МУНИЦИПАЛИТЕТ: ЭКОНОМИКА И УПРАВЛЕНИЕ
ЭКОНОМИЧЕСКИЕ ПРОБЛЕМЫ МЕСТНОГО САМОУПРАВЛЕНИЯ
STRUKTURWANDEL UND NEUORIENTIERUNG - EINE
VERGLEICHENDE ANALYSE DER EHEMALIGEN BERGBAUREGIONEN RUHRGEBIET UND ERZGEBIRGE
Neugebauer C. S.
Prof. Dr.-Ing., Fakultät Architektur, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (Deutschland), 52056, Deutschland, Aachen, Templergraben 55, Carola.neugebauer@rwth-aachen.de
Roch I.
Prof. Dr.-Ing., Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (Deutschland), 01217, Deutschland, Dresden Weberplatz 1, Carola.neugebauer@rwth-aachen.de
УДК 332.122 (430) ББК 65.049 (4Гем)
Ziel: Aufbauend auf der Analyse des post-industriellen Wandels in den zwei ehemaligen Bergbauregionen Deutschlands, werden im Beitrag (1) Potenziale und Ansätze identifiziert, welche der nachhaltigen Neuorientierung der Regionen dienen. Zudem (2) werden inter-regionale Unterschiede sowie intra-regionale Differenzierungen diskutiert, welche die Entwicklungschancen der ehemaligen Bergbauregionen mitbestimmen.
Methoden: Der Beitrag basiert auf dem Langzeitvergleich des Ruhrgebietes und Erzgebirges. Auf der Grundlage von primären und sekundären Daten werden die Transformationsprozesse und Ansätze zur Neuorientierung der Regionen untersucht entlang der drei Nachhaltigkeitsdimensionen Wirtschaft, sozio-kulturelle Entwicklung und Ökologie.
Ergebnisse: Folgende Ansätze sind maßgeblich für die nachhaltige Neuorientierung der Bergbauregionen:
- die Vernetzung von Wissenschaft und Privatwirtschaft zur Entwicklung neuer (industrieller) Innovationscluster;
- Projekte zur Steigerung der lokal-regionalen Lebensqualität, vor allem im Bereich der Umweltsanierung und Wohnumfeldverbesserung;
- Projekte zur Neubewertung, Umnutzung und Inszenierung des montanindustriellen Erbes als Kulturerbe;
- erhebliche öffentliche/ private Investitionen in die o. g, Bereiche unter Beachtung der lokal differenzierten Entwicklungspotenziale und -bedarfe. >
Dabei erscheinen die Entwicklungschancen der Bergbauregionen durchaus differenziert: zum einen hinsichtlich ^ der Tiefe der Transformationsprozesse in den Regionen (Strukturwandel vs. Strukturbruch). Zum anderen sind die Entwicklungschancen innerhalb der Regionen unterschiedlich ausgeprägt (Agglomerationsnähe u.a.). ^
Originalität: Die Untersuchung trägt zur empirischen Fundierung vergleichender Forschung bezüglich der o nachhaltigen Entwicklung von ehemaligen Bergbauregionen bei, unter besonderer Beachtung des inter-regional wie intra- ^ regional differenzierten Rahmenbedingungen.
Stichworte: post-industrieller Strukturwandel, Bergbauregion, nachhaltige Entwicklung, industrielles Kulturerbe, ^ Regenerierung. $
EXPERIENCES TO SHARE? THE TRANSFORMATION AND REGENERATION OF THE TWO FORMER ^ MINING REGIONS RUHRGEBIET AND ERZGEBIRGE IN GERMANY §
......................................МЕСТНОГО САМОУПРАВЛЕНИЯ ...................
Neugebauer C. S., Roch I.
Neugebauer C. S.
Prof. Dr.-Ing., Faculty of Architecture, Rheinisch-Westfälische Insitute of Techology Aachen University (Germany), 52056, Germany, Aachen, 55 Templergraben, Carola.neugebauer@rwth-aachen.de
Roch I.
Prof. Dr.-Ing., Leibniz-Institute of Ecological and Regional Development (Germany), 01217, Germany, Dresden, lWeberplatz, Carola.neugebauer@rwth-aachen.de
Purpose: Analyzing the post-industrial transformation processes of mining regions in Germany, we (1) conclude general potentials and approaches for managing sustainably the structural change/crisis, and (2) discuss spatial differences underpinning or hampering the regions' future development.
Methods: We base our arguments on a long-term analysis of two contrasting case studies in Germany, analyzing their transformations and regeneration approaches along the three dimensions of sustainability: economic, socio-cultural and ecological development. The analysis refers both to primary and secondary data.
Results: General and effective approaches of overcoming the structural crisis are identified, namely:
- public-private partnerships for research and development clusters;
- projects to increase the regional quality of life, especially in terms environmental/ecological aspects and urban qualities;
- projects to re-interpret, re-use and celebrate" the mining legacies as cultural heritage;
- massive public/private investments in the afore-mentioned spheres, reflecting on the locally differentiated potentials and needs.
Apart from that, however, the chances of mining cities to sustainably develop in future, differ in at least two respects: with respect to the profoundness of their transformation as well as with regard to intra-regional differentiations.
Scientific novelty: The scientific value consists in empirically contributing to the corpus of comparative studies on the sustainable development of former mining regions, reflecting in particular the post-socialist and non-socialist context of mining regions as well as intra-regional factors.
Key words: post-industrial transformation, mining region, sustainable development, industrial heritage, regeneration.
l.Problem- und Zielstellung Der postindustrielle Strukturwandel mit seinen gesamtgesellschaftlichen Folgen ist ein globales Phänomen. Der Niedergang und Wandel von montanindustriellen Clustern in einigen Regionen der Welt ist ein Bespiel dafür. Ihre Transformation ist ein jahrhundertealtes, wie vielschichtiges und räumlich differenziertes Thema der europäischen Raumentwicklung. Das Verstehen der Transformationsprozesse und die Suche nach wirksamen Steuerungs- und Lösungsansätzen in Form von Ideen, Konzepten und Instrumenten sind deshalb nach wie vor eine hochaktuelle Herausforderung für die raumbezogene Forschung und Praxis.
Ziel des Beitrages ist es, zu einem differenzierten Verständnis der aktuellen Wandlungsprozesse in Montanregionen des mittleren und östlichen Europa beizutragen und darauf aufbauend weiterführende Überlegungen bezüglich ihrer nachhaltigen Weiterentwicklung zu formulieren. Besondere Beachtung finden dabei die großräumig differenzierten Rahmenbedingungen der ehemaligen Bergbauregionen wie auch die kleinräumig differenzierten Ausgangslagen für ihre Weiterentwicklung, beispielsweise in Form lokalspezifischer Vielfalten montanindustriellen (Kultur-)
Erbes.
Grundlage des Beitrages ist die vergleichende Betrachtung zwei unterschiedlicher, städtisch geprägter Bergbauregionen in Deutschland - das Erzgebirge im Osten und das Ruhrgebiet im Westen des Landes (Abb. 1).
Sie unterscheiden sich zum einen hinsichtlich ihrer Bergbaugeschichten, Vielfalt und Art kulturellen Erbes. Zum anderen verlaufen ihre gegenwärtigen Transformationen unterschiedlich: im Ruhrgebiet als ein „sektoraler Strukturwandel" [1:535], welcher die Erneuerung bzw. Substitution des montanindustriellen Clusters (Kohle- und Stahlproduktion) über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert meint, im Erzgebirge hingegen als Folgen des Strukturbruches 1989, welcher tiefgreifende und rasante Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen - unter anderem im Bergbau - bedeutet. Die Ausgangslagen für die künftig nachhaltige Entwicklung der Regionen stellen sich folglich differenziert dar. Ihre vergleichende Betrachtung kann damit Anregungen für die Weiterentwicklung von Bergbauregionen in ähnlich differenzierten Kontexten, beispielsweise in Russland und China bieten.
