markiert tote eine Differenz. Auch ist so ein Indiz kein probates Mittel, um für die eigene Dichtung zu werben (vgl. "öyrooev bei den Scholiasten). Wie könnte ein Hinweis auf die ehemalige Berühmtheit der fremden Dichtung die Aufmerksamkeit auf seine eigene richten? Die skizzenhafte Wiedergabe des von Phämios und Demodokos erzählten Stoffs dient m. E. tatsächlich der Selbstwerbung: Das Publikum wird an die Legenden erinnert, die eine Handlungslücke zwischen der Ilias-Geschichte und der OdysseeGeschichte ausfüllen. Alles dreht sich um den trojanischen Krieg, aber kein Sujet aus der Ilias wird den Helden der Odyssee in den Mund gelegt, als ob es dieses Gedicht gar nicht gäbe. Aber der Autor führt mit Absicht die Handlungslinie bis auf das Ende der Ursprungssage zurück. Die Gesänge, die der Zuhörer bzw. der Leser mit den Helden der Odyssee wahrnimmt, haben die Funktion, die Handlungskette der beiden Epen zusammen zu kneten. Dies stimmt mit dem Wahrheitsanspruch des Dichters überein und ist zugleich die kühnste Art der Selbstwerbung. Inwieweit würde die Anspielung auf „eine lange Reihe der Lieder, deren Odyssee die letzte ist" dem Dichter dabei weiterhelfen?
Schwierigkeiten bereitet allerdings nicht allein das einzigartige tote. Nicht weniger sonderbar ist o'i^n? abhängig von K^ea ävSpröv. Der Gen. Part. steht sonst bei Homer nur im Plural. Wenn o'i^n? partitiv aufzufassen ist, so muss der Singular o'i^n als Sammel-
begriff und der Plural K^ea als Einzelbegriff gelten, was an sich atypisch wäre, wird jedoch bereits in den Scholien H (änö x^ o'i^n? ¿Keivn^) sowie in den neuzeitlichen Übersetzungen und Kommentaren wie bspw. bereits bei Ameis u. Hentze entsprechend interpretiert: „o'i^n? partitiver Genetiv: aus dem Liedergange (Liederkreise)... Die o'i^n ist das Ganze, welches einzelne Lieder, K^ea avSprov, einschließt, nach 489 der olxo^ Ä%airöv, aus dem der Sänger einzelne Partien vorträgt" (Ameis, Hentze 1908: 32). Dennoch weder o'i^n (geschweige denn „das Schicksal der Achäer") kann als Epenkreis noch die „ruhmvollen Taten" als kleinere Rhapsodien begriffen werden. Ansonsten ist o'i^n in den homerischen Epen zweimal zu finden, beides mal in acc. plur. und im gleichen Zusammenhang: Die Dichter erhalten ihre „Sagen" unmittelbar von der Gottheit, Od. 8, 480-81: o^ea^ / o'i^a^ Moßo' eSiSa^e, ^i^noe Se äoiSröv, vgl. 22, 347-8: 0eö^ Se ^oi ev ^peoiv o'i^a^ /
navxoia^ eve^uoev. Der Kontext schließt den Sinn von „Sagensammlung", „Liederserie" usw. für sg. o'i^n aus. Die Scholiasten, die mit o'i^n? nicht immer leicht umgingen (in den E-Scholien wird der Gen. durch Sia o'i^n?, anscheinend also instrumental erläutert), versuchen die kollektive Bedeutung zu unterstützen, indem sie o'i^n durch Si^ynoi^ definieren und weisen auf das derivative npooi^iov hin. Das setzt jedoch voraus, dass o'i^n als „Erzählung", welcher ein npooi^iov vorausgeht, eine in sich geschlossene Einheit, etwa eine „Story", repräsentiert. Eine Reihe solcher Geschichten wird in der Odyssee selbstverständlich mit dem Plural ol^ai ausgedrückt (so auch bei de Jong: „songs of the Trojan War"). Hätte man einen 'Homer' fragen können, was