© Дубах Т. М., 2018
ПРОБЛЕМЫ ПОЭТИКИ ЗАРУБЕЖНОЙ ЛИТЕРАТУРЫ
УДК 821.П2.2(436)-32(Шницлер А.)
ББК Ш33(4Авс)5-8,44 ГСНТИ 17.09.09 Код ВАК 10.01.03
T. M. Dubakh
Ekaterinburg, Russia
Arthur Schnitzler's Prose in the Context of Viennese Modernism's Culture
Abstract. Arthur Schnitzler became famous as a dramatist and he was a member of the group of young Viennese writers «Jung Wien». This group of young authors was influenced by the period of social identity crisis and radical change in the direction of a new fast-moving time, but also of a focus on intrinsic values of individuals. To treat this in their work, they developed also new literary forms like Interior Monologue and Free Indirect Discourse. Also members of the group were other contemporary literary figures like Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Leopold von Andrian and Richard Beer-Hofmann. They usually met in the typical Viennese Cafés, and one of them, the Café «Griensteidl» became their favorite meeting place and developed to a literary center of the Viennese Modernism. In this environment, the literary form of the Viennese Feuilleton was resurrected, which focused on the sensitivities and emotional state of the protagonists instead of some action. The period bore also a new close relationship between literature and sciences like philosophy and psychology, which was reflected by the treated themes like dream, gender identification and sexuality. Arthur Schnitzler and Sigmund Freud for example attended at lectures of the same professors. They shared an intense interest in dreams, but they had fundamental differences in the findings concerning this issue. Schnitzler took an exceptional position within the group «Jung Wien», because his scenarios and protagonists were often sited outside the higher bourgeoisie and his characters spoke an informal language near the Viennese dialect.
Keywords: Viennese Modernism; Vienna cafeteria; satirical articles; novels; identity crisis.
Т. М. Дубах
Екатеринбург, Россия
Schnitzlers Prosa in der Kultur der Wiener Moderne
Аннотация. Артур Шницлер является одним из самых ярких репрезентантов литературы венского модерна. На рубеже XIX-XX веков он входил в объединение венских литераторов «Молодая Вена», чья творческая доминанта сформировалась под влиянием социального кризиса и нового мироощущения, появившегося благодаря развитию науки и техники. Творческая программа младовенцев была ориентирована на изображение внутреннего мира индивида и проявилась в целом комплексе связанных с данной проблематикой тем. Новый предмет изображения требовал использования инновационных повествовательных приемов: внутреннего монолога и несобственно-прямой речи. Наряду с Шницлером в объединение литераторов «Молодая Вена» входили Герман Бар, Хуго фон Гофмансталь, Петер Альтенберг, Феликс Зальтен, Леопольд фон Андриан и Рихард Бер-Гофман. Они предпочитали собираться в кафе «Griensteidl», где представляли на суд публики отрывки своих произведений. Венское кафе приобретает на рубеже веков огромное влияние и получает статус важнейшего литературного и политического центра. Литература и культура венского модерна обнаруживает точки соприкосновения с целым рядом дисциплин научного знания: философией, психологией и др., что получило выражение в интересе литераторов венского модерна к таким темам, как сновидение, гендерная самоидентификация и сексуальность. К примеру, Шницлер и Зигмунд Фрейд слушали лекции одних и тех же профессоров. Оба разделяли интерес к теме «сновидение» несмотря на различные подходы к пониманию данного феномена. Хотя в прозе Артура Шницлера и прослеживаются параллели с творчеством других представителей «Молодой Вены», он занимает в данном объединении особое место, так как в отличие от своих соратников ставит в центр повествования представителей разных сословий венского общества начала XX века, а не только скучающих выходцев из буржуазных семей, что находит отражение в том числе и в речи персонажей, окрашенной венским диалектом.
Ключевые слова: венский модерн; венское кафе; фельетоны; новеллы; кризис идентичности.
Der österreichische Dichter Arthur Schnitzler ist nicht in erster Linie als Schriftsteller, sondern als Dramatiker weltberühmt. Obwohl er viele Novellen und auch zwei Romane geschrieben hat, erfuhren hauptsächlich seine Dramen weltweite Beachtung. Diese werden auch heute noch im Burgtheater in Wien aufgeführt. Anfang des 20. Jahrhunderts trat Schnitzler zusammen mit Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Felix Salten, Leopold von Andrian, Richard Beer-Hofmann der Gruppe der jungen Literaten namens «Jung Wien» bei. Als Ideenträger und Sprecher wurde Bahr gewählt und als Versammlungslokal das Café «Griensteidl». Dieses und andere Wiener Cafés spielten eine außerordentliche Rolle in der Kultur der Wiener Moderne und prägten das besondere Profil des literarischen Lebens Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien mit. Der Nachfolger von «Griensteidls» wurde das Café «Central». Die Liste seiner Besucher umfasste viele Autoren von Peter Altenberg bis Stefan Zweig. An einem Tisch sassen Maler, an einem anderen
Schauspieler. Alfred Polgar verfasste sogar eine Theorie des Cafés «Central» [Wunberg 2001].