Im Folgenden wird zunächst die bergbauliche Genese des Ruhrgebietes und Erzgebirges umrissen
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(Kap. 2), um daran anschließend die gegenwärtigen Transformationsprozesse in den Dimensionen der Nachhaltigkeit „Wirtschaft", „Soziales" und „Umwelt" dar- und die gewählten Gestaltungs- und Steuerungsansätze beispielhaft vorzustellen (Kap. 3). Abschließend (Kap. 4) werden Ableitung bezüglich erfolgreicher/ erfolgversprechender Ansätze zur nachhaltigen Weiterentwicklung der Bergbauregionen formuliert, unter besonderer Beachtung der großräumig wie kleinräumig differenzierten Entwicklungspotenziale bzw. Ausgangslagen.
2.Das montanindustrielle Erbe im Erzgebirge und Ruhrgebiet
Das Erzgebirge und das Ruhrgebiet sind beides Bergbauregionen, die für die deutsche Wirtschaftsentwicklung bedeutsam waren; in ihnen wurden Rohstoffe wie Erze im Erzgebirge und Steinkohle im Ruhrgebiet unter Tage gefördert. Die Genese des Bergbaus unterscheidet sich jedoch deutlich und infolgedessen auch das montanindustrielle (Kultur-)Erbe. So zeugt das sächsisch-böhmische Erzgebirge bereits seit „more than 800 years of mining activities" [2:1], wohingegen im
rheinisch-westfälischen Ruhrgebiet der Bergbau erst vor 150 Jahren begann [3:8].
Bis Mitte des 18.Jh dominierte im heutigen Ruhrgebiet die Landwirtschaft. Oberflächennahe Steinkohle wurde nur für den Hausbrand und erst im Laufe des 18. Jh. auch überregionale Absatzmärkte in der Ruhrzone abgebaut [4:14 u. 18]. In der Phase der Industrialisierung im 19.Jh. wurden die Grundlagen für den Bergbau im größeren Maßstab gelegt durch die Schiffbarmachung der Ruhr (Anfang 19.Jh.), den Eisenbahnbau (ab 1847) als Voraussetzung undAbsatzmarkt für die beginnende Stahlproduktion sowie durch den Dampfmaschineneinsatz, welcher den Tiefbergbau der Fettkohle in der Hellwegzone ermöglichte [4:18]. „Maßgeblich geprägt wurden diese Entwicklungen im von wenigen Unternehmer-Dynastien wie Krupp, Thyssen und Hoesch" [4:15]. Die mittelalterlichen Städte Duisburg und Dortmund der Hellwegzone wuchsen zu Industriestädten und erlebten mehrere Wellen der (internationalen) Zuwanderung [4:20]. Zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg kam es zunächst zu Zechenstilllegungen. In den 1930er Jahren - durch Hitler's Aufrüstungsbestrebungen -
Bergbauregionen in Deutschland - das Erzgebirge im Osten und das Ruhrgebiet im Westen des Landes (Abb. 1). Abb. 1: Die Fallbeispielregionen als ausgewählte Agglomerationsräume in Deutschland [1:536 bearbeitet]
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expandierte jedoch der Steinkohlebergbau weiter in den Norden des Ruhrgebietes, begleitet von neuen Industrien wie der Chemie- und Rüstungsindustrie und Elektrizitätsgewinnung. Sie wurden die ertragreichen, zweiten Standbeine der Stahlfabrikanten bzw. waren die Geburtsstunde weiterer heutiger Großunternehmen wie Degussa, RWE und der Ruhrkohle AG. Die letzte Hochzeit erlebt die Montanindustrie des Ruhrgebietes nach dem 2. Weltkrieg. Die Kohleförderung erholte sich schnell von den Folgen des Krieges, so dass 1956 494.000 Beschäftigte im Bergbau arbeiteten. Das Ruhrgebiet erlebte eine weitere Urbanisierung durch Heimkehrer und Flüchtlinge sowie ab 1959 durch Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum mit einem Bevölkerungshöchststand Im Jahr 1961 mit 5,7 Mio. Einwohnern (Abb. 2).
Neuer Wohnraum wurde ab den 1960er Jahren vor allem in Form von Großwohnsiedlungen und Flächensanierungen geschaffen, verbunden mit dem Abriss alter Stadtstrukturen zugunsten einer autogerechten Stadt [4:19]. Die „Kohlekrise" 1958 führte dann zu ersten Zechenschließungen und Stellenabbau: „Bis 1976 verringerte sich die Zahl der Zechen von 148 auf bereits 35; die Förderung halbierte sich, die Belegschaft ging auf
150.000 Bergleute zurück" [4:28]. Während der Kohlekrise wuchs jedoch noch die Stahlindustrie durch den Bedarf des Wiederaufbaus in der BRD. Hier kam die Krise in den 1980er Jahren mit neuen Konkurrenzprodukten aus anderen Ländern und alternativen Materialien (wie Kunststoff) sowie im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise 1974/75. Das montanindustrielle Cluster ließ zu dieser Zeit eine stark geschädigte Umwelt mit massiven Luft-und Gewässerverschmutzungen (insbesondere des Flusses Emscher) zurück, was mit einem sehr negativen Außenimage der Region einherging.
Im Unterschied zum Ruhrgebiet begann der Erzbergbau und die Besiedlung des sächsischböhmischen Erzgebirges bereits 1168 und dauerte bis zur Mitte des 15. Jh. [2:6f] mit der Förderung von Silber, Zinn, Kuper und Eisen. Die 2. Bergbauperiode began 1456 mit der Entdeckung reicher Silberstätten in den oberen Kammlagen. Im Zuge dessen wurden viele Berbausiedlungen und -städte gegründet. Zudem wurden "pre-capitalistic economic systems of financing" sowie „new technologies for deep mining and other innovations" eingeführt [2:7] . 1756-63 unterbrach jedoch die politische und wirtschaftliche Katastrophe des
Abb. 2: Die Bevölkerungsentwicklung im Ruhrgebiet [4:21]
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7-jährigen Krieges diese Entwicklung. Im Zuge dieser Auf- und Abschwünge des Bergbaus entwickelten sich seit dem 16. Jh im Erzgebirge alternative Wirtschaftszeige wie die Textil-, Glas-, Papier-, Uhrenherstellung und das Holz verarbeitende Handwerk [2:8]. Eine neue 3. Periode des Bergbaus begann 1765 mit der Eröffnungsjahr der Bergbauakademie in Freiberg. Diese Phase dauerte bis zum Anfang des 20. Jh und war charakterisiert durch die Einführung neuer industrieller und wissenschaftlicher Verfahren des Erzabbaus und -schmelze. Die Bedeutung der Blei-, Zinn-, Kobalt- und Nickelproduktion wuchs, jedoch verursachte diese frühe industrielle Produktion seit 1830 zunehmend ökologische Probleme. Es folgten in dieser Zeit weitere Hochschulgründungen, wie 1862 der Bergingenieurschule und 1897 der Ingenieurschule für Kraftfahrzeugtechnik in Zwickau. Es entwickelte sich die Textil-, Maschinenbau- und Werkzeugindustrie, "based on groups of skilled engenieers who came along with the mining activities and technologies" [2:8]. Zwischen 1890 und 1913 folgte jedoch the kontrollierte Niederlegung aller Bergbauaktivitäten aufgrund der Ablösung des Silber-durch den Goldstandard in Deutschland und wachsende internationale Konkurrenz im Erzbergbau. Die vierte und letzte Bergbauperiode begann 1934 mit der Wiederbelebung der Zinnproduktion aufgrund der nationalsozialistischen Autarkiebestrebungen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde unter den Sowjets der Uraniumbergbau im Westerzgebirge unter dem Decknahmen "Wismut" vor allem bis 1969 vorangetrieben. Zu Zeiten der DDR wurde zudem der Industriestandort Erzgebirge, welcher sich über Jahrhunderte infolge des Bergbaus entwickelt hatte, weiter gefördert und einige Unternehmen der Region wurden Marktführer im osteuropäischen Markt1. Das Erzgebirge erlebte in dieser Zeit eine starke Urbanisierung mit einer Territorialplanung, welche die Daseinsfunktionen Wohnen und Versorgen in den zentralen Orten rund um die (Industrie-) Arbeitsplätze organisierte [5:167]. Die Region wies letztlich eine der höchsten Bevölkerungsdichten der DDR auf (Abb. 3). Sie war zu diesem Zeitpunkt jedoch auch eine „geschädigte Landschaft europäischer Dimension" mit den damals „brisanten Standorten des Wismutbergbaus und des Waldsterbens im sächsischböhmischen Becken" durch die Braunkohle- und Energiestandorte im Nordböhmischen Becken [6:10].
