Научная статья на тему 'Уголовное право и криминология без страха соприкосновения'

Уголовное право и криминология без страха соприкосновения Текст научной статьи по специальности «Языкознание и литературоведение»

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Текст научной работы на тему «Уголовное право и криминология без страха соприкосновения»

КРИМИНОЛОГИЯ ЗАКОНА

G. Kaiser*

STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE OHNE BERÜHRUNGSFURCHT**

Die Auseinandersetzung in den modernen Krim in alwissen Schäften über Aufgabe, Richtung und Methode kann auf eine rund zweihundertjährige Geschichte zurückblicken. Sie ist gekennzeichnet durch Gräben und Brücken. Sie reicht von der Dialogbereitschaft bis zur Sprachlosigkeit, von der Kooperation bis zur Konfrontation und zum Kampf um Deutungshoheit und Definitionsmacht sozialer Konflikte, die man herkömmlich „Verbrechen" nennt. Denn seit den Anfangen der Strafrechtswissenschaft und überdies den Versuchen zur Begründung einer empirischen Rechtswissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich auch Spannungen sowie konfliktträchtige Berührungen zwischen Erfahrungs- und Norm Wissenschaft, Rechtssoziologie und Jurisprudenz, zwischen Kriminologie und Strafrecht wahrnehmen. Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung, Freirechts schule und Interessenjurisprudenz, Kriminologie und Pönologie, die soziologische Strafrechtsschule von Liszts, der anglo - amerikanischepenal •weifarism sowie die Reformbewegung der defense sociale, neuerdings selbst (post-)kritische Kriminologie und Abolitionismus stellen nur einzelne Etappen der periodisch aufflammenden und anscheinend zu keinem Ende kommenden Entwicklung dar. Diese Bewegung meint wohl nichts anderes als die ständige Suche nach einer Neubestimmung des Verhältnisses von Rechtsstaatlichkeit, Individualfreiheit und Sicherheit oder von Legalität und Effektivität, und damit jeweils nach einer neuen, zeitgerechten Bewältigung von Problemen gravierenden Unrechts. Sie reicht bis zu den zeitgenössischen Tendenzen der Informalisierung und Privatisierung strafrechtlicher Konflikte. Die Auseinandersetzung fand als sog. Schulenstreit bereits Eingang in Wissenschaftsgeschichte und Kriminalpolitik, und zwar lange Zeit, ehe an Positivismusoder Historikerstreit zu denken war. Nahezu das gesamte vergangene Jahrhundert war von ihm erfüllt. Man wird daran zweifeln, dass er schon überwunden ist, wenn man an die gegenwärtige Fundamentalkritik von Abolitionismus und kritischer Kriminologie gegenüber dem Strafrecht denkt. In

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Heinrich Jescheck anlässlich seines 90. Geburtstages in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet.

* Г. Кайзер - экс-директор Института зарубежного и международного уголовного права им. М. Планка (Фрайбург, Германия).

* * Уголовное право и криминология без страха соприкосновения

meinem Beitrag zu der Festschrift, die anlässlich des 70. Geburtstages HansHeinrich Jeschecks erschienen ist, habe ich einige Phasen der Entwicklung nachzuzeichnen und in weiter Anlehnung an die Position des Jubilars eine Lösung mit dem Konzept der «Gesamten Strafrechtswissenschaften» zu erreichen versucht.1 Dieser Ansatz hat auf der institutionell bezogenen Forschungsebene mit der prägnanten Metapher des Jubilars «Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach» kennzeichnenden Ausdruck gefunden.2 Dabei scheint das von Lisztsche Konzept der gesamten Strafrechtswissenschaft noch immer konstruktive Begegnungen und eine fruchtbare Fortentwicklung in Wissenschaft und Praxis zu eröffnen. Es leuchtet ein, wenn angenommen wird, die Idee der gesamten Strafrechtswissenschaft habe «dem Strafrecht eine Tür aufgemacht, und ein Platz im Strafrecht» werde «für Kriminalpolitik und Kriminologie erst von dieser Idee freigehalten»3. Daher greift man das von dieser Idee geleitete Konzept auch in der Gegenwart erneut auf, um es zu prüfen und mit neuem Inhalt zu füllen.4 Gleichwohl sind die Einwände nicht verstummt, wie Stimmen aus der Strafrechtswissenschaft,5 insbesondere aber diejenigen der kritischen Kriminologie und des Abolitionismus bezeugen.6 Offenbar bietet das fragliche Spannungsverhältnis immer wieder Anlass, darüber nachzudenken und erneut nach ebenso theoretisch überzeugenden wie praktikablen Lösungen zu suchen. Dem wollen die folgenden Überlegungen anhand der neueren Erfahrungen, Befunde und Diskussionen nachgehen.

Die aktuellen Einwände bewegen sich auf verschiedenen Ebenen und nähren sich aus unterschiedlichen Quellen. Sie erfassen das Selbstverständnis der Disziplinen und deren Verhältnis zueinander ebenso wie die Zusammenarbeit der

1 Vgl. Kaiser, Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1035.

2 Jescheck, Freiburger Universitätsblätter 67 (1980), S. 39; ders., in: H.-J. Albrecht u.a. (Hrsg.), Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach, 1994, S. 7; ders., in: H.-J. Albrecht u.a. (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, 1998, S.9.

3 So Hassemer, Kriminologie - Strafrecht - Kriminalpolitik. Manuskript des Vortrages v. 13.3.2003 auf der Wiener Kriminologen-Tagung, S. 4.

4 Vgl. etwa Hassemer, in: Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994, S. 170, 275, 277; ders., in: Eser (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft vorder Jahrtausendwende, 2000, S. 26 f.