Diese Epoche veränderte auch nachhaltig die Menschen. Einerseits machten neue Erfindungen (Telefon, Telegraph, Badewanne u.s.w.) das Leben der Einwohner jeder beliebigen Metropole bequemer [Sandgruber 1985: 31; Kos 1984: 111], andererseits vergrößerte sich die Angst der Individuen, allein zu sein, und das Bewusstsein für grosse Distanzen wurde durch die veränderte Reisekultur noch deutlicher [Linhardt 2006: 139]. Was die Bevölkerungszahl in Wien betrifft, so entstand hier von 1869 bis 1910 ein Wachstum auf zwei Millionen Menschen. Gleichzeitig wurde der Anteil an fremdsprachigen Migranten immer grösser. Dazu trug auch die Entwicklung der Verkehrsmittel bei, die — besonders durch die Eisenbahn — das Überwinden auch grösserer Distanzen in für die damalige Zeit bemerkenswert kurzer Zeit ermöglichten (man bedenke, dass nicht lange vorher das
gängige Verkehrsmittel auch für die grossen Distanzen Reitpferde und Pferdegespanne waren!).
Das Streben nach Geschwindigkeit beeinflusste auch den Charakter der literarischen Produkte. Kleine Formen wurden den grossen vorgezogen. Das Café wurde zum literarischen Zentrum, wo das frisch Geschriebene präsentiert wurde [Thompson 1990: 11-13]. Dank der besonderen Kultur des Cafélebens wurde das Wiener Feuilleton wiederbelebt [Keller 1984: 68]. Einige Novellen Schnitzlers werden auch oft als Feuilletons bezeichnet. Ihnen fehlt die Handlung, sie beschreiben die Befindlichkeit und Gefühlslage der Protagonisten in den geschilderten Situationen [Sprengel 1998: 248]. Im Genre-Geschmack seiner Zeitgenossen gehören Schnitzlers Werke zur «kleinen Form». Während seines künstlerischen Lebens schrieb er — genau wie der berühmte russische Dramatiker A. Tschechov — nur zwei Romane, die gemäß des russischen Germanisten B. Chvostov auf die Zeitgenossen keinen grossen Eindruck machten [Хвостов 2009: 75].
Es zeigt sich, dass die Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts an einer Art Identitätskrise litten, die auch die Werke von «Jung Wien» prägte [Ле Ридер 2009]. Sehr oft wurde hier ein einsamer Mensch zum Helden, der sich selbst und das Umfeld hinterfragte. Dazu gehörten auch Zweifel an der Sprache als Kommunikationsmittel, Geschlechtsidentifikations- und Sexualitätsfragen.
Auch die politische Unsicherheit trug zur individuellen Orientierungslosigkeit vieler Menschen bei: Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen musste sich der Kaiser 1867 zum Ausgleich mit Ungarn bereit erklären. Daraus wurde die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Das Land wurde inoffiziell in 2 Teile geteilt: Cisleitha-nien und Transleithanien. Von den 28 Millionen Einwohnern Cisleithaniens waren 35,6 % Deutsche, 23% Tschechen, 18% Polen, 12,6% Ruthenen, 4,5% Slowaken, 3% Serbokroaten und 2,7% Italiener. In Transleithanien lebten 42,8% Ungarn, 15% Serbokroaten, 15% Rumänen, 12% Slowaken und 12% Deutsche [Hanisch 1994].
Die Versuche, die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten zu schlichten oder zu beruhigen, scheiterten immer wieder. Auch Schnitzlers Figuren lassen in seinen Werken verschiedene Nationalitäten erkennen, aber dies nicht expressis verbis, sondern eher verhalten und ungern; auch das widerspiegelt den einerseits gesellschaftlichen Widerspruch verschiedener Nationalitäten als Bürger des gleichen Landes und andererseits den individuellen Konflikt der Menschen in dieser Konstellation.
Die 1889 von Viktor Adler begründete Sozialdemokratische Arbeitspartei versuchte, eine Art Sozialismus in die Gesellschaft einzuführen, scheiterte aber unter anderem auch an der Nationalitätenproblematik; denn die Arbeiter fühlten sich in erster Linie als Deutsche oder Tschechen und erst in zweiter Linie als Arbeiter, also konnte man sie als solche auch nicht wirksam ansprechen und mit einer Klassenphilosophie abholen.