er schafft, so hätte wohl seine Antwort „xa^ o'i^a^" lauten können, womit aber offenbar nicht die „Liederserien" gemeint wären. Hinter dem Begriff o'i^n lässt sich die Idee erkennen, die später, u. a. bei Platon und Aristoteles, durch ^ßöo^ (was bei Homer lediglich die „Rede" bedeutet: bspw. Il. 5, 493; 8, 524; Od. 1, 358; 8, 185) ausgedrückt wurde und heute „Sujet" heißt. Die generische Bedeutung „Epenkreis" ist dagegen schon wegen ihrer literaturgeschichtlichen Bestimmtheit fraglich. Denn o'i^n bezeichnet keine Gattung. Allzu spezifisch mutet ebenfalls die zergliedernde Deutung von K^ea avSprov als „einzelne Geschichten" an. Die homerischen Barden „rühmen die Taten der Menschen und Götter" (Od. 1, 338: epy' ävSpröv xe öeröv xe, xa xe K^elouoiv äoiSoi). Über die „ruhmvollen Taten" singt Demodokos im Mahlsaal sowie Achilles in seiner Zelt (Il. 9, 189: aeiSe S apa K^ea ävSpröv). Diese „Taten" sind keine Segmente des als o'i^n bestimmten Ganzes, sondern umgekehrt: mit K^ea ävSpröv ist das
Erzählungsgut der Aöden bezeichnet, während unter ofyai die aus diesem rohen Stoff geformten Erzählungen gemeint sind. Der Partitiv (gen. totius) scheint die beste Möglichkeit zu sein, o'i^n? anzuschließen, würde aber dem homerischen Begriff von o'i^n kaum entsprechen.
Darüber hinaus scheint zu diesem Begriff die Definition „ruhmvoll" schlecht zu passen. Denn weder die künstlerisch arrangierten Sujets noch das Lied als eine fertige Kunstform (diese nennt Homer aoiS^: Insofern mangelt es der Wiedergabe von o'i^n durch „song" u. dergl. an Präzision), sondern allein die Helden und ihre Taten (das 'Rohstoff der ol^ai, das mit ihnen selbst nicht identisch ist) können bei Homer als Objekt des K^eo^ dienen. Die Wiederholung K^ea / K^eo^ brandmarkt J. B. Hainsworth als unbeholfen (Heubeck, West, Hainsworth 1988: 351: „K^eo^ is awkwardly repeated after K^ea"), will sie aber dadurch rechtfertigen, dass die formelhafte Sprache auf solche Wiederholungen keine Rücksicht nimmt (ib. 329, ad 7, 116). Der Ausdruck K^eo^ oüpavöv eüpüv iKavei ist allerdings keine Formel. Er kommt nur noch einmal vor, Od. 19, 108: oeu K^eo^ oüpavöv eüpüv iKavei, wobei sich der Genetiv des Objekts oeu auf Penelope bezieht, die Odysseus hier anredet. Angewendet auf die o'i^n, die durch ihre Anfangsposition im Vers sowie durch den für das Relativpronomen stehenden Artikel unnötige Konkretisierung und Nachdruck erhält (etwa „diejenige Geschichte"), scheint der Bestimmungssatz merkwürdig zu sein; dabei verursacht er die bei einer solchen Konkretisierung besonders auffällige Wiederholung, die den Eindruck macht, das ganze sei poetisch wenig geglückt (selbst wenn es eine Anspielung auf den weitreichenden Ruhm von Odysseus sein sollte, vgl. Garvie 1994: 253: „the song which celebrates heroic K^ea enjoys its own K^eo^"). Und das bei einer Aussage, die nach der allgemeinen Auffassung dem Dichter von Belang war und daher durchdacht sein sollte. Nebenan sei bemerkt, dass rqg (той, xrov) тот' apa sonst bei Homer nicht anzutreffen ist, und es ist beinahe beispiellos, dass eine Gruppe kleiner Hilfswörter in der homerischen Epik nur einmal vorkommt.