Die beiden Bergbaugeschichten im Vergleich verdeutlichen letztlich drei Punkte:
1 Zum Beispiel entwickelte sich die 1887 gegründete Metallwaren-Fabrik Louis Krauss in Schwarzenberg bis zum Ende der DDR zum wichtigsten Produktionsstandort für Waschgeräte in Osteuropa. Zu nennen sind außerdem die MZ-Werke (Motoradbau) in Zschopau, die Trabant-Werke in Zwickau (Automobilbau) und der VEB Fritz-Heckert-Werke in Chemnitz (Werkzeugmaschinenbau).
1.Zum Ersten unterscheiden sich die Vielfalt und Charakteristik des montanindustriellen Erbes im Ruhgebiet und Erzgebirge deutlich. So ist das materielle Erbe des Erzgebirges vielfältiger als im Ruhrgebiet, da es sowohl technische Anlagen und Infrastrukturen des Bergbaus und der Begleitgewerbe, als auch die damit verbundenen Siedlungsformen im Wandel von 800 Jahren spiegelt im Unterschied zu den vorranging hochindustriellen Spuren im Ruhrgebiet. Zudem zeugt das Erzgebirge von vielfältigem immateriellen Erbe in Form von, durch den Bergbau über Jahrhunderte geprägten und verfestigten Traditionen des Handwerks, der Kunst, Musik, Literatur und christlichen Religionsausübung [7:17f; 2:8] - im Unterschied zu den „Alltagskulturen" der Ruhrgebietskumpel [4:25].
2.Zum Zweiten verdeutlicht der Vergleich den engen Zusammenhang wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Entwicklung in der Region. Es stellt sich damit die Frage nach der Gestaltung eines ausgewogenen Zusammenspiels dieser Dimensionen der Nachhaltigkeit in Gegenwart und Zukunft (vgl. Kap. 3 und 4).
3.Zum Dritten deutet der Vergleich die unterschiedlichen Zeithorizonte an, in denen sich die gegenwärtigen Transformationen beider Regionen vollziehen.
3.Transformationen und Neuausrichtung 3. 1. Das Ruhrgebiet - Beispiel eines sektoralen Strukturwandels
Im Ruhrgebiet begannen die wirtschaftlichen Umstrukturierungen bereits in den 1960er Jahren. Sie betrafen einzelne Sektoren, nämlich zunächst den für den Wirtschafsraum bedeutsamen Steinkohlebergbau und folgend ab den 1980er Jahren die Stahlindustrie (Kap. 2). Dieser „sektorale Strukturwandel" [1:535] zeugt vom Übergang der Industrie- zur Dienstleistungsund Informationsgesellschaft mit Folgen für die Bevölkerungs-, Siedlungs- und Umweltentwicklung im Raum. Wir unterscheiden drei Phasen der Transformation: I.Phase: Sektoraler Strukturwandel und Niedergang (1958-1990)
Auf die ersten Anzeichen der Krisen in den 1960er und 1980er Jahren reagierten die Großunternehmen des montanindustriellen Clusters mit ersten Rationalisierungen in Prozessabläufen sowie Stilllegungen von Zechen und Stahlstandorten. Massive Arbeitsplatzverluste waren die Folge, welche durch die beginnende, stärkere Tertiärisierung im Bereich der „klassischen, eher arbeitsintensiven Dienstleistungen (Handel, Einzelhandel, Gastronomie" [4:29] nicht kompensiert werden konnten. Nach dem Bevölkerungshoch 1961 setzte - aufgrund von Geburtendefiziten, aber auch als Folge der Rückwanderung von nicht mehr benötigten Gastarbeitern in den 1970er Jahren ein Bevölkerungsrückgang im Ruhrgebiet ein (Abb. 2). Zur Stützung des Kohlebergbaus wurde der
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sog. Kohlepfennig (1974) als staatliche Subvention für die Steinkohleförderung eingeführt. Zudem versuchte man die jungen Menschen im Revier besser zu fördern, auch angesichts der schwierigen Einkommensverhältnisse der Bergarbeiterfamilien, und gründete ab 1965 erste sog. Heimathochschulen. Sie waren zunächst sehr pädagogisch ausgerichtete Gesamthochschulen, welche primär nicht auf Innovationsförderung, sondern auf Arbeitskräftequalifizierung setzten [8].
2.Phase: Strukturierung und Weichenstellungen (1990-2000)
Der Anfang der 1990er Jahre brachte dem Ruhrgebiet zunächst eine Verschnaufpause, denn der Bevölkerungszuzug aus den neuen, deutschen Bundesländern glich den Bevölkerungsrückgang im Ruhrgebiet bis Mitte der 1990er Jahre aus (Abb. 2). Im Zuge des Bevölkerungsrückgangs nahmen jedoch auch der Anteil der älteren Menschen sowie der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund zu [4:20]. Mit Blick auf die Wirtschaft kommt es Ende der 1990er Jahre im Stahl- und Kohlesektor zu weiteren Umstrukturierungen, auf die die Unternehmen mit der Erweiterung ihrer Produktpaletten und Produktinnovationen, mit Unternehmensfusionen und weiteren Standortkonzentrationen reagieren. Diese Veränderungen gehen sowohl mit Investitionen der Großunternehmen in die neuen Produkte und Standorte (mit Unterstützungen seitens der öffentlichen Hand)
einher, als auch mit erneuten Arbeitsplatzverluste. Letztere sollen und werden zunehmend durch neue Arbeitsplätze im qualifizierten Dienstleistungsbereich sowie in neuen Industriezweigen wie Logistik, Mikrosystemtechnik, Informationstechnologie und Biomedizin ersetzt. Historisch begründete Begleitindustrien wie die Chemieindustrie und Energiewirtschaft (Kap. 2) fördern zudem Stabilität und Innovationen. Mit Blick auf die Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualitäten im Ruhrgebiet werden Anstrengungen vor allem in Form von Planungen und Projektentwicklung unternommen. Das bedeutsamste Vorhaben dazu ist die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park (1989-1999), welche u. a. das Projekt zur Klärung und Renaturierung der Emscher sowie Projekte zur Wohnumfeldverbesserung beinhaltete.