Was die Bevölkerungszahl in Wien betrifft, so entstand hier von 1869 bis 1910 ein Wachstum auf zwei Millionen Menschen. Gleichzeitig wurde der Anteil an fremdsprachigen Migranten immer grösser.
Die Situation in der kaiserlichen Familie widerspiegelte ebenfalls die gesellschaftliche Krise: Kronprinz Rudolf beging Selbstmord und 1898 fiel die ihrem
Ehemann entfremdete Kaiserin Sissi in Genf einem Attentat zum Opfer. — Zwischen dem neuen Thronfolger, dem Erzherzog Franz Ferdinand und Kaiser Franz Joseph herrschte zusätzlich offener Hass [Größing 2007].
Die innenpolitische Instabilität und der Nationalitätenstreit wurden auch von außenpolitischen Problemen begleitet: Vor allem der Balkan entwickelte sich zum Krisengebiet, und als der Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, am 28. Juni 1914 mit seiner Ehefrau die bosnische Hauptstadt Sarajewo besuchte, war dies ein vielbeachtetes und durch die Berichterstattung der Zeitungen weit verbreitetes Ereignis. Jedoch wurden er und seine Ehefrau während dieses Besuchs von einem serbischen Terroristen erschossen, und auch dieser Mord wurde in der Presse breit dokumentiert und schürte Empfindlichkeit, ja, den Hass zwischen den Ethnien und Ländern, und der erste Weltkrieg begann. Das Ende dieses Krieges im Jahre 1918 bedeutete auch das auch das Ende der Monarchie.
Die gesamten Probleme dieser Periode lagen im Fokus nicht nur der Literaten der Wiener Moderne, sondern auch vieler Wissenschaftler (Ernst Mach, Fritz Mauthner, Ludwig Wittgenstein, Otto Weiniger, Sigmund Freud u.v.a.).
Der Wiener Physiker und Philosoph Ernst Mach postulierte die Unrettbarkeit des Ichs, das nur eine grammatikalische Funktion sei; tatsächlich könne zwischen Subjekt und Objekt nicht differenziert werden [Mach 2010: 137-146]. Diese Theorie wurde von den Künstlern als wissenschaftliches Fundament für ihr Schaffen empfunden. Einer der Begriffe, mit denen sich die Künstler der Moderne befassten, war Dekadenz.
Auf der Theorie von Ernst Mach fusst auch die Skepsis gegenüber der Sprache. Die berühmtesten Dokumente modernen Sprachzweifels stammen von Literaten «JungWiens». Hugo von Hofmannsthal mit «Der Brief des Lord Chandos» und Arthur Schnitzler mit seiner Novelette «Ich» bearbeiteten ebenfalls dieses Thema.
Mit dem Problem der Sprache beschäftigten sich auch berühmte Wiener Philosophen wie Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein. Zwei Monate vor Ende des ersten Weltkrieges hatte Wittgenstein auf einem Heimaturlaub in Wien seinen «Tractatus logico-philosophicus» abgeschlossen. Damit schuf Wittgenstein ein neues Werk der philosophischen Weltliteratur. Für Wittgenstein ist die Sprache immer eine Tätigkeit. Sie hat zeitliche und räumliche Dimensionen. Sie ist ein Ding [Wittgenstein 1995: 7-86]. Der Traktat endet mit folgendem Gedanken: «Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen» (Wittgenstein «Tractatus logico-philosophicus») und proklamiert damit den endgültigen Zweifel an den Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache.
Einen erstaunlichen Einfluss auf die Moderne übte auch die Dissertation von Otto Weininger aus, die er 1903 in überarbeiteter Form unter dem Titel «Geschlecht und Charakter» veröffentlichte. Der aus einer bürgerlichen jüdischen Familie stammende Weininger ging von der grundsätzlichen Bisexualität jedes Menschen aus und lehnte den weiblichen Charakter ab. Der weibliche Charakter sei unfähig, Begabung, Gedächtnis, Logik, Ethik, Ich-Bewusstsein und Genialität zu entwickeln. Genau genommen habe das Weib gar keinen Charakter, da es ein
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ausschließlich sexuelles Wesen sei. Das weibliche Wesen setzte Weininger mit dem jüdischen gleich und sah das Heil in der Überwindung des weiblichen (und jüdischen) Persönlichkeitsanteils durch den individuellen Mann [Weininger 2007: 45-50]. Seine Geschlechtermetaphysik versuchte die Ordnung der Dinge neu zu begründen.