Es leuchtet ein, dass Od. 8, 74 einen Einschub in die ursprüngliche Odyssee darstellt. Angesichts der Tatsache, dass weder die MSS bzw. Papyri noch die Scholien Abweichungen von dem überlieferten Text widerspiegeln (dennoch lässt sich die Arbeit der alexandrinischen Philologen an den Odyssee-Scholien nur selten erkennen), muss dieser Vers in der frühesten Epoche der Homerüberlieferung d. i. in der Zeit der Rhapsoden eingefügt worden sein. Die „editorische" Tätigkeit der Homerdarsteller, ihre Eimischung in
den Text der homerischen Epen ist mit ziemlicher Sicherheit bezeugt (vgl. die Kynaithos-Überlieferung: Hippostratus FHG IV 433 [Schol. Pind. N. 2, 1c]; Eustath. I, 11 van der Valk; dazu: Burkert 1979: 54-8; West 1999: 368; zu diesem Fragenkomplex bezieht sich auch die Authentizitätsdebatte um die athenische Redaktion des Schiffskatalogs, nämlich um den Vers Il. 2, 558: Schol. B ad loc.; Arist. Rhet. 1375b30; Plut. Sol. 10; Diog. Laert. 1, 48; Apollod. ap. Strab. 9, 1, 10; hierzu: Heitsch 2001: 52-3). Zu ihrem Repertoire gehörte eine Reihe der Epen, welche die Geschichte des trojanischen Kriegs als eine ununterbrochene Ereigniskette darstellten. Das früheste Urteil über diese Gedichte findet sich bei Aristoteles, der sie wegen Mangel an Einheit Poet. 1459a37-b7 kritisiert: Im Gegensatz zu den homerischen seien sie nicht um eine einzige durch Episoden ausgedehnte Handlung gebaut, sondern reihen lattenweise die Handlungen aneinander an, die durch nichts außer dem chronologischen Aufeinander (nepi eva xpovov) vereinigt seien. So kann man nach Aristoteles aus der Kleinen Ilias acht Tragödien machen; ihre möglichen Sujets werden 59b5-7 aufgezählt; anscheinend umfasste die Aristoteles zugängliche 'l^iai; ^iKpa die Zeit von dem Tode Achilles bis zu der Abfahrt der Griechen. Gerade die Rezitationskünstler, denen die nachiliadischen Erzählungen samt der Ilias als Darstellungsgut vorlagen, haben o'i^n zu „Liederserie" umdeuten können; entsprechend wurden K^ea ävSpröv zu den „Staffeln" dieser Serie: Durch die rhapsodische Herkunft von Od. 8, 74 lässt sich also der Possessiv, sowie der im Vergleich zu den o. angeführten Homerstellen allzu terminologische Klang von o'i^n? erklären.
Die veiKo^-Geschichte, wie o. bemerkt, wird nur auszugsweise referiert: Man erkennt zwar die Namen der Hauptakteure, doch worum es eigentlich ging, bleibt unklar. Gesprochen wird stattdessen von der Freude Agamemnons über diesen Streit (77-8: ava^ S' ävSpröv 'Aya^e^vrov / %aipe vöro, o x' apioxoi 'A%airöv Snpiörovxo), den ihm Apollon als ein gutes Omen in Delphi vorhersagte (79-80: ro^ ydp oi xpeirov ^uö^oaxo Ooißo^ 'Anö^rov / nuöoi ev ^yaöe^). Die Tatsache, dass hier eine der zwei Erwähnungen des delphischen Orakels bei Homer vorkommt, macht diese und die folgenden Verse ebenso verdächtig. Denn die erste Erwähnung (in der npeoßeia: Il. 9, 404-5) ist allgemeiner Meinung zufolge späterer Herkunft: Nichts ist teurer als das Leben, „selbst nicht all das, was die steinerne Schwelle des weissagenden Phoebos Apollon innen verbirgt in der felsigen Pytho", oüS' ooa ^divo^ oüSö^ ä^^xopo^ evxö^ eepyei / Ooißou 'Anö^^rovo^ nuöoi evi