5 Skeptisch vor allem Naucke, Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff, 1985, S. 10, unter Betonung zeitadäquat unterschiedlicher Ausprägungen des Konzepts; dazu ferner Kaiser, Kriminologie. Lehrbuch, 2. Aufl. 1988, S. 82ff., jeweilsm. w. N.

6 Siehe dazu namentlich Sack, in: Albrecht/Kürzinger (Hrsg.), Kriminologie in Europa - Europäische Kriminologie?, 1994, S. 121; Smaus, Das Strafrecht und die gesellschaftliche Differenzierung, 1998, S. 19; dies., in: Althoff u.a., Integration und Ausschließung, 2001, S. 345; Krasmann, Die Kriminalität der Gesellschaft, 2002, S. 61 ff., 256ff.; zusammenfassend zum Abolitionismus Schobloch, Abolitionistische Modelle im Rechtsstaat, Bern 2002, insbesondere S. 249 ff., m. w. N.

Wissenschaftler. Entsprechend kommt ihnen jeweils ein voneinander abweichendes Gewicht zu. Sie richten sich sowohl gegen das Präventionsstrafrecht als auch gegen das Vergeltungsstrafrecht. Sie treffen sich freilich sämtlich in dem Bemühen, das geltende Strafrecht zu kritisieren, zu dekonstruieren und zudelegitimieren. Diese Tendenz greift über notwendige und völlig unstreitige Autonomiebestrebungen der modernen Kriminologie weit hinaus,1 insofern es der straf rechtskritischen Perspektive nicht mehr nur um die kritische Begleitung geht, sondern um ein anderes oder gar kein Strafrecht. Dabei erweist sich die postmoderne Kritik als ein nahezu unerschöpfliches Reservoir. Sie ist in der Verknüpfung der Argumente keinesfalls zimperlich. Gebrechen, die im anglo-amerikanischen Schrifttum vornehmlich der Gesellschaft oder den Politikern zugeschrieben werden,2 pflegt man hierzulande vor allem dem Staat und mit ihm dem Strafrecht anzulasten. «Reproduktion von Ungleichheit», «Ausschließung», «Viktimismus» und «Populismus» sowie «Punitivitätskultur», «Straflust» und «Hass-Strafrecht» kennzeichnen die zeitgenössischen Vorwürfe. Inspiriert, ja durchdrungen von der Annahme Foucaults wird die «Figur des gefährlichen Individuums» derart fokussiert, dass daraus ein verhängnisvoller Diskurs des Strafrechts und der Kriminalpolitik konstruiert wird, der in seiner ausweglosen Dynamik bis zur Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus reicht, ja überdies bis zu den als bedenklich begriffenen Tendenzen der Gegenwart, etwa im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung, führt.3 Dabei wird freilich alles ausgeblendet, was nicht in diesen Argumentationszusammenhang passt. So ist von Klein- und Massenkriminalität ebensowenig wie von Abschreckung die Rede; entsprechend wird das Marburger Programm von Liszts amputiert. Selbst die kriminologische Forschung zu den strafrechtlichen Strategien der Diversion und des Täter-Opfer-Ausgleichs ist angefochten und wird verdächtigt, sich «distanzlos auf Forderungen und Ansinnen der Kriminalpolitik» einzulassen, obwohl die entsprechenden Primärimpulse bekanntlich der kriminologischen Gedankenwelt entstammen. Schon deshalb kann begründet keine Rede davon sein, dass sich die Kriminologie wie selten zuvor «ihren wissenschaftlichen Schneid und das Pfund selbstbestimmter Fragestellungen zugunsten von Notwendigkeiten, Opportunitäten

1 Dies scheint Hassemer, Festschrift für Müller-Dietz, 2001, S. 261, 266 f., zu verkennen.

2 Vgl. Roberts u. a., Penal populism and public opinion, Oxford 2003, S. 3 ff., 8, 161.

3 Vgl. etwa P. Becker, in: Lüdtke (Hrsg.), „Sicherheit" und „Wohlfahrt". Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. Jahrhundert, 1992, S. 97, 107; A. Roth, Kriminalitätsbekämpfung in deutschen Großstädten 1850-1914, 1997, S. 279ff., 403; Smaus, Das Strafrecht und die gesellschaftliche Differenzierung, 1998, S. 26, 321; Uhl, Das „ verbrecherische Weib". Geschlecht, Verbrechen und Strafen im kriminologischen Diskurs 1800-1945, 2003, S. 43, 54, 68, 73, 77, 90f.

und Zweckmäßigkeiten fiskalisch diktierter und politisch durchsetzbarer Kriminalpolitik» habe «abkaufen lassen».1