Die bürgerliche Gesellschaft dieser Zeit war ja auch geprägt durch eine damals durchaus zeitgemässe Doppelmoral: Während Frauen bis zur Eheschliessung Jungfrauen bleiben mussten und nur als solche in die Ehe zu gehen hatten, war es den jungen Männern erlaubt, ja, es war geradezu erwünscht, dass sie voreheliche sexuelle Erfahrungen sammelten. Diesen Zweck erfüllten Kontakte mit Prostituierten oder Affären mit Mädchen niederen Standes, den so genannten «süßen Mädels» aus den Wiener Vorstädten, die keine Chance auf eine Heirat hatten. Und nicht nur junge Männer, sondern durchaus auch gestandene, verheiratete Männer galten als attraktiv, wenn sie in dieser Hinsicht viele «Eroberungen» vorzuweisen hatten.
Eine Auseinandersetzung mit der Situation der Frau findet sich in den Texten einer der bekanntesten weiblichen Intellektuellen der Zeit, der österreichischen Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Bertha von Suttner kam aus böhmischem Adel. In früheren Lebensjahren erlernte sie mehrere Sprachen und reiste viel. Jedoch war nicht nur die Stellung der Frau ein Thema in ihren Publikationen. Im Jahre 1889 veröffentlichte sie den pazifistischen Roman «Die Waffen nieder». Sie wurde damit zu einer der prominentesten Vertreterinnen der Friedensbewegung. 1905 wurde sie — als erste Frau — mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet [Kempf 2007: 45].
Es lässt sich kaum abstreiten, dass die Kultur der Wiener Moderne ein besonderes Beziehungsnetz aufwies, das die Vertreter verschiedener Kunst- und Wissenschaftsdisziplinen vereinigte [Kandel 2012]. Es ist bekannt, dass Schnitzler und Hofmannsthal die Vorlesungen von E. Mach besucht haben [Michler 1999: 291-292]. Freud und Schnitzler nahmen ihm zufolge zum Beispiel Unterricht bei den gleichen Professoren [Pfohlmann 2006: 129]. Es ist auch unbestritten, dass die Erforschung und Beschreibung mancher Probleme damals parallel ging und der Ruf des Bahnbrechers weder der Literatur, noch der Wissenschaft zusteht.
Das betrifft zum Beispiel das Thema des Traumes, dem in Schnitzlers Schaffen eine grosse Rolle zugemessen wurde. Das Interesse am Charakter und an den Mechanismen dieses Phänomens bringt Schnitzler der bedeutenden Figur der Psychoanalyse, Sigmund Freud, näher, obwohl die beiden darüber und allgemein gewisse Differenzen hatten. Es ist bekannt, dass Schnitzler seine Träume schriftlich festhielt, auch führte er jahrelang ein Tagebuch, das später unter dem Titel «Jugend in Wien» herausgegeben wurde. Selbstbeobachtung wurde nicht nur zum Lebensprinzip mancher Literaten, sondern auch zum Motto der Ära des Anthropozentrismus.
Unter anderem trafen sich Schnitzlers Ansichten mit denjenigen der «Jung Wiener», welche sich solchen Themen und Ideen wie Tod, Einsamkeit, Aussterben, Spiel, Traum, Sexualität u.s.w. zuwandten.
Hier spielt auch die jüdische Abstammung der meisten Exponenten der Wiener Moderne eine Rolle, zu der sie sich verschieden verhielten. Meistens war dieses Verhalten sehr diskret, was ihnen K. Kraus vorwarf
[Kraus 2011: 238]. Schnitzlers Helden bilden da keine Ausnahme. Sie lassen sich ungern als Juden erkennen.