3.Phase: Stabilisierungen auf annähernd altem Niveau und neue Wachstumsperspektiven (ab 2000) Heute sind imRuhrgebiet „wissensbasierte Dienstleistungen und Produkte auf dem Vormarsch" [4:29] als Ergebnis der neuen, engen Kooperationen der Hochschulen, der neuen Forschungseinrichtungen, öffentlicher Finanzierung sowie der Förderungen durch die altansässigen Großunternehmen (wie Thyssen, Degussa, RWE, Ruhrgas u.a.). Auch wenn bislang diese Folgeindustrien (noch) nicht vollständig den Beschäftigungsabbau im Bergbau und in der Stahlindustrie kompensieren (Abb. 4), so „scheint es den überregional
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bedeutsamen Dienstleistungen [dennoch] gelungen zu sein, den Anschluss an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu finden. Dies trägt zur Stabilisierung der Beschäftigung bei" [1:543].
Zudem ist die Zeit nach 2000 charakterisiert durch die Professionalisierung der Identitäts-, Image-und Tourismusförderung im Ruhrgebiet, insbesondere über die Inszenierung des industriellen (Kultur-) Erbes der Region. So wachsen die Besucherzahlen seit 1990 stetig an. Allerdings liegen sie nach wie vor deutlich unter dem Bundeslandesdurchschnitt, und es dominieren die Geschäftsreisenden [4:40]. Die Alterung der Gesellschaft und der Bevölkerungsrückgang setzen sich fort aufgrund der geringen Fertilitätsraten seit den 1970er Jahren. So verlor das Ruhrgebiet seit 1990 knapp 250.000 Einwohner, das sind 4,6% (Tab. 1).
Die drei folgenden Beispiele verdeutlichen letztlich, dass Akteure der regionalen und nationalen Ebene insbesondere in den Bereichen der Wirtschafts-, Umweltqualitäts- und Kulturerbeförderung Ansätze zur Neuorientierung des Ruhrgebietes sehen.
Beispiel 1: Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft
Das Vorzeigeprojekt des Ruhrgebietes im Bereich der Wirtschaftsförderung ist das sog. Dortmund project. Es zeichnet sich aus „durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Unterstützung für den neuen Technologiestandort Dortmund durch Politik, Wirtschaft und Wissenschaft" [4:34]. Die Idee, in Dortmund ein neues
High-Tech-Cluster zu etablieren, wurde 1997 geboren „aus den Verhandlungen zwischen Landesregierung, Krupp-Hoesch und Thyssen, der Städte Dortmund, Duisburg und den Gewerkschaften" [4:34]. Ergebnis der Verhandlungen waren, dass die Unternehmen Krupp-Hoesch und Thyssen fusionierten und Ende der 1990er Jahre endgültig den Stahlstandort Dortmund schlossen zugunsten Duisburgs als nunmehr alleiniger und modernisierter Stahlstandort im Ruhrgebiet. Im Gegenzug verpflichtete sich die Industrie „eine strategische Konzeption und Vision für den Wirtschaftsstandort Dortmund" zu erarbeiten und mitzufinanzieren: die Gründung eines neuen Clusters in den Branchen Software, Informationstechnologien, E-Commerce, Mikrosystemtechnik, Biotechnologie und Logistik. Ziel war die Schaffung von 70.000 neuen Arbeitsplätzen bis 2010 als Ausgleich für 80.000 in den letzten Jahren verlorenen in Dortmund. 200 Mio. Euro an EU-, Bund-, Landes- und Stadtmitteln flossen zudem in dieses Wirtschaftsförderungsprojekt, was begleitet war von Umnutzungen und Aufwertungen alter Industrieareale zu neuen Büro- und Gewerbeparks, zu Wohnnutzungen, Erholung und Freizeit. Im Jahr 2007 gab es - maßgeblich auch in Folge dieses Projektes - in Dortmund 720 IT-Firmen, 662 Logistikunternehmen, 33 Mikro- und Nanotechnologiefirmen mit 41000 neuen Arbeitsplätzen (weitere Bespiele siehe [4:33]).
Beispiel 2: Umweltsanierung - Das Beispiel Emscher Landschaftspark
Im Bereich der Umweltsanierung als Ansatzpunkt
Hamhurg Bremen Hannover Bielefeld I ftuhrgebiet Düsseldorf Köln/Bonn Aachen Rhein-Main
Mznnheim/lucfwigsliafer I Karlsruhe Stuttgart Nürnberg I München Sur Berlin
Ruhrgebiet
c« ihn in
Erzgebirge
[-1-1-1-1-1-1-1-1-1-1
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Dresden Leipzig
Abb. 4: Größen- und Konjunkturbereinigte Beschäftigungsentwicklung in den deutschen Agglomerationen seit 1995
[1:539 bearbeitet]
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für Neuausrichtung und nachhaltige Entwicklung ist das Konzept des Emscher Landschaftsparks zu nennen. Es wurde während der InternationalenBauausstellung Emscher Park (1989-1999) entwickelt und ziel darauf ab, auf über 450 km2 und in Bezugnahmen auf regionale Grünzüge der 1920er Jahren und Revierparks der 1970er Jahre einen regionales Grünsystem (Landschaftspark) entstehen zu lassen [9:72]. Das neue Grünsystem umfasst viele hundert Einzelprojekte zu unterschiedlichen Leitthemen der Entwicklung (Neues Emschertal, Standort, Ökologie, Infrastruktur, Kultur, Urbane Land- und Forstwirtschaft, Entwicklungs- und Vegetationsmanagement). An der Umsetzung des Emscher Landschaftsparkkonzeptes sind 20 Städte und zwei Landkreise beteiligt. Eines der Einzelprojekte ist der bekannte „Landschaftspark Duisburg-Nord" (Abb. 5), der auf 200 Hektar einstiger Industriebrache einen zeitgenössischen Stadtpark darstellt mit wilder Vegetation und gestalteten Gärten, alten Gleistrassen, mit in Spielplätze umgewandelten Bunkern und Gasometern, neuen Kletterwänden in gewaltigen Produktionshallen und Maschinenhäusern, Open-Air-Kino und vieles mehr. Es ist ein „Ort der inszenierten Industrienatur und Industriekultur".
Sowohl im Kontext der wirtschaftlichen Neuausrichtung (Beispiel 1), als auch im Bereich der Umweltsanierung (Beispiel 2) wird deutlich, dass die Akteure des Ruhrgebietes ihr montanindustrielles Erbe als
Kulturerbe neu bewerten und gezielt in Wert setzen durch Umnutzungen, neue städtebauliche und grünordnerische Einbindungen sowie Erschließungen im Sinne von (touristischen) Themenrouten wie z. B. der Route der Industriekultur, der Industrienatur und -architektur. Denkmalpflegerisch wertvolle Bausubstanz wird dabei mehrheitlich mit kulturellen Umnutzungen belegt und über rein öffentliche oder öffentlich-private Mischfanzierungen getragen. Ein Beispiel dafür ist die Transformation des Geländes der Zeche Zollverein in Essen. Großevents wie beispielweise die RUHR.2010 als Essen und die Region europäische Kulturhauptstadt wurden oder die Erlangung des UNESCO-Weltkulturerbestatus 2002 für die Zeche Zollverein fördern letztlich die Ziele, Aufmerksamkeit und Wertschätzung von außen zu gewinnen sowie die Identifikation und Ortsbindung der Bewohner des Ruhrgebietes zu stärken.
Mit Blick auf die Steuerung dieser Anstrengungen zur nachhaltigen Weiterentwicklung des Ruhrgebietes waren vor allem die folgenden formellen Instrumente und nach 1990 verstärkt informellen Instrumente der Planung, Wirtschaftsförderung und Standortwerbung bedeutsam. Im informellen Bereich waren es ...