Die Gründe dafür, warum sich die Einwände gerade gegen Theorie und Praxis des Strafrechts in Deutschland wenden, sind nicht leicht zu erkennen. Auf die «Berührungsfurcht» gegenüber dem Strafrecht zu verweisen, genügt wohl kaum als Erklärung, weil damit bestenfalls nur auf ein Symptom Bezug genommen würde. Denn das Strafrecht, so wird kritisch eingewandt, spiegle nur das soziale Ungleichheit reproduzierende Herrschaftsverhältnis des Kapitalismus wider; es sei überdies ein ebenso untaugliches wie ungerechtes und inhumanes Mittel zur Verbrechensbekämpfung.2 Allerdings reduziert die Kritik das Strafrecht weitgehend auf die materielle Normenordnung, ohne explizit auf das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht sowie auf die Strafjustiz, mit Ausnahme von Freiheitsstrafe und Strafvollzug, einzugehen. Gleichwohl wird die negative Beurteilung pauschal auch darauf bezogen, insbesondere auf den Ausschließungscharakter der Strafe sowie auf die Strafjuristen als die Interpreten und Anwender des Strafrechts. Überdies liegt es nahe, dass auch jene Kriminologen, die sich im Verbund mit der Strafrechtswissenschaft sehen und sich angeblich der Dominanz des Strafrechts willfährig beugen, durch die Kritik «abgestraft» werden. Exemplarisch vor Augen geführt wurde dies unlängst auch beim Streit um die Mitwirkung am sog. Sicherheitsbericht der Bundesministerien für Inneres und Justiz.3 Kraft der unterstellten Unterwerfungsstrategie sieht man nicht nur die wissenschaftliche Unabhängigkeit der kooperationsbereiten Kriminologen beeinträchtigt, sondern erblickt in dem Verbundkonzept überdies eine legitimationswissenschaftliche Fehlentwicklung der Kriminologie, wodurch die neuerdings vermutete Ausprägung der Strafrechtspraxis als «Hass-Strafrecht»4 mit Hilfe der Kriminologie geradezu verschleiert werden könnte. Derartige, nicht selten erst von ihr konstruierte Zusammenhänge zu entlarven und ihnen durch einen Gegendiskurs entgegen zu wirken, fühlt sich die kritische Kriminologie aufgerufen. Wegen der offensichtlich nicht behebbaren Mängel einschließlich der Dysfunktionalität wird selbst die sich auf die «Zweckrationalität» gründende Kriminalpolitik angezweifelt.5

1 Sack (Anm. 6), S. 144.

2 Vgl. etwa Smaus (Anm. 9), S. 14ff.; P.-A. Albrecht, Kriminologie. 2. Aufl. 2002, S. 69ff., 90, 381 ff.; differenzierend jedoch Lüderssen, Abschaffen des Strafens?, 1995, S. 410, 415f.,425.

3 Dazu kritisch Peters/Sack, KrimJ 35 (2003), S. 17; dagegen Schumann, KrimJ 35 (2003), S. 135; zum Ganzen Kerner, in: Schöch/Jehle (Hrsg)., Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, 2004, S. 523, 545 ff.

4 So Sack bei Löschper, KrimJ 34 (2002), S. 41, 45.

5 Vgl. etwa P.-A. Albrecht (Anm. 11), S. 2ff.; ferner Kunz/Besozzi, in: Kunz u. a. (Hrsg.), Soziale Reflexivität und qualitative Methodik, Bern 2003, S. 7, 9.

Wenn aber diese Problematik schon allgemein für das Verhältnis von Strafrecht und Kriminologie zutrifft, müssen dann nicht entweder die Spannungen zwischen Kriminologie und Strafrecht oder die Gefahren der Fehlentwicklung geradezu übermächtig werden, wenn Kriminologen und Strafjuristen in ein und derselben Forschungseinrichtung miteinander arbeiten? Insbesondere wird man hier fragen, ob die institutionelle Verbundforschung nicht zur Beeinträchtigung oder gar Lähmung der Forschungsfreiheit von Kriminologen führen müsste, und falls nicht, dann jedenfalls zum Verlust der wissenschaftlichen Unabhängigkeit durch politische Botmäßigkeit oder Unterwerfung. Immer wieder wird dies explizit behauptet oder doch suggeriert,1 ohne dass derartige Vorwürfe konkret belegt werden können. Wiederholt ist der Jubilar solchen Befürchtungen und Einwänden überzeugend entgegen getreten, um sie zu entkräften.2 Neuerdings hat dem Hassemer, um Vermittlung bemüht, hinzugefügt: Die Anregung zur Erweiterung des Horizonts «ist Ergebnis einer wissenschaftlichen Kooperation auf Augenhöhe, keine Hierarchie von Herrin und Magd, wo das Strafrecht die Fragen stellt und die Kriminologie die Antworten gibt»3. Allerdings wird man diese Stellungnahme wohl in der Weise einschränken müssen, dass man auch auf Fallsituationen trifft, in denen beide Disziplinen wechselseitig Fragen stellen und auch Antworten erwarten dürfen, ohne Gefahr zu laufen, ihre Autonomie zu beeinträchtigen. Letztlich geht es der Kritik wohl mehr um die Bestimmung der Diskurshoheit und des Agenda-Settings durch eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich der angeblich «hegemonialen» Haupt- Strömung der Kriminologie widersetzen.4 Zwar ist die Wahrheitserforschung in der Wissenschaft und so auch in der Kriminologie nicht abhängig von Mehrheitsmeinungen. Doch dass es sich hier um die Suche nach Wahrheit und Objektivität oder um fiktive Realität handeln könnte, wird ja weitgehend geleugnet oder doch bezweifelt.5 Nachdenklich stimmt, dass ähnliche Spannungen und Konflikte außerhalb des deutschsprachigen Bereichs weithin unbekannt sind.6 Dies mag an der vergleichsweise institutionell starken Stellung der deutschen Strafrechtswissenschaft liegen und damit an dem hierzulande

1 Insbesondere Sack, in: Janssen/Peters (Hrsg.), Kriminologie für soziale Arbeit, 1997, S. 14, 19.

2 Vgl-Jescheck, in: H.-J. Albrecht u. a. (Hrsg.), Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach, S. 7; ders., in: H.-J. Albrecht u.a. (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, 1998, S. 9.