Es sei betont, dass Schnitzler unter den Literaten der Wiener Moderne einen besonderen Platz einnimmt. Er bringt auf seine Art und Weise die Programmthesen des «Jung Wiens» in Erfüllung. Obwohl Bahr den spontanen Charakter der Wiener Moderne überall betonte, schrieb er das Essay «Die Moderne» [Bahr 1998: 97102], das von vielen Wissenschaftlern als das diesbezügliche theoretisch-praktische Manifest akzeptiert wird. Damit charakterisierte Bahr die Richtung der Wiener Moderne, die sich stark von den anderen Zentren der Moderne wie Paris, Prag, Berlin etc. unterschied. Die Wiener Moderne fokussierte sich speziell auf das Innere des Subjekts, das jetzt den Status des Heiligen bekam. Objektivität und Präzision der Darstellung wurden in den Hintergrund geschoben. Subjektivität wurde als Gesetz proklamiert und gab damit den Literaten nicht nur mehr Freiheit, sondern auch einen Anlass, sich selbst zu bewundern. Der neue Darstellungsgegenstand brauchte auch eine neue Gestaltung. Als solche galten zum Beispiel im Rahmen der deutschsprachigen Literatur neu entstandene Formen wie der Innere Monolog und die Erlebte Rede, die ermöglichten, die Distanz zwischen dem Leser und dem Helden zu reduzieren. Das entsprach dem Hauptmotto der Wiener Moderne, wo das Innere über alles regierte [Bahr 1998: 101]. Die Erfindung der erlebten Rede wurde oft Schnitzler zugeschrieben. Aber das entspricht nicht der Wahrheit. Ihr Erfinder im Rahmen der europäischen Literatur ist Eduard Dujardin [Le Rider 2000: 70]; nur in der deutschsprachigen Literatur ist es wirklich Schnitzler, der zum ersten Mal die erlebte Rede zum Vorschein gebracht hat. Diese Art, den Helden zu zeigen, kombiniert mit dem inneren Monolog, war bei «Jung Wien» sehr beliebt [Zenke 1976: 238], wurde aber nur von Schnitzler so konsequent und oft verwendet. Nebst dieser Neuerungen sind die Werke von «Jung Wien» traditionell geschrieben, was beweist, dass die Literatur der Wiener Moderne nur den Anfang des Bruchs mit der Tradition darstellte, welchen der Expressionismus weiterführte.
Es gibt einen wichtigen Unterschied, der Schnitzler von seinen Gleichgesinnten trennt. Da alle Literaten aus gutem Hause kamen, schilderten sie in ihren Werken die ihnen bekannte, bequeme Welt der Kur- und Kaffeehäuser. Als Haupthelden wählten sie oft einen gelangweilten Aristokraten, der einen besonderen Draht zur Kunst hat. Schnitzler seinerseits brach diese Tradition. Er malte das genaue «soziale Porträt» seiner Zeitgenossen. Deswegen sind in seinen Werken auch Figuren zu finden, die aus niedrigen Schichten der Bevölkerung stammen, zum Beispiel «das süsse Mädel», ein Polizist, Wachmann oder Kutscher. Die Authentizität wird hier nicht nur durch eine ausführliche Darstellung der Lebensdetails dieser Figuren erreicht, sondern auch durch linguistische Besonderheiten ihrer Rede, die durch den Wiener Dialekt stark geprägt ist.
Viele Forscher des Schaffens von Schnitzler und auch seine Zeitgenossen warfen ihm vor, dass er apolitisch war. Manche haben von ihm die explizite Erläuterung solcher Probleme wie Nationalitätenkrise oder Antisemitismus erwartet, haben dazu aber nichts auf den
Seiten seiner Novellen, Erzählungen und Dramen dazu gefunden. Nur in seiner Autobiographie finden sich Erinnerungen an seine Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Abstammung.
Lässt man sich jedoch auf die gesamte Stimmung und die individuellen Figuren in seinen Novellen ein, so finden sich dort sehr wohl die inneren und äusseren Konflikte, denen die Protagonisten in dieser Epoche ausgesetzt waren. Jedoch exakt im Sinne der Wiener Moderne wird dies nicht in sachlicher Abhandlung und aus «externer» Sicht diskutiert, sondern innerhalb der Handlung der Geschichten anhand der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner individuellen und der gesellschaftlichen Situation implizit dargestellt. Diese „innere Sicht" der Dinge wurde ja gerade von den Exponenten von «Jung Wien» proklamiert, und gerade um dies herauszuarbeiten, wurde von Schnitzler der Innere Monolog und die Erlebte Rede so intensiv eingesetzt. Das heisst, apolitisch war Schnitzler nur in der externen Betrachtung, in der inneren Betrachtung und der Handlung seiner Figuren zeigt sich aber sehr wohl seine politische Interessiertheit, wenn auch keine dezidierte Haltung des Autors in der einen oder anderen Richtung zu erkennen ist... es sei denn durch den an manchen Stellen fast unverhohlenen Spott gegenüber gewissen gesellschaftlichen Manierismen der damaligen Zeit.
ЛИТЕРАТУРА
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Информация об авторе
Татьяна Михайловна Дубах — кандидат филологических наук, доцент кафедры немецкой филологии, Уральский государственный педагогический университет (Екатеринбург). Адрес: 620017, Россия, г. Екатеринбург, пр. Космонавтов, 26. E-mail: [email protected].
About the author
Tatyana Mikhailovna Dubakh — Candidate of Philology, Associate Professor of Department of German Philology, Ural State Pedagogical University (Ekaterinburg).