nETpnsGGfl. Hierzu ein Kommentar aus dem monumentalen Werk H. L. Lorimers: „That these lines are an interpolation is clear from the allusion to the great wealth of the temple, a wealth which only came into being with the dedications of Gyges in the first half of the seventh century. This is implied in the account given by Herodotus and expressly stated by Phanias of Eresos and Theopompus, who say that till then there was neither silver nor gold in the treasury of the god. The awkwardness of the verb eepyEi in this context has often been noted; it is accounted for as the unhappy expedient of a rhapsodist." (Lorimer 1950: 450). Soll das Letzte stimmen, so liegt der Schluss nah, dass die Delphi-Geschichte von Demodokos (8, 79-82), selbst wenn von Lorimer et al. als authentisch aufgefasst, auch rhapsodischer Herkunft ist. Denn selbst der Klang der Verse und die merkwürdige Verwendung der Wörter sind hier gleich. Es wird erzählt, wie Agamemnon in den Pythischen Tempel „über die steinerne Schwelle" (!) hineintrat, um die Prophezeiung zu erhalten (ünepßn Amvov oüSöv / xp^oö^Evo^), was in der Zeit passieren sollte, als „des Unglücks Anfang hereinbrach für die Troer und die Danaer durch den Beschluss des großen Zeus" (töte yap pa kuMvSeto äp%^ / Tprooi te Kai Aavaoioi Aiö^ ^Eya^ou Sia
ßou^a^). Ob der Dichter der Odyssee diesen chronologischen Hinweis überhaupt brauchte, sei dahingestellt. Für einen Rhapsoden, der für Delphi wirkt, war hingegen wesentlich, darauf aufmerksam zu machen, dass das Orakel schon vor dem trojanischen Krieg zu einem wichtigen Glaubensort aufgestiegen war.
Zu vergleichen mit diesem Stück der sich als 'homerisch' oder auch 'hesiodeisch' ausgebenden Rhapsoden-Dichtung ist besonders (Ps.-)Hes. F 265 Rz = 357 MW:
sv Aq^ro tote npröTov syro Kai "O^npo? äoiSoi p,£^nop,sv, sv vEapoiq üp,voiq payavTEq äoiS^v, ®oißov ÄnoM,rova xpuaaopov, öv teke A^t®.
'Damals in Delos besangen ich und Homer, die Aöden, zuerst, ein Lied in neuen Hymnen genäht, Phoebos Apollon, den Gott mit goldenem Schwerte, welchen Leto gebar.'
Die im Namen Hesiods gedichteten Verse, welche die Teilnahme der zwei größten Epiker an dem delischen Festival bestätigen sollten, sind offenbar nicht Hesiodeisch: Der Gleichklang der Klauseln äoiSol - äoiS^v ist ungeplant, die Junktur ev ö^voi^ panTEiv wenig gewandt, und der letzte Vers aus zwei homerischen Klischees ziemlich grob gebastelt (Il. 15, 256; 5, 505 und 1, 36; 19,
413). Der Verfasser war wahrscheinlich ein Rhapsode (so mit recht Graziosi 2002: 34), der im Auftrag von Delos dichtete. Der Ursprung des Gedichts kann mit dem 424 v. Chr. von den Athenern auf Delos veranstalteten musischen Festival (Thuc. 3, 104) in Verbindung gebracht werden (Wade-Jerry 1952: 22). Sicherlich wollten die Delier als erste Teilnehmer des Festspiels Homer und Hesiod ansehen. Bedenkt man, dass der Hymnus an den delphischen Apollo allgemein als Schöpfung eines Rhapsoden gilt, so wird klar, dass ein Bewahrer des epischen Überlieferungsguts für Delos einen kleinen „Fund" in Hesiod oder Homer nicht ungern hätte machen können.