3 Vgl. Hassemer (Anm. 3), S. 5, 11; auch schon ders. (Anm. 7), S. 264.

4 So etwa Anhorn/Bettinger (Hrsg.), Kritische Kriminologie und soziale Arbeit, 2002, S.7, 17,238.

5 Vgl. dazu die Kritik von Scheerer, in: Althoffu. a. (Anm. 6), S. 243; Hassemer (Anm. 3), S. 12,20f.

6 Siehe die auf England bezogenen Beobachtungen von Karstedt bei Klimke, KrimJ 35 (2003), S. 141.

vielleicht systemtypischen Rückgriff auf das Instrumentarium des (Straf-) Rechts anstelle von Mitteln der Sozialpolitik zur Lösung sozialer Probleme oder auch an den Eigentümlichkeiten der involvierten kriminologischen Wissenschaftler in Deutschland. Gleichwohl wird man zögern, hier einen deutschen «Sonderweg» zu vermuten. Selten erscheint Kriminologie kriminalpolitisch weniger engagiert als in den USA, obgleich dort die Kriminologie im Wissenschaftsgefüge bekanntlich eine breite Verankerung erfahren hat.1

Wenn es aber solche Unterschiede gibt, dann hängen sie sicherlich auch von Art, Inhalt und Rolle sowohl des Strafrechts als auch der Kriminologie ab. Selbst der Rückgriff auf das Konzept der gesamten Strafrechtswissenschaft vermag die Existenz unterschiedlicher Richtungen innerhalb der fraglichen Teildisziplinen nicht zu ignorieren. Demgemäß ergeben sich nicht nur unterschiedliche Positionen zu jenem Konzept,2 sondern werden auch Fragen nach dem Verständnis der Kriminologie virulent. Im Hinblick auf die vermeintliche Zersplitterung der Kriminologie fragt Hassemer danach, «welche Kriminologie» denn wohl in Betracht komme. Allerdings geht es um mehr als darum, die etwaige Vielstimmigkeit aufgrund der existierenden «Spezialkriminologien» auszuräumen, um auf eine integrative Kriminologie höheren Grades zurückgreifen zu können, welche die Vorzüge der verschie denen Richtungen zu vereinigen und deren Schwächen zu vermeiden wüsste, sondern auch um die offensichtlich unterschiedlichen Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Strafrecht und Kriminologie. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, dass wir hier auf unterschiedliche Affinitäten zwischen strafrechtlichen und kriminologischen Richtungen treffen, und zwar zwischen neoklassischem Strafrecht oder Zweckstrafrecht einerseits und kritisch-konstitutiver oder traditionell interdisziplinärer Kriminologie andererseits.3 Eine Kriminologie ohne Täter und Opfer hingegen dürfte sich schwertun, überhaupt eine produktive Beziehung zum Straf recht zu begründen und zu pflegen. Dies wird an den bislang angebotenen Alternativkonzepten4 besonders deutlich. Die Resonanz dazu bleibt daher recht verhalten, selbst im engeren Kreis der kritisch-konstitutiven Kriminologie.5 Entsprechendes gilt für die Abarbeitung des von Hassemer einer

1 Vgl. dazu die Diskussion über den sog. Sherman-Report von Bannenberg/Rössner, ZJJ 31 (2003), S. 111, 113, und Kerner (Anm. 12), S. 550f., sowie die Kritik von Jung, in: Kunz u.a. (Anm. 14), an Garland.

2 Vgl. hierzu die oben zitierten Äußerungen von P.-A. Albrecht, Hassemer, Kunz und Naucke.

3 Dazu kritisch R-A. Albrecht (Anm. 11) und Smaus, in: Althoffu. a. (Anm. 6).

4 Siehe hierzu R-A. Albrecht (Anm. 11); ferner Sessar, MschrKrim. 80 (1997), S. 1; ders., in: H.-J. Albrecht u.a., Internationale Perspektiven in Kriminologie und Straf recht, 1998, S. 427.

5 Z.B. Sack, KritV 2003, 122 f.

«strafrechtskritischen Kriminologie» anempfohlenen Forschungskataloges,1 der, soweit überhaupt aufgegriffen, am ehesten von Kriminologen der Hauptströmung angegangen wird. Gilt dieser Befund schon allgemein auf der Ebene des Disziplinvergleichs, so muss er sich dementsprechend auf der innerinstitutionellen Ebene einer gemeinsam für Kriminologie und Strafrecht bestimmten Forschungseinrichtung verstärkt äußern.2 Unterschiedliche Nähe und Stimmigkeit strafrechtlicher und kriminologischer Konzepte lassen es daher angezeigt erscheinen, der Frage nachzugehen, inwieweit das kriminologische Selbstverständnis mit strafrechtlichen Vorstellungen vereinbar ist, um sich in ein übergreifendes Modell gesamter Strafrechtswissenschaft oder, bescheidener, in den Mikrokosmos eines institutionellen Forschungsverbundes einzufügen, ohne den übergreifenden Forschungsrahmen zu sprengen oder sich in wissenschaftliches «Abseits» zu begeben und den 2Biss» zu verlieren.

Für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Kriminologie und Strafrecht kommt es daher erwartungsgemäß auch auf das kriminologische Selbstverständnis an. Dieses ist jedoch verschieden, je nachdem, ob man jenes der traditionellinterdisziplinären Hauptströmung betrachtet oder alternativ das der kritischen Perspektive. Die Unterschiede äußern sich heute hauptsächlich in den Forschungsinteressen und in der abweichenden Distanz oder Nähe zur Bewältigung praktischer Aufgaben, nicht zuletzt durch ein differenziertes Rollenverständnis, zum Teil durch die spezifische professionelle Orientierung als Soziologe, Psychologe oder Jurist bedingt. Dadurch ergeben sich freilich auch unterschiedliche Blickschärfungen für den kriminologischen Forschungsgegenstand, soweit es um die Analyse der Kriminalitätswirklichkeit sowie von Täter und Opfer geht. Daher hat die Diskussion die Scheinfrage «Verbrechensbegriff oder abweichendes Verhalten» längst verlassen, da die relevanten Phänomene der Abweichung schon seit jeher als Forschungsobjekte von der Kriminologie einbezogen wurden und sich die Devianzforschung eingedenk aller Kritik im Schwerpunkt auf die Kriminalität und die vom Verbrechensbegriff erfassten Erscheinungen bezieht. Wer freilich nichts von der Fokussierung des Verbrechensopfers hält, weil ihm nicht zuletzt der bislang wegen des von der Strafjustiz zugefügten Leidens dem Täter vorbehaltene Opferstatus nunmehr durch Veränderung des Blickfeldes abhanden kommt, der muss die strafrechtliche Wiederentdeckung des Verbrechensopfers3 als befremdlich und störend empfinden. Er wird dazu neigen, sie als «Viktimismus»