- die IBA Emscher Park (1990-1999),
- der UNESCO-Weltkulturerbeantrag für die Zeche Zollverein 2001
- die Bewerbung und Ausführung der Europäischen
Abb. 5: Landschaftspark Duisburg Nord (Quelle: http://s2.germany.travel/ am 29.09.2014)
Beispiel 3: Inwertsetzung montanindustriellen (Kultur)Erbes
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Kulturhauptstadt (RUHR.2010)
- die aktuellen Diskussionen und Prozesse zur Entwicklung der Metropole Ruhr, einschließlich einer gesamtregionalen Wirtschaftsförderung seit 2007.
Formelle Instrumente waren die Regionalpläne für drei Regierungsbezirke des Ruhrgebietes. Seit 1966 wird seit 2009 aktuell erstmals wieder ein Regionalplan für das gesamte Ruhrgebiet erarbeitet und damit das ganzheitliche Verständnis des Raumes gestärkt.
„Ohne die finanzielle Hilfe von Land, Bund und EU wäre der schwierige und immer noch nicht abgeschlossene Strukturwandel im Ruhrgebiet wohl [zudem] kaum meisterbar" [4:29]. Beispielsweise wurden allein im Rahmen der IBA Emscher Park zweieinhalb Milliarden Euro öffentliche Mittel in die Region investiert, zuzüglich der öffentlichen Mittel für Wirtschafts- und Innovationsförderung (z. B. Kohlepfennig2) sowie die Investitionen der Privatwirtschaft, vor allem in Form der alten Großunternehmen des Ruhrgebietes für Innovation (z. B. das „Dortmund project") und Umwelt-und Lebensqualität (z. B. die Thyssen-Investition in das Volkwang-Museum).
3.2 Das Erzgebirge - Beispiel eines gesamtgesellschaftlichen Strukturbruchs
Anders als im Ruhrgebiet spiegeln die gegenwärtigen Transformationsprozesse im Erzgebirge keinen sektoralen Strukturwandel, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Strukturbruch im Zuge des Zusammenbruchs des sozialistischen Planungs- und Wirtschaftssystems in Mittel- und Osteuropa. So verdeutlichen die sozioökonomischen Entwicklungen in den zwei Jahrzehnten nach der Wende 1989 zwar zum einen die Anpassungen der Erzgebirgschen Wirtschaft an den Wegfall bergbaulicher Tätigkeit und den Übergang zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Diese Transformationen sind jedoch deutlich verstärkt und beschleunigt durch das schlagartige Wegbrechen der gesamten Wirtschaftsbasis in der Region, wie der Textil-, Maschinenbau- und Elektroindustrie und der landwirtschaftlichen Produktion (Kap. 2) durch den Wegfall des DDR-Binnenmarktes und der osteuropäischen Außennachfrage. Die ostdeutschen Unternehmen unterlagen im Wettbewerb den etablierten und effizient wirtschaftenden Unternehmen in Westdeutschland und weltweit. Statt eines langsamen wirtschaftlichen Strukturwandels mit seinen sozialen und räumlichen Folgen - wie ihn das Erzgebirge in den 800 Jahren seiner Bergbaugeschichte schon mehrfach durchlebte [2:8] - erfuhr die Region nach 1989 einen vehementen Systembruch [5:164]. Dessen gesamtgesellschaftlichen Folgen können als drei Transformationsphasen (1989 -
2 „Rund 130 Milliarden Euro hat sich der Staat in den letzten 50 Jahren die Aufrechterhaltung des Steinkohlebergaus in Deutschland kosten lassen" [4:44].
2006) beschrieben werden [6:17ff]:
1.Phase: Zwischen Wachstumsgläubigkeit und ,Gesundschrumpfen' (1989-1993)
Aufgrund der enormen Umweltzerstörungen im Erzgebirge 1989 (vgl. Kap. 2) wurden „nach der politischen Wende im Bereich der Ökologie Prioritäten gesetzt. Die wichtigsten Aktivitäten im Freistaat Sachsen bestanden in der Festsetzung starker Ökologieziele durch Gesetzgebung" [6:17]. Mit Blick auf die wirtschaftliche Dimension herrschte in dieser Zeit eine „Wachstumsgläubigkeit", welche sich besonders in enger wechselseitiger Verflechtung mit der technischen Infrastruktur und an einer Antragsflut zur Bautätigkeit zeigte. Neben dem Neubau technischer Infrastruktur wie Banken und Niederlassungen von Versicherungen hatten Sanierungsmaßnahmen an wertvoller Bausubstanz Konjunktur. Ausschlaggebend für diese Aktivitäten waren die Privatisierungen von Firmen, ehemals staatlicher Versorgungseinrichtungen und die Rückübertragung von Wohngebäuden an Alteigentümer gestützt auf staatliche Förderprogramme. Infolgedessen wuchs das Bau- und Dienstleistungsgewerbe sprunghaft an. Stärkste Zuwächse der Beschäftigung verzeichneten der Bausektor und der tertiäre Sektor auch in Verbindung mit dem neuen Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern.
Mit der Privatisierung volkseigener Betriebe und Kombinate nahm jedoch die Beschäftigung im produzierenden Gewerbe wie in der Textil-, Elektor-, Automobil- und Maschinenbauindustrie dramatisch ab. Die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen konnte diesen Rückgang nicht kompensieren. In der Landwirtschaft blieben die Großbetriebe erhalten. Doch kam es auch im primären Sektor - vor allem in der Land- und Forstwirtschaft - zu einem starken Rückgang der Beschäftigung aufgrund der Nutzbarkeit modernster Technik, der Verteuerung von Handarbeit sowie hohen Energie- und Wasserpreisen. Durch die Schließung der letztenBergwerke wurden zudem „Arbeitskräfte freigesetzt, die im regionalen Umfeld keinen anderen Tätigkeiten zugeführt werden konnten" [6:18]. „Mit steigender Arbeitslosigkeit im Rahmen des „Gesundschrumpfens" wuchs die Abwanderung", vor allem der jungen Menschen ohne eigene Familien, die am Arbeitsmarkt wegen des Prinzips des sozialverträglichen Stellenabbaus zuerst freigesetzt wurden und gute Arbeitsmarktchancen in den alten, deutschen Bundesländern hatten. Dabei wurde damals auf eine Rückwanderung der Jungen nach der Stabilisierung vor Ort, nach dem Durchschreiten der „Talsohle" orientiert, „denn die Wachstumsgläubigkeit blieb erhalten" [6:19].