Nicht anders war es mutmaßlich mit Delphi. In Od. 79-82 (im Gegensatz zu den Vv. 500-520, der Geschichte von der Eroberung Trojas) wird der Inhalt der referierten Sage durch nichts verdeutlicht, sondern die Möglichkeit genutzt, die Werbung für das Delphische Heiligtum zu machen. Die Auskunft über die ehemalige Berühmtheit würde den Schaffensprinzipien Homers widersprechen. Für einen zugunsten von Delphi schaffenden Rhapsoden erscheint sie dagegen als zweckmäßig: Wenn die Rhapsodie, deren Sujet sich um Delphi dreht, einer Reihe der Lieder zugehört, die bereits in der Zeit der Odyssee berühmt war, so heißt es, dass das Orakel schon damals nicht nur von Fürsten gefragt, sondern auch von Barden besungen wurde. Derart betrachtet, gestattet der anfänglich zitierte Locus einen Einblick in die Dichtungsvorstellung einer der frühesten Träger der homerischen Überlieferung. Dieser nimmt eine Sage als ein Mittelglied in der sich in die entfernteste Vergangenheit zurückreichenden Kette ähnlicher Sagen wahr. Für ihn sei Dichtung immer zugunsten des bestimmten Publikums geschaffen und mithin geschichtlich bedingt; ihre Popularität sei vergänglich.
Verzeichnis der zitierten Literatur
Ameis, K. F., Hentze, C. (Hgg.). 1908: Homers Odyssee, für den Schulgebrauch erklärt. Bd. 1, Heft 1. 12-te berichtigte Aufl. Leipzig, Teubner.
Burkert, W. 1979: Kynaithos, Polycrates, and the Homeric Hymn to Apollo. In: G. W. Bowersock, W. Burkert, M. C. J. Putnam (eds.) Arktouros: Hellenic Studies Presented to Bernard M. W. Knox. Berlin: De Gruyter. Garvie, A. F. (ed.). 1994: Homer. Odyssey. Books VI-VIII. Cambridge, University Press.
Graziosi, B. 2002: Inventing Homer: The Early Reception of Epic.
Cambridge, University Press. Heitsch, E. 2001: 'Homer': Eine Frage der Definition. In: Id. Gesammelte Schriften. Bd. I: Zum frühgriechischen Epos, München, Saur, 9-65.
Heubeck, A., West, S., Hainsworth J. B. (eds.). 1988: A Commentary on Homer's Odyssey. Vol. I: Intr. and Books I-VIII. Oxford, Clarendon Press.
Jong, I. J. F. de. A Narratological Commentary on the Odyssey.
Cambridge, University Press 2001. Lorimer, H. L. 1950: Homer and the Monuments. London, MacMillan. Vivante, P. 1985: Homer. New Haven, Yale University Press. Wade-Jery, H. T. 1952: The Poet of the Iliad. Cambridge, University Press. West, M. L. The Invention of Homer. CQ 49, 1999, 364-382.
M. M. Pozdnev. 'This tale was very popular at that time': an unparalleled reference in Homers Odyssey
The non-Homeric usage of tote in Od. 8, 73 and the abnormal syntax as well as the odd 'meta-poetical' meaning of oi^n? applied loosely to K^ea avSpwv in the previous line, present just the most evident problems in interpreting the short proem of Demodocus' vELKoq-story. The story itself is no less perplexing: in fact we are not told about the quarrel of Odysseus and Achilles (when did it occur, what was its subject etc.). Instead, the poet focuses on the prophecy given to Agamemnon by the Delphic oracle. The passage closely resembles the mentioning of Delphi in II. 9, 404-5 which is believed to be a rhapsodist interpolation. Hence it is argued below that the introductory lines to the quarrel-tale prove to be an insertion in the original text of the Odyssey made probably by a rhapsode for the benefit of Delphi. His view of the epic tradition was different from that of 'Homer'; he considered it a series (oip,n) of sagas (K^ea avSpwv). The difficulties of interpretation could thus be removed. Supposedly, the Homeric rendering of Demodocus' tale was reshaped or even totally disappeared, replaced by the story of Agamemnon's visit to Delphi.
Keywords: Homer, Delphi, rhapsodes, epic tradition, early Greek poetics.