1 Vgl. Hassemer (Anm. 7), S. 267.

2 Dazu näher unten II.

3 Zum „victimological turn" Jung, in: The criminological foundations of penal policy. Essays in honour of Roger Hood, Oxford 2003, S. 443, 461.

oder «Populismus» abzuwerten.1 Kennzeichnend schreibt der Kriminalsoziologe Peters: «Wir haben gegenwärtig eine Welle der Dramatisierung dieser Opfer festzustellen. Stiftungen des Opferschutzes werden gegründet, die uns in Bedrängnis bringen mit unserem Verständnis von Kriminalität», und fügt offenherzig hinzu: „Waren für Kriminalsoziologen der 70er Jahre die Kriminellen die Opfer, sind es jetzt die Opfer».2 Nach P.-A. Albrecht ist die «strafrechtliche Neutralisierung des Opfers» überdies im Interesse der Freiheitssicherung geboten, zumal sie «zum Inhalt einer liberalen Staats- und Grundrechtstheorie» gehöre.3 Denn «eine konstruktivistisch orientierte Kriminologie tendiert dazu, diese Betroffenen-Perspektiven zu vernachlässigen».4 Eine derartige Folgerung trifft zwar für den «radikalen Konstruktivismus» zu, verfehlt aber wichtige kriminalpolitische Aufgaben. Sie ist daher äußerst bedenklich und letztlich inakzeptabel. Insbesondere in dieser Hinsicht hebt sich die Kriminologie der Hauptströmung scharf von radikal-kritischen Perspektiven ab, wie sie sich der viktimologisch inspirierten Forschung seit Ende der 1960 er Jahre entnehmen lässt.5

Immerhin hat der Streit um den Rang von Täter- und Opferorientierung, ferner um die Bedeutungsanalyse und Infrastruktur strafrechtlicher Sozialkontrolle einschließlich Prävention, Privatisierung sowie dem Konstrukt charakter des Verbrechensbegriffs die kriminologische Welt in den letzten vier Jahrzehnten tiefgreifend verändert und ihr weitgehend ein neues Bild vermittelt. Bei dem Richtungsstreit lässt sich freilich das zeitweilig heftige Ringen um Hegemonie und Diskurshoheit nicht verkennen. Gleichwohl ist es ihm zu verdanken, dass aufgrund wechselseitiger Anregung und Kritik Übertreibungen weitgehend zurückgeschnitten wurden und sich Fehlentwicklungen in Grenzen hielten. Nicht zuletzt sind es spektakuläre Verbrechen, die uns eindrücklich daran erinnern, dass wir es bei Verbrechen und Kriminalität nicht nur mit blutleeren Konstruktionen oder gar «Glasperlenspielen» zu tun haben, sondern auch und vor allem mit eingreifenden Ereignissen und leidvollen Konflikten, die Menschen zerbrechen lassen und die keine Gesellschaft und auch keine Humanwissenschaft gleichgültig lassen können. Allgemein betrachtet bleibt der Kriminologie auch im Kontext gesamter Strafrechtswissenschaften genügend Raum zu autonomer Entfaltung und Selbstreflexivität, ohne Gefahr zu laufen, erdrückt, stranguliert oder nur für «Handlangerdienste» eingespannt zu werden. Dass die traditionelle und auch vom

1 So etwa Cremer-Schäfer/Steinen, Straflust und Repression, 1998, S. 210, 212; anders hingegen Roberts u. a. (Anm. 8) zum penalpopulism.