2.Phase: Strukturierung und Schrumpfung (19941999)
In dieser Zeit waren nunmehr die neuen Verwaltungsstrukturen und Gesetze geschaffen. Jedoch
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vollzieht sich die räumliche Entwicklung in dieser Phase besondere schnell und aus regionaler Sicht weitestgehend ungesteuert [5:21; 6:164]. Ein bedeutsamer Beleg dafür ist auf kommunaler Ebene die massive Wohn- und Gewerbesuburbanisierung mit negativen Auswirkungen auf die Kernstadt- und Umweltentwicklung. Es werden zudem die Auswirkungen der Firmenschließungen und der Veränderungen der Bevölkerungsstruktur sichtbar. So „entstehen Konzepte für den Umgang mit Arbeitslosigkeit und sinkenden Kinderzahlen in Kitas und Schulen sowie mit steigenden Seniorenzahlen.Die Flächennutzungsplanungen werden vorerst ausgesetzt" [5:21]. Im Umweltbereich werden Maßnahmen zur Senkung der Emissionen umgesetzt, Abwasserzweckverbände gegründet und Umweltbeobachtungssysteme eingeführt. Der ökologische Landbau - vor allem auf Höfen von „Wiedereinrichtern" und in Verbindung mit sanftem Tourismus - wird erprobt. Die ökonomische Entwicklung des Erzgebirges und Sachsens insgesamt sind in dieser Zeit gekennzeichnet durch Firmenpleiten, Firmenneugründungen und Anstieg der Arbeitslosenquoten bei starken lokalen und regionalen Differenzierungen. Die zuvor privatisierten Betriebsteile ehemaliger Kombinate wechseln ihre Eigentümer unter erneuter Schrumpfung der Beschäftigtenzahlen. Leihfirmen gründen sich und die Verleihung von Arbeitskräften an westdeutsche Unternehmen steigt an. Die starken Zuwächse im Bausektor durch den Verkehrswegebau (Bundesdeutscher Verkehrswegeplan), durch den Neubau staatlich geförderten Mehrfamilienhausbaus in den Städten, durch die Einrichtung von Gewerbegebieten und staatlich geförderten Eigenheimsiedlungen am Stadtrand können diese erneuten Arbeitsplatzverluste nicht kompensieren. Zudem erzeugen die genannten Maßnahmen der Wohnungsbauförderung bei realem Bevölkerungsrückgang in der Region deutliche Wohnungsleerstände. Zwar dominiert in dieser Phase die Binnenwanderung (in Form von Suburbanisierung) vor der Fernwanderung in die alten Bundesländer, aber auch die natürliche Bevölkerungsentwicklung ist geprägt von Sterbeüberschüssen (Schrumpfung). Die Geburtenzahlen
waren 1990 massiv eingebrochen und bleiben auf niedrigem Niveau. In der Kinderbetreuung und in Schulen wird auf die Bevölkerungsentwicklung durch Zusammenlegungen und Schließungen reagiert. Defizite in der Altenversorgung werden durch private Unternehmen häuslicher Betreuung und „Betreutes Wohnen" kompensiert [5:22].
3.Phase: Stabilisierung auf neuem Niveau (20002005)
Die Jahre nach 2000 sind „charakterisiert durch die Auseinandersetzung der Politik, Planer und lokalen Bevölkerung mit Schrumpfung und ihren Auswirkungen auf die Entwicklung der Regionen und ausgewählter Standorte" [5:23]. Mit Blick auf die Umweltentwicklung bringt der „Agenda-21-Prozess Erfolge nachhaltiger Stadtentwicklung. Industrie- und Gesellschaftsbrachen werden in das Freiraumsystem der Städte eingegliedert" [5:23]. Der ökologische Landbau in der Landwirtschaft findet Akzeptanz und steigende Nachfrage. Im Naturschutz werden neue Flächen im Rahmen von EU-Vorhaben (FFH-Gebiete, NATURA 2000) ausgewiesen.
Auf wirtschaftlicher Ebene bringen die 2000er Jahre eine „Stabilisierung der Zahl der wirtschaftlich Tätigen, jedoch auf niedrigem Niveau im Vergleich zu 1989/1990" [5:23] und mit hohen Auspendlerraten. Abbildung 4 verdeutlicht diesen im Vergleich zum Ruhrgebiet dramatischen Verlust an Arbeitsplätzen seit 1990. Allerdings bilden sich in dieser Phase auch wieder neue wettbewerbsfähige Wirtschaftscluster heraus wie die Automobilindustrie mit Zulieferbetrieben im Raum Chemnitz-Zwickau und die Solar- und Halbleiterindustrie in Freiberg. Es sind Unternehmensneugründungen und -fortführungen nach 1990 bzw. Werkbankstandorte westdeutscherbzw. internationalerUnternehmen, angelockt durch das hochqualifizierte Arbeitskräftepotenzial des industriell geprägten Erzgebirges, die Niedriglöhne und die maximale staatliche Förderung [10:13]. Die wichtigsten Industriebranchen im Erzgebirgskreis sind heute mit 51% der Betriebe und 60% der Beschäftigten die Metallverarbeitende Industrie, der Maschinenbau und die Elektrotechnik - „die Kernkompetenzen der Region
Tab. 1: Ausgewählte Merkmale der Fallbeispielregionen (Quelle: Autoren)
Merkmal Erzgebirge Ruhrgebiet
Ausdehnung 6000 qkm 4.435 qkm
Bevölkerungsdichte 110 EW/qkm 1.158 EW/qkm
Einwohnerzahl (2011) 539.520 5.135.136
Bevölkerungsentwicklung (1990-2011) - 23% (1990-2011) - 4,6%
Anzahl der Städte und Kreise 3 Kreise mit 44 Städten 4 Kreise mit 42 Städten und 11 kreisfreie Städte
Arbeitslosenquote (2011) 9% 11%
Landschaftliche Charakteristik Mittelgebirge Flachland
(höchster Punkt) (1.244 m ü. NN) (441m ü. NN)
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seit Jahrhunderten" [10:13]. „Auch die Textilindustrie hat nach dem großen Zusammenbruch in den 1990er Jahren, insbesondere bei technischen Textilien mit innovativen Produkten viele erfolgreiche Unternehmen im Erzgebirge" [10:13ff].
Infolgedessen ist es bemerkenswert, dass das Erzgebirge im Bundesland Sachsen wieder die höchste Industriedichte aufweist mit 356 Unternehmen pro 10 Tsd. Einwohnern [11:45]. Allerdings ist die Zahl der Klein- und Kleinstunternehmen (0-9 Beschäftigte) überdurchschnittlich hoch. „Nur 30 Unternehmen im Erzgebirge haben mehr als 250 Beschäftigte. 320 Unternehmen haben zwischen 50 und 250 Beschäftigte" [10:14]. Im Unterschied zum Ruhrgebiet mit 10 der 50 umsatzstärksten deutschen Unternehmen fehlt der Erzgebirgschen Lokalwirtschaft vor allem Finanzstärke, um im großen Umfang zur Finanzierung von Innovationsclustern und (kulturellen) Standortqualitäten beizutragen. Diese zersplitterte Wirtschaftsstruktur ist eine gravierende Folge des Strukturbruches mit negativen Langzeitfolgen für die Zukunft.
Abgesehen davon wachsen in der 3. Phase - trotz eines bescheidenen Rückgangs der Arbeitslosenquote durch steigende Beschäftigung im tertiären Sektor - die Kosten für Sozialausgaben in Beziehung zu Veränderungen in der Einkommensstruktur der Haushalte. Die Steuereinnahmen der Städte sinken. Überschuldungen der Kommunen sind Folgeerscheinungen [5:14]. Die Binnenwanderung nimmt nach 2000 wieder ab bei gleichzeitig steigender Außenwanderung in westdeutsche Arbeitsmärkte durch anhaltende und leicht steigende Arbeitslosigkeit. So verlor das Erzgebirge vor allem aufgrund der Abwanderung
zwischen 1990 und 2011 insgesamt 23% seiner Bewohner; die Bevölkerungsdichte sank von 300 EW/qkm auf derzeit 90 EW/qkm (Tab. 1). Die Polarisierung in der Gesellschaft steigt, wobei der Anteil der GeringverdienerHaushalte zunimmt. Die Bevölkerungsentwicklung ist zudem charakterisiert durch eine beschleunigte Alterung aufgrund der der Abwanderung der jungen Menschen und der genannten Geburtendefizite. Der zuvor „per Gießkanne" staatliche geförderte Wohnungsneubau mit den Folgen des Leerstandes, wird zurückgefahren. Staatliche Förderprogramme unterstützen nun den Abriss von Wohnraum („Stadtumbau Ost").
Die Transformationsphasen verdeutlichen im Ergebnis zum einen die tiefgreifenden Folgen des Strukturbruchs 1989/90. Sie zeigen jedoch auch positive Ansätze der Neuausrichtung und Entwicklung in der Region. Dafür stehen die folgenden drei Beispiele.