2 Peters, in: Anhorn/Bettinger (Anm. 18), S. 219.

3 P.-A. Albrecht (Anm. 11), S. 390, 392.

4 P.-A. Albrecht (Anm. 11), S. 86; dazu kritisch Scheerer (Anm. 19), S. 250.

5 Dazu schon H.-J. Schneider, Viktimologie, 1975.

Jubilar vertretene Ansicht, wonach die Kriminologie dem Strafrecht «unentbehrlich» sei mit ihrem «fachlichen Rat für die Alltagsaufgabe der Strafrechtspflege» und ein «wichtiges Hilfsmittel der Kriminalprognostik»,1 zwar «sicherlich gut gemeint und insoweit auch zutreffend» sei, aber in dieser Verkürzung in recht reiner Form «die Aufgabenverteilung von Herrin und Magd» repräsentiere, wie Hassemer meint,2 vermag ich nicht zu sehen, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass sich «empfindsame Kriminologen schon seit Langem» gekränkt und «zu Widerspruch» herausgefordert fühlen;3 dies ist jedoch vor allem dadurch bedingt, dass sie zu Kriminologie und Kriminalpolitik eine grundlegend andere Auffassung vertreten. Daher erscheint eine etwaige «Berührungsfurcht» der Kriminologie gegenüber dem Strafrecht ebenso unbegründet wie verfehlt. Obschon die Einwände der kritischen Richtung inhaltlich nicht neu sind, lassen sie sich keineswegs übersehen, zumal sie sich in der Gegenwart mit unverminderter Schärfe äußern und mit einigen Anhängern in den Sozialwissenschaften rechnen können. Dabei stützen sie sich argumentativ neuerdings auch auf die «radikalkonstruktivistische Wissens- und Systemtheorie4 mit der Abkehr von wissenschaftlichen Begriffen» der Erkenntnis, der Wahrheit und der Realität, ohne damit freilich dem «Elend der kritischen Kriminologie»5 entrinnen zu können. Straflust und Ausschließung sowie die dominante Rolle der Juristen,6 ferner das Festhalten am Verbrechensbegriff und selbst die Opferorientierung liefern Steine des Anstoßes sowie Kristallisationspunkte für die Kritik innerhalb von Kriminologie und Kriminalpolitik. Ob und wie immer auch die Vorwürfe begründet sind, sie setzen Kriminologie und Strafrechtswissenschaft unter dauernden Rechtfertigungsdruck und etwaige Verteidiger der Zusammenarbeit dem Verdacht der Legitimationswissenschaft sowie der mangelnden Selbstreflexivität aus, dem Vorwurf also, sich der wissenschaftlichen Voraussetzungen des eigenen Denkens und Handelns nicht ausreichend bewusst zu sein.

Prüfen wir nun nach den allgemeinen Betrachtungen zum interdisziplinären Kontext der Kriminologie die innerinstitutionelle Verbundforschung von Kriminologie und Strafrecht am Beispiel der mehrere Jahrzehnte umfassenden kriminalwissenschaftlichen Untersuchungen am Freiburger Max-Planck-Institut.

1 VgLjescheck/Weigend, Allg. Teil, 5. Aufl. 1996, S. 47.

2 Hassemer (Anm. 4), S. 11.

3 Wie z.B. P.-A. Albrecht (Anm. 11), S. 14ff.

4 Vgl. Scheerer (Anm. 19), S. 248.

5 Lüderssen, KrimJ 30 (1997), S. 442.

6 Dazu lehrreich und nachdenklich stimmend der Erfahrungsbericht und die Analyse von Schumann in: Scböch/Jeble, Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, 2004, S. 603, 604ff., 608.

Es lässt sich denken, dass die auf der wissenschaftstheoretischen Ebene erhobenen Einwände in ähnlicher, obschon modifizierter Weise auf der Ebene der Institutionalisierung und Forschungspraxis wiederkehren. Sie haben denn auch teilweise die Vorgeschichte und die Entwicklung bis zur institutionellen Verankerung der Kriminologie am Freiburger Max-Planck-Institut im Jahre 197C bestimmt. Dass wir heute dennoch auf mehr als drei Jahrzehnte kriminologischer Forschungstätigkeit am Max-Planck-Institut im Verbund mit dem Strafrecht zurückblicken können, ist vor allem der Initiative, der Sensibilität und dem Weitblick des Jubilars zu verdanken. Dies trifft auch dann zu, wenn man Einsatz und Beitrag der Mitarbeiter nicht gering einschätzt. Zur Begründung hatte Jescheck darauf hingewiesen, dass abgesehen von der Förderung der Kriminologie als solcher und um ihrer selbst willen es auch der Pflege der Kriminologie als Ergänzung der Strafrechtswissenschaft bedürfe.1 Nach dem Arbeitsprogramm sollte es zunächst und vor allem um die Erforschung des breiten Spektrums von Verbrechen und Verbrechenskontrolle gehen. Dabei wurde diese Zielsetzung vom weltweiten Erkenntniswandel in den späten 1960er Jahren und seiner Blickschär-fung für die Mechanismen und Prozesse der strafrechtlichen und informellen Sozialkontrolle beflügelt.2 Zwar haben Ziel, Vorgehen und Erträge der Freiburger Kriminologen am Max-Planck-Institut nicht stets einhellige Zustimmung gefunden. Sie wurden jedoch weder durch Autonomieverlust noch durch legitimationswissenschaftliche Dienste erkauft. Die kritische Funktion kam der empirischen Forschung keinesfalls abhanden, obschon einzuräumen ist, dass die Theorieentwicklung wiederholt angemahnt wurde. Insgesamt kann aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrungen anhand der konkreten Projekte festgestellt werden, dass sich das Konzept des Verbundes strafrechtlicher und kriminologischer Untersuchungen wider alle Kritik bewährt hat und weiterhin zur Fortsetzung ermutigt.

Die Forschungsarbeit der ersten zwölf Jahre, gemeinsam mit dem Jubilar, lässt sich im Wesentlichen in fünf größere Komplexe unterteilen, nämlich Untersuchungen zu Betriebsjustiz, Staatsanwaltschaft und Polizei, Geldstrafe und Strafvollzug sowie Wirtschaftskriminalität und Analyse des Dunkelfeldes durch Opferbefragungen.3 Dabei griff das Forschungsprojekt zur „Betriebsjustiz» bereits Fragestellungen auf, die erst im Laufe der 1970er Jahre unter dem Topos der Diversion sowie der Alternativen zum Strafrecht breite Aktualität gewinnen sollten. Im folgenden Jahrzehnt traten vor allem Themen in den Vordergrund,

1 Nachweise dazu bei Kaiser (Anm. 1), S. 1035 ff.

2 Vgl. im Einzelnen Kaiser, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Dreißig Jahre südwestdeutsche und schweizerische kriminologische Kolloquien, 1994, S. 17, 23.

3 Vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung in: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Max-PlanckInstitut Freiburg/Brsg., 1980, S. 512 f.

deren Dimensionen in den ersten Jahren gemeinsamer Forschung vorerst vage zu erkennen waren. Neben der stärkeren Einbeziehung des Verbrechensopfers in die Forschung traten Problemfelder der Diversion, der Kriminalprävention, der Gewalt im sozialen Nahraum sowie Langzeitforschungen durch Kohortenstudie und sozialtherapeutische Behandlung im Strafvollzug als vorrangige Schwerpunkte hinzu. Durch den Eintritt Albin Esers als Institutsdirektor und Nachfolger HansHeinrich Jeschecks ergaben sich neue Impulse zur Erforschung des Schwangerschafts-abbruchs, zu Untersuchungen bezüglich der Implementation des Umweltstrafrechts, zur Schadenswiedergutmachung, ferner zum Organisierten Verbrechen bis hin zur Geldwäsche und zur Gewinnabschöpfung.1 Derartige und weitere Fragestellungen, insbesondere zu Migration, Schwarzmarkt und Schattenwirtschaft gewannen mit dem Übergang der Leitung der kriminologischen Forschungsarbeit auf Hans-Jörg Albrecht verstärkte Schubkraft.2 War das zweite Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Freiburger Max-Planck-Institut im Wesentlichen durch Veröffentlichungen zur Wirtschaftskriminalität, zum Schwangerschaftsabbruch, zum Umweltstrafrecht, zur Geldstrafe und zum Strafvollzug gekennzeichnet, so folgten im Anschluss daran vor allem opferorientierte Arbeiten und solche zur Sanktionseinstellung der Bevölkerung sowie zur Handhabung des Opferschutzgesetzes. Diese Forschungsfelder, ergänzt durch Ansätze zur Analyse von Migrationsproblemen, Schwarzmärkten und Schattenwirtschaft, ferner zur Bedeutung von Organisation und subkulturellen Bezügen und die Untersuchung von Kriminalität sowie zu Modernisierungserscheinungen und ihren Auswirkungen auf die Gelegenheitsstruktur zur Begehung von Verbrechen und strafrechtliche Veränderungen prägten das dritte Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Max-Planck-Institut.3

Teilweise reichen derartige Untersuchungen bis in die Gegenwart, wie der letzte Tätigkeitsbericht des Instituts für die Zeit bis 2003 erkennen lässt.4 Danach lassen sich die laufenden Arbeiten insgesamt sechs Schwerpunkten zuordnen. Dabei handelt es sich namentlich um die Sanktions- und Vollzugsforschung, die Themenkomplexe «Organisierte Kriminalität und Innere Sicherheit» sowie «Normanwendung im Strafverfahrensrecht», ferner um die Opferforschung und

1 Dazu im Einzelnen Kaiser, in: H.-J. Albrecht u. a. (Hrsg.), Wechselwirkungen. Beiträge zum 65. Geburtstag von Albin Eser, 2001, S. 163.

2 Vgl. H.-J. Albrecht, in: Eser (Hrsg.), Kriminologische Forschung im Übergang, 1997, S. 49, 56 ff., 72 ff., unter Bezugnahme auf Je seh eck/Kaiser (Hrsg.), Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie, 1980.

3 Dazu H.-J. Albrecht (Anm. 44), S. 72ff.; ferner Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, 2004, S. 771 ff.

4 Siehe Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (Hrsg.), Tätigkeitsbericht für die Jahre 2002 und 2003, 2004, S. 14, 81 ff.

schließlich um Untersuchungen zum Problemfeld «Sozialer Wandel, Veränderung der Lebenslagen, Kriminalität und Kriminalitätskontrolle». Damit werden einerseits Fragestellungen verfolgt, die wie etwa die Viktimologie schon länger zum Forschungsprogramm des Instituts gehören und in verschiedenen Vertiefungen von ungebrochener Aktualität sind; andererseits wird Erscheinungen nachgegangen, die wie die Organisierte Kriminalität oder Transaktionskriminalität neue Zugänge erfordern und erst im letzten Jahrzehnt in die kriminologische Forschung Eingang gefunden haben.1 Rückt man die kriminologischen Untersuchungen in den Gesamtzusammenhang der Forschungsaufgaben des Instituts, so geht es gleichermaßen um den Gewinn von «Erkenntnissen über den bereits existierenden Bestand an rechtlichen Lösungen für bestimmte soziale Probleme, funktionale rechtliche oder strafrechtliche Alternativen sowie daraus zu ziehende Konsequenzen für die Fortentwicklung des Strafrechts.2 Das Max-Planck-Institut arbeitet insoweit an Grundlagenfragen zu den Strukturen des Strafrechts und dessen Rolle und Funktionen in einer sozialen, wirtschaftlich vernetzten Welt, die einem rapiden sozialen Wandel unterworfen ist. «Im Vordergrund steht dabei die - durchaus auch kritisch zu beleuchtende - Frage nach dem in modernen und komplexen Gesellschaften vorhandenen Potenzial an Steuerung und Lenkung durch Strafrecht mit den ihm eigenen und in einem Spannungsverhältnis stehenden Zielsetzungen des Schutzes von Rechtsgütern sowie der Gewährleistung von Sicherheit, Freiheit, Vorhersehbarkeit und Gerechtigkeit bei sozialen und wirtschaftlichen Austauschprozessen.»3 Die aufgrund der Neuberufung von Ulrich Sieber als Institutsdirektor bestimmten neuen wissenschaftlichen Schwerpunkte der strafrechtlichen Forschungsgruppe, die mit den Begriffen «Weltgesellschaft», «Informationsgesellschaft» und «neue Risikogesellschaft» schlagwortartig umschrieben werden, lassen auch in diesem Zusammenhang eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der strafrechtlichen und der kriminologischen Forschungsgruppe erwarten.4

Prüft man im Lichte der skizzierten Entwicklung sowie der Erträge, Merkmale und Aufgaben kriminalwissenschaftlicher Forschung die von kritischer Seite erhobenen grundsätzlichen Einwände, so bleibt davon nur wenig übrig.