Beispiel 1. Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft - Die Westsächsische Hochschule in Zwickau
Ähnlich wie im Ruhrgebiet liegt in der Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft ein starkes Potenzial zur sozioökonomischen Neuausrichtung. Die Westsächsische Hochschule Zwickau (WHZ) ist ein Ankerpunkt solcher Vernetzung in der Region. Ihre Anfänge liegen im Bergbau und seinen Begleitindustrien im 19. Jahrhundert (Kap. 2), und seit 1990 entwickelte sie sich zu einer der forschungsstärksten Fachhochschulen Deutschlands mit beispielsweise 7,21 Millionen Euro forschungsorientierten Drittmitteleinnahmen im Jahr 2013. 30 Prozent dieser Drittmittel stammen dabei aus der Industrie, die übrigen aus Förderprogrammen der EU, des Bundes sowie der Länder und Kommunen. So nutzen sowohl
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Abb. 6: Die Bergbaustadt Freiberg zur Weihnachtszeit (Quelle: http://regionen.sachsen.de/ am 29.09.2014)
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die regionalen Unternehmen der Automobil- und Maschinenbauindustrie, als auch viele überregionale Firmen die Kernkompetenzen der WHZ. Mit ihnen ingenieurtechnischen Fachbereichen und der engen Verzahnung zur regionalen wie internationalen Industrie trägt die Hochschule aktuell und perspektivisch zum Innovationsstandort Erzgebirge bei. Dafür steht auch das Engagement außeruniversitärer Forschungsinstitute am Standort Zwickau mit poltisch-finanzieller Unterstützung.
Beispiel 2. Umweltqualitäten - Waldregenerierung und Stadtsanierungen
Ein wesentliches Beispiel für die Anstrengungen zur Verbesserung der Umweltqualitäten im Erzgebirge sind die Erfolge im Rückdrängen des Waldsterbens und in der Waldregenerierung. Die Attraktivität des Erzgebirges für Bewohnern und Besucher gewann zudem maßgeblich durch die Sanierung des vielfältigen siedlungsstrukturellen Bergbauerbes mittels Steueranreize für Denkmalsanierungen und des Bundesförderprogramms „Städtebaulicher Denkmalschutz" (Abb. 6).
Beispiel 3. Inwertsetzung montanindustriellen (Kultur-)Erbes
Die Inwertsetzung des 800-jährigen montanindustriellen (Kultur-)Erbes ist im Erzgebirge zudem ein bedeutsamer Ansatzpunkt für die Neuausrichtung der Region. Er hat im Erzgebirge eine lange Tradition, wie beispielsweise die Eröffnung der ersten Besucherbergwerke Anfang des 20. Jahrhunderts belegen. Aktuelle Wirksamkeit nach Innen und Außen zeigt die Bewerbung des Erzgebirges um die Aufnahme als montanindustrielle Kulturlandschaft in die UNESCOWelterbeliste. Geboren aus einer lokalen Initiative erfährt dieses Großprojekt große Unterstützung von 31 Kommunen und den 2 Landkreisen des Erzgebirges [2:12]. Die Bewerbung verdeutlicht das wiedererwachende Selbstbewusstsein der Erzgebirgler nach der tiefen Krise; sie kann zudem zu Ortsbindung und Engagement der Lokalbevölkerung sowie zur positiven Imagebildung und zu Aufmerksamkeit von außen beitragen [12]. Zudem setzt die Region ihren reichen, durch den Bergbau geprägten Kulturschatz in Form von Volkskunst und Kunstgewerbe neu in Wert mittels Museumsneubauten („Manufaktur der Träume" in Annaberg, „Terra mineralia" in Freiberg), Ausstellungsneukonzeptionen und touristischen Themenrouten wie der „Silberstraße".
Bedeutsames für die Steuerung der Transformationsprozesse im Erzgebirge war vor allem das formelle Instrument der Sanierungsund Entwicklungsgebiete des sächsischen Landesplanungsgesetzes für Industrie- und Bergbaugebiete geschädigter [6:176]. Die formellen Instrumente der Raumplanung, d.h. die Regionalpläne, kamen hingegen „sehr schwerfällig und spät in Gang aufgrund des zeitaufwändigen Gesetzgebungsprozesses
und Verwaltungsaufbaus" Anfang der 1990er Jahre [6:178]. Sie übernahmen daher letztlich die Aussagen des schneller, kooperativ und integrativ erstellten Regionalen Entwicklungskonzeptes. Ein weiteres formelles Instrument war die Kreis- und Kommunalreform in Phase 2 als Reaktion auf den sozioökonomischen Entwicklungsverlauf und die Binnenwanderung (Suburbanisierung).
Das Regionale Entwicklungskonzept (in Form des Grenzraumentwicklungskonzeptes), bestehend aus Leitbild, Entwicklungslinien, Entwicklungszielen und Maßnahmenkatalog [5:11],warfolglicheinsehrbedeutsames informelles Planungs- und Steuerungsinstrument. Ab 2000 kamen das Regionalmanagement und die regionale Wirtschaftsförderung hinzu. Großprojekte, wie der UNESCO-Welterbeantrag, sowie die „bewusste Einflussnahme durch politische Aufmerksamkeiten und Förderprogramme" entfalten zudem mit starker Wirkung [6:178].
Ohne die öffentliche Förderung ist der Strukturbruch im Erzgebirge jedoch nicht zu gestalten. Positiv bedeutsame Förderkulissen für das Erzgebirge waren u.a. ...
- die Intereg-Programme der EU (geförderte Maßnahmen: Umweltschutz, Infrastrukturausbau, kulturelle und touristische Zusammenarbeit im Grenzraum; Tourismus und Landnutzungsformen in Phase 3)
- die Mittel des EU-Struktur- Kohäsionsfonds seit 2004 sowie
- das Bundesprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz seit 1991 [5].
Nicht durchweg positiv, sondern mit auch negativ wirkte die die staatliche Wohnungsbauförderung (vgl. Phase 2) aufgrund ihrer undifferenzierten, nicht die lokalen Entwicklungsbedarfe und -trends beachtenden Ausgestaltung.
4. Zusammenfassung und Ableitungen
Im Zusammenblick der Transformationsphasen und Anstrengungen für neue Entwicklungen im Ruhrgebiet und Erzgebirge sind letztlich für die beiden deutschen Bergbauregionen aktuell positive Entwicklungstendenzen festzustellen (Kap. 3). Im Vergleich zeigen sich dabei interessante Ähnlichkeiten zwischen den Regionen bezüglich der gewählten und erfolgreich erprobten Ansatzpunkte bzw. Herangehensweisen zur Überwindung der Krisen. Es sind Herangehensweisen, die aus unserer Sicht auch für andere Bergbauregionen unter Transformationsdruck weiterführende Anregungen geben könnten.
So möchten wir als Erstes herausstellen, dass beide Regionen ihre wirtschaftlichen Perspektiven sowohl in der wachsenden Tertiärisierung finden, d.h. in der Entwicklung des Dienstleistungssektors einschließlich der Tourismuswirtschaft, als auch in der Erschließung neuer Industriezweige, welche wiederum die Ankerpunkte
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für weitere, höherwertige Dienstleistungen mit Wachstumspotenzial sind. Die Initiierung und Förderung von Vernetzungen zwischen Forschungsinstitutionen und Wirtschaftsunternehmen hat sich dabei mit Blick auf Letzteres als Erfolg bringender Ansatz im Ruhrgebiet und Erzgebirge bewährt3. Das Entstehen neuer Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Branchen ist der entscheidende Faktor für die Stabilisierung und nachhaltige Weiterentwicklung der Regionen [5].