1 Tätigkeitsbericht (Anm. 46), S. 14.

2 Hervorzuheben ist hier etwa die Begleitforschung zur Sozialtherapie im Strafvollzug, zum elektronisch überwachten Hausarrest (sog. Fußfessel) sowie zur Telefonüberwachung; dazu namentlich Albrecht/Dorsch/Krüger, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telefonkommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, 2003.

3 Tätigkeitsbericht (Anm. 46), S. 13.

4 Tätigkeitsbericht (Anm. 46), S. 14.

Insbesondere kann von einer Gefährdung der Unabhängigkeit und Forschungsfreiheit der Kriminologen oder gar deren Unterwerfung unter das Strafrecht keine Rede sein. Dies gilt ebenso für die nicht selten in der Kritik mitschwingende Unterstellung, die Kriminologie der Hauptströmung legitimiere neben der Täterorientierung auch etwaige Fehlfunktionen der Strafjustiz sowie den gesellschaftlichen Status quo. Ferner ist nach der Befundlage die allgemeine Behauptung zur Strafrechtspflege, wonach die Träger der „Gefährlichkeitsmerkmale» nicht als Individuen für ihre konkreten Taten, sondern als Vertreter einer «dangerous dass» bestraft würden,1 völlig überzogen und wirklichkeitsfremd, zumal bei einer solchen Sichtweise die große Zahl der Kleinkriminellen und Verkehrsdelinquenten vollständig ignoriert wird. Auch angesichts einer möglichen Steigerung der Punitivität in den letzten Jahrzehnten erscheint die behauptete «Transformation eines wohlfahrtsstaatlichen Strafrechts zu einem Hass-Strafrecht»2 als sachlich unbegründet. Entsprechendes gilt für die der Kriminologie und dem Strafrecht als «Ausschließungswissenschaften» angelasteten «Ausschließungsprozesse».3 Freilich werfen die Verhängung der Freiheitsstrafe und die Anordnung der Sicherungsverwahrung unverändert schwierige Legitimationsprobleme auf. Diese müssen aber und können auch rechtsstaatlich bewältigt werden. Sie stellen jedoch einen konstruktiven Verbund von autonomer Kriminologie und Strafrecht keineswegs in Frage.

Den wichtigsten Einwänden gegenüber der Freiburger Konzeption und Verbundforschung ist der Jubilar bereits in seinem bilanzierenden Rückblick auf die gemeinsame Zeit aktiver Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht am Max-Planck-Institut überzeugend entgegengetreten.4 In Übereinstimmung mit ihm kann auch ich heute nur seine Schlussbilanz bekräf tigen, wonach «die Zusammenarbeit von Kriminologie und Strafrecht im Max-Planck-Institut nach unserer Ansicht gelungen ist und zu Ergebnissen geführt hat, die von keiner der beiden Wissenschaften für sich allein hätten erreicht werden können».5 Entsprechend gelangte Hans-Jörg Albrecht in seiner Antrittsrede vor etwa acht Jahren zu dem Schluss, dass «die kriminologische Forschung am Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht auf ein Konzept gegründet ist, zu dem es noch heute ... keine plausible Alternative gibt». Dies bekräftigend,

1 So aber Golbert, Innere Sicherheit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten, 2003, S. 171 f.; kritisch unter Verwendung des Begriffes der «dangerous classes» hingegen Emsley, in: Maguire (Hrsg.), The Oxford Handbook of Criminology, 2. Aufl. Oxford 1997, S. 57, 62 f.

2 So aber Sack bei Löschper (Anm. 13), S. 45.

3 Cremer-Schäfer, in: Anhorn/Bettinger (Anm. 18), S. 145.

4 Vgl- Jescheck, in: H.-J. Albrecht u. a. (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, 1998, S. 9.

5 Jescheck (Anm. 55), S. 28.

fügte er hinzu: «Selbstverständlich muss ein kriminologisches Forschungsprogramm sich auch in einem Verbund mit dem Strafrecht bewähren, ebenso wie die vergleichende und internationale Strafrechtswissenschaft sich der Verständigung mit der theoretischen und empirischen Kriminologie befleißigen muss. Denn die Fragestellungen, die moderne Gesellschaften und die Prozesse der Internationalisierung (bzw. Globalisierung) für die Entwicklung und Entwicklungsfähigkeit des Strafrechts sowie seine zukünftige Rolle aufwerfen, lassen sich ohne eine solche wirksame Kooperation nicht mehr beantworten. Dabei geht es um einen jeweils selbstbewußt organisierten Verbund zwischen Kriminologie und Strafrecht, der zum einen die in den letzen Jahren zu Recht müde gewordene Debatte über Gegensätze zwischen einer auf Strafrechtssoziologie reduzierten Kriminologie und der sog. traditionellen Kriminologie hinter sich läßt, zum anderen auch die alten Rivalitäten zwischen Strafrecht und Kriminologie weiter aufarbeiten kann».1 Nach den gegenwärtigen Forschungsprogrammen ist zu erwarten, dass der für die Innovation notwendige Wandel sowie die organisatorische Forschungsstruktur und Aufgabenstellung substanziell gewährleistet bleiben. Einen besseren Ausblick auf die künftige Forschung des MaxPlanck-Instituts im Geiste des Jubilars kann man sich kaum vorstellen. Dass mir in diesem Zusammenhang vor drei Jahrzehnten die kriminologische Aufgabe anvertraut wurde und ich an deren Verwirklichung während langer Zeit mitwirken durfte, erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit.

1 H.-J. Albrecht (Anm. 44), S. 49f., 76.

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