Zum Zweiten, wählen beide Regionen den Ansatz, über die Verbesserung ihrer regional-lokalen Lebensqualitäten in Form von Umweltsanierungen und Wohnumfeldverbesserungen ihre Attraktivität als Wohn-und damit als Wirtschaftsstandort zu steigern. Dabei geht um Mehr als nur das Wegbrechen der Umweltbelastungen durch den Niedergang der Montanindustrie, sondern um gezielte Investitionen und Maßnahmen der bedarfsgerechten und zukunftsorientierten Revitalisierung und Aufwertung von Teilräumen und Industriebrachen.
In diesem Kontext steht die dritte, gemeinsame Herangehensweise beider Regionen: die Umdeutung des montanindustriellen Erbes in Kulturerbe und dessen Erschließung, Nutzbarmachung und Inszenierung durch Großprojekte wie Internationale Bauausstellungen, Bewerbungen um internationale Labels und Events (UNESCO-Welterbe; Europäische Kulturhauptstadt). So kann das montanindustrielle Kulturerbe dabei helfen, (1) die Außenwahrnehmung der Altindustrieregionen (das Image) zu verbessern, (2) die Ortsbindung und das Selbstwertgefühl der Einwohner zu stärken und infolgedessen (3) die wirtschaftliche Neuausrichtung der Regionen im Zeitalter der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft zu unterstützen (Stichworte: Kultur als Standortfaktor, Industrietourismus als ein, aber nicht der entscheidende Zweig lokal-regionaler Wirtschaftsentwicklung). Allerdings verfügen nicht alle Industriebrachen über inszenierbares, identitätsstiftendes und/oder denkmalpflegerisches Potenzial. Im Falle denkmalpflegerisch wertwollen Industrieerbes die Inszenierung und (dauerhafte) Belebung der Objekte zudem meist nur mit kulturellen und/oder bildungsbezogenen Umnutzungen möglich, welche selten wirtschaftlich selbsttragend, sondern öffentliche bzw. öffentlich-privatwirtschaftliche Mischfinanzierungen bedürfen [8].
Die Erfahrungen beider Regionen verdeutlichen zum Vierten, dass die Neuorientierung und nachhaltige Weiterentwicklung dieser Räume massiver Investitionen der öffentlichen Hand bedürfen. Es sind Investitionen unter anderem in die Bereiche Forschung und Bildung, Infrastruktur, Umwelt und Denkmalpflege. Dabei geht es dringend um den räumlich differenzierten, an den
3 gekoppelt mit „endogenen Potenzialen" [13:22] wie unternehmerischen Denken der regionalen (Wirtschafts-) Akteure
spezifischen Potenzialen und Bedarfen der Kommunen angepassten Mitteleinsatz und nicht um eine GießkannenFörderung, welche negative Folgen zeitigen kann (Beispiel: Wohnungsbauförderung im Erzgebirge, Kap. 3). Das Beispiel des Ruhrgebietes verdeutlicht zudem den enormen Vorteil, wenn in den Montanregionen Kooperationen mit großen, finanzstraken Wirtschaftsunternehmen möglich sind.
Die „Qualität der politisch-administrativen Steuerung" [13:226] erscheint zudem ein Faktor für die erfolgreiche Stabilisierung und Entwicklung der Regionen. Dabei geht es vor allem um eine ganzheitliche (ressortübergreifende), aber dennoch schnelle und umsetzungsstarke, d. h. Maßnahmen- und projektorientierte Planung und Steuerung, welche auch die kleinräumig differenzierten Potenziale der Region Bezug nimmt. Die positiven Beispiele aus den Regionen sind hierfür die IBA Emscher Park als Integrator lokaler Einzelprojekte sowie im Erzgebirge das Regionale Entwicklungskonzept (Kap.3). Der öffentlichen Hand kommt dabei nach wie vor eine zentrale Rolle als rahmensetzende, die verschiedenen Akteure und Interessen moderierende und mitfinanzierende Institution zu.
Die Potenziale für die erfolgreiche Transformation der Bergbauregionen Ruhrgebiet und Erzgebirge sehen wir letztlich ...
- in den „traditionsreichen Erfahrungen sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten des noch vorhandenen Arbeitskräftepotenzials", dass „industrielle Folgenutzungen und die Entwicklung zu High-TechStandorten bei Vernetzung mit der Wissenschaft" ermöglichen kann [5], sowie
- in dem Freiraum, bestehende Lebensqualitäten (v.a. in Form von vorhandenen sozialen, technischen und Verkehrsinfrastrukturen sowie Anbindungen an Versorgungszentren) zu nutzen und neue, hochwertige Lebensqualitäten zu entwickeln, z. B. in Form von neuen Landschaften, identitätsstiftendem Kulturerbestätten und Raumnutzungen.
Diese Potenziale stellen sich allerdings in zweifacher Weise räumlich differenziert dar. Damit meinen wir zum einen die Differenzierungen innerhalb der Bergbauregionen selbst in Form unterschiedlicher, lokaler Entwicklungspotenziale: Während nämlich für lagebegünstigte industrielle Standorte und Agglomerationsgebiete die Entwicklungsperspektiven eher günstig sind aufgrund ihrer Nähe zu Forschungseinrichtungen und als Voraussetzung für Produktentwicklung sowie in Schlagdistanz zur Reaktion auf Nachfragen, werden periphere Räume in den Regionen in Bezug auf Revitalisierungsmöglichkeiten wirtschaftlicher Bereiche eher problematisch beurteilt. Ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil besteht hier in der schlechten Erreichbarkeit, in dem unzureichenden Zugang
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zu spezialisierten wirtschaftsnahen Infrastrukturen und zur Mitwirkung in relevanten Netzwerken. Eine Kompensation dieser Wettbewerbsnachteile kann diese peripheren Orte nicht aus eigener Kraft gelingen. Die Herausbildung einer eigenständigen Standort- und Lebensqualität durch interkommunale Vernetzung bei Einbindung von Mittelstädten erscheint hingegen chancenreich [6:177f]. Eine derartig kleinräumige Differenzierung der Entwicklungschancen innerhalb der Bergbauregionen finden wir gegenwärtig vor allem im Erzgebirge vor.
Zum anderen zeigt der Vergleich des Erzgebirges und Ruhrgebietes die großen Unterschiede, welche bezüglich der Entwicklungschancen zwischen beiden Großregionen bestehen und Folge der unterschiedlichen Transformationsverläufe sind: So stellen sich Perspektiven für das Erzgebirge als Montanregion nach einem Strukturbruch deutlich schwieriger dar als im Ruhrgebiet, einer Bergbauregion im sektoralen Strukturwandel. Gründe für diese großräumige Differenzierung sind ...
- die massiven, qualifikations- und altersselektiven Bevölkerungsverluste des Erzgebirges nach 1990, welche u.a. das Arbeitskräftepotenzial der Region langfristig schmälern,
- die Zersplitterung der lokalen Unternehmensstruktur nach 1990 mit der Folge einer gegenwärtigen Dominanz kleiner Betriebe, denen Finanzierungsstärke u.a. im Bereich Forschung & Entwicklung sowie Standortentwicklung fehlt.
Letztlich ist jedoch generell für beide untersuchten ehemaligen Bergbauregionen kritisch darzustellen, dass die Transformationsprozesse derzeit in noch keiner der Regionen abgeschlossen sind. Denn die Bevölkerungen schrumpfen und altern beispielsweise weiter und die Beschäftigungszahlen haben noch nicht wieder das vor dem Wandel vorhandene Beschäftigungsniveau erreicht.
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